Zehnter Abschnitt: Rückzug vom Literaturgeschehen



Zu den Entwicklungen, die an den Vereinsangelegenheiten und an den Vorgängen um den Irrhain zwischen 1914 und 1933 zu beobachten waren, liefert der folgende Abschnitt die Innenseite, das mentalitätsgeschichtliche und poetologische Unterfutter. Die zeitgemäßen Impulse kamen von außerhalb — solange „zeitgemäß“ einigermaßen mit „modern“ gleichlief —, wurden aber nicht integriert. Später wurden sie weitgehend ignoriert, dann in Einzelfällen verpönt. Andererseits: Man macht es sich heute zu leicht, wenn man aus der Literaturgeschichte, die sich wahrzunehmen lohnt, die biederen Erzeugnisse jener Jahre ausblendet, wie sie etwa auch von Autoren aus der Mitgliederzahl des Blumenordens verfaßt wurden. Das Blut-und-Boden-Geschwurbel, das auch verzapft wurde, kann man getrost beiseite lassen, es sei denn, als abschreckendes Beispiel. Doch gab es in all der fehlgeleiteten Produktion auch gut gemachte Texte, wenn auch nach den Maßstäben von 1880 gut, und in diesen wiederum Zeugnisse einer liebevollen Betrachtung menschlicher Regungen und Handlungen, geschichtsverliebte Heimatkunde, ja in einigen Fällen geradezu den humanen Kontrapunkt zu dem gewaltdurstigen Schrumpfgermanentum der politischen Rechten und ihres Überkochens. Wie beim Kontrapunkt in der Musik bedingte freilich das eine das andere. Und wie in der Architektur von Privathäusern, die man an Villensiedlungen der Zwanziger, Dreißiger Jahre noch heute beobachten kann, eine zurückhaltende, geradezu zierliche Eleganz bei Fenstern und Fassadendetails auftritt, die sich von der brutalisierten Antike der Großkotzbauten abhebt, so bietet sich in den mehr oder weniger poetischen Texten zunehmend ein Rückzug in das an, was man später zu dem Entschuldigungsterminus „Innere Emigration“ hochstilisiert hat, obwohl es nur ein müdes „Laß, oh Welt, oh laß mich sein“ wie bei Mörike war. Die dazugehörige Literaturtheorie, falls man von „Theorie“ überhaupt reden kann, ging einen ähnlichen Weg: von freier Auseinandersetzung mit Neuem zur Einengung auf das politisch zu Gebrauchende — und dessen Ausblendung.



Kriegspoesie und Streit an der Heimatfront


Wie im „Siebzigerkrieg“ auch, so kramten die Pegnesen eilig die markige Rhetorik des kampfbereiten Deutschland aus der Schublade. Diesmal fielen die Tiraden wegen der bedrohlicheren Menge der Feinde womöglich noch schriller aus.


Freitag den 2. Okt. 1914.        27. Wochenversammlung

[…] Der Vorsitzende eröffnete die Versammlung mit einer Begrüßungsansprache. Auf die gegenwärtige Weltlage übergehend gedachte er der ebenso einmütigen wie großartigen Erhebung, mit welcher das deutsche Volk die kriegerischen Angriffe einer Welt von Feinden und Neidern zurückwirft und mit mächtigem Mut und unvergleichlicher Tapferkeit sich zu Füßen zwingt. […] werden, so Gott will, in ihrer Siegesbahn weiter schreiten, bis sie den Neidern und Haßern zwischen und auf den Meeren klar gemacht, daß nicht Krämersucht und Sklaventum, sondern die Kultur die Welt regiert. Nachtrag. Hoffentlich wird sich dann auch die deutsche Literatur von dem fremden Beiwerk und Nachahmertum loslößen u. neue, ächt deutsche Werke zeitigen, würdig denen, wie sie ein Jahrhundert früher unsere großen Meister geschaffen. […]

Wießner jun. gab einige Eigendichtungen zum besten; „Trommelwirbel“, „Irgendwo drausen [sic] im Feld“ u. „Krieg“, wovon sich speziell das letzte durch geschickten Rythmus [sic] und feurige Behandlung des Gegenstandes auszeichnete. […]


Von nun an reißt der Schwall der Bücher, Aufsätze, Gedichte und Zeitschriften mit Kriegsthemen nicht ab, die am Anfang jeder Sitzung vorgestellt werden. Die Druckindustrie ist sehr rege geworden, und Buchhändler Zeiser übersendet nach bestehendem Brauch Ansichtsexemplare.


Freitag den 9. Okt. 1914        28. Wochenversammlung

[…] Wießner jun. gab ein von Bröger verfaßtes Kriegsgedicht: „Der Granatensonntag“ bekannt, welches sich in der Art seiner Durchführung den besten Arbeiten des Verfassers  anreiht. […]


Freitag den 16. Okt. 1914.        29. Wochenversammlung

[…] der Vorsitzende erteilt Wießner jun. das Wort zur Verlesung seiner Eigendichtung, des Kammerspieles: „Junge Stürmer“.

Der, der Dichtung zugrunde liegende Gedanke ist das Keuschheitsproblem [Studienanfänger, „Füchse“, eine Weinkneipe, eine Kellnerin]

[…] Ein derartiges Erlebniß mag sich ganz gut in den Rahmen einer Biographie einpassen, in der der Verfasser zeigen will, welche Einflüße für seinen inneren Werdegang bestimmend waren; zu der von dem Verfasser gewählten, dramatischen Verwertung fehlt dem Stoffe jedes Rückgrat. Ferner will diese Frage auch von einer viel höheren Warte und einer viel geschulteren Einsicht aus behandelt sein. […]


Freitag den 23. Okt. 1914.        30 Wochenversammlung

[…] Der Verfasser wünscht festgestellt zu haben, daß es sich um kein volles, persönliches Erlebniß in dem Werke handle […] Im weiteren Verlauf der Debatte erklärte der Vorsitzende die Verwendung des alten, zum sittenlosen Lebemann gestempelten Regierungsrats Frey […] als eine nicht zu billigende Charaktereinschiebung.

Der Verfasser sucht die Einschaltung dieser Figur als notwendig zur Schaffung des Kontrastes zu verteidigen, findet dabei jedoch nicht die Billigung des Vorsitzenden. Im Uebrigen erkannte der Vorsitzende die knappe u. geschickte Dialogführung wiederholt an. […]


Nein, ein „ächt deutsches Werk, würdig denen, wie sie ein Jahrhundert früher unsere großen Meister geschaffen“, war dies bestimmt nicht, aber Georg Gustav Wießner sah sich ja eher als Modernist.


Freitag den 20. November 1914.        34. Wochenversammlung

[…Es ging um die Gestaltung eines Damenabends mit Kriegsthemen] Wießner jun., welcher diese Auseinandersetzungen mit wachsender Erregung verfolgt, stellte dazwischen hinein die Frage, was denn aus dem von ihm angemeldeten Wedekindabend werden solle?— Kraus bemerkte darauf, daß Wedekind seiner ganzen Dichtweise nach eine eingehende Behandlung durch einen Vortrag im Blumenorden gar nicht verdiene, worin ihm Dr. Behringer beistimmte. Nach einigen noch weiteren von Kraus gemachten, absprechenden Bemerkungen über Wedekind, welchen die Anwesenden mehr oder weniger Beifall nickten, fuhr Wießner jun, auf einmal auf, warf seine Schriften auf den Tisch und erklärte: Das passe ihm nicht. So laße er sich nicht an der Nase herumführen. Er habe Wedekind sein ganz spezielles Studium zugewandt, den Vortrag mit Mühe und Fleiß ausgearbeitet und bereits für den 11. Dezember 30 Damen und Herren zu demselben eingeladen. „Ich werde diesen Eingeladenen einfach absagen und weder meinen Vortrag über Wedekind noch sonst irgend einen für die Folge mehr im Blumenorden halten, dann mögen sie [sic] sehen, wo sie ihre Zuhörer herbekommen“— Dr. Behringer, welcher den Vorsitz nach Weggang Beckhs übernommen, verbat sich von Wießner jun. sofort ganz energisch den Ton, den er sich anzuschlagen erlaubt, zu dem ihm jede Berechtigung abgehe und wieß ihn auch sonst in die für ihn zuläßigen Schranken zurück. Daß er dabei in verzeihlicher Entrüstung über die Anmaßung Wießner juns. ein Buch auf den Tisch schlug, war unter den obwaltenden Umständen durchaus nicht verwunderlich. Nach noch einigen Hin- und Widerreden, in welchen Dr. Behringer Wießner jun. wiederholt auf das Ungehörige seines Benehmens aufmerksam gemacht, verließ Wießner jun. mit der Bemerkung, daß er sich nicht als Schuljunge behandeln laße, das Zimmer. — Nachdem sich auch Wießner sen., ohne in irgend einer Weise in den Zwischenfall eingegriffen zu haben, entfernt hatte, erklärten die Anwesenden ihr volles Einverständniß mit dem Vorgehen Dr. Behringers, als Vorsitzendem und die Notwendigkeit einer ausreichenden, offiziellen Entschuldigung vonseiten Wießners juns. an den Orden. Die nötigen Schritte zur Ordnung der Angelegenheit wurde den Vorsitzenden überlaßen. […]


Am 22. November 1914 versuchte sich der junge Wießner brieflich zu entschuldigen, machte aber durch die Erklärung seines Verhaltens alles nur schlimmer.


Freitag den 27. November 1914.        35. Wochenversammlung

[…]  Anwesend: Beckh, Dr. Behringer, Behringer jun., Börner, Brügel, Janko, Kraus, Lambrecht, Oettinger, Ortmann, Voit, Schneider.

[…] Der Vorsitzende [Beckh …] gab den von Wießner jun. an die Vorstandschaft des Ordens gerichteten Brief bekannt, in welchem er den Vorgang in höchst einseitiger Weise schilderte, die sich nicht nur nicht als eine Rechtfertigung oder Entschuldigung seines Betragens auffassen läßt, sondern sein Auftreten geradezu als ein von der Tafelrunde herausgefordertes hinstellt, dem er das Recht gehabt habe in der von ihm geübten Weise entgegenzutreten. Selbstredend erkannte die Tafelrunde diesen Brief als keine Entschuldigung an. Der Vorsitzende verlas alsdann den Text eines Antwortschreibens an Wießner jun., welches in sehr höflicher Form seinen Brief als Entschuldigungsbrief ablehnt und ihm nahelegt durch eine, den Kern seines Verstoßes wirklich fassende Entschuldigung sein Benehmen gegen den Orden wieder gut zu machen zu suchen. Nach eingehender Debatte über diesen Text, den die meisten als zu sehr entgegenkommend fanden, wurde die Frage aufgeworfen, ob der Brief an Wießner sen. oder jun. zu richten sei. […] wurde beifolgender Text vereinbart und einstimmig angenommen denselben an Wießner sen. zu richten. […]


Georg Gustav Wießner war zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt, wurde aber offenbar nicht als volljährig behandelt.


[…] Der Vorsitzende gab eine Zuschrift Heerwagens bekannt, in welcher dieser auf einen jungen Dichter: „Walter Flex“ aufmerksam macht. […]


Dieser wurde der Schwarm aller Heldenvergötterer, noch mehr als Ernst Jünger; bis dahin war er erst als Kriegslyriker hervorgetreten.


Lambrecht giebt wiederholt bekannt, daß die Buchhandlung: „Hugo Barbeck“ die Werke von Maeterlinck fortgesetzt öffentlich zum Verkauf auslegt und trotz seiner zweimaligen Anregung dieselben nicht aus seinem Schaufenster entfernt. Da Maeterlinck durch sein deutschfeindliches, der Wahrheit Hohn sprechendes Auftreten jede direkte oder indirekte Unterstützung deutscherseits verwirkt hat, erklärten die Mitglieder des Ordens, solange Barbeck auf seinem Standpunkt verharrt, ihren litterarischen Bedarf in anderen Buchhandlungen zu decken. […]


Wer in derartiger Weise den Buchhandel boykottiert, weil er einen ihm mißliebigen Autor nicht verkauft sehen will, hat auch später nichts einzuwenden, wenn Bücher öffentlich verbrannt werden.


Dienstag den 8. Dezember 1914

Oeffentliche Versammlung im großen Adlersaal I. Vaterländischer Abend.

[Ausschnitt aus dem Fränkischen Kurier, gez. Osk. Beringer:]

[…] durch einen von dem Ordensvorsitzenden Hrn. Hofrat Dr. W. Beckh verfaßten und gesprochenen Prolog eingeleitet. […] erwähnte zuerst einen Willkommengruß, den der Verfasser vor 2 Jahren, zur Zeit der Balkankriege im Blumenorden gesprochen hatte und der mit seinem Anfangsverse


„Mir ist’s, als ob es Kriegsluft wäre,

Was überall uns jetzt umfließt

Und neues Blut und neues Leben

In uns’re trägen Adern zieht!“


wie eine Ahnung der kommenden Ereignisse zu uns spricht. […] Die herrliche Dichtung, die mit dem Wunsche


„Daß wahr der Spruch: An deutschem Wesen

Mag noch einmal die Welt genesen!“


abschloß, machte auf die Versammlung einen tiefen. nachhaltigen Eindruck […]

Dem Prologe folgte ein Vortrag des 2. Ordensvorstandes Hrn. Dr. Chr. Behringer über das Thema „Vaterländische Dichtung der Jetztzeit“. […] weggefegt ist all der fremde Wust, dem unser Volk oft gar so willig die Türe geöffnet hatte. Männer wie Gerhart Hauptmann, der in seinem unglücklichen Festspiel „1813“ dem vaterländischen Thema nicht gewachsen war, schmiedet Verse von einer Glut und Wucht, die Zeugnis von einer gewaltigen und alles opfernden Vaterlandsliebe ablegen — Ludwig Thoma, Cäsar Fleischlen, Rudolf Herzog, Hermann Sudermann, Karl Henkel [sic] und andere schließen sich ihm kraftvoll an; der höchste Idealismus ist in ihnen erwacht […] mit jenen herrlichen Worten eines schlichten Mannes aus dem Volke „Deutschland muß leben, auch wenn wir sterben müssen!“ einen überaus stimmungsvollen Abschluß fanden. […]


Bericht des I. Schriftführers über das Geschäftsjahr 1914

[…] Die IV. Veranstaltung brachte uns einen, sich der Zeitlage anpassenden, großzügig durchgeführten Vaterländischen Abend. In die Vortragsfolge teilten sich der I. Herr Vorsitzende mit einem einführenden Prolog, der II. Herr Vorsitzende mit einem Vortrag über das Thema: „Vaterländische Dichtung der Jetztzeit“ und die Herren Hugo Krauß und Conr. Gust. Steller mit Rezitationen neuerer und neuester, auf die Kriegslage bezugnehmender Dichtungen. […] Die sehr angeregte Versammlung quittierte jede Darbietung mit einem kräftigen Applaus. Dem roten Kreuz konnte eine Einnahme von M. 81.80 zugeführt werden […]


Dienstag den 9. April 1915        13. Wochenversammlung

[…] Der Vorsitzende gab ein Schreiben des Herrn Wießner jun. bekannt, in welchem dieser sich für die von ihm am 20. Nov. 1914 hervorgerufenen Vorgänge entschuldigt. Die Tafelrunde erklärte sich durch diese Entschuldigung als befriedigt und beschloß ihr Einvernehmen damit und die dadurch endgültig erfolgte Beilegung der Angelegenheit Herrn Wießner jun. officiell mitzuteilen, was am 11. April 1915 geschah.


Freitag den 4. Juni 1915        3. Halbmonatsversammlung

[…] Zeiser sandte: […] Thom. Mann. Friedrich & die große Coalition.

Der Vorsitzende verlas eine hübsche Widmung Brögers: „Das tote Heer“, welche er bei Ueberreichung seines neuen Bändchens Gedichte an den Vorsitzenden denselben vorgesetzt hatte. […]


Einmal von Bröger abgesehen, der auch ganz schön in Patriotismus machte, ist die erste von insgesamt drei Erwähnungen Thomas Manns in den Ordensakten aufschlußreich: nicht wegen des weithin bekannten Romans „Buddenbrooks“, erschienen schon 1901, sondern wegen seiner politikschriftstellernden Jugendsünde.


Montag, den 8. November 1915       Sitzung des Gesamtausschußes im Krokodil

[…Es ging darum,] Propaganda zur Hebung des literarischen Geschmacks des Publikums in die Wege zu leiten […] eine Anzahl hervorragender, literarisch gebildeter Persönlichkeiten für diese Idee zu gewinnen [… damit man] in Verbindung mit den Theaterleitungen wohl die aufzuführenden Stücke auswähle […] in der Presse durch volkstümlich gehaltene, kurze Abhandlungen hinweise und zum Besuch derselben aneifere. […] v. Betzold [sic] gab zu  bedenken, daß sich die Versammlung leicht zum Protektor des Epigonentums herausbilden könne […] daß durch dieses breite in die Öffentlichkeit treten am Ende der Pegn. Bl. Ord. seinem engeren Zweck entfremdet und an intimem Reiz Einbuße erleiden könne […]


Damit hatte er nicht ganz unrecht, besonders im Hinblick auf ein Thema, das landläufig genannt zu werden verdient.


Bericht des I. Schriftführers über das Ordensjahr 1915

[…] Von der Abhaltung öffentlicher, literarischer Abende glaubte die Ordensleitung unter dem Druck der Ereigniße absehen zu sollen. Dafür sogenannte öffentliche Kriegsabende mit literarischem Einschlag einzulegen lag den Intentionen des Pegn. Bl. Ord. doch eigentlich etwas zu fern.


Freitag, den 11. Februar 1916    5. Wochenversammlung

[…] Ferner gab Beckh ein, ihm von [Theaterdirektor] Reck zur Verfügung gestelltes Rundschreiben des Vorsitzenden des Deutschen Bühnenvereins, Grafen Hülsen-Häseler an die dem Bühnenverein angeschloßenen Theaterdirektionen bekannt, welches denselben nahelegt gerade jetzt möglichst viel klassische und patriotische Stücke zu geben; eine Anregung, die sich mit der von dem Vorsitzenden & Dr. Behringer, Fickenscher p.p. geplanten, deckt. […] Reck betont darin, daß man sich unter den heutigen Verhältnißen hüten müße zu große Forderungen an die Theater-Leitungen zu stellen, die bei dem großen Schauspielermangel oft nicht wüßten, wie und mit wem sie die Rollen der Stücke besetzen sollen […]

Rathje [Hauptschriftleiter des Fränkischen Kuriers, aufgenommen 14. Januar d. J.] erklärte […] sich gerne bereit für alles was zur Förderung der Angelegenheit dienen könne, die Spalten des Fränk. Kuriers zur Verfügung zu stellen. […]


Bericht des I. Schriftführers über das Ordensjahr 1916.

[…] Der Vortrag vom 4. Februar galt dem Andenken Grillparzers. In denselben teilten sich die Herrn: Dr. Max Schneider, Schauspieler A. Eichhorn und Herr Alb. Ortmann.

Am 23. Mai hielten die Damen: Frl. Dr. Berta Kipfmüller und Frau Consul Clara Lambrecht einen Vortrag über die Dichterinnen: Carmen Sylva [Pseudonym der Königin von Rumänien] und Marie v. Ebner Eschenbach.

Der dritte galt dem Andenken der gefallenen Lyriker: Ernst Richard Maria Stadler, Georg Trakl, Walter Heymann und Hermann Loens und wurde in seinem ersten Teil von Herrn Dr. Jul. Eisenstädter, im zweiten von dem Schauspieler Herrn Roland Marwitz durchgeführt. […]


Freitag den 5. Januar 1917.        1. Wochenversammlung

[…] Eisenstädter erklärte in einem Briefe an Beckh seinen Austritt aus dem Orden. Begründet ist derselbe mit Zeitmangel; der zwischen den Zeilen durchscheinende Grund scheint aber zu sein, daß der von ihm im Adlersaal gehaltene Vortrag an dem Gedächtnißabend für unsere gefallenen Lyriker nicht die Wirkungen auslößte die er in seiner nicht gar zu bescheidenen Selbsteinschätzung vorausgesetzt hatte. […]


Freitag, den 26. Januar 1917        4. Wochenversammlung

[…] Einlauf: […] Alfred Nathan. Im Weltensturm. Gedichte. vom Verfaßer dem Orden zum Geschenk gemacht. […] Dieselben enthielten zwar keine neuen Gedanken, zeichneten sich aber durch einen fließenden Rhythmus aus. Nach Ausscheidung der Jugend- und Gelegenheitsgedichte ist die Sammlung immerhin ebenso lesenwert, wie eine ganze Anzahl zeitgenößischer Veröffentlichungen. […]


Freitag den 26. April 1918    1. Wochenversammlung im Vereinszimmer.

[…] Beckh verlas einen Brief von Herrn Hofrat, Prof. Flex in Eisenach, in welchem dieser wiederholt seinen herzlichen Dank für den vom Pegn. Bl. Ord. veranstalteten Walter-Flex-Abend ausspricht u. dem Orden ein Nachlaß-Werk seines Sohnes: „Wallensteins Antlitz“, Geschichten aus dem dreißigjährigen Krieg, zum Geschenk macht. […]


Jahresbericht über das Ordensjahr 1918.

[…] Oeffentliche Veranstaltungen fanden eine statt u.z. am 12. April im kl. Adlersaal ein Vortrag über Walter Flex, welchen Herr Oberstudienrat Dr. Ackermann übernommen hatte. Der Besuch war ein sehr guter.



Zaghafter Aufbruch in eine gärende Öffentlichkeit


Auf einmal schien alles möglich, sogar das, wovor man sich vornehm zurückgehalten hatte. Sollte aber der Blumenorden ein Kind der Zeit werden, statt ihr milde lächelnder Urgroßvater zu bleiben?


Samstag den 25. Jan. 1919.         Hans-Sachs-Abend

[Aus der Fränkischen Tagespost (sehr expressionistisch!):]

[…] Draußen hämmernde, gärende, fordernde Gegenwart. Altes großes Sehnen reckt tausendarmig Herz und Seele empor, ringt nach Erfüllung. Tat schreit auf. Die Pegnitzschäfer reiben sich den Dornröschenschlaf aus den Augen und öffnen behutsam das efeuübersponnene Pförtchen des wohlsoignierten „Irrhains“. „Mit Nutzen erfreulich“ lautete wohl einstens ihre blumige Devise. „Teilweise genügend“ könnte man, um im magistralen Bild des Abends zu bleiben, die Veranstaltung „zensieren“. Ein Prolog, tönende Jamben, ein nasses Auge über die würdelose, die schreckliche Zeit, ein verklärtes über die Errettung aus ihr durch teutschen Geist. Die Manen Hans Sachsens hatte man dafür zu Gast geladen. Herr Dr. Behringer sprach, altdeutsch, kernig und bieder. Nichts von der großen Geste jenes Deutschlands der Reformation das sich anschickte, mit der Revolution des Geistes drückende Fesseln zu zersprengen, nichts vom Geist Ulrich von Huttens, dessen „Ich hab’s gewagt“ die Morgenröte einer neuen Zeit begrüßen wollte. […]

[Aus dem Fränkischen Kurier:]

[…] Die als Verbindungsglied gedachte Würdigung Hans Sachsens durch Dr. Behringer, mit schwungvollem poetischem Hinweis eingeleitet, mochte manchen die Beziehungen zur Gegenwart vermissen lassen: über den Wert des anspruchslosen Vortrages wollen wir hier nicht mäkeln. […] Der Blumenorden wird jedenfalls zielbewußt seinen Weg verfolgen, anspruchslose Hörer am echten Born guter deutscher — alter und neuer  — Literatur zu erquicken und zu stärken in den Nöten der Zeit. […]


Freitag den 29. Jan. 1919        1. Familienabend

[Aus dem Fränkischen Kurier:]

[…] In den 9 Bildern seines [Hanns Johsts] „Einsamen“, die auch Nürnberg demnächst sehen soll, gibt der Dichter, an Christian Dietrich Grabbes Gestalt, die Entwicklungstragödie eines Schaffenden — vom Zenith bis zum Verderben. Das Werk […] erfuhr durch Georg Gustav Wießner eine treffliche Wiedergabe; denn er las mit Wärme der Empfindung, steuerte geschmackvoll an aller, naheliegenden, Uebertreibung vorbei und lieh dem Reichtum fruchtbarer, oft in blühende Bilder gekleideter Gedanken glücklichen, fein differenzierten Ausdruck. […]


Das war das Bindeglied zwischen Expressionismus und Naziliteratur. Brecht entwarf seinen „Baal“ als Gegenentwurf zu diesem „Einsamen“. Über Brecht erfährt man aus den Akten des Blumenordens kein Sterbenswörtchen.


Freitag, 28. Februar 1919        8. Wochenversammlung

[…] es wird sodann der Bericht der „Fränk. Tagespost“ über den Hans Sachs-Abend verlesen und die Kritik kritisiert. Die Meinungsäußerungen gehen dahin, daß die Kritik zwar etwas scharf, aber doch nicht ganz ohne Wahrheit bezüglich des Dornröschenschlafes ist. […]


2. Familienabend am Sonntag, den 2. März 1919.

[…] Anwesend: ca. 40 Damen u. Herren

[…] Vortrag über Theodor Fontane […] dessen 100. Geburtstag am 30. Dez. ist. Herr Konrad Gustav Steller gibt ein lebendiges Bild über Fontane als Märker, Preuße und Deutscher. […] Fontane war wahrheitsliebend und aufrichtig — ein echter Deutscher, aber kein Hurrapatriot. […]


Bemerkenswert, daß Steller, den man schon als einen der Fortschrittlicheren im Blumenorden kennt, sich hier von einer Art von Patriotismus distanziert, die unzweifelhaft von Beckh, Dr. Behringer, aber auch ihm selbst zu Zeiten vertreten worden war.


Freitag, 7. März 1919        8. [9.] Wochenversammlung

[…] Dr. Heerwagen nimmt Gelegenheit zu erklären, daß die Bücherei das wichtigste Attribut des Ordens ist. Man wird später wohl den Orden nach seiner Bücherei einschätzen. [Hier irrt er! Es ist das Archiv …] Wir sollten auch weniger Vorurteile haben und etwas großzügiger sein und auch die „wilden Tiere“ in der Literatur anschaffen. […]


Samstag, den 15. März 1919        2. öffentlicher Abend

[Fränk. Kurier:]

[…] Am Samstag sprach Prof. Dr. Artur Kutscher-München als Gast des Pegnesischen Blumenordens im Hörsal [sic] des Bayer. Gewerbemuseums über das Thema „Das deutsche Drama der letzten 40 Jahre“.

Es erscheint uns außerordentlich begrüßenswert, daß der Pegnesische Blumenorden, eingedenk seiner großen Tradition, neuerdings eine regere Tätigkeit zu entfalten beginnt und dabei vor alle auch sein Interesse für die zeitgenössische Literatur darzutun sich bemüht. […] Natürlich muß, wer sich in das frisch-fröhliche Kampfgetümmel wirft, Puff und Stoß vertragen können und darf sich über Kritik und Opposition nicht wundern. […]

Um es nun gleich herauszusagen: Heute liegen die Dinge so, daß scharf geschossen werden muß! Die Sache will es.

[…] wenn Kutscher sich zu der mehr gewagt als geistreich paradoxen Behauptung verstieg, daß im Drama das literarische Moment von untergeordneter Bedeutung sei, das Wort nur die Rolle der Partitur spiele. […] Den ungleich diffizileren Problemen des Expressionismus gegenüber versagte er hingegen insofern entschieden, als er nun plötzlich ganz Partei werdend in ziemlich summarischer Weise lediglich die Nachteile dieser Kunstrichtung brandmarkte […] Der Expressionismus hat sehr wohl Werke hervorgebracht, die dem tiefer Urteilenden schon heute Respekt einzuflößen imstande sind. Ich erinnere nur an Kaisers „Gas“. […] Die Abkehr von der in Aeußerlichkeiten barbarischen Raffinements entarteten alten Kunst zum Urquell reinen Kunstausdrucks kann indessen an sich zweifellos nur von heilsamer Wirkung sein. […] Die Form aber, in der er [Kutscher] gegen Schluß in antisemitische Animosität verfiel, mußte gerade durch ihr sich ängstlich hinter einfache Konstatierungen verbergendes beredtes Schweigen direkt peinlich wirken. Wer soviel sagt, muß mehr sagen! […]

[Nürnberger Zeitung:]

[…] Expressionismus. Hier waren seine Ausführungen freilich nicht mehr Vortrag, sondern schärfste Abrechnung. Und es tat wohl, einmal solch kräftige Worte zu hören, bei denen nur der Ausflug ins rassentheoretische Gebiet ebenso überflüssig, wie falsch und taktlos war. […]


Freitag den 21. März 1919        10. Wochenversammlung

[…] Ohne inneren Zusammenhang mit diesen Ausführungen flocht der Vortragende [Kutscher] hier die Bemerkung ein, daß die Vertreter des Expressionismus zu 80 % aus Juden bestünden.

Gegen diese Bemerkung wandte sich Dr. Willy Mayer in einem an Prof. Dr. Kutscher gerichteten, der Tafelrunde zur Kenntniß gebrachten, längeren Schreiben. Der wesentliche Inhalt desselben ging auf eine energische Abwehr seiner, von dem Schreiber u. dessen Mandanten als Beleidigung empfundenen Äußerung hinaus. Die daran geknüpften mündlichen Ausführungen den Pegn. Bl. Orden, als Veranstalter des Abends, für den Ausspruch Kutschers verantwortlich zu machen, entsprangen wohl mehr dem Triebe diesen für seine Auseinandersetzungen mit Kutscher zu gewinnen, als einem logisch begründbaren Rechtssatz.

Dr. Ackermann stimmte mit dem Vorredner insofern überein, als er die Äußerung Kutschers in der gefallenen Form weder zum besseren Verständniß des Expressionismus als notwendig, noch in der Weise wie sie gefallen für angebracht hielt, stellte dann jedoch entgegen, daß […keine] Absicht zu einer Beleidigung vorliege. Nur Überempfindlichkeit könne sich eine solche daraus konstruieren. […]

Faßt man die Urteile der Tafelrunde zusammen, so stimmen sie darin überein, daß die Äußerung Kutschers zwar überflüssig war; als Konstatierung einer Tatsache jedoch […] keineswegs eine Beleidigung involviere. […]


Freitag den 4. April 1919.        11. Wochenversammlung

[…] Wießner gab die ihm vom Briefschreiber übersandte Originalabschrift des Briefes Prof. Kutschers an Willy Meyer […] bekannt […] daß er mit seiner Bemerkung nur eine, zum Vortrag gehörende Tatsache festgestellt, die weder im Zusammenhang noch an sich eine Spitze gegen das Judentum enthalte. […]


Kaum will der Blumenorden wieder einmal in die Öffentlichkeit wirken, handelt er sich wegen eines Krypto-Antisemiten Ärger ein. Ein sich betroffen fühlender, wahrscheinlich jüdischstämmiger Ordensbruder gibt Alarm, wird aber der Überempfindlichkeit geziehen. Der Verursacher versteckt sich hinter der angeblich reinen Faktizität seiner Aussage. Immerhin muß er zu dieser Zeit noch einen Rückzieher machen. Das hat auch die Presse bewirkt. Aber den Blumenorden haben damit diese Spielchen zum ersten Mal nahe berührt.


Freitag den 11. April 1919.    Gesamtvorstandschafts- und Ausschußsitzung.

[…Wießner schlägt vor:] 3 Serien von je 6 Vorträgen einer auswärtigen, geeigneten Kraft über je eine Dichtform: (Lyrik, Drama, Roman) aus den letzten 3-4 Dezennien. — 4 Vorträge von bekannten Schriftstellern aus, oder über ihre Werke. — 8 Familienabende.

[…] Die Deckung der Kosten denkt sich Wießner am besten durch Ausgabe von Serienkarten zu erreichen u.z. für Mitglieder etwa zu M. 3.- Nichtmitglieder M. 6.- pro Serie. Sollte das Unternehmen größere Ueberschüße abwerfen, so ließe sich vielleicht der Gedanke einer „Süddeutschen Dichtergedächtnißstiftung“ ins Auge fassen. Zur Flüßigmachung der Erstmittel sei es allerdings nötig die Mitglieder des Ordens zur Aufbringung eines Fonds von M. 2000-3000 zu gewinnen, in Darlehen von M. 50- aufwärts, welche, seiner Ansicht nach, nach Beendigung der Vorträge wieder zurückbezahlt werden könnten.

Lambrecht lehnt als Schatzmeister, unter Hinweis auf frühere Erfahrungen, laut deren er sich die Defizite meist aus eigener Tasche auszugleichen genötigt sah, jede  Art von Finanzierung der Vorträge auf sein Risiko ab […]

v. Bezold ist der Meinung, die Sache einmal zu probieren, vielleicht einstweilen mit einer einzigen Serie. Ein Heranziehen auswärtiger Kräfte hält er vorerst nicht für nötig […]

v. Harsdorf wendet sich gegen die Anzahl der geplanten Vorträge […] Reicke ist […] der gleichen Ansicht. […]

Wießner beharrt auf seinen Vorschlägen und erklärt zur Finanzierung derselben M. 500- leihweise zur Verfügung stellen zu wollen.

[…] hält es Steller für zweckmäßig, erst einmal die Frage zu klären, ob wir unter uns bleiben oder in die Oeffentlichkeit gehen wollen? Er selbst ist für möglichste Oeffentlichkeit schon aus dem Grunde, um dem Literarischen Bund nicht einseitig die Belebung des Publikums und namentlich der Jugend für, und die Einführung in die Literatur zu überlaßen. Bei dem heutigen Stande der Literatur, in welchem sich Können und guter Wille vielfach mit Rohheit, Verflachung und der Sucht nach dem Sensationellen paart und sogenannte neue Strömungen die Geister vielfach in Verwirrung setzen, sei es notwendig, den Geschmack des Publikums wieder in die richtigen Bahnen zu leiten; dazu würden sich, seiner Ansicht nach, Serienvorträge am besten eignen […] Die Handelshochschule habe zwar bis jetzt auch dieses Gebiet gepflegt, werde sich aber in Zukunft mehr den, ihrem eigentlichen Gebiet zugehörigen Spezialwissenschaften zuwenden. Der Orden habe somit die beste Gelegenheit, ohne der Handelshochschule Conkurrenz zu machen, da einzusetzen, wo dieselbe aufgehört und sich zu dieser Tätigkeit mit deren bisherigen einheimischen Kräften, Prof. Caselmann, Hensel, Uhlemeyer p.p. ins Benehmen zu setzen, resp. sich deren Mitarbeit zu sichern. […]

Dr. Behringer […] Die soziale Jugend wie der Arbeiter erwarte vom Bürgertum, daß es sie an seinen geistigen Errungenschaften teilnehmen laße […]

Ackermann […] Ein Hinausgehen in die Oeffentlichkeit […] halte auch er für erwünscht und nötig; es dürfe aber dadurch die interne Tätigkeit des Ordens auf keinen Fall ausgeschaltet werden […]

Wießner bleibt bei seinen Vorschlägen.

[Es geht noch eine Weile hin und her; dann formiert sich ein Ausschuß, der der Sache weiter nachgeht.]

[…] Aus den Oberklassen der Mittelschulen seien 1-2 Schüler herauszusuchen und diese zu veranlaßen aus gleichstrebenden Mitschülern eine Vereinigung zur Pflege der Literatur zu bilden. Diesen Vereinigungen solle sich alsdann der Orden unterstützend zur Seite stellen […]


Freitag den 2. Mai 1919. II. Fortsetzung der Ausschußsitzung vom 11/4.

[Die Schüler solle man möglichst privat ansprechen, damit nicht der Eindruck eines Druckes entstehe, und ihren Klubs völlige Selbstbestimmung zugestehen.]

 

Und am 16. Mai 1919 begann also der Vorstoß des jungen Wießner wegen einer Jugendgruppe des Blumenordens, aus der, wie bekannt, nichts wurde.


Freitag den 9. Mai 1919        15. Wochenversammlung

[…] Ferner las Wießner eine Parodie von Erich Wehsam [Mühsam] auf die Sozialisierungspläne der Räterepublik und ein Gedicht von Max Eyth „Der Monteur“ vor. […]


Freitag den 19. Sept. 1919        24. Wochenversammlung

[…] Weiter sind in Aussicht genommen ein Vortrag über Gottfried Keller, für welchen der Schriftsteller Herm. Hesse, oder ein Zürcher Profeßor, welch beide als die besten Kellerkenner gelten, gewonnen werden soll. Der Vorsitzende wird sofort mit den Herrn in Verbindung treten um, falls die Honorarforderung sich nicht zu hoch stellen sollte, diesen Vortrag möglichst bald zur Durchführung zu bringen. […]


Freitag den 7. Nov. 1919        30 Wochenversammlung

[…] Anwesend: […] Frl. Kellermann, 2 Frl. Leffler […] Wießner […insgesamt 15 Personen]

[…] Der Vorsitzende [Ackermann] erteilte alsdann Frl. Leffler das Wort zur Besprechung von Hadenas: „Suchender Liebe“ & Hallströms: „Rote Rose“.

Steller meldete für den nächsten Freitag einen Bericht über Karl Brögers: „Der Held im Schatten“ an. […]


Freitag den 14 November 1919    31. Wochenversammlung

[…] Den Gesamteindruck des Romans faßte Steller in dem Urteil zusammen, daß der Verfasser an großer Selbstüberhebung leide und das auch in dem Roman oft in sehr grasser [sic] Weise zur Geltung bringe, eine Art, die ebenso wie seine intime Familien- und Selbstschilderung den Leser nur abstoße. […]


Hierin könnte der Grund liegen, warum der lange geradezu hofierte Bröger doch nicht Mitglied im Blumenorden wurde.


Donnerstag den 20. Nov. 1919.

Vorstand- und Ausschußsitzung im Krokodil. Beginn 6 Uhr.

[…] Lambrecht erklärte, daß es bei der Finanzlage des Ordens unmöglich sei, den für den 29. Nov. geplanten Vortrag des Schriftstellers Hans Heinz Ehrler durchzuführen. Der Vortrag des Univ. Profs. Dr. Geißler habe dem Orden ein Deficit von M. 230.- gebracht. […]

Ackermann replizierte darauf, daß die gegenwärtige Zeit, wie in den Sitzungen wiederholt betont wurde, von dem Orden besondere Leistungen verlange, Defizite heute fast in allen Vereinen an der Tagesordnung seien und für solche Fälle doch verschiedene Stiftungen vorlägen […]

Wießner ist, trotzdem er früher für eine Serie von circa 20 Vorträgen plädiert habe, unter den heutigen, mißlichen Umständen gegen den Vortrag. Desgleichen Reicke. […]

Es wurde darauf einstimmig beschloßen, den Vortrag auf März oder April 1920 zu verschieben.


Fränk. Kurier. Dr. Ackermann.

Die deutsche Ballade seit Liliencron

-R- Am letzten Samstag den 8. ds. Mts. sprach im Hörsaale der Landesgewerbeanstalt der Erlanger Prof. Dr. E. Güßler [Geißler] vor einem nicht allzu zahlreichen, aber desto dankbareren Auditorium […] Wohl selten sahen wir das Publikum derart hingerissen und trotz der Kälte des Saales innerlich erwärmt […] Ausgehend von Fontane, dem Vater der neuen realistischen und Liliencron, dem Schöpfer der naturalistischen Ballade, verfolgte er deren Auftreten und Eigenart bis zum Expressionismus herab. Der Schluß gipfelte in einer scharf umrissenen, aber gerechten Charakteristik dieser neuesten Richtung, ihrer gefährlichen Neigung zum Internationalismus an Stelle eines gesunden Kosmopolitismus […]

Diese letzte Unterscheidung bekäme man gerne etwas genauer erklärt. Wenn man Verehrung des Weltbürgers Goethe voraussetzen darf, erscheint der ungesunde Internationalismus als einebnende Gleichmacherei anstelle des gegenseitigen Respekts vor den Leistungen der jeweils fremden Völker. Hundert Jahre später grenzen wir die wirtschaftlich motivierte Globalisierung von der Aufgeschlossenheit für andere Kulturen ab — nicht ganz dasselbe.


Freitag den 12. Dez. 1919.        34. Wochenversammlung

[…] gab der Vortragende [Hugo von Bechtolsheim] den Versammelten ein geschickt durchgeführtes Stimmungsbild der Vorgänge und Empfindungen, welche der Krieg und seine Folgen in ihm auslösten. […] schilderte er das sich näher und näher schleichende Verhängniß, bis zur Katastrophe des Zusammenbruchs. Ein kurz danach entstandenes Gedicht: „Götterdämmerung“, zeigt, daß der Verfasser trotz alledem den Glauben an eine neue Zukunft hochhielt. […]


Freitag den 19. Dez. 1919.        Familienabend

[…Es hat] Dr. Emil Reicke das Thema erwählt: „Franz Werfel, der vornehmste Lyriker des Expressionismus“.

Lissauer [ein weiterer expressionistischer, übrigens jüdischstämmiger Lyriker und Rezensent Werfels …] glaubt seiner [Werfels] Gabe, Eindrücke rein intuitiv in poetische Formen zu kleiden eine heilsame Gegenwirkung gegen die Plattheit und Verflachung wie die gesuchte Manieriertheit und Unklarheit der gegenwärtigen, neueren Dichtweise zusprechen zu dürfen. […]

Daß diese […] Richtung der Dichtkunst durch ihre, an sich löbliche, Absicht, das z.Z. Alltägliche […] durch mehr poetische Verklärung zu heben […] wenigstens einen Teil zu dieser Hebung beitragen wird, ist immerhin möglich. […]

Franz Werfel […kommt] in der ersten, von ihm 1909 veröffentlichten Sammlung von Gedichten [… bei] Außerachtlaßung jeden Reimes […] nicht über hergebrachte Durchschnittsware hinaus.

Die II Sammlung […] 1913 […] zeigt schon mehr expressionistische Anklänge […]

Die III Sammlung erschien erst nach dem Kriege. Eigentliche Kriegslieder in irgendwelcher Form enthält dieselbe nicht […] zeigen aber in der Sprache einen nicht unwesentlichen Fortschritt. […]

[…] Urteil Lissauers […] „Viel Mißratenes, aber kein Gedicht ohne irgend welche Anregung.“ […]


Lissauer selber zu Wort kommen zu lassen, hätte sich der Orden finanziell nicht leisten können. Einstweilen versuchte man aus eigenen Kräften für Außenstehende interessant zu sein.



Die Standpunkte sortieren sich


Eigene Dichtungen treten zunächst in den Vordergrund. Es erübrigt sich, sie zu zitieren, wenn man liest, wie sie referiert werden. Bald aber wendet sich die Aufmerksamkeit doch wieder den Werken der Tagesgrößen zu, von denen manches Dauernde zu erwarten ist, aber die Anschauung davon wird passiv, ja abwehrend. Außerdem gibt es immer wieder politische Querschläger, denen man deswegen nicht gleich entschieden entgegentritt, weil die Ereignisse im Land und in der Welt verworren sind und Meinungen der wildesten Art gegen dasjenige kaum abstechen, was die Wirklichkeit an Verunsicherung zumutet.


Freitag den 6. Febr. 1920        4 Wochenversammlung

[…] Alsdann erteilte der Vorsitzende Fräulein Karola Kellermann das Wort zum Vortrag einer Anzahl Eigendichtungen.

Von den beiden zuerst vorgelesenen Märchen: „Der Segen des Leides“ und „Der Tod im Frühling“ fand namentlich das letztere, durch seinen hohen, poetischen Gehalt und seine sinnige Durchführung eine sehr warme Aufnahme.

Auch die darauf von Frl. Kellermann bekannt gegebenen Gedichte fanden allseitigen Beifall und legten sowohl nach Form, wie Gehalt ein schönes Zeugniß von der Verfasserin glücklicher Gestaltungskraft ab. […]


Freitag den 13. Febr. 1920.        Familienabend.

[…] Herr Hans Wießner, hatte als Thema die Bekanntgabe einiger Preisnovellen unseres korrespondierenden Mitgliedes, des Herrn Prof. Dr. Georg Schmidt, Lübeck, gewählt.

[…] „Onkel Griesgrams Bekehrung“, die letzte der vorgelesenen Novellen, ist geradezu einzig. Die reizende Naivität, mit welcher der kleine, noch nicht zweijährige Knirps dem griesgrämigen Onkel immer wieder mit seinen Fragen zusetzt und sich weder durch grämliche Abweisungen noch Drohungen abschrecken läßt, ist köstlich. Sehr glücklich ist auch die schließliche Heilung des Onkels von seinem Grieskram [sic] durch das Erinnern an seine Mutter und all das, was sie ihm Liebes und Gutes angetan hat, durchgeführt. […]


Freitag, den 20. Feb. 1920.        5. Wochenversammlung

Beginn 8 Uhr.

Der Besuch von Mitgliedern sowohl, wie Eingeladenen war ein derart reger, daß es dem Berichterstatter nicht möglich war sämtliche Anwesende namentlich aufzuführen.

[…] Fräul. Elisabeth Leffler, zum Vortrag ihrer  Dichtungen, […]

Ein minder hervortretendes Anlehnungsbedürfniß und eine höhere Sichselbsteinschätzung dürften die Dichtungen kaum weniger gehaltvoll haben geraten laßen und zu einer etwas weniger melancholischen Lebensauffaßung geführt haben.

Schluß 10 Uhr. O. Börner.


Freitag, den 12. März 1920        7. Wochenversammlung

[…] Anwesend: Ackermann, Bechtolsheim [der das Protokoll führt] mit Frau, Beutner, Börner, Frl. von Ebner, Frau Giulini, von Harsdorf, Hubel, Frl. Kellermann II., Frl. Leffler mit Schwester, Riedner, Reubel, von Scheurl mit Frau, Hofrat Voit, Wießner.

[…] Dr. Günther Reubel […] welcher eine Eigendichtung, die Novelle „Trieb und Liebe“ zur Vorlesung brachte. Die Novelle behandelt ein Ehe- und Sexualproblem, das Verhältnis einer empfindsamen, zarten, vielleicht etwas hysterisch veranlagten Frau zu ihrem um 20 Jahre älteren, brutalen und triebhaft sinnlich veranlagten Gatten. […] In diese zerrüttete, unglückliche Ehe erhält ein junger, durch Wesensverwandtschaft mit der Frau sich hingezogen fühlender Mann Einblick. Die Frau vertraut sich ihm rückhaltlos an, sucht bei ihm Trost und Schutz. Das Dazwischentreten des Gatten bringt die Katastrophe, Aussprache zwischen den Männern. Innere Wandlung des Gatten und schließlich Versöhnung und Neugestaltung der Ehe.

Die Novelle gefiel besonders durch die schlichte, schöne, an Paul Heyse gemahnende Sprache. […]


Freitag, den 19. März 1920        Familienabend

Gedenkfeier zu Friedrich Hölderlins 150. Geburtstag.

[…] In feinsinniger, von tiefem Verständnis für die Eigenart des Dichters zeugender Weise entrollte die Vortragende [Leffler] sein Lebens- und Leidensbild. […]


Freitag, den 26. März 1920        8. Wochenversammlung

[…] Herr Bohneberg führte etwa Folgendes aus:

Unsere deutsche Kultur steht gegenwärtig im schwersten Kampf mit fremdstämmiger Weltanschauung. Fremdes Schmarotzertum bedroht deutsches Wesen mit dem Untergang. Der semitische Geist ist der Todfeind. […]


Ob er es für möglich gehalten hat, den „semitischen Geist“ abzulegen, wenn man jüdischer Abkunft war, oder ob er bereits die Vernichtung der semitischen Rasse für wünschenswert hielt, ist nicht festzustellen; festgestellt werden sollte aber, daß darin ein Unterschied bestehen kann, jedenfalls, solange die Realität die Gedankenspiele noch nicht eingeholt hat. — Bohneberg hatte im übrigen einen für den Barockforscher interessanten Fund vorzulegen:


Freitag, den 25. Juni 1920    19. Wochenversammlung

[…] Hierauf begann Herr Prof. Karl Bohneberg seinen Vortrag über Graf Johann-Franz Fugger, einen unbekannten Tragödiendichter des 17. Jahrhunderts. Der Vortragende hatte während eines längeren Aufenthaltes in Babenhausen Gelegenheit die grfl. Fuggersche Bibliothek […] und fand dabei […] fünf […] Dramen. Laut der Familienchronik war der von den Jesuiten erzogene Joh. Franz eine zu Üppigkeit und Wohlleben neigende, autokratische Natur, die trotz ihrer religiösen Erziehung, wenn es Geld mangelte, sich sogar an den Patronatsgeldern vergriff. Ein langjähriger, schon unter seinem Vater ausgebrochener Aufstand seiner Untertanen gegen die hohen Abgaben endete mit vollständiger Unterwerfung und nur noch schlimmerer Bedrückung.

No. 1 seiner Werke: „Die Comödie von der allerheiligsten, seligmachenden Geburt unseres Heilands“ erschien 1642 im 30. Lebensjahre des Dichters. […] Die Hauptaufgabe darin haben die Engelchöre, welche die Verbindung zwischen den auftretenden Personen herstellen.

No. 9 „Der traurige Untergang Konradins, letzten Herzogs von Schwaben“ […]

No. 10 „Johannes Quarinus, der Einsiedler“ entstand 1653 und ist ein Jesuitendrama mit dem Grundgedanken, daß die Allmacht der geheiligten Mutter Maria bei eifrig Büßenden selbst die schwersten Todsünden auszulöschen im Stande ist. […]

Der Nummerierung nach müßten mindestens 10 Dramen existieren, er habe aber nur diese 5 auffinden können. Die Übrigen seien jedenfalls in der wahllos zusammengeschachtelten Bibliothek noch irgendwo versteckt. […]

Aufgeführt wurden die Stücke meist in Babenhausen von Ortseingesessenen und grfl. Angestellten. In der Auswahl der letzteren hatte Graf Fugger sogar die Einrichtung getroffen, daß die Anstellung nur nach vorher bestandener, musikalischer Prüfung erfolgte. […]


Freitag den 9. Juli 1920        21. Wochenversammlung

[…] Hierauf begann Herr Hans Wießner sein Referat über Maxim Gorki.

[…] Die durch krasse Realistik sich auszeichnenden Schilderungen […] legten ein trauriges Zeugnis von dem geistigen Tiefstand dieser russischen Volksklassen ab […]

Herr Dr. Reubel, welcher während der Kriegszeit einige Jahre in Rußland verbrachte, bestätigte die von Wießner vorgelesenen Stellen aus eigener Anschauung. […] wer den russischen Volkscharakter kennen lernen wolle, müsse eben auch den Schlamm, den diese Aufschließung zu Tage fördere, mit in den Kauf nehmen. […] im Rahmen eines literarischen Vereins ist es jedoch nötig auch einmal hervorragende, lebenswahre Schilderer von Völkerschaften zu Wort kommen zu lassen, deren Art zu leben und zu handeln uns widersteht; ein Standpunkt, den auch der Vorsitzende [Ackermann] bei seinem Resumé zum Ausdruck brachte. […]


Freitag 22. Oktober 1920        27. Wochenversammlung

[…] Darauf erhält der Redner des Abends Friedrich Schelling das Wort zu seinem Vortrag über „Friedrich Wilhelm Gotter. Sein Leben und seine dichterischen Schöpfungen“.

Einleitende betonte der Vortragende das Bedürfnis, das Andenken Vergessener aus alten verklungenen Zeiten, die zu ihren Lebzeiten zu den Berühmten gehört hatten, in Pietät zu erneuern.

[…] Die zahlreichen Proben Gotter’scher Lyrik, die der Vortragende zu Gehör brachte, hinterließen den Eindruck eines etwas gezierten, süßlichen, von dem zeitgenössischen franz. Schäferspiel stark beeinflußten Talentes, auf das sich einzustellen dem Gegenwartsgeschmack schwer wird. […]


Freitag, den 26. November 1920    32. Wochenversammlung

[…] Anwesend: 44 Herren und Damen […]

Hierauf erhielt Herr Hubel das Wort für seinen Vortrag über „Das lyrische Schaffen seine Form und Technik bis zu den letzten Expressionisten“. […]

Aller moderne Expressionismus geht auf Nietzsche zurück. Auch bei den modernsten Dichtern dieser Richtung findet man die Extase den leidenschaftlichen Willen zur Umformung aller Werte. Aber die Größe des Gefühls wird zum hilflosen Stammeln, oder sie verirrt sich auf bizarre Abwege, die ästhetisch nicht mehr gewertet werden können. Gedichte von Reinhard Piper, Arno Holz, Rudolf Martens, Stolzenberg, darunter „Mein Liebeslied“ von Else Lasker-Schüler, „D-Zug“ von Gottfried Dengler, weiterhin Bruchstücke aus dem „Revolutionslied“ von Johannes Becker, dann „Weltwende“ [sic; gemeint ist „Weltende“] von Jakob Hotis [sic; gemeint ist Jakob van Hoddis, geborener Hans Davidsohn], „Die Dämonen der Städte“ von Gg. Heim illustrierten das Gesagte. Zum Schluß versöhnte der freie diese Dichtung verspottende Humor eines Morgenstern mit den zuvor gehörten Proben des Expressionismus. […]


Auf 8/2 21 datierter Zeitungsausschnitt, Verfasser Emil Reicke:


Drei Brautpaare an einem Abend, eigene Dichtungen teils selbst, teils von den Bräuten der Dichter vortragen zu hören, der Fall dürfte in der Literaturgeschichte nicht allzuoft zu verzeichnen gewesen sein. Dieses seltene Vergnügen wurde dem Pegnesischen Blumenorden in seiner letzten Sitzung im „Krokodil“ zu teil. Durch den Besuch einer Anzahl Mitglieder der Literarischen Gruppe Erlangen […] Die genannte literarische Vereinigung besteht unseres Wissens noch nicht lange, jedenfalls sind es durchweg jugendliche Kräfte […] wenn auch der Lektor für deutsche Sprache und Vortragskunst an der Universität Erlangen […] Professor Dr. Ewald Geißler ihr alle Förderung angedeihen lassen soll. Der gediegene, von Schwulst und süßlicher Sentimentalität sich bewußt freihaltende Vortragsstil des neulichen Abends erweckte jedenfalls ein schmeichelhaften Vorurteil für die in dieser neuzeitlichen Rhetorenschule geübte Lehrmethode. Die Dichter, die zu Worte kamen, […] Dr. Heinz Schauwecker […] vorgetragen von seiner Braut, Frl. Richter, Heinrich Gottfried Gengler […] (vorgetragen von seiner Braut, Frl. Busch) […] der frühere Fliegerleutnant v. Raumer […] und endlich seine Braut, Frl. Redenbacher […] In der Dichtungsweise der Erlanger Gruppe wird, wenigstens beim ersten Hören, den meisten manches dunkel geblieben sein […] Etwas Anstrengung, die freilich nicht immer gelohnt wird, verlangt nun aber einmal der moderne Dichter vom Hörer oder Leser und es mag angehen, wenn er es nicht zu bunt treibt. […] Gedichtsammlung „Aus deutschem Herzen“ als 1. Büchlein einer „Jungdeutsche Dichtung“ betitelten bunten Reihe […] in der außer den uns schon bekannten Namen […] außerdem der Nürnberger Theowill Uebelacker und Elisabeth Leffler […] vertreten sind. […]


Freitag den 22. April 1921.        13. Wochenversammlung.

[…] Als Redner hatte sich Herr ord. Univ. Profeßor Julius v. Negelein, Erlangen, zur Verfügung gestellt mit dem Thema: „Leben und Werke von Sadi“. Sa’di-Mosloch-ud-din wurde 1192 in Schiras geboren und verstarb am 12. Dez. 1291, wahrscheinlich ebendaselbst. […] Die erste Kenntniß von Sadis Rosengarten wurde uns durch den Rat und Bibliothekar des Herzogs Friedrichs III. von Holstein-Gottorp, Olearius, vermittelt, der mit einer Gesandtschaft des Herzogs Persien bereiste, dort auf Sadis Werke aufmerksam wurde und seinen Rosengarten übersetzte, welche Uebersetzung 1654 in Schleswig im Druck erschien. Von dieser Uebersetzung dürften auch die damalsigen [sic] Mitglieder des Blumenordens, dessen Gründung zehn Jahre vorher erfolgte, Kenntniß gehabt haben, da sich in ihren Gedichten Anlehnungen daran vorfinden. […] Spätere Uebersetzer seiner Werke sind Graf Nesselmann und namentlich Friedrich Rückert […] auch Goethe hat Sadi in seinem west-östlichen Diwan verwendet. […]


Freitag den 3. Juni 1921.        18. Wochenversammlung

[…] Von der Büchercommission wurden angekauft:

Waßermann: Die Juden von Zirndorf. […]

[Ludwig] Thoma: Hochzeit.

dto: Kleinstadtgeschichten. […]

Mann: Der Tod in Venedig.


In gewisser Hinsicht ist es schon wahr, daß man über den Orden auch angesichts seiner Bibliothek urteilen kann.


Freitag den 29. Sept. 1921.    24. Wochenversammlung

[…] Den Vortrag des Abends hielt Herr Studienrat Dr. Günther Reubel über das „Rumänische Volkslied“.

[…] ein zusammengewürfeltes Völkergemisch von Karmathen, Römern, Tschechen, Russen, Türken p.p., einen rumänischen Volksstamm gebe es nicht. […] Die am meisten gepflegte Musik seien Zigeunerweisen. Die rumänische Dichtung habe im Ganzen wenig Melodie und setze sich teils aus kurzen Tanzweisen, ähnlich den oberbayr. Schnadahüpfeln, teils aus Liebes- und Kriegsliedern zusammen. Auch die Ballade werde reichlich gepflegt, zeige aber meist krasse Vorwürfe […] Unter den kleineren Liedern […] die der Vortragende zur Verlesung brachte, befanden sich eine Anzahl recht hübscher Arbeiten, wie: „O, Herrgott, ein Kindchen!“ — „Nimm vom Busen mir die Blume“ […]


Es blieb Béla Bartók vorbehalten, durch seine Sammlungen den Unterschied der rumänischen Volksmusik zur Zigeunermusik klarzustellen.


Freitag den 30. Sept. 1921.        25 Wochenversammlung

[Ausschnitt aus einer zusammenfassenden Berichterstattung der Presse:]

Der bunte Abend am 30. September brachte einen sehr hübschen poetischen Nachruf auf Hofrat Dr. Wilh. Beckh von Karola Kellermann, ein alle Vorzüge der Dichterin aufweisendes Gedicht von Elisabeth Leffler „Ein Gebet“, einige durch Studienprofessor Dr. Herm. Herrling vorgetragene zum Teil recht ansprechende Gedichte des Bildhauers Ernst Pentzold und zum Schluß zwei von Studienprofessor Konrad Meyer mit Laune und Geschick vorgetragene Humoresken, „Das Winkelglück“ von Karl Busse und „Das Zuckerhäusl“ von Fritz Müller. […]


Ausschnitt aus einer zusammenfassenden Berichterstattung der Presse:


[…] Am 28. Oktober sprach Klara Freifrau v. Scheurl über Friedr. Speckmanns Erzählung „Neu Lohe“. In diesem Werk versucht der Verfasser die Bodenreform ihrer Lösung näher zu bringen. In welcher Weise er dies seinen Helden versuchen läßt und welche Schwierigkeiten, teils politischer, teils allgemein menschlicher Art sich demselben entgegenstellen, wußte die Vortragende in geschickt abgerundeten Bildern ihrer Hörerschaft vorzuführen.


Mit diesen eingeklebten Zeitungsausschnitten endet das Protokollbuch. Auf dem hinteren Vorsatzblatt eingeklebt ist noch der Druck des Irrhainliedes von 1921:


Melodie: Unser Kaiser Wilhelm lebe…


Waldesfreude! Zauberbronnen,

Der du labest alt und jung;

Hort der Träume, die zerronnen,

Hüter der Erinnerung,

der du heißest uns verwinden

Trübster Zeiten Schmach und Pein:

Gib uns heute deinen linden

Trost in unser’m trauten Hain!


Trauter Hain, wo uns’re Ahnen

Sannen, pflegten deutsche Art,

Wo auf frohen, blum’gen Bahnen

Sie vergaßen Zeiten hart;

Wo Myrtill für die Pegnesen

Schuf der Freude Aufenthalt:

Laß uns neu in dir genesen;

Sei gegrüßt du deutscher Wald!


Leise flüstert’s in den Zweigen

Von des Friedens süßer Rast,

Daß er wird herniedersteigen

Aus der Linden grünem Ast;

Ahnend rauscht es in den Wegen,

Daß uns einst beschieden sei:

Sieg und Rache, Heil und Segen

Mit der Losung: Deutsch und frei!

R.A. [Richard Ackermann]


Freitag den 13. Jan. 1922        2. Wochenversammlung

[Konrad Gustav Steller hat seinen darin gehaltenen Vortrag über Expressionismus zusammengefaßt und an eine Zeitung geschickt, die den Text offenbar vollständig in 4 Spalten abgedruckt hat. Dieser Druckfassung, leider nur ohne Quellenangabe ausgeschnitten und eingeklebt, ist zu entnehmen:]

Im Verlage von Erich Reiß (Berlin) ist eine von Kasimir Edschmid herausgegebene Schriftensammlung erschienen […] In der  ersten Schrift hat der Herausgeber selbst sich über den Expressionismus in der Literatur und die neue Dichtung ausgesprochen. […] Wir erfahren, daß seit der Romantik „Stagnation“ eingetreten sei. Gegen ausgepumptes Epigonentum schlug die naturalistische Welle; […] Der Symbolismus (George), dessen Verdienst Edschmid in dem Werte findet, der auf das Formale gelegt wurde, […] verwechselte aber Dichtung und Würde miteinander und wurde Aesthetentum, schöne Décadence. Den Versuch der Synthese unternahm darauf der Impressionismus: die Kunst des Augenblicks; das Eigentliche, der letzte Sinn der Objekte erschöpfte sich nicht: versuchte man Kosmisches, war es nicht erreicht, gab man Natur, ward es Ausschnitt, gab man Leben, ward es Sekunde, die Literatur brachte Mosaik hervor. Der Weg der Dichtung unserer Tage führt nach Edschmid aus der Hülle zur Seele […] Dem neuen Geschlechte gibt es nur Menschen ohne Vorurteile, ohne Hemmung, ohne gezüchtete Moral; ihm gibt es keine Trennung der Nation von Nation. Größer entfachtes Weltgefühl schafft die Kunst zur Vision.

Ist, was Edschmid lehrt […] neu und unerhört? Keineswegs. […] Auch Hausenstein, der Verfasser der zweiten Schrift der Sammlung […] erkennt, […] daß der Begriff des Expressionismus höchst vieldeutig ist, und formuliert ihn „etwa so“: „expressionistische Kunst sucht an der Stelle ruhiger, selbstisch-gelassener und intimer Gegenständlichkeit voraufgegangener Kunstepochen die Entfesselung aller möglichen  formalen Ausdrucksstärke […] bis zur äußersten Willkür der Interpretation […]

Das Einfache, Eigentliche, Wichtige, Wesentliche, Allgemeine, das Geistige, Göttliche, Visionäre, das anhaltende Erlebnis, das Große und Totale, das Menschheitliche, das Weltgefühl — solche Kennzeichen des Ideengehaltes wahrhafter Kunst sind uns seit langem vertraut gewesen. […] Goethe suchte das Notwendige in der Natur, Schiller im inneren Menschen. […] Das Urphänomen des Menschlichen, das in stilvollen Kunstwerken nachgebildet werden soll, ist rein ideelle Ueberlegenheit und Größe. […]

Was bei Edschmid nur Wort ist, ist bei Goethe, Schiller und Eucken lebensvoller Inhalt und geistige Tat. Immerhin ist Edschmids Wortgebrauch ein Zeichen dafür, daß auch er, der glaubt, international sein zu können, tief im Boden der Heimat wurzelt. Ein Schaffender kann nicht anders emporwachsen. […]


Freitag den 23. Juni 1922.        21. Wochenversammlung

[…] Herrling gab alsdann noch einen Aufsatz von Grete v. Urdalitzki, aus den Büchern für oberdeutsche Dichtung bekannt, welcher über die darin niedergelegten Anschauungen über Intellektualismus eine größere Debatte auslöste, an welcher sich Steller, Prof. Meyer, Ackermann, Herrling und Vorndran beteiligten. Der Satz: „Die intellektuellen Deutschen sind die größten Feinde der deutschen Art.“, fand vielseitigen Widerspruch.


„Intellektueller“ war also für diese Pegnesen noch kein Schimpfwort; einige von ihnen hatten es fast wieder zur aufgeschlossenen Übersicht über die aktuelle Literaturentwicklung gebracht und übten starken Einfluß auf die Freitagsdiskussionen aus.


Freitag, den 14. Juli 1922

23. Wochenversammlung

s. Zeitungsausschnitt

Freitag, den 9. Februar 1923

5. Wochenversammlung

[…] Dr. Günther Reubel […] war Jägeroffizier und der Krieg hatte ihn bis jenseits des Kaukasus geführt, südlich von Tiflis […] Sodann läßt der Vortragende den norwegischen Dichter Knut Hamsun zu Wort kommen. […] Endlich las Dr. Reubel noch Gedichte des Russen Michael Lermontov (1814-41) vor. Seine Werke sind bezeichnend für die Stellung Rußlands zu Armenien […]


Freitag, den 11. Mai 1923        16. Wochenversammlung

Beginn 9 Uhr, anwesend 14 Damen, 9 Herren,

Vorsitz: Ackermann.

Wilhelm Kunze spricht über „Der Idiot“ von Fedor Michajlowitsch Dostojewsky und führt etwa Nachstehendes aus: Der Mann Dostojewski ist zugleich Geheimnis, Schicksal und Offenbarung. […] Ackermann dankt dem Vortragenden für den mit wärmstem Beifall aufgenommenen Vortrag, an den sich eine lebhafte Aussprache anschließt. Herrling erinnert an den Untergang des Abendlandes von Oswald Spengler. Dieser hat im 2. Teil Hinweise auf  D. In dem, was D. uns bietet, ist Gift.

Ackermann sagt: Wir haben Familie, Heimat, Vaterland als Ideale, an die wir glauben.

Reubel: D. schildert die Menschen nicht, wie sie wirklich sind sondern wie er sie sieht und wie er sie wünscht. Wir haben hier schriftstellerische Identifizierung im Guten und im Bösen. Es fehlt der große, bewußte Wille. Der Russe kennt den Willen als treibende Macht überhaupt nicht. […]

Kunze: In D.s Romanen kann deshalb nicht vom Willen die Rede sein, da er nutzlos ist. […]


Freitag, den 1. Juni 1923        19. Wochenversammlung

[…] Hierauf hält Herr Prof. Dr. Herrling seinen Vortrag über Bernhard Shaw als Sozialist […] was Maske und was Gefühl in ihm sei, wisse man nie, vielleicht wisse er es selbst nicht. […] Daß Shaw Dichter ist, wird vielfach bestritten. […] Widowers House behandelt ein soziales Problem [folgt eine Reihe weiterer Dramen] Dies ist die 1. Gruppe seiner Werke. Die 2. Gruppe kann man etwa in dem Satz zusammenfassen: Alles menschliche Tun steht unter der Lebensmacht, die man früher Gott nannte. […] Die 3. Gruppe befaßt sich mit der Reform des Erlebens. Menschen dürfen nicht durch das Pflichtgesetz aneinander gebunden bleiben. Die 4. Gruppe zeigt uns die Umbildung, die Shaw dem englischen Theater angedeihen lassen will. […] Das englische Volk müsse zum Denken angehalten werden […] Die Ketzerei der Romantik soll hinausgefegt werden […] Gut irisch ist sein Humor. Seine Begabung als sozialistischer Agitator kommt ihm zu statten. […]

Ackermann […] sagt, Shaw sei noch nicht für den Spruch der Geschichte reif, eine flüchtige Gestalt, ein idealer Kommunist, der nichts mehr von der heutigen Moral wissen will, […] in seiner Art Politik zu machen, ist er großartig; er ist vollständig vaterlandslos. Gut ist, daß er den Engländern ihre Fehler vorhält. […]


Freitag, den 15. Juni 1923        21. Wochenversammlung

[…] Herr Oberstudiendirektor Dr. Ackermann gedenkt zuerst der Trauer für den als Märtyrer gestorbenen Schlageter und  liest ganz für die Jetztzeit passende Gedichte von Geibel vor „Fahnentreue“ und „Halte die Hoffnung fest“. […]


Über diesen Schlageter ist in Wikipedia zu lesen: „Schlageter war Mitglied der NSDAP-Tarnorganisation Großdeutsche Arbeiterpartei. Während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung war er militanter Aktivist und wurde wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet.“


Freitag, der 26. Oktober 1923    25. Wochenversammlung

[… anwesend 33 Damen, 19 Herren] Nun sprach Herr Professor Dr. Herrling über Ernst Penzoldt, den Dichter und Bildhauer […] An seiner Wiege stand der langjährige 1. Vorstand des Pegnesischen Blumenordens, Herr Hofrat Dr. Wilhelm Beckh [dessen Tochter P.s Mutter war]. Ernst Penzoldt steht der Erlanger Dichtergruppe nahe, die schon einmal einen Abend im Bl.O. füllte. […] Es handelt sich um die Dichtung eines Werdenden, alles Dogmatische ist seinem prüfenden Geiste fremd.

1892 als jüngster Sohn Geheimrat Franz von Penzoldts in Erlangen geboren […] 14-18 war er im Feld. Aus dieser Zeit stammen verschiedene Grabdenkmäler, Scherenschnitte,, Novellen, eine Bildnisbüste seines Vaters, [Aufzählung einer überraschend zahlreichen Folge von bildenden und poetischen Werken] Mögen viel von P.’schen Expressionismus sprechen, seine Werke sind deutsche Romantik. […] Spottlust, ein Zeichen geistiger Gesundheit, (z.B. in seiner Verlobungsanzeige, die ein Kasperltheater darstellt), Fleiß, eine klare und kräftige Persönlichkeit, die aber noch nicht auf der Höhe ihres Könnens. […]

Hierauf las Herr Studienprofessor Dr. Herrling noch einige kleine Erzählungen und Gedichte vor. Die beiden Erzählungen „Der hölzerne Gott“ und eine Kindergeschichte „Der geflügelte Knabe“ die im Geburtshaus des Dichters spielt (in der Nähe des Erlanger Bahnhofs) und Gedichte aus dem Buch „Der Gefährte“, zum Schluß auch ein Lied auf Deutschland. […]


Freitag, den 30. November 1923    30. Wochenversammlung

[…] Sodann hält Herr Dr. Arthur Kreiner-Amberg seinen Vortrag über den Sensationalismus in der neueren deutschen Literatur […] Es soll heute gezeigt werden, wie weit wir schuld daran sind, daß die Schwindsucht in der deutschen Literatur so jammervoll um sich greift. […] Der Ewigkeitswert ist der Maßstab der Dichtung. Aber heilige Begeisterung wird nicht mehr ernst genommen. […] Wer ist schuld? Nicht nur die Juden. Auch die deutsche Volksseele ist vergiftet, ein Geist der Unfertigkeit, der Abkehr vom Mittelalter, wir haben keine Ewigkeit mehr. Zeit ist Geld. (Wie steht morgen der Dollar? Wer hat diese Volkskrankheit nicht auch?) Wir wollen hier nicht richten. […] Wir wollen den Glauben an die unverwüstliche Gesundheit des deutschen Volkes nicht verlieren. Das Gegengift für jenen unseligen Geist ist das Neuerwachen der Volkstümlichkeit und Kindlichkeit. […]

Dr. Reicke: Über Werfel hat Kreiner zu schlecht geurteilt. Man darf ihn nicht einfach als Juden heruntersetzen. […]


Freitag, den 14. Dezember 1923        32. Wochenversammlung

[…] Endlich gab Herr Wilhelm Kunze noch einen Überblick über die moderne Dichtung. […] Zersplitterung ist auch in der Dichtung. Er sprach dann von Werfel u. Walter Hasenclever: letzterer ist eine Persönlichkeit mit eigenem Erleben. Bei Werfel zeigt sich, daß die Persönlichkeit eine große Freude an der Welt hat. Im Dadaismus zeigt sich die Persönlichkeit vollkommen aufgelöst, es gibt gar keine Eigenart mehr; die Zersplitterung tritt ganz besonders in Erscheinung. Der moderne Dichter sieht die Welt in Bildern, drückt alles in Bildern aus, er arbeitet nicht in Begriffen, gestaltet ihre Ideale bildlich. Hasenclever treibt sich in Spielkneipen umher, ist 25 Jahre, hat keine Kraft der Dichtung mehr. Das Verständnis Werfels ist etwas schwieriger. Der Sprung zum Dadaismus geschieht durch die Aufgabe der Persönlichkeit. Der Dadaist stehe auf dem Standpunkt, daß man sich über die Gedichte ärgern soll. […] Kunze bringt einige Beispiele von Kurt Schwitters: An Anna Blume; Ich werde gegangen, Erhabenheit, von Hans Arp: Die Wolkenzunge und liest dann noch ein sehr witziges Gedicht vor, wie Anna Blume gegen Kurt Schwitters protestiert. […] Die Gesellschaft der Dadaisten wurde 1916 in Zürich von einigen Herren gegründet. Einer der Mitgründer ist Dr. Juncker, ein früheres Mitglied des Bl. O. [Janko?] Dada bedeutet im Französischen: Holzpferdchen.

[…] Dr. Reubel erwähnt, daß es in Italien schon 1912 Dadaisten gegeben hat unter der Führung Marinettis. […] Italienische Dichter haben bewiesen, daß aus der Sache etwas werden konnte. Das Italienische ist nicht der reine Unsinn sondern ernste Absichten. […]


Einen geschichtlichen Augenblick lang erschien der Pegnesische Blumenorden fast wieder im alten Flor und mit einer bedeutenden Zukunft vor sich.



Das Völkische überwiegt


Der Kairos währte nicht lang. Ganz umschlagend änderte sich die Einstellung nicht. Doch mehr und mehr gewannen die Kräfte (eigentlich Schwächen) des Rachewahns die Oberhand, bis die „Machtergreifung“ völlig logisch erschien.


22. Februar 1924        6. Wochenversammlung

[…] Sodann führt Herr Arthur Kreiner aus Amberg [korrespondierendes Mitglied] in seinem Vortrag über Sensationalismus, II. Teil, etwa Nachfolgendes aus: […] Er nannte verschiedene Kunstwerke unserer Zeit: Motorrad, Kino, Zeitung. Was diese drei Zivilisationsmerkmale innerlich verbindet, ist: lieber viel und schnell als gut. […] Übersättigung paart sich mit einem unstillbaren Hunger. […] Wir sind alle Opfer einer Zeitkrankheit geworden, die wir nicht das Recht haben auf eine Rasse abzuladen. Was haben damit die Dichter zu tun? […] Es ist ein heiliger Beruf der Dichter, die Sinne zu schärfen und den Gedankenlosen den Star zu stechen. […]

Herr Bernhard Siepers sagt, wenn das deutsche Volk Klabund in die Hand nähme, würde es ihn nicht verstehen. Das deutsche Volk hat mit der heutigen Dichtung fast gar keinen Zusammenhang mehr. Das, was wir heute Bildung nennen, ist etwas gänzlich in sich Zerspaltenes. […] Die Arbeitsfreude schwindet immer mehr. Wie kann es gelingen, den modernen Menschen dazu zu bringen, daß er abends noch Mensch ist? Wie überwinden wir […] den Bildungsdünkel? […] Ackermann sagt, das Streben nach Höherem, nach Religion fehle den unteren Schichten. […] Schauwecker sagt, es sei nicht nur eine Erscheinung in der Kunst, daß der junge Mensch nicht mehr so leistungsfähig ist wie früher. Es ist vielfach daran schuld, daß die jungen Leute kein Heim mehr haben. In den Vaterländischen Verbänden werden auch nach der Arbeit Leistungen von den jungen Leuten verlangt. Einfache Leute im ärztlichen Wartezimmer lesen auch Gedichte. […]


23. Mai 1924        18. Wochenversammlung

[…] Herr Professor Bohneberg führte in seinem Vortrag: „Deutsche Not und deutsches Hoffen in der Dichtung“ etwa Folgendes aus: […] Der Dichter drückt den Glauben an das völkische Glück und die völkische Zukunft aus. In den Indischen Veden drückt sich noch der Schrecken der langen Winternacht aus. Unter dem Eindruck des ewigen Wechsels entsteht die arisch-germanische Auffassung vom Werden, Sein und Vergehen, um wieder zu erstehen. […] Not dient nur zur Läuterung; aus ihr kommen gute Kräfte hervor. Der deutsche Dichter ist aus diesem Grunde nie Schwarzseher […] Ein Schwarzseher kann nichts Großes leisten. Das Große entsteht nur aus dem Glauben an das Gute. Mit ihm geht der Glaube an die Macht der Finsternis Hand in Hand. Er behält eine Weile die Oberhand (Winternacht, die die Sonne verschlingt, Drache) doch er wird dann besiegt und überwunden. […] Die Gegenwart wurde eingeleitet durch das große Weltereignis des Krieges. Es wurden von den Kriegsdichtungen folgende vorgelesen: [Bohneberg, Wildgans, Walter Flex … Münchhausen…]


Freitag, den 3. Oktober 1924        27. Wochenversammlung

[…] Herr Fritz Hagen […] Vortrag „Westöstliche Träume“ […]

Eine ganze Anzahl unserer älteren und neueren Dichter z.B. Dauthendey, Klabund, Schack [wahrscheinlich Anton oder Friedrich Schnack] lebten und leben in einer anderen Welt. […] Die ostasiatische Lyrik kann man mit der Japans vergleichen; Grundsatz ist, mit möglichst wenigem möglichst viel zu sagen. […] Chinesisches und japanisches Schrifttum kennt auch schmutzige Kunst. Aber Schmutz wird als Schmutz erkannt. […] Klabund gibt eine Übersetzung eines Frühlingsgedichtes. Bloße Andeutungen verweisen auf die schwärmerische Hingebung des östlichen Menschen an die Natur hin. […] Auch in der persischen Lyrik finden wir die Eigentümlichkeit, die wir in den Stimmungswerken der japanischen Dichtung fanden, nichts Dramatisches: der Vortragende brachte einige Beispiel des berühmten persischen Dichters Hafis […] Goethe wandelte als Schauender durch die Welt, er bemühte sich in die Tiefe des Ursprungs zu dringen. Alle bewußte Lebensgestaltung ist Poesie.

Reubel […] sagt, es sei uns ein Ausschnitt des menschlichen Seins geboten worden, der uns in den letzten Jahren etwas ferne lag. Der Mensch des Ostens ist älter und deshalb schon eher zu der Beschaulichkeit gelangt, die bei uns nur weise Geister zu erlangen vermögen. […]


In Schachtel 59 des Pegnesenarchivs finden sich Ausgaben der „Amberger Wochenblätter“ der Jahre 1924 und 1925; Artur Kreiner war Schriftleiter. Nicht mit Verfassernamen bezeichnete Gedichte stammen offensichtlich von ihm. So eines aus dem Heft 29 des 131. Jahrgangs, 18. Oktober 1924:


Nietzsche.

Zum 80. Geburtstag.


Vom Himmel fiel

in steilem Flug

jach, ohne Ziel

ein Splitter. Schlug

in die Erde,

die da schlief,

daß wach sie werde,

also tief

daß sie vom Himmel schwanger war

und einen Sternensohn gebar.


Kaum, daß er war zur Welt gebracht,

flugs

über Nacht

der Kindeskeim

zum Himmel heim

die Mutter überwuchs.


Es wölbte sich sein Schädeldach

zum erdumspannenden Gemach

worunter froh, ein ganz Geschlecht

lichtwandelte und stolz und recht.


Doch als vor düsterm Ungemach

die Schädeldecke berstend brach

und überspannt, sich selbst genug

die Scherben in die Mutter schlug

da es zur Erden

ohne Ziel

ein Stern zu werden

niederfiel.


Freitag, den 24. Oktober 1924        30. Wochenversammlung

[…] Frau Elisabeth Schnidtmann-Leffler dankt für die ihr vom Blumenorden gewidmeten Glückwünsche zu ihrer Verheiratung.

[…] Der als Mitglied des Ordens vorgeschlagene Raabeverein zahlt den Beitrag einer Person.

Hierauf ergreift Professor Bohneberg das Wort […] Das Volk, soweit es seelisch rein ist, befindet sich dauernd in einem dichtenden Zustand. […] wir werden seelisch und sittlich zugrunde gehen, wenn wir uns nicht an einer Umwelt und Überwelt, die größer ist als wir, erbauen. […] Wem der Zusammenhang mit der Volksseele fehlt, der wird kein Dichter, höchstens Schriftsteller. […] Wenn wir nach unserm Niedergang wieder aufwärts steigen wollen, so müssen wir an die Quellen zurückgehen, zu den Vätern, zu dem, was sie Heiliges hatten. Die Zeitschrift „Die deutschen Gaue“, das Blatt des Vereins „Heimat“, müßte jedem Einzelnen der Wegweiser sein, wie er mit Hilfe ernster Arbeit zurückfinden könnte zu den Vätern. […] Die Feldpostbriefe wären ein Kapitel für sich. […] Zum Schluß liest der Vortragende noch vor „Völkisches Glaubensbekenntnis“, ein Gedicht von Danold [?]


Freitag, den 31. Oktober 1924    31. Wochenversammlung

[…] Ackermann […] „Der Wechsel des literarischen Geschmacks“ […] Mit Levin Schückings Schrift: „Die Soziologie der literarischen Geschmacksrichtung“ können wir uns über diesen Stoff unterhalten. Der Gegenwart erscheint manches ungenießbar, was unsere Großeltern in Entzücken versetzte. […] Der Begriff Publikum (öffentliche Meinung) ist lange nicht so umfassend wie man meint. Die einzige Liebe der breiteren Massen ist die religiöse. […] Es gibt keine einheitliche öffentliche Meinung sondern eine Gruppen [sic], die verschiedene Meinungen vertreten. […] In neuer Zeit setzen eifrige Buchhändler Schriftstellerabende fest, die auf den Geschmack nicht ohne Einfluß sind, ebenso wie die Volksbildungskurse und Volksbüchereien und Leihanstalten von Büchern. Im ganzen kann wohl gesagt werden, daß nicht der Geschmack neu wird, sondern daß Andere Träger des Geschmacks werden. […] Die literarischen Geschmacksrichter Berlins benutzen jedes Mittel, um mit ihren Ansichten durchzudringen. Die Kritiker wurden früher von den Schriftstellern nicht als ihre Freunde behandelt. Die Kritik ist zu einer Aufsichtsbehörde geworden; sie kann viel Gutes stiften, aber auch unheilvoll sein. Augenfällig ist die Herrschaft des Judentums; fast sämtliche Berliner Theaterdirektoren und ein großer Teil der Schauspieler sind Juden. Auch die Wissenschaft des Schrifttums ist meist in jüdischen Händen. Die Schrifttumspresse steht unter der Herrschaft des Sensationalismus […] Wie steht es in Nürnberg mit dem literarischen Geschmack? Einen entschiedenen Einfluß auf die wahllosen Zuhörer übt der Literarische Bund aus. Der Bund „Kunst dem Volk“ versucht Gutes und Bestes zu bieten. Der Pegnesische Blumenorden will Kenntnisse der Dichtung der alten und neuen Zeit vermitteln, junge Begabte zu Wort kommen lassen. […]


Freitag, den 6. März 1925        Ordentliche Hauptversammlung

[…] Deßgleichen wurde sein [Wießners] zweiter Antrag, hervorragende, derzeitige Dichter und Schriftsteller  — vorgeschlagen hatte er Hanns Johst — zu Ehrenmitgliedern zu ernennen, abgelehnt. Nach der Meinung der Literaturkenner des Ordens sei z. Z. keiner so hervorragend ihn für diese Würde zu qualifizieren. […]


Man hätte nicht denken sollen, daß der üblicherweise progressive Wießner auf Johst hereinfällt, die „Literaturkenner“ des Ordens aber nicht. Das zeigt, wie ununterscheidbar aus damaliger Perspektive die Fortschrittlichkeit von rechts und die von links erschienen sein müssen. Manchmal ist es die Wahrnehmung der Qualität, die derjenigen einer politischen Orientierung vorangeht — die Frage lautet: Ist es an ästhetischen Unzulänglichkeiten zu erkennen, ob ein Werk zum Inhumanen tendiert? Dazu fände sich etwas in George Orwells Essay über Dalí…


Freitag, den 1. Mai 1925        9. Wochenversammlung

[…] Der Vorsitzende [Scheurl] hält […] den angekündigten Vortrag über Die Heilige Johanna von Bernhard Shaw.

[…] Die äußere Form ist ungewöhnlich, wie das, was Shaw in seinem Werke behandelt. Es ist ein Geisteswerk, was zum Teil in romantische Form gekleidet ist. […] Die Zergliederung wirkt nicht aufbauend, sondern zersetzend. Man muß zuerst das Vorwort und das Nachwort lesen. […] Wir haben ein einheitliches Weltbild vor Augen, ein philosophisches Werk. Sh. ist in erster Linie Historiker. […] Wir begegnen drei Kräften, die sich gegenseitig zu zermalmen drohen […] Man fragt sich: Ist die Art der Gegensätze glücklich gewählt? […] Zuerst spricht Shaw über das Natürliche. Johanna ist kein Weib und kein Mann und will doch als Weib ein Mann sein. Sokrates und Johanna scheitern daran, daß sie ihre Mitwelt nicht verstehen. Der wahre Mensch ist die Wahrheit. […]


Es ist nicht zu ermitteln, ob Eberhard von Scheurl gemeint hat, diese Ausnahmemenschen seien nicht verstanden worden, oder ob sie nicht verstanden hätten, wie ihre Mitwelt empfand. Das letztere würde Shaw besser gerecht.


Freitag, den 22. Mai 1925

Jean-Paul-Feier im Festsaal der Landesgewerbeanstalt

Vortrag von Dr. Josef Müller (Schloß Jägersburg bei Forchheim)

[…] Ein ausführlicher Bericht im Fränkischen Kurier [Zitat daraus:] Alle echten Dichtungen sind mit dem Herzblut erschaffen, stellte der Vortragende fest […] In der Beurteilung des Hauptwerkes „Titan“ mit seiner Antwort auf die Frage: „Ist das Genie souverän oder steht es unter der Moral?“ fand der Redner Worte, die in ihrer kernhaften Gesundheit in der Zeit so vieler literarisierender Auchgenies, die sich erhaben dünken über alles, besonderen Wert haben. […] zuletzt den Politiker Jean Paul vorzunehmen, der aus einem anfänglichen Bewunderer des Korsen Napoleon ein starker Helfer der deutschen Wiedergeburt wurde. Worte wie: „Noch kein Volk machte auf Geheiß eines Eroberers Platz in der Kultur“ haben heute für uns trost- und hoffnungsspende [sic] Kraft.

Zum Schlusse legte Dr. Josef Müller, dem wir bereits mehrere Herausgaben (Jean Paul, Mörike) verdanken, die Gründung einer Jean-Paul-Gesellschaft als eine Pflicht Frankens nahe. […]


Freitag, den 19. Februar 1926    Ordentliche Hauptversammlung

[…] Nach Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten, tritt man in den 2. Teil des Abends ein, der der Unterhaltung gewidmet ist. Professor Konrad Meyer übernimmt zunächst den Vorsitz und erteilt Frau Baronin von Scheurl das Wort zum Verlesen von drei Erzählungen aus eigener Feder. Die erste schildert in lebhaften Worten eigene Eindrücke und Erlebnisse unter der Überschrift „Tyrol“. Die Grundstimmung: „Deutsch ist das Land“ klingt durch die feinen Landschaftsschilderungen […] Die zweite Erzählung „Die Fahne“ berichtet, wie die stolze schwarzweißrote Fahne aus dem Jahre 1871 durch einen Sturm 1918 zum Teil zerstört wurde, das Schwarze wurde abgerissen; nun dient sie dem alten Nürnberger Hause noch in den Farben der Stadt. […]


Das ist natürlich symbolisch gemeint. Immerhin drückt sich darin Lokalpatriotismus aus und kein anderer, für den die Farben Rot und etwas Weiß auch herhalten könnten.


Freitag, den 18. VI. 26.        8. Wochenversammlung

[Von Oskar Franz Schardt verfaßte Zeitungsnachricht:] Im Pegnesischen Blumenorden sprach am Freitag abend Dr. Heinz Schauwecker über die Oberpfälzischen Heimatspiele und insbesondere über seine Heimatspieldichtungen für Furth i. W., Kallmünz und Berching. […] Gehören, so fragt Schauwecker, Vaterland und Heimat weniger zu den großen Dingen der Menschheit als der entartete Eros und alle die Flachheit, die uns tagtäglich in vielen Theatern geboten wird? Ich lege auf das Wort Heimat ebenso viel Betonung wie auf das Wort Spiel und ziehe damit einen bewußten Grenzstrich gegen das Bühnenspiel. […] Seine Darsteller sind Laien, die nicht nur aus Freude am Spiel, sondern auch aus Liebe zur Heimat mitspielen. […] Der Vortragende verbreitete sich dann eingehend über die Grundsätze, die Professor Konrad Meyer in seiner Abhandlung, die im „Fränkischen Kurier“ bereits erschienen ist, über die „Amberger Treue“, ein Werk des Heimatdichters Dr. Greiner [sic; gemeint ist Kreiner], aufgestellt hat […] Daraus zitierte er, daß das Heimatspiel und Volksfestspiel als ein Zeichen der Wiedergeburt unseres Volkes und Volkstumes betrachtet werden müsse. Er führte aus, daß […] nach mündlichen Ueberlieferungen der Drachenstich schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aufgeführt worden ist und unter ständigen Verboten und wiedergewährten Erlaubnissen sich bis zum Jahre 1843 durchgehalten hat, von wo ab er nach nochmaligen Verbotsversuchen einer verständnislosen Zeit bis auf heute ständig in Uebung geblieben ist. […] in dem Drachen die schweren Grenzgefahren aus dem Osten symbolisiert seien […] Charakteristisch sei, daß sich beim Drachenstich im Jahre 1922 tschechische Sokols angesagt hatten, um auf bayerischem Grund und Boden das Volksfestspiel zu verhindern. Selbstverständlich sei dieser Plan damals zuschanden geworden. […] daß es nötig gewesen sei, die alte Volksdichtung von dem theatralischen romantischen Zauber zu befreien, in die sie die sonst sehr wertvolle Arbeit von Professor Dr. Heinrich Schmidt gebracht habe. Im Anschluß daran behandelte er sein Kallmünzer Festspiel „Bürgertreue“ […] Auch hier spielen wiederum die Tschechen eine gewisse Rolle, zeigt sich die nationale, volkserhebende Grundvoraussetzung des Heimatspiels. […] Zum Schluß kam Schauwecker auf das Berchinger Heimatspiel […] Insbesondere tritt hier die besonnene und volkstümliche Gestalt des Pfalzgrafen Friedrich v. Wittelsbach […] in Erscheinung. […] deshalb von so erfolgreichem Gelingen begleitet seien, weil in der Bevölkerung selbst ein großes Maß von natürlichen Fähigkeiten zum Theaterspielen und auch vor allem ein gewisses Grundgefühl für Musik vorhanden sei. Es sei kein Zufall, daß große Musiker wie der Ritter von Gluck […] und Max Reger Oberpfälzer seien. […]


Freitag, den 12. November 1926        12. Wochenversammlung

[…] spricht Professor Bohneberg über „Der Bolschewismus in der deutschen Dichtung“ […] Der Bolschewismus gehört seiner Zeit an, bezeichnet die Lage des deutschen Volkes, den Zusammenbruch. […] Mit dem Zusammenbruch einer Zivilisation ist nicht auch das Volk, die Menschheit verloren, die obere Bildungsschicht war fremd, hat sich erschöpft […] das was nach oben möchte, ist das Neue, was die Zukunft bauen wird — eine neue Weltanschauung. […] Was ist nordisch, was ist südisch? […] Das Arbeitsgesetz ist das nordische Lebensgesetz. […] der Südmensch entwickelte sich in der Wüste; die südliche Sonne ist eine Zerstörungsform.

[…] Die Frau ist Lebensgrundlage, nicht Gegenstand der Lust. […] Für den Südmenschen spielt das rein Geschlechtliche die Hauptrolle. […] Kampf gegen die Ehe, Verhöhnung der Ehe […] Ullstein, Simplicissimus, das ist Bolschewismus. […] Seele ist Rassenwerk, Naturwerk. […]


Interessanterweise gibt es danach nicht die übliche Diskussion, wie bei Schauwecker auch.


Freitag, den 7. Januar 1927

[Zeitungsbericht vom 8. Januar, verfaßt von Schardt]

Eberhard König sprach am Freitag abend in Nürnberg. Es ist merkwürdig, warum dieser unbestreitbare Dichter großen Formats von der Linksliteratur Deutschlands gar so heftig totgeschwiegen wird, wenn sie ihn nicht da und dort angreift. Die Erklärung findet sich nur daraus, daß man hier einen Dichter von unverfälscht deutschem Einschlag vor sich hat. […] Seine Dichtung repräsentiert sich als ganz und gar unpolitisch […]

Der Deutsche Sprachverein, der Industrie- und Kulturverein, der Pegnesische Blumenorden hat ihn eingeladen. Man war vorsichtig, aber der Goldene Saal, dicht besetzt bis zum Rednerpult, erwies sich als zu klein, und man konnte feststellen, daß der Dichter in Nürnberg eine starke Gemeinde hat […]


1. Wochenversammlung        Freitag, d. 14. Januar 1927

[…] Frau von Liedencron [Liederscron] führte in ihrem Vortrage über Filmfragen etwa nachfolgendes aus: […] Man kann nicht sagen, daß der heutige Unterhaltungsfilm versagt. Wir müssen zwar mit dem Zerstreuungsbedürfnis der Zeit rechnen; die Menschen suchen Ablenkung von Wohnungselend und s.f.. Doch das Lichtspiel gibt häufig Anregung zu Verbrechen. […] Künstler und Darsteller sollten sich verweigern sich für schlechte Filme herzugeben. Staat und Gemeinde müssen ihre Pflicht erkennen. Schöngeistig und künstlerisch gebildete Leute gibt es überall als Sachverständige. […] Der Einfluß des Kinos kann gar nicht hoch genug angeschlagen werden. Es werden mehr Kinos als Kirchen und Schulen errichtet. […]


Freitag, den 25. März 1927        Ordentliche Hauptversammlung

[…] Kügemann bespricht und bedauert, daß die Abende anders seien als früher. Er ruft Erinnerungen wach an die seinerzeitigen Abende, die mehr den Begriff des Clubs (zu deutsch: der Gesellschaft) getragen haben. Man solle wieder ab und zu etwas Neues lesen, Besprechungen daran knüpfen, alle Monate oder 2 Monate einen geselligen Abend einschieben. — Die Anregung fand manchen Widerhall. […]


Vorstands- und Ausschußsitzung        9. September 27.

[…] Als erster Punkt wird die Sammlung für Eberhard König, dessen gesamte Habe und Entwürfe verbrannt sind, besprochen. Mit den nächsten Einladungen soll ein Rundbrief an die Mitglieder hinausgehen mit der Bitte um Spenden für den so schwer betroffenen Dichter. […]


3. Wochenversammlung

Freitag, den 17. Februar 1928

[…] sei auf den nebenstehenden Bericht des Fränkischen Kuriers hingewiesen.

Öffentlicher Abend

26. April 1928 Luitpoldhaus

Stefan-George-Abend

[…] Herr Hauptlehrer Hans Hubel […] Schon früh regte sich seine [Georges] dichterische Begabung; seine Werke wählte er nicht nur nach dem Sinn, sondern nach dem Laute und dem […] Rhythmus […] Seine Sprache ist knapp. Er hat Verse von berückendem Wohllaut; hinreißenden Stimmungsgehalt. Es gibt wenige Lyriker, die nicht von ihm beeinflußt sind. […] sah dem Materialismus stolz und abweisend ins Gesicht […]

[Aus dem von Steller verfaßten Zeitungsbericht:] Der Vortragende erhob das Individualwesen des Dichters George zu einem allgemeingültigen Wesensbilde eines vollendeten Geistesmenschen […] George ist mir  — und viele andere werden das gleiche empfunden haben — in seiner ausgesprochenen Ichheit immer fremd geblieben. Seine Ichverlorenheit war zu stark, als daß er auf mehr als nur eine kleine Gemeinde tiefgreifende Wirkung, sei es auf Gemüt, sei es auf Lebensanschauung, hätte ausüben können. […] Immerhin! Der Vortrag rührte an die größten Menschheitsprobleme an und wurde deshalb, wenn Herr Hubel auch bei der Wiedergabe von Gedichten nicht über höchste Meisterschaft verfügt, mit verdientem Beifall bedacht.


Sophie von Praun hat sich nach dem üblichen Hinweis auf den Zeitungsartikel noch zu einer Ergänzung veranlaßt gesehen, die in dem über A4 großen Format des Protokollbuches gute eineinhalb Seiten einnimmt. Daraus:


[George] begegnete im Jahre 1900 am Siegestor einem Gymnasiasten, Max, sah ein Leuchten in ihm, folgte ihm, redete ihn an; was er im allgemeinen erlebt hatte, wurde ihm zur Gewißheit. Es entstand ein Verkehr mit Max, innigste körperliche und seelische Gemeinschaft; es war ein Ergriffensein der Dichterseele, ein leidenschaftliches Bedürfnis nach Schönheit, ein Bedürfnis, zu veredeln. Max erkrankte 1904 an Genickstarre und starb. G. fühlte sich durch diese Freundschaft geweiht. Mit dieser Weihe beginnt das Hauptwerk des Dichters. […] 1917 hat er in „Der Krieg“ ausgesprochen, wie er über den Krieg denkt. Er ist furchtbar aber viel grauenvoller ist die heutige Kultur. […]


Die in keiner Weise prüde Vertiefung der Biographie erstaunt an diesem Ort.


11. Wochenversammlung        Freitag, den 30. November 1928

[…] Herr Hauptlehrer Hans Hubel führt in seinem feindurchgedachten Vortrag über den Roman „Volk ohne Raum“ v. Hans Grimm ungefähr Folgendes aus: […] Die Grundsorge jedes Volkes und Volkslebens ist die Grund- und Bodenfrage. Damit hängt die Persönlichkeits- und gesamte Kulturfrage zusammen. […] Der  Mann war frei, weil er innerlich gebunden war durch den Boden. An der heutigen Entwickelung hat einen großen Anteil die Sozialdemokratie. Diese Arbeiterbewegung ist selbstsüchtig […] Im 3. Teil ist Südwest erst im Werden. Die Eisenbahn wird gebaut. Im Hereroaufstand kämpft er [der Held des Buches] gegen die Engländer. […] 1912 tritt C.F. eine Reise nach Deutschland an. Zurückgekehrt, findet er es sehr verändert, viel reicher, gewaltiges Wirtschaftsleben und eine wilde Begehrlichkeit. Auf dem soz.(?) [Fragezeichen Sophie v. Prauns] dem. Parteitag in Chemnitz hört er das Wort: Ein Volk kann nur bestehen, wenn es genügend Raum hat. Es braucht Kolonien. […]

Professor Lösch sagte: Der Roman ist ein Predigtbuch an die deutsche Seele. […] Das Buch ist sozial durch und durch. […]


12. Wochenversammlung        Weihnachtsabend

Freitag, 17. Dezember 28

[…] Zum Eingang sprach der junge Schauspieler, Herr Fritz Kraus […] das kurze, feinsinnige Adventsgedicht von R.M. Rilke. Hierauf folgte die Verlesung einiger Gedichte von Pfarrer Türk und einer Erzählung „Maria und Joseph, dazu das Kindlein“ gleichfalls von Türk, vom Verfasser selbst vorgetragen. […] Nach kurzer Pause las Professor [Wilhelm] Schmidt aus den lustigen Nürnberger Geschichten von Pausala. […]

Von Baron Scheurl, Frl. Böck und Herrn Nitzsche wird noch der 1. u. 2. Satz des Kegelstadttrios von Mozart gespielt. […]


Freitag, den 11. Januar 1929        1. Wochenversammlung

[Bericht für die Zeitung von Olga Pöhlmann:]

[…] Elisabeth Schnidtmann-Leffler las zuerst Gedichte und darauf eine kleine Erzählung: „Lichter am Berg“. Frau Schnidtmanns Stärke liegt in der Lyrik. Hier bietet sie Gaben zarter Frauendichtkunst, wie sie zum Teil besser nicht geboten werden können. […] Denn es bleibt trotz Selbständigkeit, Beruf, kurzem Rock und Bubikopf ja auch heute noch dasselbe wie vor 50, wie vor 100 Jahren! […] Schauwecker ist ein gründlicher Kenner der oberpfälzischen Geschichte. […] Die kleine Stadt Berching stand, wie viele Orte in dieser Zeit [des Bauernkrieges], zwischen zwei Feuern. […] Sechs Spione hatten es verstanden, sich in das Innere des Städtchens zu schleichen, um bei Nacht die Tore zu öffnen. Aber der Verrat wird zur rechten Zeit entdeckt, die Bauernabgeordneten gefangen. Sie hatten wohl ihr Testament schon gemacht, die armen Schlucker. Doch der Humor der Berchinger siegte über den Zorn. Vor den Augen des jenseits des Grabens wartenden Bauernhaufens übten sie außerhalb der Tore coram publico ganz gemählich [sic] ihre Justiz aus: Nicht Strick und Galgen — nein, 25 jedem auf den Teil, wo man zu sitzen pflegt, dann durften die Verurteilten durch den wassergefüllten Graben abziehen. […]


Freitag, den 8. Februar 1929

3. Wochenversammlung Geselliger Abend

[Zeitungsbericht, gezeichnet S.v.P.:]

Im Pegnesischen Blumenorden las am 9. Februar der bekannte fränkische Heimatdichter Pfarrer Türk aus eigenen Werken vor. Er hatte seiner Vorlesung die Ueberschrift gegeben: „Verborgene Größe im Kleinen und Geringen“ […] Auch die einfache Erzählung vom Mann mit dem Zylinderhut machte tiefen Eindruck. Dieser scheute sich nicht, einer alten Frau den schwer beladenen Handwagen den Burgberg heraufziehen zu helfen, während andere gerade ein tiefsinniges Gespräch von der Liebe führten. […] In jeder der anspruchslosen und in ihrer Schlichtheit und Wahrhaftigkeit doch packenden Gaben liegt ein tiefer Sinn, der Zug zum Höheren, zum Ewigen. […]


Freitag, den 22. Februar 1929        4. Wochenversammlung

Lessing und wir

Vortrag von Herrn Universitätsprofessor Dr. Geißler aus Erlangen

[…] In Nathan dem Weisen endlich sehen wir den Gedanken vertreten, daß alle Menschen miteinander verwandt sind, und daß Jeder zuerst Mensch ist und dann erst Christ oder Jude oder Mohammedaner. […] Stürmischer Beifall dankte dem Vortragenden für das Gebotene. […]


Tröstlich, diese Reaktion. Die persönliche Moral war noch nicht verhetzt.


Im Bericht über das Ordensjahr 1929 fällt auf, daß nur Mitglieder und Gäste des Ordens aus eigenen Werken oder gegenseitig aus Werken vorlasen.


3. Wochenversammlung        Freitag, den 14. Februar 1930

[ungezeichneter  Zeitungsbericht:]

Deutscher Frohsinn von Hans Sachs bis Ringelnatz.

In fröhlicher Laune gab im Pegnesischen Blumenorden Alexander Starke einer knorrigen derbfröhlichen Gesellschaft ein Stelldichein.

[…] Als besondere Ueberraschung ergab sich, daß das schon vor  1740 entstandene „Kanapeelied“ aus der mündlichen Ueberlieferung der Großeltern manchen Zuhörern noch bekannt war. So bot sich eine prächtige Verwobenheit des Humors unserer Vorväter mit dem Humor von gestern und heute, den Baumbach, Liliencron, Ludwig Thoma, Wilhelm Busch, Christian Morgenstern und der unvermeidliche Ringelnatz bestreiten konnten. Hannes Ruch, der als lyrischer Scharfrichter in Wedekinds Ueberbrettl im „Goldenen Hirschen“ der Stadt München sang, kam ganz zuletzt. […]


8. Wochenversammlung        Freitag, den 23. Mai 1930

Anwesend: etwa 50 Damen und Herren.

[mit S.P. gezeichneter Zeitungsausschnitt:]

[…] Dann folgt ein kleines Schauspiel „Jochebed, des Moses Mutter“, dessen Dichter wiederum Pfarrer Bauer war, und das durch einige Mitglieder eines evangelischen Mädchenvereins ausgezeichnet zur Darstellung gebracht wurde. […] Echte Mutter- und Schwesternliebe, wahre mütterliche Sorge, der heftigste Widerstreit der Gefühle im Herzen der beraubten Mutter, echte Weiblichkeit und Güte in der Gestalt der Tochter Pharaos sehen wir dargestellt. […]


10. Wochenversammlung        Dienstag, den 14. Oktober 1930

[…] Hierauf teilt Pfarrer Türk mit, daß die Bücherei nun in Ordnung und das Verzeichnis gedruckt sei. […]

Der Inhalt des Vortrags von Dr. Reubel, „Gedanken über Kriegsschrifttum“, sei im Folgenden wiedergegeben: Manches ist lehrreich als Erzeugnis dieser Zeit, aber einen wirklichen Wert hat es mit wenigen Ausnahmen nicht. […] Der Ausgang und Übergang in die Revolution hat den Werken ihr besonderes Gepräge gegeben. Was ist nach einem verlorenen Krieg vom Schrifttum zu erwarten? Viele Schriften sind eine Rechtfertigung; […] das alles sind im Grunde nichts anderes als Tendenzschriften. […] Wir haben 2 Gruppen von Lesern, die den Krieg mitmachten und die ihn nicht ausmachten. Die erstere ist im Ganzen außerordentlich unbefriedigt von dem ganzen Zweckschrifttum. […] Ganz anders wirken die Schriften auf den Nichtteilnehmer, vor allem auf den jüngeren Menschen. Bei ihnen ist der Kinderglaube an das gedruckte Wort unbefangen. […] Aber man findet heute wieder Verfasser, die zu verschleiern suchen, wie sie die Sache ansehen. […] Es gibt noch aufrichtige Menschen und aufrichtige Dichter, die vom Streben nach der Wahrheit beseelt sind. Es sind nicht die, die am meisten Erfolg haben. […]

Pfarrer Türk […] erinnert an Karl Brögers Roman „Bunker No. 7“, der ein Erleben darstellt, das wir nachfühlen können. Zuletzt kommt der Sozialdemokrat heraus. Türk regt an, den Vortragenden zu fragen, was er von den einzelnen Werken hält.

Frau v. Liederscron fragt, was er über Walter Flex denkt.

Reubel: Es wird immer Menschen geben, auf die solche Werke tief einwirken werden.

SvP: „Der Wanderer zwischen den Welten“ z.B. ist ein Werk von größter Feinheit u. Reinheit; Stellen von wunderbarer Schönheit entzücken erst recht bei mehrmaligem Lesen. Es wird hoffentlich ein Werk von bleibendem Wert sein.

Türk: der Mensch, der den Krieg ganz erfaßt, muß Realist (Mann der Wirklichkeit) sein. […] Wir müssen die Menschen der Gegenwart so nehmen, wie sie sind.

Reicke: Viele Vaterlandsfreunde wollen heute, nach dem Krieg, nichts über den Krieg lesen. R. hat selbst am liebsten das große Generalstabswerk gelesen. Er schätzt das Schauspiel „Die andere Seite“, das ein gutes Bild des Krieges, allerdings von den Engländern aus betrachtet, gibt. […]

Reubel: Ein Kriegsteilnehmer sucht vor allem das Sachliche […] kann das Ereignis nicht voll auswerten. Um es zu können, müßte er Soldat und Führer zugleich gewesen sein.

Reicke: Über frühere Kriege gibt es auch kein solches Werk […] Das ist doch auch bei einem Kunstwerk nicht nötig und von diesem Krieg gar nicht möglich. […]


1. Wochenversammlung

Dienstag, den 13. Januar 1931 Wilhelm-Raabe-Ehrung


Endlich scheint sich S.v.P. einen neuen Füllhalter gekauft zu haben, dessen Feder nicht zu breit für ihre kleine Schrift ist. Dennoch dient lieber der von ihr verfaßte Zeitungsbericht als Orientierung:


Zum Eingang des Raabe-Abends des Pegnesischen Blumenordens Nürnberg sang Edith Groß drei Raabe-Lieder; […] Oberstudienrat Konrad Meyer sprach hierauf über „Waffen des Hans Unwirsch, ein Auftakt zum Raabe-Jahr 1831-1931“. Er verwies darauf, daß Raabe, der echte deutsche Mann und Dichter, der von Thomas Mann in einem Atem mit Dürer genannt wird, es wohl verdiene, daß wir von einem Raabe-Jahr sprechen, und besprach sodann den Hungerpastor. Der Vortragende schloß seine Ausführungen mit dem Gedanken, daß Ruhm haben heißt mitgedacht werden, wenn an ein ganzes Volk gedacht wird. Noch hat Raabe diesen Ruhm kaum, und es ist fraglich, ob er je vom ganzen Volke so erfaßt wird. […]

[Aus einem zweiten, ausführlicheren Zeitungsbericht:]

[…] In den beiden Jugendfreunden Hans Unwirsch und Moses Freudenstein verkörpern sich zwei Welten. Einer ist der Hintergrund des andern. […] Böse Geister, sagt Hans, standen an der Wiege des Moses, gute an der meinigen. […] Hans setzt sich für den mißhandelten kleinen Freund ein […] Moses tritt zum Katholizismus über und wird wirklich ein großer Mann, aber ein vaterlandsloser Spion, schließlich verachtet von denen, die ihn gebraucht hatten. Hans aber hat sich das Wort: „Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da.“ zum Wahlspruch erkoren […] Sein Heim wird die letzte Zuflucht des zertretenen Jugendfreundes. […]


Konrad Meyer zitiert Thomas Mann als Autorität und berichtet allem Anschein nach zustimmend von Raabes menschlicher Lösung eines deutsch-jüdischen Konflikts. Man hängt bereits in den Vorurteilen des Nationalismus und Rassismus fest, sucht aber nach individuell anständigem Ausgleich, will Ausnahmen zulassen, und meint die ganze Zeit, doch eigentlich nur an einem überlieferten Wertesystem festzuhalten. Und einiges davon war ja schon lange vorhanden.


Dienstag, den 17. März 1931        Ordentliche Hauptversammlung

[…] Es wird vorgeschlagen, […] an den Dichter Kolbenheyer heranzugehen, um ihn um einen Vortrag zu bitten […]

Endlich regt Kügemann noch an, man solle doch die Neuerscheinungen, die den Ordensvorstehern zugesandt werden, wieder an den Abenden besprechen, wie es früher regelmäßig Sitte war. Diese Besprechungen müssen keine Vorträge sein. Die Mitglieder sollen dazu herangezogen werden. […]


Aus der Kolbenheyer-Lesung wurde nichts; eine Geldfrage? Aus der Rückkehr zu den freieren Diskussionen wurde auch nichts — eine Frage der Führung im Orden.


10. Wochenversammlung        Dienstag, den 13. Oktober 1931

[…] Im Anschluß an einige Austrittserklärungen mahnte der Vorsitzende [Türk], dem Orden, dem es um die Pflege hoher geistiger Güter zu tun ist, der aber freilich keine äußerlichen Vorteile bringt, die Treue zu halten.

[mit S.v.P. gezeichneter Zeitungsbericht:]

[…] Studienprofessor Münderlein über Dostojewsky […] Der Dichter lehrt uns den russischen Menschen kennen. Er führt uns in eine Welt von Wahnsinnigen, Trunkenbolden und Mördern […] Die gleichen Menschen aber, die erbarmungslos und grausam erscheinen, sind zugleich gewissenszart und tief kindlich. […] Des Dichters Werke sind Zeugen des Ringens nach den letzten Wirklichkeiten, nach Gott. […] der Vortragende […] unterschreibt den Rat Stefan Zweigs, [!] diese Bücher nur langsam zu lesen […]


1. Wochenversammlung: Goethefeier

Dienstag, den 12. Januar 1932

Anwesend 95 Damen und Herren

[2 mit S.v.P. gezeichnete Zeitungsberichte, der zweite redaktionell gekürzt.]

Von stürmischem Beifall begrüßt, begann Universitätsprofessor Dr. Lewald [Ewald] Geißler aus Erlangen, dem Blumenorden längst kein Unbekannter mehr, seinen reichhaltigen, fein durchdachten Vortrag über Faust […] Ausgehend von dem Gedanken, daß Faust natürlich ein Menschheitsgedicht aber auch ein wohl deutsches Gedicht sei, stellte der Vortragende fast [sic], daß es demnach das Deutsche hinter sich gelassen habe, das als Schranke empfunden werde auf dem Wege zum Höchsten. […] Nachdem Faust 1790 als Bruchstück erschienen war, wurde der 1. Teil 1791-1801 vollendet. Jetzt erst ist die Dichtung auf die Welthöhe gehoben worden. Und doch ist der 1. Teil, hauptsächlich durch die Einfügung der Walpurgisnacht, in sich bruchstückhaft, aber gerade darum ist er auch echt deutsch. […] Der erhabene Wurf reißt uns mit, nicht so sehr das Vollendete. […] Im Faust ist eine Aufgipfelung des Volkhaften in eine solche Höhe, wo es welthaft gültig wird. — Wir wollen im Erinnerungsjahr nichts von Kalendergefühlsseligkeit wissen, Goethe nicht mit Scheinwerfern bestrahlen, mit Schweigen übergehen kann man aber den 100. Todestag auch nicht. Wenn auch nur Einzelne von ihm erneuert werden, dann hat das Goethejahr seinen Zweck erfüllt. […]


4. Wochenversammlung        Dienstag, den 23. Februar 1932


Mit S.v.P. gezeichneter Zeitungsbericht (die Füllfeder ist schon wieder zum Besen zerdrückt):


[…] Nachdem Liselotte Schirmer mit ihrem schönen Alt, von Studienrat Dr. Herbst anmutig begleitet, einige Lieder von Hugo Wolf gesungen hatte, […] sprach Frieda Wolfrum Gedichte von Rückert und Droste-Hülshoff und las eine packend geschriebene Erzählung des heimischen Dichters Emil Bauer: Undine. Dann kamen noch Dehmel, Hoffmannsthal, Rilke und Stephan [sic] George zu Wort […] noch einige Lieder  von Armin Knab […]


10. Wochenversammlung        Dienstag, den 1. November 1932

Anwesend 42 Damen und Herren

Vorsitz: zuerst Dr. Reubel

Dr. Reubel begrüßt die Erschienenen und gibt das Wort Herrn Oberstudienrat Meyer zu seinem Vortrag über Kolbenheyers Lyrik […] Dem in nebenstehendem Zeitungsbericht [gezeichnet von S.v.P., daraus: „Wenn wir den Dichter auch hauptsächlich als Dramatiker schätzen, so dürfen wir doch viele seiner Gedichte […] den besten Lieddichtungen unserer Zeit an die Seite stellen.“] ist noch folgendes hinzuzufügen: Kolbenheyer ist vor allem Philosoph. […] Er erkennt die Leiden und Unvollkommenheiten des Lebens in herben, schmerzlichen Worten. […] Nach Weichheit oder gar Weichlichkeit sucht man vergebens. […]


2. Wochenversammlung        Dienstag, den 24. Januar 1933

[mit S.v.P. gezeichneter Zeitungsbericht:] Ina Seidel-Abend im Pegnesischen Blumenorden.

[…] Eine bekannte und bedeutende Vortragskünstlerin, die Baltin Agnes Seesemann, hatte sich die dankenswerte Aufgabe gestellt, die Erschienenen in die hohe und  feine Kunst Ina Seidels einzuführen. Die Vortragende, die der großen Dichterin nahesteht und sie auch als starken, warmherzigen und eigenartigen Menschen kennt, gab zuerst ihr kurzes Lebensbild. […] Ein großes Ereignis ihres Lebens war eine Italienreise, von der sie selbst sagt: Mir wurde zuteil, was ich lange ersehnt hatte, die Buntheit und Fülle der Erde zu erleben, nicht nur zu ahnen. […] aus ihren Werken klingt ein starkes Verbundensein mit der Erde. […] Kam in der Friedenslitanei die Not des Vaterlandes und ganz Europas erschütternd zum Ausdruck, so zeigten einige großartige Naturschilderungen in knappen Worten die innige Erdverbundenheit. […]

[Aus dem handschriftlichen Protokoll:] In der kurzen Pause macht Baron Scheurl darauf aufmerksam, daß am 20./II der Schriftsteller Hans Heyck im Kampfbund für deutsche Kultur im kleinen Saale des Lehrerheims sprechen wird; er bittet unsere Ordensmitglieder, sich zahlreich zu dem Abend einzufinden. […]


Nach all der unaufgeregten Beschaulichkeit kommt diese Aufforderung des 1. Vorsitzenden wie ein Paukenschlag. Jetzt brechen andere Zeiten an.