Teil III: Der rettende Umsturz

Daß Cramer-Irenander den Blumenorden bereits mit dem Namen "Deutsche Gesellschaft" belegte, erklärt sich nicht nur aus der von Will gegründeten "teutschen Gesellschaft" in Altdorf. Es gab dort eine zweite, ähnliche, die einige Studenten gegründet hatten, und von dieser ging schließlich die längst notwendige Erneuerung des Ordens aus. Bevor das allerdings geschehen konnte, hatten alle drei Gesellschaften eine Weile nebeneinander her bestanden.

Der ewige Prätendent wird Präses

Unterdessen war Reichel-Eusebius gestorben, 1774. Cramer scheint für kurze Zeit die Dinge in die Hand genommen zu haben: er lud die noch vorhandenen Mitglieder in seine Wohnung, um eine Neuwahl durchzuführen. (Wieso dies zu Lebzeiten Reichels nicht durchführbar war, ist unklar; wenn dieser sich allerdings als Präses gesehen hat...) Es glückte Johann Augustin Dietelmair, die Stimmen der übrigen Ordensmitglieder auf sich zu vereinigen und Präses zu werden.

Wir können uns Irenäus I. zu diesem Zeitpunkt als freundlichen älteren Herrn vorstellen, einen Gelehrten, den jahrzehntelange geistige Arbeit tolerant gemacht hatte, ziemlich gut informiert über das, was seine Altersgruppe noch ansprechen konnte, aber auch bereit, junge Talente zu nehmen, wie sie waren. "Schon unter seinem Vorsitz wurden die Versammlungen der Mitglieder wieder erneuert, indem der würdige Mann ausdrücklich zu diesem Ende hieher reisete, und gedachte Versammlungen in seinem eigenen Hause allhier veranstaltete." Das zeigt, wie wenig vorher unter Reichel geschehen sein mußte.



Kurzes Zwischenspiel einer Dame

Zunächst ließ Dietelmair die Damen innerhalb des Ordens nach guter Überlieferung wieder zu ihrem Recht kommen. Es wurde schon erwähnt, daß er noch im selben Jahr die Tochter des Amarantes endlich aufnahm. Vom 30. 12. 1775 stammt das Dankgedicht einer Jungfer Scherbin, die als Magdalis II. Ordensmitglied geworden war. Das Gedicht selbst muß hier nicht zitiert werden; es ergeht sich in üblicher Weise endlos lang in Alexandrinern. Kunigunde Scherb ist allerdings als Person bemerkenswert und geradezu eine Allegorie für den Zustand Nürnbergs.

Ihr eigenhändiger Lebenslauf weiß zu melden, daß sie 1742 als Tochter eines Nürnberger "Bordenhändlers" (also Kurzwarenhändlers) geboren wurde. Auch solche Leute ließen ihren Töchtern um diese Zeit schon Privatunterricht geben — eine Ausgabe, die ein mittelsituierter Bürger wenige Jahrzehnte zuvor für widersinnig gehalten hätte, es sei denn, seine Tochter wäre ein Ausbund von Häßlichkeit gewesen. Früh fing sie an, Verse auf Melodien zu schreiben, die sie von ihrer sangesfrohen Mutter hörte. Noch als junges Mädchen schickte sie ein Gedicht über die Prager Schlacht von 1757 an General von Schwerin. Auch mit anderen Gelegenheitsgedichten erregte sie Aufmerksamkeit. Dann allerdings verdüsterte sich ihr Gemüt: An einem einzigen Tag starben drei ihrer Geschwister. Dietelmair wollte vielleicht durch seine Förderung ein solches Talent nicht verstummen lassen; er verschaffte ihr das Patent der 'Kaiserlich gekrönten Dichterin' und nahm sie in den Orden auf, aber Magdalis II. schrieb vorzugsweise in der Zurückgezogenheit religiöse Verse und Trauergedichte. Sie blieb unverheiratet und starb am 9. 4. 1795, ohne sich an der Umgestaltung des Blumenordens beteiligt zu haben. Sie ist das weibliche Gegenstück Chirons. Diakon Wilder von St. Lorenz schrieb ihr die Leichenpredigt, ein in schwarzes Glanzpapier eingebundenes Geheft, und sie wurde auf mehrspännig gezogenem, schwarz drapiertem Wagen zum Johannisfriedhof hinausgefahren und dort bestattet, wo die Gräber der berühmtesten Nürnberger, wie auch der Ordensgründer, zu finden sind. Sie ist die letzte der Damen im Orden, der noch die Ehren zuteil wurden, welche die alte Reichsstadt, welche das alte Reich zu vergeben hatte — und das ganz ohne familiäre Beziehungen.


Letzte Einrichtungen nach altem Plan — auch im Irrhain

Einige der noch nicht ausdrücklich verbrieften Mitgliedschaften wurden von Dietelmair durch Ausfertigung der Urkunde bestätigt: Hierher gehören Cramer-Irenander und seine Frau (1774), Johann Sigmund Leinker-Monastes (1774, Ordensrat 1775, nachdem Wittwer gestorben war), Georg Ernst Waldau, Prediger bei St. Egidien und Inspektor sowie öffentlicher Lehrer des dazugehörigen Gymnasiums (1775), aber auch die Sippe Bezzel (Ehrhard Christoph und seine Frau Maria Helena Kunigunda, sowie der Kaufmann Johann Georg Bezzel, alle 1776).

Sclerophilus-Hartlieb war mit der Wahl des neuen Präses in das Amt des Schriftführers aufgerückt (das er zumindest durch seine bildschöne, immer leserliche Handschrift verdient hatte). Als nun Cramer den wieder einmal ziemlich verwahrlosten Irrhain instandsetzen lassen wollte, übergab ihm Hartlieb zu den namhaften Beträgen, die dieser aus eigener Tasche aufbrachte, noch zusätzlich "alle verfügbaren Mittel des Ordens". Ungeschickterweise ließ er sich darüber keine Quittung ausstellen. Das sollte ihm noch leid tun.

Am 27. August 1778 fand ein Irrhain-Jubiläum statt. Das Datum ist ein wenig überraschend. 1676 hatte Myrtillus II. den Gedanken zu einem Irrhain gefaßt, und 1681 die Stadt Nürnberg in einem Wald-Verlaß diese Nutzung bestätigt. Den Mitgliedern von 1778 muß noch ein anderer Anlaß bekannt gewesen sein, der für sie den eigentlichen Anfang des Irrhains bedeutete, möglicherweise der Beginn dortiger Versammlungen oder auch die Errichtung des Zauns. Jedenfalls hat Hartlieb zu diesem Anlaß Verse beigetragen, die, der Haltung nach, Reichels Jubiläums-Ode ähnlich sind, ohne rhetorisch ganz so aufgeputzt zu sein:

Auf, Muse! preise Gottes Güte,

Und bethe seine Vorsicht an,

Erheb mit dankbarem Gemüthe

Was seine Huld an dir gethan [...]


Zu eben diesem Jubelfeste hielt der Präses eine Rede auf seinen Amtsvorgänger und Irrhain-Stifter, in der es heißt: "Hundert Jahre sind es, seit dem wir uns in dem Besitz des lieblichen Irrhayns befinden, den wir so oft, es sey einzeln, oder in Verbindung mit mehreren Mitgliedern besuchen; [...]" Darin also bestand, selbst bei geringster Mitgliederzahl, das Lebendige am Ordenszusammenhalt. Holzschuher hatte ja so recht gehabt, als er eine Generation früher den Irrhain zum Haupthindernis einer Auflösung des Ordens erklärte. Man hätte aber dieses vorromantische Sich-Ergehen schwerlich in einem Irrhain genossen, der so ausgesehen hätte wie etwa zwischen 1980 und 1990. Daher gebührt auch Dietelmairs großer Dank zurecht dem Irenander, dafür, daß sich jener (wie er sagt, mehrmals) unter großem Kostenaufwand um die Erhaltung der Anlage gekümmert hatte.


Wenige Monate später, im November 1778, starb Cramer. Das Wiederaufblühen des Ordens hat er nicht mehr erlebt. Wohl aber nahm ein neuer Brauch nach seinem Tode seinen Anfang: Verstorbenen Mitgliedern wurden zu ihrem Gedächtnis nicht mehr eine hölzerne Tafel an einen Baum gehängt — wie es ihm noch geschah —, sondern ein Denkmal aufgestellt. Die alten Pegnitzschäfer hatten noch in der Tradition des erdichteten Hirtenstandes ein vergängliches, ländliches, einfach zu bearbeitendes Material verwendet; soweit sie Patrizier waren, hatten sie selbstverständlich an ihren Begräbnis-Stätten in den Kirchen ihrer Landgüter oder in den Nürnberger Kirchen, die ihrer Fürsorge unterstellt waren, steinerne Grabdenkmäler erhalten. Nun aber setzte man im nicht mehr religiös verstandenen Irrhain den klassizistisch empfindenden Bürgerlichen, die es zu etwas gebracht hatten, Monumente. Man muß einmal innehalten und sich klar machen, wie herausfordernd das wohl auf einen Vertreter der alten Ordnung gewirkt haben muß, die nicht einmal den Doktoren, von Handelsleuten ganz zu schweigen, die gleichen Rechte wie den Patriziern zubilligen wollte! Damit war aber der Bann gebrochen, und die Steinmale häuften sich in den folgenden Jahrzehnten, wobei erst das jüngste einem Patrizier galt, dem späteren Präses Kreß! Wie es kam, daß auch Cramer ein Steindenkmal erhielt, davon später. Sonderbarerweise wurde aber gerade Cramers Stein, als die Inschrift verwittert war, in seiner Zugehörigkeit nicht mehr erkannt; er wurde den Gründern des Ordens umgewidmet; die Namen Harsdörfers, Klajs und Birkens schmücken heute das Denkmal -- nun ja, Johann Friedrich Cramer kommt so unversehens, aber nicht unverdient, in würdige Gesellschaft.


Was nun die anderen Neuzugänge betrifft, so lohnt sich, erst einmal die Errungenschaften jenes Altdorfer Studentenkreises im ganzen zu betrachten, bevor man sich mit seiner Auswirkung auf die Blumengesellschaft befaßt, damit man ermißt, wie groß der Abstand war, der hier überbrückt werden mußte.


Schuber LXXX des Pegnesen-Archivs besteht in einem ungewöhnlich kleinen Schächtelchen, das schon vor den standardisierten Archivschachteln hergestellt worden sein muß; seine sorgfältige Machart und der liebevoll darumgeklebte, braunmelierte Papiereinband zeigen, daß jemand Erinnerungsstücke an seine und seiner Freunde hoffnungsvolle Jugend mehr oder minder wehmütig der Nachwelt aufbewahren wollte. Es trägt die Aufschrift: Arbeiten der vormaligen Deutschen Privat-Gesellschaft in Altdorf von A. 1777 bis 1794. Die vorliegende Übersicht beschränkt sich im wesentlichen auf eine Inhaltsangabe nach Titeln. Das zeigt Neigungen und Arbeitsweise der Mitglieder deutlich genug, ohne den Umfang einer Arbeit über den Pegnesischen Blumenorden in unzulässiger Weise zu erweitern. Daneben seien Bemerkungen über die Umstände gestattet, unter denen dieser begeisterungsfähige Kreis begabter bürgerlicher Aufsteiger im Hinblick auf Nürnbergs kulturpolitisches Ungeschick zu einer "privaten" Gesellschaft werden — und eine solche bleiben — mußte.



Mitglieder der 'deutschen Privatgesellschaft'

Ihre Anfänge gehen auf das Jahr 1776 zurück. Ganz ohne das Vorbild und die Unterstützung der Will'schen Gesellschaft scheint es dabei nicht hergegangen zu sein, wie aus einem Rückblick hervorgeht: "Will [...] bezeugt, daß feine Köpfe und besonders gute Dichter darunter waren. Diese Gesellschaft erhielt sich jedoch nur so lange, als Link in Altdorf war, der eben deswegen mit [...] Colmar, Friedrich [sic] und Leuchs, im Jahr 1786 in den pegnesischen Blumenorden trat."

Die frühesten Texte dieser Sammlung stammen von Karl Ebner von Eschenbach. Es handelt sich um 13 Gedichte aus den Jahren 1756 bis 1775.

Wilhelm Carl Jakob Ebner von Eschenbach, wie ihn Nopitsch schreibt, war am 24. 7. 1757 geboren, hatte 1768 bis 1775 das "Egydianische" Gymnasium besucht, ging dann zunächst nach Altdorf zum Studieren. 1778 wechselte er nach Göttingen, 1779 nach Wetzlar, "um bei dem dasigen Kammergerichte sich besonders in den anhängigen Nürnbergischen Processen zu unterrichten [...]". Ab 1782 findet man ihn in unterschiedlichen Rechtsbehörden Nürnbergs, er starb aber schon 1793. Von seinen Gedichten erschienen einige in Wochenschriften und Musenalmanachen, darunter 'Der Schlachtgesang, meinen Freunden den Amerikanern gewidmet' in der Nürnbergischen Poetischen Blumenlese auf 1782 .

Mit der lyrischen Begeisterung hat es wohl angefangen, aber es blieb nicht beim empfindsamen oder patriotischen Alleingang. Aus der Rede, die Karl Link am 5. Mai 1784 bei der Auflösung der Gesellschaft hielt, erfahren wir: "Der erste Entwurf der Geseze ist vom 13. Aug. 1777". Ohne formelle Satzung fingen diese jungen Leute keinen Freundeskreis an, im Unterschied zum Blumenorden, der dazu fünfzig Jahre gebraucht hatte! Es könnte als wichtigtuerische und lähmende Vereinsmeierei erscheinen; wenn man aber bedenkt, daß Streitgespräche über die beste Verfassung des Staates im Vorfeld der französischen Revolution große Anziehungskraft auf fortschrittlich denkende Studenten ausübten, sieht die akademische Spielwiese anders aus. (Es war jedenfalls echteres Bedürfnis im Spiele als bei der heutigen, pflichtschuldigst betriebenen Einübung der Demokratie im Rahmen der Schülermitverwaltung und Studentenvertretungen, mit Blick über die Schulter zu den Jugendorganisationen der Parteien.)

Die Namen, soweit entzifferbar, waren folgende: Helmes — Friederich — König — Balbach — Angerer — Wucherer[?] — Goez — Drechsler — Link — Klenk — Schunther — Colmar — von Scheurl — von Ebner — von Winkler — Marperger — von Grundherr — von Praun — Siebenkees — Mannert — Öhrl[?] — Sixt — Riederer — Fehmel[?] — Herbart[?] — Leuchs.

Angesichts des mehrfachen Auftretens einiger dieser Namen in der Nürnberger Geistesgeschichte ist man froh um jeden Nachruf, der die Individuen nachweist, denn die Vornamen werden in diesen Blättern höchst selten erwähnt. Damals sprachen selbst gute Freunde einander wohl mit dem Familiennamen an. (Das hielt sich auf Höheren Lehranstalten Nürnbergs noch bis etwa 1965.) Einiges Licht in das Dunkel bringen die Supplementbände zu Wills Gelehrtenlexikon; von einigen der obigen Namen fehlt auch dort jede Spur.

Unter dem Namen König hat man die Auswahl zwischen zwei Individuen. Es gab einen Johann Christoph König, geboren zu Altdorf 1752, der bis 1772 auf zwei Nürnberger Gymnasien seine Schulausbildung absolvierte, von da ab bis 1775 in Altdorf studierte, zum Dr. phil. promoviert wurde, aber schon 1776 wieder nach Nürnberg ging und zunächst von Privatunterricht lebte. Er könnte der Gesellschaft also höchstens ganz zu Anfang angehört haben. Für seine Interessen sind Schriften volks-, ja jugendbildenden Inhalts über philosophisch-ästhetische Themen bezeichnend. Nach einem Zwischenaufenthalt auf hessischen Hochschulen wurde er 1786 Philosophieprofessor zu Altdorf und brachte es bis zum Rektor.

Der wahrscheinlichere Kandidat ist ein Justus Christian Gottlieb König, "der Rechte Doctor und Advocat", geboren 1756 in Nürnberg als Sohn eines Kaufmanns. 1775 bezog er die Universität Altdorf und studierte Philosophie, Physik, Mathematik, Geschichte, christliche Moral, Rechtswissenschaft und Gerichtsmedizin. "Auch übte er sich bei Prof. Will fleißig im disputieren." Dies ist wohl der Anhaltspunkt, ihn der "Deutschen Privatgesellschaft" zuzuordnen. 1779 wurde er Advokat in Nürnberg, ging dann nach Wien, wo er bis 1780 zum Reichshofrat-Agenten aufstieg, war aber ab 1781 wieder in Nürnberg und betätigte sich — anscheinend bei kümmerlichen Einkünften — als Freizeitdichter. Unter seinen Werken ist die Poetische Blumenlese für 1783 genannt. "Er ist nicht nur der Herausgeber von beiden [auch der Blumenlese von 1782; beide verlegte Grattenauer], sondern hat auch eine beträchtliche Menge Gedichte selbst gefertigt." 1789 nahm man ihm die Pflegerstelle des Ebracher Hofes, für die er ausersehen war, wieder ab, weil er die Kaution nicht aufbringen konnte. Zehn Freunde steuerten das Geld zusammen — zu spät; er geriet darüber "in kümmerliche Umstände und starb den 20 Sept. 1789 an der Auszehrung. Besagte edle Freunde unterhielten ihn in seiner Krankheit und sorgten auch für sein Begräbniß. Er war als ein munterer und feiner Dichter bekannt [...]" Können nicht unter den edlen Freunden einige der "Deutschen Privatgesellschaft" gewesen sein?

"Drechßler (Johann Michael) Pfarrer zu Kraftshof", geboren 1758 als Sohn eines Kaufmanns in Nürnberg, zur Schule gegangen am "Ägydien"-Gymnasium — Schreibweisen bei Eigennamen waren alles andere als fest —, nach Altdorf 1776, wo er bei den oft in diesen Einträgen erwähnten Professoren Nagel, Will, Jäger und Adelbulner (Physik, Mathematik) einen ziemlich breiten Grund des Studiums legte. 1779 ging er nach Leipzig, später Holland, nach Göttingen und 1781 nach Nürnberg zurück. 1783 war er Predigamts-Kandidat, 1784 erhielt er seine erste Pfarrstelle, 1789 wurde er von der Familie Kreß von Kressenstein als Pfarrer nach Kraftshof berufen. Traditionsgemäß kam er dadurch als "Irrhayn-Inspector" in den Blumenorden. Seine kleinen Schriften werden nicht der Grund gewesen sein. Er verfaßte aber auch im Auftrag des Ordens einen der später üblichen Nachrufe.

Klenk: Ist es derselbe, der von Will als mutmaßlicher Verfasser folgender Schrift genannt ist: Philosophische Bemerkungen über die Republiken überhaupt, und über die kaiserl. freien Reichsstädte insbesondere. Aus dem französischen [...] übersezt. Vom Verfasser Sr. Mai. dem iezt regierenden Kaiser Joseph II. zugeeignet. Amsterdam 1787. ? Will bemerkt dazu: "Herr Klenk aus Frankfurt a. M. soll der Verfasser dieser Schrift seyn, die so wenig aus dem französischen übersezt, als unpartheyisch ist." (Auch der Druckort Amsterdam ist, wie bei Umgehung der Zensur allgemein üblich, wahrscheinlich fingiert.) Klenk habe sich besonders über Nürnberg und Nürnbergische (also Altdorfer) Professoren sehr abfällig geäußert. Das klingt ganz nach enttäuschtem Idealismus.

Welcher der vielen Scheurls ist der vorhin genannte? Dem Geburtsjahrgang nach kommt wohl am ehesten in Frage "Scheurl von Defersdorf (Gottlieb Christoph Wilhelm)", geboren den 8. 12. 1757. "Er studierte zu Altdorf, wurde Assessor im Untergericht zu Nürnberg, gieng in K.K. Kriegsdienste und privatisirt seit 1795. zu Feucht."

"Winkler von Mohrenfels (Joseph Johann Paul Carl Jacob)" war geboren 1761, erhielt schulische Unterweisung bei Diakon Schöner von St. Lorenz, besuchte aber auch das Gymnasium in Ansbach und ging erst 1779 nach Altdorf, dann auf die neue Universität Erlangen, schließlich nach Wien. Auch er "privatisierte" von 1792 bis zu seinem frühen Tod 1798 in Altdorf und bekleidete keine Stelle. "Er hatte ein ausserordentliches Gedächtniß und war ein guter Dichter, welches er durch allerhand Proben, besonders in den Fränkischen und in den Wiener Almanachs bewies." Ein Band Gedichte von ihm kam 1789 in Wien heraus.

"Riederer (Georg Andreas) [geboren in Altdorf 1767, also bei weitem der Jüngste der Gruppe, kam wohl nur als Schutzbefohlener eines älteren Studenten dazu, der ihn mitnahm.] Durch die [...] Unterweisung des damals in Altdorf Studierenden [...] Joh. Balbach, gebildet und zu höhern Wissenschaften vorbereitet, widmete er sich der Arzneikunde und der Chirurgie [...]"

Das älteste und damals schon gesetzte Mitglied war: "Sixt (Johann Andreas) Doctor der Theologie und derselben vorderster Professor zu Altdorf, ist gebohren den 30. November 1742 [...]" Er stammte aus Schweinfurt, hatte vorwiegend in Jena studiert, wo er 1765 Magister geworden war, war 1771 nach Altdorf als ordentlicher Professor der Theologie berufen worden und hatte 1773 geheiratet. Aus der Ehe gingen 5 Töchter und zwei Söhne hervor, von denen aber keiner alt genug war, um statt des hier verzeichneten Sixt zur deutschen Privatgesellschaft gehört haben zu können. Man möchte gar nicht glauben, daß um 1780 dieser Enddreißiger sich in dieser Gruppe aufhalten mochte, ohne die Führung zu beanspruchen, wenn man nicht erwägt, daß er gutmütig genug gewesen sein kann, nach außen hin durch seine Mitgliedschaft der Gesellschaft den Anschein der Seriosität zu geben, ohne den sie leicht verboten werden hätte können, und daß er dazu auch hinreichend literarisch interessiert war. Immerhin soll er viele deutsche und lateinische Gelegenheitsgedichte verfaßt haben und hatte 1770 in Jena ein Groß-Duodez-Bändchen Poetischer Kalender auf das Jahr 1771 herausgebracht.

"Leuchs (Johann Georg) gebohren in dem Nürnbergischen Pfleg-Städtchen Lichtenau bei Ansbach, am 24. Februar 1761. Sein Vater, damals Gastgeber zur goldenen Krone und Bierbräuer, nachher Gerichtsschöpfe, ist jetzt Richter daselbst." 1778 ging Leuchs nach Altdorf und studierte die Rechte, Philosophie bei Will, Geschichte u.a. bei Dietelmair; 1780 ging er nach Göttingen, kam 1782 zurück und wurde Licentiat, gleich darauf Advokat in Nürnberg, 1783 Doktor, wurde 1786 in den Blumenorden aufgenommen und 1803 Kurbadener Justizrat. "Dem Vernehmen nach ist er Verfasser verschiedener Schriften, bei welchen er sich nicht genannt hat. [...]" Ob diese Bemerkung Nopitschs, des Zeitgenossen, Wilhelm Schmidt veranlaßt hat, Leuchs die Verfasserschaft jener Schrift Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung zuzuschreiben, für deren Verbreitung Napoleon den Erlanger Buchhändler Palm nach Braunau verschleppen und dort erschießen ließ? Weitere Einträge lassen es geraten erscheinen, der Sache im weiteren Verlauf dieser Darstellung noch einmal nachzugehen: Leuchs ist der Verfasser eines Artikels Adolf der Nassauer, Kaiser und König der Deutschen. Für Wahrheitsfreunde, Patrioten und denkende Köpfe ietziger Zeit. Leipzig [...] 1802. "Er war auch Mitarbeiter an der Erlanger Zeitung in den 2 letztern Jahren der Redaction des Hrn. Hofr. Meusels, hauptsächlich für das Fach der Geschichte und des deutschen Staatsrechts."

Mehr von den übrigen Mitgliedern nach und nach, wie es sich trifft.


Bestrebungen der 'deutschen Privatgesellschaft'

Schon ziemlich zu Anfang unterhielt man Beziehungen zu mindestens einer gleichgesinnten Studentenrunde, wie aus folgendem Schriftstück hervorgeht: Pinselstriche zur Charakteristik der teutschen Privatgesellschaft zu Heidelberg, welche am 19ten des Christmonats 1777 ihre erste Sizzung hielt, entworfen von Johann Wolfgang Helmes, Kurfürstl. PfalzSulzbachischen Regierungsadvokat und Mitglied der teutschen Privatgesellschaften zu Altdorf und Heidelberg. "Pinselstriche" — man gibt sich genialisch-fragmentarisch; "Christmonat" — man gibt sich deutsch, jedenfalls mit viel mehr sprachpflegerischer Absicht als die vorige Generation.

Zu den frühesten in der Schachtel aufbewahrten Gedichten gehört eines aus der Zusammenstellung, die Friederich gegen seine Gewohnheit einmal gemacht haben muß. An M.D. im Jahr 1777, d. 9. Jan. — Weitere Titel mit zeittypischem Klang sind: Lied eines Deutschen, An mein Mädchen und An die Sterne. Man erwarte keine Schubart'sche oder gar Goethesche Jugendlyrik unter diesen Überschriften. In der Wahrnehmung und bei den Gegenständen auf der Höhe der Zeit zu sein, bedeutet eben noch nicht, daß man auch den stärksten Ausdruck dafür findet.



Friederich, der Schillernde

Dennoch lohnt es wegen anderer Verdienste, die Person Friederichs noch genauer zu beleuchten. Wer könnte es besser als sein Freund Leuchs? D. Johann Andreas Friederich, Reichsstadt Nürnbergischer ordentlicher Advokat. Eine treue biographisch karakteristische Schilderung, im Namen des Pegnesischen Blumenordens, dessen würdiges Mitglied und thätiger zweiter Consulent er war, gefertiget von einem seiner Freunde und Kollegen, D. Leuchs. Nürnberg, 1802.

Friederich war etwa ein Altersgenosse Schillers, geboren am 26. Februar 1758. Sein Vater war "Großpfragner" (Lebensmittel-Großhändler) und Salzhändler. Es war nicht selbstverständlich, daß man bei solcher Herkunft Jura studierte. Er war eben ein tüchtiger Schüler und fand Gönner. Schon auf der Schule war er übrigens mit Link zusammen. Später studierte er eine zeitlang in Jena, dann wieder in Altdorf. 1781 begann er seine Berufslaufbahn als "außerordentlicher Advokat" in Nürnberg, wurde bereits ein Jahr später als "ordentlicher Advokat" zugelassen und konnte in dieser Stellung ans Heiraten denken. Seine Erwählte war die älteste Tochter "des ehemaligen Vorstehers des Pegnesischen Blumenordens, des verstorbenen Doctors und Professors der Theologie, Johann Augustin Dietelmairs zu Altdorf." Hieraus erklärt sich zum guten Teil, wie die "teutsche Privatgesellschaft" später zum Blumenorden kam; was an der Erklärung noch fehlt, ergibt sich aus Friederichs Charakter: Er war ein leidenschaftlicher Pläneschmied, um nicht zu sagen Intrigant, und als Jurist ein Naturtalent. "Während Link ängstlich über dem Buchstaben des Gesezes brütete, spührte Friederich dem Gange der Cabale nach, und während Jener an einer gelehrten Deduction arbeitete, hatte dieser mittelst seiner Welt- und Menschenkenntnis die Cabale erreicht und durch Beredsamkeit besiegt. In den meisten Processen, von welchen ich weiß, daß Friederich Links Gegner war, verlohr Lezterer; [...]"


Sein Pläneschmieden artete allerdings zuweilen in Luftschlösserbau aus. Wie sollte es nicht — ohne Gewerbefreiheit, ohne große Kreditanstalten. Viele aufgeweckte Köpfe machten sich in jener Zeit Gedanken, wie der drückenden Enge und den Geldsorgen eines klein- oder mittelstädtischen Gelehrtenlebens mit Finanzprojekten oder Landgut-Bewirtschaftung zu entkommen wäre. Wieland, Heinrich von Kleist... Von den wenig bemittelt geborenen Schriftstellern jener Zeit gibt es fast keinen, der nicht Projekte gemacht hätte, und keinen, dem sie gelungen wären. (Selbst Goethes Freund Merck verspekulierte sich und nahm sich das Leben.) Und Friederich: "[...] sein Geist ließ sich durchaus nicht an einerlei Gegenstände fesseln. So verfiel er mit unter, auf Projecte und Negotiationen." Manche sollen geglückt sein, seltsamerweise aber nicht die, worin er auf eigene Rechnung arbeitete. Auch beruflich ging nicht alles glatt. Ab 1794 war er Genannter des Größeren Rats — eine Ehrenstelle, ohne jede Besoldung. Als er sich bei der Beförderung übergangen fühlte, zeigte er die Charakterfestigkeit, sie niederzulegen, grämte sich aber nicht, weil, wie er sich richtig vorsagte, "[...] wenn er jene Stelle erhalten hätte, sie ihm mehr schädlich als nüzlich gewesen wäre [...]" Nebenbei arbeitete er wissenschaftlich, und zwar das Handels- und Finanzwesen betreffend, und leitete seine Aufsätze den zuständigen Behörden zu. (Hier haben wir wieder eine der Quellen, aus denen sich die industrielle Wiedererweckung Nürnbergs im 19. Jahrhundert speiste.) Er dilettierte auch auf theologischem Gebiet. (Ob er sich damit seinen Schwiegervater warmhielt?)

Am liebsten aber widmete er seine Freizeit der Dichtkunst. Er hätte nach Schätzung seines Freundes Leuchs zwei Oktavbände gesammelter Gedichte herausgeben können, aber nur weniges wurde verstreut in Almanachen veröffentlicht, das meiste ging wohl verloren. Ihm war das gleichgültig. (Illusionsloser Welt- und Menschenkenner, der er war, machte er sich wohl auch bezüglich des ästhetischen Wertes seiner Sachen nichts vor. Dichten machte ihm halt einfach Spaß.) In den Orden wurde er 1786 aufgenommen, und es hätte jeden gewundert, wenn er nicht 1788 schon zweiter Ordensrat geworden wäre. (Von diesem Trubel später mehr.) "Als unser jezige[r] verdienstvolle[r] Präses, Herr Doctor und Schaffer Panzer, den schönen Entschluß faßte, den Orden von mancherlei alten auf unsere Zeiten nicht passenden Flecken zu reinigen, dafür mehr innere Würde in solchen zu legen, mehr Geist darein zu bringen, und ihn an eigentliche gelehrte Gesellschaften anzureihen; kurz, als Panzer zu unserm immerwährendem Dank, als zweiter Schöpfer des Pegnesischen Blumenordens auftrat; da war Friederich [eine Fußnote stellt ihm Colmar an die Seite] überaus geschäftig dabei [...]".

Leuchs rühmt ihn als guten Erzähler; es scheint, daß er in Gesellschaft mit der Fertigkeit glänzte, Heiterkeit um sich her zu verbreiten. Ohne ausgebildeter Sänger zu sein, gefiel er durch vorzüglichen Liedvortrag mit starker Tenorstimme. Sein Fehler war (wie gesagt, teilte er ihn mit den Besten), daß er Landwirtschaft zu seinem Steckenpferd machte. Dadurch hätte er beinahe seine Familie ruiniert. Bevor das geschah, starb er. (Soll man sagen: zum Glück? Ja, Faulwetters Beispiel legt es nahe; davon später mehr.) Er war nur 43 Jahre alt geworden. Die Schilderung seiner Todesstunde deutet auf Herzinfarkt. Bei der Leichenöffnung bemerkte man "Engbrüstigkeit" und, daß sein Herz "mit Fett überwachsen" war. "Die Gelehrtenrepublik verlohr an ihm einen Mann von vielen Kenntnissen, ohne es selbst recht gewußt zu haben, weil er sich nicht öffentlich dafür bekannt machte." Und wieso nicht? Ansonsten wußte er doch, daß Klappern zum Handwerk gehört, und machte dabei, dank seinem angenehmen Temperament, eine gute Figur. Er wird aber zu klug gewesen sein, um mit gewissen fortschrittlichen Ansichten bei der Nürnberger Obrigkeit anzuecken. Man durfte anscheinend wohl dies und das vorschlagen, aber niemals die Stellung der Stadt im herkömmlichen Machtgefüge nach außen hin in Zweifel setzen. Sollten Nürnberger etwa doch Napoleon für das Ende dieses Spuks dankbar sein, auch wenn er ihnen letztlich die Bayern beschert hat?


Aktivitäten der 'deutschen Privatgesellschaft

Johann Albert Colmars Schriften für die "teutsche Privatgesellschaft" sind am saubersten zusammengestellt, -geheftet und auch am leserlichsten geschrieben. Er wurde am 11. November 1778 aufgenommen und hielt eine Eintrittsrede. Schon am 2. Dezember 1778 war er wieder an der Reihe: Er las über den Streit der Horazier und der Curiazier. (Das Thema diente einige Jahre später Jacques Louis David zu einem republikanischen Gemälde.) Es scheint üblich gewesen zu sein, daß reihum eines der übrigen Mitglieder zu solchen Vorträgen Rezensionen schrieb. Das entsprechende Blatt Angerers liegt bei. Colmar fand offenbar Anklang und ließ sich davon anspornen. Zum Abschied Drechslers am 24. März 1779 lieferte er wieder vier Oktav-Seiten. Und unter dem Datum vom 21. April 1779 findet man ein Geheft von zwölf Seiten, acht davon reine Textseiten, mit einer Übersetzung Colmars aus dem Ovid: Phillis an Demophoon.

Das Frühjahr 1779 scheint in der Gesellschaft besonders geschäftig verlaufen zu sein. Angerer wagte sich mit etwas Satirischem vor die Leute: Der Landgeistliche im Coelibat, ein Gedicht in der Altdorfischen Deutschen Gesellschaft vorgelesen von Johann Gottfried Angerer. D. 17. März 1779. Ein anderer tat dem bardenseligen Zeitalter den Gefallen, jene berühmte literarische Fälschung wiederum teilweise ins Deutsche zu bringen — Goethes Werther tat's ja auch —: Johann Balbach, Ossians Colmar und Colmal, Nach Macphersons Ausgabe, dieses Dichters, aus dem Englischen übersezt, Altdorf im Monat April 1779.

Über Balbach schreibt Nopitsch in der erwähnten Ausgabe des "Nürnbergischen Gelehrtenlexikons", daß er 1757 als Sohn eines Bäckers in Nürnberg geboren war. Er besuchte die Lorenzer Schule und studierte dann in Altdorf Philosophie und Philologie (u. a. bei Will und Nagel), Theologie (u.a. bei Dietelmair) und wurde Hauslehrer bei dem Dozenten Dr. Riederer. Erwähnt ist auch seine Mitgliedschaft in der deutschen Privatgesellschaft, "in der er allerlei gute Aufsätze lieferte und theils zum Druck brachte." Mit seiner Berufslaufbahn ging es nicht sehr gut voran; er war 11 Jahre lang Kandidat, davon 9 Jahre Katechet bei St. Peter, bevor er 1791 Zweiter Hospitalprediger wurde. Kein Wunder, daß er aus seiner — damals noch recht seltenen — Beherrschung der englischen Sprache Gewinn schöpfen wollte und unter anderem zum Druck gab: Tales of Ossian, for use and Entertainment. Nbg. 1784, 2. Aufl. 1794 — A new Collection of Commercial-Letters. Ein Lesebuch für diejenigen, welche die englische Sprache in Hinsicht auf Kaufmännische Geschäfte erlernen wollen. Nürnb. 1789. Dazu vier bebilderte Werke über Neu-Süd-Wales, 1791 bis 94. (Die Bereitschaft, wenigstens in Gedanken bis nach den Antipoden zu schweifen, ist in den beengten Verhältnissen dieser Jahre ein Silberstreif am Nürnberger Horizont.) Balbach verfaßte auch moralische Jugendschriften, etwa Lebensgeschichte der Rosine Meyerin; oder die glücklichen Folgen eines guten Verhaltens. Ein Lehrbuch für Mädchen und Jünglinge zur Beförderung einer würdigen Ausbildung ihres Geistes und Herzens. Mit Kupfern. (Nach dem Englischen) Nürnb. 1793 — und erinnert dadurch an den Umstand, daß das Aufkommen einer speziell für Jugendliche verfaßten Literatur oft nach englischem Muster betrieben wurde.

Am 28. April 1779 nahm sich Link der Theorie der Sprachpflege an und hielt Eine Vorlesung über Sprache, und ihren Einflus in Sitten und Denkungs-Art der Menschen, [...] Den Zusammenhang einmal in dieser Richtung zu sehen, war damals gewiß noch außerordentlich, wenn erst im nächsten Jahrhundert eine autoritative Stellungnahme dazu durch Wilhelm von Humboldt erfolgte.

Colmar wurde abermals tätig: Über das Mitleid, den 9. Junius 1779 vorgelesen von Colmar ist die vierte seiner "Vorlesungen", die er fortlaufend bezifferte. Zwei Rezensionsblätter liegen bei, das eine von Goez, das andere anscheinend von Link. Colmars fünfte Vorlesung war am 24. August 1779 fällig; sie besteht aus einem Teil A: Die Zufriedenheit, Horaz nachgeahmt, Buch II ode 18 und einem theoretischen Teil B: Über die Übersezung. Ein Fragment. Rezensiert wurde der Vortrag von Link.

Ebenfalls zwei Teile hatte die sechste Vorlesung, die Colmar am 20 Oktober 1779 hielt: Teil A Der Tadler und Teil B Abschied von meinem lieben Dörfgen, ein Gedicht. Dazu schien Colmar eine Anmerkung notwendig, da er ja schließlich nicht zu der Gesellschaftsklasse gehörte, die ein Dorf ihr eigen nennen konnte. Wir haben an dieser Anmerkung ein besonders schönes Beispiel dafür, wie das Ablösen eines besitzsprachlichen Ausdrucks von seiner ursprünglichen Bedeutung seelische Güter statt der materiellen möglich macht, sie aber dadurch auch um ihre rein seelische Funktion bringt; plötzlich wird die Freundschaft eine Art von Ware, oder genauer, von Währung, womit man Empfindungen von Gütern anderer Menschen erwerben kann, als ob sie einem selber gehörten: "Almeshof, bei Nürnberg. Ein Teil davon gehört dem Vater meines Freundes von Praun. Obgleich keine Scholle mein war, so war doch, durch den Besiz der Freundschaft, alles mein."

Das Leben ein Traum, Oeuvres du Philosophe de Sans Souci, p. 28. vorgelesen d. 8. des Christmonats 1779 von Colmar. Rezension von Leuchs.

Ein formeller Jahresabschluß gehörte nun offenbar zu den Gepflogenheiten. Link, der allem Anschein nach als das Haupt der Gruppe angesehen werden muß, lieferte acht Doppelblätter, in denen eine Übersicht sowie ein Gedicht geboten wurden: Am Schluß der teutschen Gesellschaft, im Jahr 1779. Vielleicht handelt es sich bei dieser Neueinführung um den Versuch, eine Standortbestimmung vorzunehmen, denn es scheint Spannungen gegeben zu haben. Jedenfalls wurden die Mitglieder, wie schon unter Lilidor I. im Blumenorden, zu Verbesserungsvorschlägen der Satzung angehalten, und einige beeilten sich mit Entwürfen. Schon am 16. Januar 1780 waren Colmars "Verbesserungsvorschläge" zur Stelle. Link selbst datierte sein Opus nicht, ließ sich aber ganze sechs Seiten einfallen: Revision der Sazung und Ordnungen und Gebote der teutsch. Gesellschaft, von einem ihrer Mitglieder, Karl Link. Und noch ein Schreiben lief ein: Scherflein zur Revision der Geseze der deutschen Gesellschaft, von J.[ohann] A.[dam] Goez.

Von letzterem erscheint solche Beteiligung zunächst überraschender als etwa von Friederich, der sich aber hier zurückhielt; Goez ist in der Schachtel sonst nur durch einige Gedichte (und die erwähnte Rezension) vertreten. Wieder berührt es sonderbar vertraut, die Titel seiner Gedichte zu lesen: Todtengesang — Wohltäthigkeit gegen die Armen — Freundschaft — Luna — Auf seine Taube — Anakreon an die Leier — Anakreon auf die Mädchen — Anakreon auf den Eros — An den Mond. Er war 1756 in Nürnberg geboren und hatte 1775 in Altdorf zu studieren angefangen, "wo er sowohl ein Mitglied der lateinischen öffentlichen als auch der deutschen Privat-Gesellschaft daselbst war." Diese Unterscheidung aus dem Nürnbergischen Gelehrten-Lexicon, das ihn übrigens "Göz" schreibt, zeigt in aller Schärfe, wie die institutionalisierten Übungsstunden für die Disputationen, die am Ende der akademischen Ausbildung zu stehen pflegten, das Muster abgegeben haben müssen für die auf eigene Initiative errichteten geistigen Freiräume, in denen man einander auf deutsch Aufgaben vorlegte, die zu bürgerlicher Verantwortung für das Gemeinwesen befähigen sollten. Und Goez brachte sogar derartige Ausarbeitungen noch in Altdorf zum Druck; Nopitsch nennt u.a. Ueber das Wollüstige im Studiren. Unserm von Scheurl bey seinem Abschied geheiligt. Altd. (1778.) und Ueber den Einfluß des guten Herzens in die Empfindung des Aesthetisch-schönen. Unserm Friedrich [sic] geheiligt. 1779. Vielleicht finden sich diese Arbeiten, die deutlichen Bezug auf die Privatgesellschaft verraten, nur deswegen nicht unter ihren Papieren, weil ein Drucker damals das Manuskript in der Regel nicht zurückerstattete sondern makulierte, sobald der Druck beendet war. Goez, der mit Titeln dieser Art an das pädagogische Hochgefühl eines Basedow'schen Philanthropinen erinnert, brachte es 1788 zum Lehrer an der Schule von St. Sebald, 1800 zu ihrem Rektor.

Die eigentliche Arbeit der Gesellschaft wurde durch die Erörterung der Satzung nicht aufgehalten. Es scheint, daß die Studenten jener Tage nicht nur keinen Ekel davor empfanden, Aufsätze zu schreiben; man hatte im Laufe ihrer Ausbildung von ihnen derartige Ausarbeitungen verlangt, aber auf lateinisch und oft mit unzeitgemäßer Problemstellung, und sie müssen einen starken Reiz empfunden haben, ihre Gedanken — neuartig empfundene! — nun auch auf deutsch niederzulegen. Im Grunde holte diese Generation nach, was auf höherer Ebene schon zu Huttens und Melanchthons Zeiten fällig war und von einzelnen in wenigen Gattungen auch geübt wurde, nämlich, den lateinisch- und griechischsprachlichen Humanismus zu nationalisieren. In anderen Ländern hatten diese Bestrebungen in die Breite gewirkt; bei uns war noch Harsdörfer ein Wegweisender unter mehreren, aber nicht eben vielen gewesen. Die alten Ziele des Pegnesischen Blumenordens waren um 1780 bei einer neuen Schicht und Altersgruppe ganz gut aufgehoben, wenn die Verbreiterung des Ansatzes auch zunächst auf dem Niveau des Schulaufsatzes daherkam und die Gediegenheit einzelner Leistungen barocker Gelehrter nicht erreichte. Aber gerade weil die jungen Leute sich der Sache annahmen, um sich von den alten Zöpfen abzusetzen, ganz unbekümmert um Vergleiche mit den Spitzenleistungen anderer Zeiten, im Vollgefühl der Originalität (auch wenn es trog) — gerade deshalb hatte die deutsche Kultur auf einmal Zukunft. Von der Null-Bock-Mentalität unserer Achtzehnjährigen hatten diese Studenten jedenfalls nichts. Sie mußten ja auch solche Dinge nicht im Rahmen regelmäßiger Leistungserhebungen verzapfen. Sie beurteilten einander gegenseitig. Das sollte man einmal wieder zulassen, auf die Gefahr hin, daß die Unwilligen und Unfähigen sich drückten, und die geplagten Deutschlehrer könnten aufatmen. (Wenigstens erhält es von daher Sinn, daß der Pegnesische Blumenorden seit 1994 Deutsch-Facharbeiten aus der Kollegstufe prämiiert.)

Der unermüdliche Colmar lieferte das Manuskript einer ganzen Vorlesungsreihe: Ciceros Paradoxa (Geheimnisse) an Marcus Brutus. Eine Übersezung. vom 23. Febr. bis den 15. März 1780 vorgelesen v. Colmar. Das war seine Abschiedsvorstellung, denn er ging zeitweise an eine andere Universität. Zuletzt ließ er auf seine sorgfältige Weise noch ein Geheft mit 5 Seiten Text zurück: Beim Abschied an die Mitglieder der teutschen Gesellschaft. d. 15. März 1780 vorgelesen v. Colmar samt einem Verzeichnis meiner sämtl. Arbeiten. Hier kündigt sich der spätere gewissenhafte Präses des Blumenordens an.

Link datierte ein zweiseitig beschriebenes Oktavblatt vom 21. Juni 1780, auf dem die Rezension eines Aufsatzes ohne Namensnennung des Verfassers zu finden ist. Entweder handelt es sich um eine Selbstrezension — auch Schiller schrieb anonym über eigene Werke —, oder das Thema erschien so gewagt, daß man den Verfasser vorsichtshalber nicht nannte. Es hatte gelautet: Vaterlandsliebe, meist nur fromme Chimäre. Damals bedeutete 'Vaterland' ja zunächst die kleinste politische Einheit, in der man geboren und herangewachsen war, in unserem Falle die "Nürnbergischen Vaterländer" von Hersbruck bis Lichtenau. Irgendwelche Ausfälligkeiten gegen diesen Lokalpatriotismus hielten selbstverständlich die Stürmer und Dränger Altdorfs nicht davon ab, glühende deutsche Patrioten zu sein; im Gegenteil: sie waren die Folge des erweiterten Nationalbewußtseins.

Das nächste Doppelblatt ist undatiert und trägt zwei kürzere Aufsätze von Links Feder: Rhapsodien (wenn man nicht "Barde" sagte, sagte man "Rhapsode" und meinte in beiden Fällen einen unter Eingebungen in offenen Formen improvisierenden Verfasser) sowie Was ist Welt, Lebensart, guter Ton? Übrigens wird in der "Rhapsodie" aus Lessings Nathan zitiert, der gerade erst im vorhergehenden Jahr veröffentlicht worden war. Dahinter liegt in der Schachtel ein weiteres Doppelblatt von Link mit den zwei Aufsätzen: Warum man doch so gerne vom Einzelnen aufs Ganze schließt? Vorgelesen den 5. Jul. 1780. und Nähere Bestimmung der Begriffe: Fleiß und Thätigkeit.

Wenige Tage später, am 11. 7. 1780, muß es in einer Versammlung der Gesellschaft hoch hergegangen sein. Link bemühte sich sehr, zu kitten, was auseinanderstrebte, indem er schon mit dem 13. 7. ein Grundsatzreferat (im gewöhnlichen Format und Umfang) herausbrachte: Beilage zur Geschichte der t. Gesellschaft, die ohne gewisse Seitenstücke allen ausser uns unverständlich seyn wird. Es ging aber um die Streitfrage, ob noch weitere Patrizier aufgenommen werden sollten. Die "deutsche Privat-Gesellschaft" wurde in vorliegender Übersicht als eine Vereinigung bürgerlicher Studenten dargestellt, doch sollen damit von Ebner, von Praun, von Scheurl und andere nicht zu Bürgern im ständischen Sinne erklärt werden. Zugespitzt lautet die Schwierigkeit, in die jene Studenten damals kamen, ob jungen Leuten patrizischer Herkunft zugetraut oder zugemutet werden könne, sich die bürgerlichen Ideale zu eigen zu machen. Schunther sprach sich dagegen aus, als es darum ging, von Winkler und von Grundherr aufzunehmen. Zum Glück entstanden daraus keine langanhaltenden Zerwürfnisse, weil Schunther sich ohnehin anschickte, den Studienort zu wechseln.

Der Handschrift nach muß das Gedicht Unserem Schunther. bei seinem Abschied. Altdorf den 16. Sept. 1780. von Link sein. Es trägt in großer Schrift den Vermerk "Imprimatur" (mit unleserlicher Unterschrift), wurde also dem Zensor vorgelegt, um veröffentlicht zu werden. Der Bescheid erging übrigens erst am 2. Dezember. Vielleicht erschien es dann gar nicht mehr im Druck, weil dieser sonst liebevoll aufbewahrt worden wäre. Schunther hatte der Gesellschaft bis dann anscheinend nur eine undatierte Abhandlung vorgelegt, die das Konzept einer Vernunftreligion und deren moralische Konsequenzen zum Thema hatte. Er ging nach Göttingen, und sein Tagebuch aus der dortigen Studienzeit gelangte hinterher wieder in diese Sammlung, ein Oktav-Büchlein von 92 Seiten mit Papp-Einband, dessen erster Eintrag überschrieben ist: "Göttingen am 2ten October 1780".

Um dem undeutlichen Bilde Johann Andreas Schunthers (oder Schunters) ein wenig aufzuhelfen, entnehmen wir dem Nürnbergischen Gelehrtenlexikon: "Derselbe widmete sich den Rechten und den schönen Wissenschaften, studierte von 1777. bis 1781. in Altdorf und Göttingen, war ein vortrefflicher Dichter, von dem Bodmer schon im J. 1779. das Urtheil fällete, daß er dem Klopstock gleich käme und denselben in der Folgezeit weit hinter sich zurücklassen würde. [Müssen Bodmer und Klopstock sich gestritten haben!] Er gieng in Dänische Militärdienste [...] Ehe er nach Frankreich gieng übergab er seinem Freund D.G.Ch.C. Link, zu Nürnberg, eine Sammlung von seinen Gedichten und Aufsätzen im MS. mit dem Auftrage selbige zum Druck zu befördern, so bald er ihn die Erlaubniß dazu ertheilen würde. Allein diese Erlaubniß erfolgte nicht, und Link starb 1798."

Es blieb im Herbst 1780 anscheinend Link alleine vorbehalten, der Gesellschaft Vorträge zu bieten. Er griff lieber innerhalb des üblichen Umfangs mehrere Themen auf und handelte sie knapp ab, wie um mehr Gelegenheit zur Aussprache über seine Thesen zu geben. Das wäre auch eine geeignete Maßnahme gewesen, den anderen wieder Lust auf eigene Beiträge zu machen. Am 8. November 1780 waren folgende Gegenstände auf der Tagesordnung: Über die Ehe. Einige abgerissene Säze. — Religion: Dabei handelte es sich um eine Abgrenzung von der Orthodoxie. (Und das auf der Nürnbergischen Universität! Wenn das kein Reizthema war!) Übrigens zitierte Link darin nicht nur Sulzer, sondern den materialistischen Gottseibeiuns La Mettrie. Es folgten für die gleiche Zusammenkunft noch Raritäten und Kollektionen; wie man sich vorstellen kann, half derart geschickte Themenwahl der Gesellschaft wieder auf die Sprünge, bevor sie, wie leider der Blumenorden, ins Langweilige und Gewohnheitsmäßige absacken konnte. Vielleicht ist Link dem einen oder anderen dabei auch einmal zu weit gegangen. Jedenfalls entspann sich eine — vielleicht nicht gar zu ernst gemeinte — literarische Fehde in der Gesellschaft.

Es berührt seltsam, den Abtausch der im folgenden genannten Schriften zu verfolgen. Schließlich hätten die zwei Kontrahenten die Sache ja auch mündlich in einer Altdorfer Wirtschaft austragen können. Daß man sich hinsetzte, Repliken und Dupliken schrieb wie zwei Jahre zuvor Lessing und der Hauptpastor Goeze, zeigt das halb Spielerische, halb Modellhafte dieser Einübung in die Rolle des Staatsbürgers. Außerdem schielte man wohl auch ein wenig auf die Nachwelt, was den jungen Leuten ein gewisses Verantwortungsgefühl zu ihrem Selbstbewußtsein hinzu eintrug.

Link, Rhapsodische Betrachtungen — Von Grundsäzen, den 6. Dec. 1780. — Mannert muß darauf in einer Weise geantwortet haben, von der kein Zeugnis mehr vorhanden ist. Von den Grundsäzen, Antwort auf Hr. Mannerts Einwurf. — Link, Anmerkungen über den Aufsaz von Grundsäzen. — Mannert, Von den Grundsäzen. Antwort der Antwort des Hr. Link. — Meine schlüßliche Antwort auf Hrn. Mannerts Duplik.

Conrad Mannert erwies sich im Hinblick auf die Häufigkeit seiner Beiträge als würdiger Nachfolger Colmars neben Link. Am 16. Januar 1781 hielt er den Vortrag Entwurf einer Lebensbeschreibung des Königs in Polen Stanislaus Lescynski. Dazu liefen zwei Rezensionen ein, die als Einzelblätter beigelegt sind; eines davon ist "Siebenkees" unterschrieben.

"Siebenkees eigentlich Siebenkäs (Johann Philipp)" war 1759 als Sohn des Organisten von St. Sebald geboren. Seine Mutter war eine geborene Nopitsch. Er besuchte die Schule von St. Lorenz und bezog 1778 die Altdorfer Universität, um Philosophie, Philologie und Theologie zu studieren. Unter seinen akademischen Lehrern sind hervorzuheben sein Vetter Siebenkees, Dietelmair, Nagel und Will, bei dem er sich im Disputieren übte. "In einer deutschen Privatgesellschaft, die sich damals zu Altdorf hervortat, hat er allerhand artige Materien bearbeitet [...] auch war er Mitglied der dasigen lateinischen Gesellschaft." Nun nahm seine Laufbahn eine ziemlich ungewöhnliche Wendung: Als Hofmeister hatte er Gelegenheit, nach Venedig zu reisen; es folgten Reisen nach Rom und Neapel. 1789 wird er Mitglied der Gesellschaft der Volscer zu Velletri. Man möchte fast sagen, er wiederholt im kleinen Harsdörfers Bildungsreise und Kontakte. 1790 finden wir ihn wieder in Nürnberg, und schon 1791 wird er außerordentlicher Professor der Philosophie und Lehrer der abendländischen Sprachen zu Altdorf. Die ordentliche Professur der Sprachen erhält er 1795. Auch Archäologie gehört zu seinem Lehrgebiet. Er unterstützt Will während dessen Alterskrankheit, stirbt jedoch schon 1796 selber "am Schlag".

Mannert ist im Jahre 1781 auch der Autor eines Stückes von seltenem Humor. (Humor ist bei der Betrachtung der überlieferten Pegnesen-Werke der letzten und vorletzten Generation nicht mehr untergekommen; auch daran, wird nachträglich klar, ist der Niedergang abzulesen. "Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, der ist gewiß nicht von den Besten.") Mannert jedenfalls hielt eine Art "Maikäferrede", d.h. er parodierte in gelehrtem Gewand das Bemühen der Deutschen Gesellschaft, sich um Städtchen und Nachwelt verdient zu machen, indem er die Perspektive nach Mauretanien verschob: Kurzer Entwurf einer Geschichte des Völkerstammes der Mauren. Darin ergeht er sich in Betrachtungen, wie er einmal von den Mauren als "der gröste Geschichtschreiber den ie das barbarische Volk der Franken aufzeigen konte" zitiert werde. Nun ja, er und Siebenkees brachten es in diesem Fache immerhin zu einer Professur. Er wurde in einer Hinsicht sogar der Nachfolger des letzteren:

Geboren 1756, hatte Conrad Mannert ab 1778 in Altdorf bei Nagel, Will und Jäger studiert, wurde 1783 Magister und wird im Gelehrtenlexikon als Mitglied der deutschen Privatgesellschaft bezeichnet. (Nopitsch wußte offenbar nur bei wenigen, über die er Einträge schrieb, von dieser Mitgliedschaft.) Ab 1784 schlug sich Mannert vorwiegend als Französischlehrer durch, folgte 1797 Siebenkees auf dem Gebiet der abendländischen Sprachen als ordentlicher Professor nach und vertrat auch das Fach Geschichte. 1801 wurde er Ehrenmitglied der Herzoglichen lateinischen Gesellschaft in Jena und übernahm 1803 die wissenschaftliche Leitung der weithin bekannten Homännischen Landcharten-Officin in Nürnberg. Er hat es nicht verdient, daß die nach ihm in Nürnberg benannte Straße keine gute Adresse ist, jedenfalls nicht für die, welche dort unfreiwillig wohnen.

Link las am 4. April 1781 wieder Rhapsodien, und zwar über die Themen Was ist rechts? Was ist links? sowie Ehre und Schande. Ein Rezensionsblatt liegt bei; der Schrift nach könnte es von Mannert stammen. Von Mannert unterzeichnet ist der Rezensionszettel vom 24. 6. 1781, der weiteren Rhapsodien Links beiliegt. In diesen finden sich recht aufmüpfige Sätze, z.B.: "Wie ich glaube, herrscht im Durchschnitt in ganz Teutschland gleiche Aufklärung, oder eigentlicher gesprochen, gleiche Finsternis. Wenn in d. Berliner Realschule Griechische Reden gehalten, und in den dasigen Kirchen eigentlicher Unsinn gesungen wird, so darf der höllschleudernde Pfarrer B. in unserer lieben Vaterstadt noch immer nicht als Wunderthier im Reich der Intoleranz genannt werden. [...] Pöbel bleibt überall Pöbel — und der grosse Pöbel macht überall die herrschende Kirche aus. [...] Schulprämien wollen mir schlechterdings nicht gefallen. Sie ernähren den Geist der Milchzähne in den Seelen der Jünglinge, der nicht zu früh abgelegt werden kan." Die letzte Aussage wäre eines GEW-Funktionärs würdig — oder eines egalitären Elternbeirats, wie ihn manches Gymnasium noch vor zehn Jahren hatte. Wir müssen aber nicht glauben, dieser Jüngling Link in seinem Freiheitsrausch wäre nicht mehr darauf aus gewesen, daß der Mensch etwas Rechtes lerne. Dies zeigt sich an seiner Verzweiflung über den alten Schlendrian an den neugegründeten Realschulen, die ja eigentlich dafür bestimmt waren, der aufkommenden Industrie brauchbare Ingenieure heranzuziehen. Hierin denkt er ganz bürgerlich, und nicht neusentimentalisch-pädagogisch. Insofern darf er als Vorläufer einer Richtung gelten, die es nach 1820 in Nürnberg zum Aufbau einer polytechnischen Lehranstalt brachte. Seine Protesthaltung ist noch ganz außenseiterisch und daher nicht so sehr in Gefahr, ins Blind-Ideologische abzurutschen, wo diejenigen sich treffen, die urteilen, ohne hinzusehen. Link hat sich noch zu wehren gegen Leute, die sich im Alleinbesitz der Wahrheit wähnen, und macht noch nicht denselben Fehler. Er mißt lediglich die Ergebnisse aufklärerischer Neuansätze an ihrem eigenen Anspruch und stellt resignierend fest, daß diese nicht bloß die Erwartungen enttäuschen, sondern daß die Dunkelmänner wieder (im Berlin des Philosophenkönigs) bzw. immer noch (in Nürnberg) obenauf sind. Nebenbei wischt er eine Art von pietistischer Gesangbuchlyrik beiseite, wie sie gerade von Pegnesen des letzten halben Jahrhunderts immer wieder verfaßt worden war. Daß der Pöbel aus den oberen Gesellschaftsschichten — ein schon bei Gottsched beliebtes Paradox — die herrschende Kirche ausmache, ist dabei nicht im Sinne einer Beschimpfung der Kirche zu sehen, auch wenn Link das wohl auch fertiggebracht hätte, sondern in übertragenem Sinn: Statt 'Kirche' lies 'Partei'. Und so stimmt's ja wohl.


Link, der Linkische

Ein wenig von der Wahrheitsliebe muß man allerdings auch der Mentalität auf die Rechnung setzen; ganz geistig kommt so etwas selten daher. Es ist nun Zeit, den vorher zitierten Nachruf auf Link etwas genauer anzusehen. Er war am 3. 12. 1757 als Sohn eines Jura-Professors in Altdorf geboren. Alte Gelehrtenfamilie. Mit neun Jahren nahm man ihn aus der öffentlichen Schule und übergab ihn der Erziehung durch einen offenbar sehr guten, nach heutigen Begriffen anti-autoritären Hauslehrer namens Strauß. Als der Vater nach Nürnberg zieht, um als Rechtsanwalt ein wenig mehr zu verdienen — wir erinnern uns, wie es um die Professorengehälter in Altdorf damals bereits steht —, kommt ein Hauslehrer der üblichen Art für den Jungen nicht mehr in Frage. (Für so etwas ist er nun schon verdorben, sozusagen, aber leider auch, wie sich zeigen wird, für gewisse unumgängliche Tugend-Anforderungen der gesellschaftlichen Realität.) Er besucht dann schon lieber das Egidiengymnasium, vor allem die darin traditionellerweise stattfindenden öffentlichen Vorlesungen, unter anderem bei Hartlieb-Sclerophilus. Am 25. 4. 1775 zieht er wieder nach Altdorf, diesmal als Student, aufgenommen vom Onkel, Christoph Karl Link. Er und die oben erwähnten Kommilitonen gründen die "Altdorfische deutsche gelehrte Privatgesellschaft", wie die hier betrachtete Gruppe sich anfangs nennt. Es ist nicht so, daß es Link ansonsten an Beschäftigung fehlt: Seine akademischen Lehrer, denen daran gelegen ist, daß er eine gewisse Befangenheit verliert, spannen ihn ständig für die lateinischen Disputationen ein — von zwölfen ist die Rede — die er, zum Teil ohne Vorbereitung, glänzend besteht. Aber Begabung und Fleiß, das wissen diese Professoren aus ihrem eigenen Leben, geben für sich noch nicht Gewähr des äußeren Erfolges. Fränkische Schicksale! Leuchs erwähnt mehrmals, unter anderen, den Professor Nagel, einen Orientalisten, der zu den ersten Könnern seines Faches in Europa zählt, aber sich einfach nicht verkaufen kann — im Unterschied zu manchem anderen Windbeutel (etwa dem von Lessing nach Strich und Faden fertiggemachten Jenenser Professor Klotz).

Links Hemmung bestand in einem Anstoßen der Zunge. Daher scheute er sich lange, den Juristenberuf auszuüben, und arbeitete nach Abschluß seiner Studien erst einmal als Repetitor für die jüngeren Studenten, verfaßte Gelegenheitsschriften und Übersetzungen. Erst der Tod seines Vaters, dessen Praxis er übernehmen konnte, eröffnete ihm einen nicht gar zu selbstständigen Weg. Sein Ruf als Rechtsanwalt war gut, seine Einkünfte blieben mäßig, obwohl er viel Arbeit hatte. Aber er arbeitete in vielen Fällen für Bedürftige unentgeltlich. Die Kehrseite dieser hochgesinnten Tour war, daß er Gefühle nicht verbergen konnte und mochte, vor allem, wenn es um seine Ablehnung allen Geburts- oder Geldadels ging. Allein Verdienste um das öffentliche Wohl konnte er achten, und seine Freiheitsliebe ging so weit, daß er nicht heiratete. Als Rohköstler — vermeintlich wie die alten Germanen — lebte er dahin, wenn auch nicht sehr gesund, und verstarb "am Stickfluß" (Embolie?) am 10. 11. 1798.



Höhepunkt der 'deutschen Privatgesellschaft

Ja, der akademische Nachwuchs Nürnbergs war politisch unzuverlässig geworden. Mannert las am 1. Juli 1781 eine Übersetzung aus Voltaires Candide, des 25sten Cap.: nicht das Neueste, aber so lange tot wie Luther war Voltaire nun auch wieder nicht — ganze drei Jahre. Und naturverbunden empfanden sich die jungen Kerle auch noch. Gesellschaftsmusterung, vorgelesen am 5. Julius 1781 zu Markt Allersberg, wohin die sämtlichen Mitglieder unserer Gesellschaft, ausser v. Grundherr, zu Begehung des 1sten Jahresfestes lustwandelten. Von Karl Link, dermal. Sekretair. Erst durften die Guten zu einem Anlaß, der trotz des schon mehrjährigen Bestehens der Gesellschaft zum erstenmal vom Zaun gebrochen worden war, an die dreißig Kilometer einfache Strecke laufen, zum Teil wahrscheinlich durch die Schwarzachschlucht. (Birken und seine Pegnesen hatten in ihrer Jugend auch derartige Streifzüge durch die "Berinorgischen Gefilde" unternommen.) Dann ließ der hier zum erstenmal "Schriftführer" genannte Kommilitone Link allerlei launige Aufzieherei auf sie los. Und dann ging es womöglich wieder zurück nach Altdorf? Selbst wenn es am nächsten Tage geschah — das verbindet, wie Schillers etwa gleichzeitige Räuberspiele auf dem Bopser.

Man denkt bei Links nächsten zwei Titeln auch unwillkürlich an Schubart und Schiller, aber die Zwei Amerikaner Lieder lassen es merkwürdigerweise ganz an Kritik fehlen, und man kann nicht sicher sein, ob sich in dem Aufsatz Über den Saz: Die Tugend ist um ihrer selbst willen zu begehren tatsächlich schon kantianischer Einfluß bemerkbar macht. (Das konnte ja ein Christ schon lang sagen. Bloß hätte er vermutlich 'Gotteskindschaft' oder dergleichen statt 'Tugend' gesagt.)

Zum Austritt eines Mitgliedes, dessen Teilnahme vielleicht nie ganz unproblematisch gewesen war, hielt Link eine lange, wohlvorbereitete Rede: den 11. Jul. 1781 bei Hr. von Grundherr, als er abdankte.

Es war die Zeit, in der Cooper's "Lederstrumpf" spielt und die U.S.A. unabhängig wurden. Mannert erweiterte das Bewußtsein seiner Gesellschaftsfreunde in diesem Sinne durch die Nacherzählung einer Begebenheit eines jungen Engl. Officirs unter den wilden Amerikanern, den 13. Sept. 1781. Er griff aber auch geisteswissenschaftliche Theorie dieser Sturm- und Drang-Zeit auf mit dem Beitrag Der Poet, der Erfinder (Genie im guten Verstand) wird geboren: nicht so der schulgerechte Philosoph, der Gelehrte. 17. 10. 1781. Einem ähnlichen Thema widmete sich Link am 30. Januar 1782: Über Litteratur und Gelehrsamkeit, wozu er aber noch ein Gedicht Nichts anhängte, dem die Rezension beiliegt. Nie verlegen um anziehende Themen, handelte er Über Sokrates und Xanthippe. In der teutschen Privatgesellschaft vorgelesen von Karl Link, den 24. April 1782. Und dann tritt in diesen Überlieferungen eine Pause ein. Es ist allerdings durchaus möglich, daß einige der bisher undatiert eingereihten Stücke in diesen Zeitabschnitt gehören, denn der erste Sammler dieser Papiere — höchstwahrscheinlich Link selber — hat auch die datierten nicht immer in zeitlicher Reihenfolge, sondern nach Verfassern geordnet. (Und auch darin herrscht kein eindeutiger Grundsatz.)

Am 11. September 1782 fand bei Riederer wieder eine mehr oder weniger humorige Durchzieherei der Mitglieder statt. Beim 2ten recht solennen JahresFest der teutschen-Privatgesellschaft zu Altdorf vorgelesen von K. Link umfaßt 16 Seiten des kleinen Formats samt Schlußversen. Bemerkenswert für die Sturm- und Dranggefühle scheint mir folgendes kulturfeindliche Zitat: "[...] und wieder ist einem alles so unbehaglich, so enge, daß ich im Sommer immer nackt gehen möchte. Aber man darf nicht, so lange man in seinen Kerker gesperrt ist. Im Himmel muß die Seele ganz nackt gehen; und auf der Erde wird sogar ihr tagtäglich Gehäuse, der Körper, von Leinwand, groben und feinen Tuch, Hasen- oder Fuchspelz gesteckt [sic; ...]" Ein gutes Jahrhundert später findet dieselbe Stimmung innerhalb der Wandervogelbewegung Ausdruck in den Bildern Vogelers, mit dem Unterschied, daß man die christlich beeinflußte Vorstellung, der Körper sei zeitlebens der Kerker der Seele, nicht mehr hat. Im Gegensatz dazu hatten im Spätmittelalter unterschiedlichste Gruppen von religiösen Ketzern ihren Fanatismus erotisch ausarten lassen, und rituelle Nacktheit spielte überhaupt in dionysischen Kulten aller Völker eine große Rolle. Fortschritt des Geistes und Entfesselung des (oft zerstörerischen) Eros gehen Hand in Hand, wenn sie nur eine halbe Chance bekommen. Die von jenen Altdorfer Studenten so herbeigesehnte Helligkeit der Aufklärung hat ein lasterhöhlendunkles Gegenstück: das Aufbegehren dumpf-heißer, in ihrem Kreise wahrscheinlich nur in solcher Andeutung eingestandener Körper-Bedürfnisse gegen all die Gescheitheit und gesellschaftlichen Rücksichten. Jetzt fehlt bloß noch, wie in Goethes Satire, daß man rohe Kastanien als göttlichen Fraß empfiehlt. Freilich lassen es jene Privatgesellschafter bei aller Privatheit nicht dazu kommen, sich vor sich selber lächerlich zu machen. Selbstverständlich wird auch das bald wieder über den Kopf verarbeitet. Rousseau läßt grüßen (statt de Sade).

Mannert gab am 10 November 1782, ganz nach seiner Art, Anekdoten zur Reichsgeschichte zum besten. Link allein scheint es von da an überlassen geblieben zu sein, seine Freunde mit Beiträgen anzuregen, die sich an der Grenze zwischen zivilisierter Erörterung und Wühlarbeit gegen herkömmliche Begriffe bewegen. Über Tapferkeit, Höflichkeit, Complimenten. Eine Vorlesung in der teutschen Gesellschaft von A. [Schreibfehler?] Link. den 12. Febr. 1783. — Skizze von der Ehrlichkeit der Scharfrichter, aus Urkunden. — Warum brandmarkt man doch ein böses Herz mehr als einen schlechten Verstand? mit Rezension von Siebenkees. Dritte Musterung der teutschen Gesellschaft und ihrer Glieder. Nach dem Jahresfest, das den 5. Jul. mit Besichtigung der Festung Rothenberg und Laufs begangen wurde, vorgelesen in der Versammlung bey Hr. Scheurl den 16. Jul. 1783. Die Marschleistung war nicht minder eindrucksvoll als im Jahr zuvor. Rhapsodien. Den 5. Nov. 1783. von K. Link. — Von den Gränzlinien zwischen Hofnungslosigkeit und Verzweiflung. — Sorglosigkeit, ein notwendiges Ingredienz zur Mühe des Lebens. — Nähere Bestimmung des Sazes: De gustibus non est disputandum.

Die Zeit des Abganges von der Hochschule rückt für die Hauptgestalten des Gesprächskreises näher; man merkt ihnen einen leicht unbehaglichen Ernst an. Die schriftlichen Niederlegungen reißen ab; nur Colmar, der von auswärts zurückkehrt und schon eine Stelle zur Probe bekleidet, macht sich in altbewährter Weise die Mühe: Die Jahrsfeier. Eine auserordentliche Vorlesung von Albert Colmar. Den 18. Julius 1784. Bei meinem Aufenthalt als Candidat. Dann verläuft sich der Kreis — nein; im Blumenorden treffen sie sich wieder.


Schon aus dem bisherigen läßt sich ersehen, daß diese letzte Blüte der Altdorfer studierenden Jugend, kurz bevor die Universität aufgelöst wurde, sich neben den literarisch Ansprechbaren der anderen Gegenden Deutschlands durchaus sehen lassen kann, wenn sie auch nicht den Rang der Neuerer erreichen, in deren geistigen Spuren sie wandeln. Es stellt diesen nachmaligen Mitgliedern des Pegnesischen Blumenordens ein gutes Zeugnis aus, wie sie mit Schwung und Fleiß daran arbeiteten, den Anschluß an die literarische und geistesgeschichtliche Entwicklung nicht zu verpassen. Man müßte die Studienerfahrungen und die Jugendwerke dieser Gruppe noch näher erforschen! Sie hat Anteil an derjenigen Traditionslinie, die als Subkultur unmittelbar aus Rokoko und Empfindsamkeit über Sturm- und Drang-Jahre in den vorklassischen Klassizismus führt, fast ohne Übergang zum Biedermeier, vielleicht sogar zum Frührealismus, ohne an der Weimarer Klassik der beiden Größten viel Anteil zu nehmen. Ob man diese in Nürnberg, wenn man den Unterschied zu Leuten wie Wieland überhaupt wahrnahm, begriff und schätzte, müßten Einzeluntersuchungen klären.




Ende und Anfang

Um die Altdorfer Universität sah es seit 1775 so schlecht aus, daß im Jahr nicht mehr als 50 Neueinschreibungen von Studenten erfolgten und die Professoren nicht mehr als 200 Gulden im Jahr Besoldung erhielten. (In Erlangen bekamen die Kollegen 500.) Man spielte mit den Gedanken, die Universität nach Nürnberg zu verlegen, das kam aber nicht zustande. Als 1789 ein Mitglied des Berliner Oberschulkollegiums, Friedrich Gedicke, Deutschland durchreiste und auch über Altdorf Bericht abzustatten hatte, war zu melden, daß dort noch etwa 100 Studenten ausgebildet wurden. Obwohl sich Gedicke anerkennender über manche Professoren äußerte, zumal über Will, als er es über Schiller in Jena getan hatte, konnte er über die Mediziner nichts sagen — die Lehrveranstaltungen waren gerade ausgefallen, da die zwei Medizinstudenten nach Nürnberg geritten waren.

Doch gerade am Ende dieser Epoche schwangen sich Altdorf, Nürnberg, der Blumenorden wieder auf. Dietelmairs Verdienst, wie erwähnt, bestand vor allem darin, daß er junge Leute aufnahm. Zu nennen sind für das Jahr 1775 ein "Candidat Link" (Xenophilus), später Vikar in Hersbruck, (nicht der mehrfach erwähnte Jurist), und ein Diakon Johann Friedrich Frank (Pylades). Der dazugehörige Orestes war Dietelmairs Sohn, ebenfalls auf der theologischen Laufbahn. 1776 kam der junge Jurist Faulwetter hinzu, der bei schmalem Mitgliederbestand die Waagschale weiter auf die Seite der "Neuerer in Wartestellung" drückte. Eine weitere Dame, Maria Mandleitner, wurde unter dem Namen Laura noch 1784 aufgenommen, bevor die Konjunktur für Frauen im Blumenorden wieder einmal auf einige Zeit vorbei war.

Es kamen nämlich heroische Zeiten! Die eigentlichen Umstürzler Karl Link, Leuchs und Friederich, den letzten als Schwiegersohn, hätte Dietelmair sicher selbst noch berufen; es scheint auch, daß er entsprechende Absichtserklärungen schon getan hatte. "Unter Dietelmairs Vorsitz [...] glaubten die damaligen Mitglieder es wagen zu dörfen, verschiedene würdige Männer aufzufordern, sich mit ihnen zu vereinigen, um nicht nur in der Folge dem Orden selbst, durch erneuerte Thätigkeit, auch neues Ansehen zu verschaffen, sondern auch die Wahl ihres neuen Vorstehers nach Dietelmairs Hintritt glänzender zu machen" Panzer stellt also den Vorgang nachträglich so dar, daß man an eine von Nürnberger Mitgliedern ergriffene Initiative denkt, bei Abwesenheit und in Erwartung des baldigen Ablebens Dietelmairs, die auf eine bereits als Gruppe bestehende Anzahl von Leuten gerichtet ist. Diese werden durch Panzers Beiwort 'patriotisch' hinreichend als fortschrittlich denkende Studenten kenntlich. Man konnte so vorgehen, da der Präses diese Personen von Altdorf her kennen mußte und sie wahrscheinlich von ihrer angenehmen und kompetenten Seite sehen gelernt hatte. Nicht gering zu veranschlagen ist auch der Einfluß des Ordensrates Leinker-Monastes, dessen Schwiegersohn Colmar wurde. So konnte der nächste Präses, selbst wenn er schon einen Grund gehabt hätte, dies nicht zu wollen, die Aufnahme dieser Leute zu Anfang seines Präsidiums (1786) nicht gut unterlassen. Merkwürdig erscheint es schon, daß selbst innerhalb der sehr glimpflichen Ausdrucksweise Panzers in seiner Festrede gerade vier Sätze unterhalb der Stelle, wo vom Glanz der Wahl des neuen Präses die Rede ist, dem dann Gewählten "durch das herannahende Alter geschwächte Geisteskräfte" bescheinigt werden. Panzer stellt sich nachträglich ganz auf die Seite der Jungen, obwohl das anfangs vielleicht nicht so schien. Es ist einmal bemerkt worden, eine Revolution könne nur Erfolg haben, wenn die herrschende Klasse in sich gespalten sei und ein Teil davon innerlich auf der Seite der Umstürzler stehe. Das war der Fall mit Leinker-Monastes und Panzer-Theophobus.

Irenäus I. starb leider schon 1785, bevor es richtig losging. Mit ihm wäre die Erneuerung leichter zu machen gewesen. K. Link, Friederich und Genossen hatten darauf jedoch nicht setzen wollen und taten in Anbetracht der kurzen ihm noch vergönnten Frist auch nicht unklug daran. Weiterer Beweis für das allmähliche Einfließen Altdorfer Denkart ist die Bezeichnung, die Frank in seiner Trauerode auf Dietelmair dem Blumenorden angedeihen läßt: "Den traurigen Verlust ihres [...] Vorstehers Irenaei beklaget [...] die deutsche Pegnesische Blumengesellschaft [...] durch ihren innig gerührten Pylades. 1785."


Der aufrückende Präses

Nun war Leinker die treibende Kraft. Etwas eigenmächtig, wie es Wilhelm Schmidt schien, lud er durch Rundschreiben zu einer Präseswahl ein. Da diese aber auf den 5. September 1786 in Schmidbauers Haus anberaumt war, hatte er wohl von vornherein dessen Einverständnis. Hartlieb hatte sich ohne große Konkurrenz lange genug hochgedient, um sein Schriftführeramt mit einer gewissen Selbstverständlichkeit gegen das des Präses zu vertauschen; an seiner statt rückte der trockene Schmidbauer-Hodevon zum "Secretair" auf. Sie sahen sich sehr bald im Zugzwang.

Vor der Sitzung waren, wohl auch auf Leinkers Betreiben, auf einmal eine ganze Menge Neumitglieder aufgenommen worden: Friederich und Colmar als Schwiegersöhne des vorigen Präses bzw. des amtierenden zweiten Ordensrates, der Arzt Dr. Georg Wolfgang Franz Panzer als Bruder des Schaffers Panzer-Theophobus, unter den Juristen ferner Karl Link, Leuchs, Syndicus Zahn; unter den Geistlichen Diakon Spranger von Hersbruck, Pfarrer Link von Beringersdorf und ein Diakon von St. Sebald, Christian Heinrich Seidel. Außerdem der Altdorfer Theologe Dr. Sixt. Wilhelm Schmidt ersah aus dem Sitzungsbericht, daß die Mitglieder bereits vorher Hartlieb um Übernahme "der Vorstandschaft in ihren schriftlich ausgestellten votis ersucht" hatten. Es ging also nurmehr um eine feierliche Amtseinführung. Hartlieb wurde in aller Form mit einer Kutsche abgeholt und willkommengeheißen. Leinker bat ihn in einer "zierlichen Rede", die einstimmige Wahl anzunehmen, was er in einer "kurzen bündigen Rede" auch tat. Nach der Wahl Schmidbauers folgte der gesellige Teil beim Kaffee im Hausgarten der Schmidbauers. Von 7 bis 10 Uhr ging man dann wieder ins Haus. Dort wurde noch "allgemein gewunschen und festgesetzt", daß man sich in Zukunft vierteljährlich treffen solle, und zwar jeweils am Montag nach Lichtmeß, Walburgis, Lorenzi und Allerheiligen. Auf diese Weise entfielen besondere Einladungsschreiben.

Die Feierlichkeit muß aber auch mit einigen unfeierlichen Fragen, die offen blieben, geendet haben. Am 22. 10. 1786 ließ Schmidbauer ein Rundschreiben ergehen, in dem die mündlich ausgesprochene Unzufriedenheit mit dem trägen Betrieb aktenkundig wurde, aber der Ball auf eine feine Weise zurückgespielt werden sollte, indem die bisher von Neumitgliedern unterlassene Namenwahl zur Sprache gebracht wurde. "[...] Da in der letztern Versammlung von verschiedenen Mitgliedern das Verlangen geäußert worden, durch wiederholte Zusammenkünfte [...] mehr Lebenskraft in die Gesellschaft zu bringen und auch Gelegenheit zu verschaffen, daß wir einander näher kennen lernen: [...] Wir haben ohnehin in der letztern Gesellschaft nicht das mindeste von ihrer Einrichtung gesprochen, welches doch verschiedene erwartet hatten, die nachher ihr Befremden darüber zu erkennen gegeben haben. [Es ging also schon mit den Wünschen nach einer Überarbeitung der Satzung los!] Es sind auch von den mehresten noch keine Namen, Motto und Blumen gewählet worden, welche doch zur Ausfertigung des Diploms erforderlich sind. [Das heißt: Ihr seid ja noch nicht einmal richtige Mitglieder!] Herr Dr. Sixt und Herr Synd. Zahn haben den Anfang gemachet, deren Namen und Blumen ich zugleich hier bekanntgeben will, damit andere in der Wahl nicht auch darauf verfallen. [...] Es wird mir lieb sein, wenn jeder Herr Gesellschafter wegen der abzuhaltenden wiederholten Zusammenkunft in Ansehung der Zeit, des Orts und der übrigen Umstände seine freimüthige Gesinnung in diesem Bogen zu erkennen gibt. In dieser Erwartung verbleibe Dero dienstbereitwillige E.M. Schmidbauer."

Unter den Beischriften ragen heraus die Zusage des Präses, er werde erscheinen, und die Antworten zweier Landgeistlicher. Johann Sigmund Stoy, Asterio III., Sohn von Asterio II. und Schwager Franks, geboren 1745, aufgenommen im selben Jahr 1775 wie dieser, Pfarrer in Henfenfeld, entschuldigt sich, er habe schon vor mehreren Jahren zu erkennen gegeben, daß er den Versammlungen nicht beiwohnen könne. Das kann man ihm ja wegen des abgelegenen Ortes seines Wirkens abnehmen. Er verbittet sich aber deswegen nachteilige Auslegung, da er die Ehre zu schätzen weiß, Mitglied eines Ordens zu sein, "dessen Verehrung ich ia schon von den Stiftern desselben, meinen Voreltern, geerbt habe [...]". Auf eine in der soundsovielten Generation vererbte Mitgliedschaft und diesbezügliche Verehrung kann der Orden aber ohne sonstige Beiträge verzichten, und das nicht nur in seinem damaligen Stadium. Stoy zog 1792 die Konsequenz und trat aus. Ganz anders äußert sich ein Leonhard Stephan Link (wieder nicht der Jurist, sondern der dritte dieses Namens im Orden, aus Beringersdorf): "Da mir aus der geäußerten mündlichen Unterredung bei der letzten feierlichen Versammlung noch wohl erinnerlich ist, daß der Wunsch der Herren Ordensgesellschafter auf den Gasthof zum rothen Hahnen', also einen sehr bequemen Versammlungsort gerichtet ist, sowohl wegen der wohl eingerichteten Zimmer, als auch des dort eingeführten guten Abendtisches halber, so fürnehmlich zur Beförderung der öfteren Zusammenkunft der löblichen Ordensgesellschaft sehr dienlich sein möchte, [wenn man, wie er, von auswärts kam und übernachten mußte] so verstehe ich die vorstehenden sämtlichen Unterschriften [...] auch für diesen Gasthof übereinstimmend. Ich werde es mir daher zur Ehre rechnen, montags, den 6. November a. o. um 4 Uhr nachmittags daselbst bei der Ordensversammlung mich gewiß einzustellen. Den 24. Oktober L. St. Link, Pfarrer in Peringersdorf."

Am vereinbarten 6. November fand zwar eine Sitzung statt, aber ohne den Präses, der doch nicht erschienen war. "Schmidbauer leitete die Sitzung mit Geschick und Eifer. Auf seinen Wunsch wurde ihm ein Kontrolleur' beigegeben, um den ehemaligen Unordnungen vorzubeugen', die sich angeblich schon vor Hartliebs Geschäftsführung [in die Finanzen] eingeschlichen hatten. [...] Kontrolleur wurde Zahn." Bemerkenswert die Begründung, die nun dem Verlangen nach Ordensnamen unterlegt wurde: Weil man sich innerhalb des Ordens nicht mit dem jeweiligen Titel anreden wolle, seien solche zu wählen. Das greift deren ursprünglichen Zweck wieder auf. Ob sich aber diese Sitzungsteilnehmer nicht als unerhörte Neuerer vorkamen? Neu aufgenommen in dieser Sitzung wurden noch ein Herr von Wildungen, Dr. Lugenheim (ein Jurist), Diacon Kohlmann von St. Sebald, Büchner aus Hersbruck und Registrator Volkert. Man regte unter Punkt 5. an, die Satzung wieder einmal zu überdenken, und verständigte sich zum Schluß darauf, daß in jeder folgenden Sitzung je ein Beitrag eines Mitgliedes abgelesen werden solle.


Streit

Die folgenden Aufzeichnungen stammen vom 8. Februar 1787. Dies war der denkwürdige Tag, an dem vom Topf der Deckel flog. Schmidbauer notierte in aller Eile und mit beträchtlichem Ärger halbspaltig die Data zur Verfertigung des Protocolls , aus denen er dann für die regelrechte Niederschrift, die unter den Sitzungsberichten zu finden ist, den Ärger wieder herauskürzte.

"Herr Praes. eröfnete die Session mit Beklagung des [...] Verlustes, den unsere Gesellschaft erlitten u. dankte den 2 Herren Verfassern der Gedichte mit der Bemerkung daß das leztere gar nicht ausgetheilte auch wider den Willen u. die Erwartung der Fr. Wittiben ausgefertiget worden." Er hatte ja recht damit, daß unerbetene Leichengedichte die Witwe in die unangenehme Lage bringen könnten, sich zu einer geldlichen Erkenntlichkeit verpflichtet zu fühlen. Wenn das Gedicht aber, nicht vervielfältigt, eine rein private Beileidskundgebung darstellte, mußte eine solche Bemerkung wie eine unverdiente kalte Dusche wirken. Überhaupt — fängt man wohl eine Sitzung mit Nörgeln an? Doch nur, wenn man Nörglern — in diesem Fall gezielt dem Herrn Dr. Friederich — von vornherein die Schneid abkaufen will.

"Erinnerte 2) die Einsendung des Ordensnamens [...]" — "Reiner Formalismus", werden da einige gedacht haben. Daß man so etwas bei drei Links, drei Bezzels und zwei Panzers im Orden doch brauchen könne, fällt hitzigen Aufklärern nicht ein, aber bei einigem Abstand muß man Hartliebs Standpunkt achten.

"Behauptete 3) daß unsere Geseze keine Veränderung leiden weil sie oberherrlich bestätiget sind" — So unselbständig hatte v. Holzschuher 35 Jahre zuvor nicht gedacht, wenn er auch einige Bedenken trug. Aber vor den jungen Juristen von 1787 konnte sich ein Präses, der es als Sohn eines Tuchmachers zum Pfarrer gebracht hatte, mit derlei Staatsfrömmigkeiten nur blamieren.

"Bemerkte 4) das Verhältniß zwischen Einstand Geld u. Trauercarmen, so wie es auch in gedruckten Gesezen bemerket ist. Da die Ermangelung des einen auch die Ermangelung des anderen nach sich zieht, dann wenn die Cassa nichts bekomt, wie sol sie was hergeben? Dem wurde bald wiedersprochen." — Das war zu erwarten, wenn Hartlieb nicht einmal angeben und belegen konnte, welche Gelder seit 1774 durch seine Hände gegangen waren und wo das Ordensvermögen abgeblieben war. Er hatte sich von Cramer seinerzeit keine Quittung geben lassen und soll nach den Nachforschungen Wilhelm Schmidts auch in anderen Geldangelegenheiten sorglos verfahren sein. Um so kleinlicher wollte er es nun mit den Eintrittsgebühren halten. Wilhelm Schmidt stellt den Vorgang so dar, als hätte es Mißhelligkeiten allein wegen Hartliebs Kassenführung gegeben. Doch er unterschätzt das ideologische Moment, denn sehr genau nahmen es die Neumitglieder mit ihrer Eintrittsgebühr auch nicht. Statt sich gegenseitig schlechte Zahlungsmoral bzw. Leichtsinn vorzuwerfen, hätten sie, wenn nicht Unterschiede in der gesamten Einstellung bestanden hätten, einen Mittelweg finden können: Stundung der Gebühren (Präzedenzfall: Melintes) bzw. Nachweis der belegbaren Ausgaben (Irrhain, bisherige Drucke von Gedichten), die während Hartliebs Kassenführung dem Orden entstanden waren. Wie die Dinge aber lagen, versteiften sich die Jungen auf die Satzung, und die Alten hielten jede Kritik von vornherein für ungehörig. Nun hatte Schmidbauer als Schriftführer die Kasse und den "schwarzen Peter", aber er war weit davon entfernt, Hartlieb einen Vorwurf zu machen. Die Notwendigkeit, Eintrittsgebühren zu erheben, veranschlagt er offenbar höher als dessen Verantwortlichkeit oder gar Haftpflicht. Man sieht, daß Schmidbauer sich aus Treue zur alten Ordnung hinter die nicht unvernünftigen, aber für eine Gesellschaft von Liebhabern der Dichtung entsetzlich bornierten Argumente seines Präses stellt. Es war den beiden kleinen Geistern nicht gegeben, mit Idealisten in gütlicher Weise zurechtzukommen, die im kleinen ein bißchen zahlungsunwillig oder vor lauter Genialität schlampig waren, auch wenn sie sich in Bezug auf die Aufgaben des Ordens und die dazu notwendigen Mittel aufs hohe Roß setzten. Dabei hatten die guten Alten recht, insofern es nur um den Druck von Trauergedichten ging. Und wer sich im Recht fühlt und dazu den Vorsitz hat, meint leicht, er müsse nicht überzeugen. Die anderen regten sich um so mehr auf. Man könnte sich vorstellen, daß der Lebenslauf eines Pegnesen karikiert wurde: Er geht zur Schule, lernt den Präses kennen, zahlt ein paar Gulden, schreibt anderen ein paar Trauergedichte und stirbt, um andern um seine Gulden Gelegenheit zum Druck eines Leichengedichts zu geben. Jedenfalls sah die Praxis des Pegnesenordens zu dieser Zeit so aus, und nun waren Leute darin, denen das von höherer Warte aus bloß noch lächerlich vorkam.

"Der Streit begunte sich zu verstärken u. übertraf endlich einen Polnischen Reichstag. Herr Präses trat mitten unter dem Streit ab u. begab sich nach Haus. Ich trat wieder auf den Kampfplatz und endlich gelung dar bey durch H. Schaffer Panzern dessen Vorschlag: soviel Geld als zur Druckung des nächsten carminis nöthig wäre zum voraus zusamzulegen vollstimmig durchgesezet wurde und auch dem H. Praesidi bey meiner Relation des anderen Tages wohlgefiel. Das gratis worüber so stark debattiert worden, daß ich mir nicht mehr wünsche einer so tumultuarischen Versammlung beyzuwohnen, nahm (wie die wahre der Sachen Beschaffenheit hiermit vorgeleget wird) seinen Ursprung 1) daher, weil Personen gesuchet worden, die zum Arbeiten, nicht zu bloßem Beytretten sich gebrauchen lassen, drum sollte antragsgemäs davon Eröfnung geschehen, daß ihnen der Zutritt franco offen stehe."

Das kommt ja ganz so heraus, als hätten die Stürmer und Dränger keinem, der nicht arm war, ordentliche Mitarbeit zugetraut. Im ausgearbeiteten Sitzungsbericht steht genauer, "daß in Ansehung der am 5. September vorigen Jahres recipierten Mitglieder dießfalls um deßwillen eine Ausnahme zu machen, u. selbige mit dessen [9 Taler zu bezahlen] Anforderung zu verschonen seye, als a) damalen die Anzal der Ordens-Mitglieder sehr zusammen gegangen u. zur Aufnahme desselben vorzüglich brauchbare Personen, und gute Dichter gesuchet, auch b) solchen die Aufnahme [...] ohnentgeltlich zugesichert, und füglich c) die Absicht erreichet worden, [...] dem Wahltag [...] desto größere Feyerlichkeit u. Ansehen zu verleihen."

Zur Debatte stehen die Gebühren aller Neuaufgenommenen, die am Wahltag des "neuen" Präsidis, also Hartliebs, dem Orden beigetreten sind. Das ist wahrscheinlich, denn all diesen konnte der Vorwurf gemacht werden: "Zahlt ihr erst einmal, bevor ihr euch um meine Kassenführung kümmert!" Daran schließt sich die folgende Textstelle des Entwurfs:

"Mit demselbigen Tag aber gieng alles per se wieder in Ansehung deßen Ausnahm zu Ende ohne daß nur weiters Ausdehnung davon Platz finden kunte welche aber doch geschehen ist."

Wenn man diesen krausen Satz genauer überlegt, scheint er auszusagen, daß Friederich und andere von der Beitrittsgebühr entbunden worden waren. Spätere Neuaufgenommene sahen diese besondere Vergünstigung nicht ein und beanspruchten sie ebenfalls, drangen aber damit rechtlich nicht durch. Sie nahmen sich daher heraus, die Gebühr einfach schuldig zu bleiben.

"Dies ist der Gegenstand worüber laut und lang gestritten worden war. [...] Auch wurde in Vorstellung gebracht die Todenschilde im Irrhain lieber deutsch als lateinisch geschrieben zu lassen weil wir ja eine deutsche Gesellschaft ausmachen; [...] Zuletzt lasen H. Dr. u. Consil. Leinker eine wohlgerathne Poesie vor auf die Durchreise P.P. Kaiser Josephs II. u. seinen Aufenthalt an dem Ort, wo wir zusamen gekommen sind."


Die Intrige

Die Sonderstellung der Altdorfer Gruppe hätte den Blumenorden leicht spalten können, wenn sie sich nicht im Hinblick auf die Neueinrichtung des Blumenordens mit den Fortschrittlichen unter den früheren und späteren Mitgliedern verbündet hätte. Friederich mußte sich zum Handeln gedrängt fühlen, und er fädelte mithilfe seines Freundes Karl Link eine Intrige ein. Man schickte unter Umgehung des verschnupften Schriftführers eine vom Präses nicht authorisierte Liste herum, auf der Stellungnahmen der Mitglieder zur weiteren Einberufung von Zusammenkünften gesammelt wurden. Dieses undatierte Doppelblatt findet sich gerade hinter dem vorigen Papier. Link führt die Liste an und schlägt eine Sitzung am 11. des kommenden Monats im Roten Hahn vor. Zahn-Evander bezieht sich auf eine "im Monat Sept. 1786 gefaßte allgemeine Entschließung, daß hinfüro alle Vierteljahr in dem Gasthof zum rothen Hahnen eine Zusammenkunft [...] veranstaltet werden solle." Colmar teilt knappstens mit, er komme auch. Ausführlicher Dr. Panzer-Arethaeus: "Daß des Hr. Praesidis Hochwürden Ihre Gründe haben mag — keine Gesellschaft zu convociren — bezweifle nicht im mindesten — so wenig, als daß solche sich würden heben lassen, wenn man offenherzig zu Werke gehen wollte." Der auch erst 1786 aufgenommene Diakon Kohlmann von St. Sebald macht sich Gedanken über das Grundsätzliche: "Die resp. sämtlichen Herren Mitgliedere wünschen durch Ihre Kenntnisse und Fertigkeiten nüzlich zu werden. Durch Zusammenkünfte und Verabredungen können dienliche Mittel zur Erlangung dieses Endzwecks ausfündig gemacht werden." — Daß man's nur mal erfährt! — Frank tut auch ganz unschuldig und freut sich auf "Wiedereröffnung unserer Versammlungen". Der jüngere Dietelmair, Pfarrer Waldau, Vogel-Oenus (Konrektor der Sebalder Schule), Dr. Leuchs und Dr. Lugenheim teilen ohne Umschweife mit, sie kämen. Diakon Schöner von St. Lorenz, der in Schmidbauers Protokoll-Entwurf (neben Häßlein) als Neuaufgenommener von 1787 erwähnt worden war, möchte sich noch rückversichern: "Ob ich gleich, weil ich am Wahltage des Herrn Praesidis abwesend war, von den damaligen Resolutionen nichts weiß. so wünsche ich mir doch das Vergnügen der Zusammenkunft und werde [...] erscheinen. Hofentl. nehmen P.T. Hr. Praeses diese meine Erscheinung nicht als Beleidigung auf." Zusagen ohne Einschränkungen von einer weiteren Reihe von Mitgliedern: Merkel, Kiener, Registrator Volkert, Diakon Spranger von Hersbruck, Bezzel, Leinker und Vikar Link-Xenophilus. Faulwetter gibt zu erkennen, daß er die Intrige sofort durchschaut und trotzdem mitspielt: "Ohngeachtet mir von Entschliessungen, welche allgemeine Verbindlichkeiten haben sollten, keine Mittheilung geschehen, welche doch immer erforderlich ist, so werde ich dennoch [...] erscheinen."

Beachtlich viele haben sich dafür erklärt, eine Abrede ernst zu nehmen und einzuhalten, die selbstverständlicher für einen Verein nicht sein kann, wenn man seine Ziele ansieht; aber das Verfahren war nicht satzungsgemäß. Die Neuerer nahmen einen Ausnahmezustand für ihr Vorgehen in Anspruch, wie er in der damaligen Naturrechtstheorie diskutiert wurde — unverhüllt hätte die Begründung gelautet: "bei Gefahr im Verzug, wegen völliger Unfähigkeit und Geschäftsunwilligkeit der Ordensführung" — und ließen es darauf ankommen, daß sich der Orden spaltete. Bei der überraschend hohen Zahl der in einem Schwung aufgenommenen Mitglieder kann Einigkeit im Orden trotz Leinkers und Panzers Vermittlung eigentlich nicht vorausgesetzt werden; Loyalitätskonflikte waren sogar innerhalb der Partei der Jungen zu erwarten. Um so mehr wundert es, daß sie nicht in stärkerem Maß auftraten. Hatten die Verbreiter der Umfrage nicht jedem reinen Wein eingeschenkt? Oder hatte Hartlieb bei seiner Sitzungsleitung und seinem Davonstürmen eine gar so schlechte Figur gemacht, daß fast jeder sehen mußte: Mit dem geht es nicht mehr so weiter?

Friederichs nächstes war, an den Schriftführer das Ergebnis dieser Umfrage zu melden, mit der zusammenfassenden Bemerkung, daß der Wunsch der Gesellschafter nach einer Versammlung täglich lauter werde. (Schreiben vom 26. Januar 1788, als vorsorglich angefertigte "Copia" Friederichs im Archiv erhalten.) Antwort des offensichtlich leicht auf die Palme zu bringenden Schmidbauer vom selben Tag: Der Präses "berufen sich auf Dero wohlEhrw. Herrn Schwiegerpapa, dessen Nachfolger Sie sind. Diese haben nach Gutbefinden die Zusammenkunft ausschreiben lassen; in manchem Jahr nur eine, in manchem auch gar keine verordnet, ohne daß deswegen ein Unwille entstanden." Er, Schmidbauer, könne nichts weiter tun. — Das ganze gereizte 'Was hat Dietelmair sich und uns mit diesem Kerl aufgeladen' kann ihn nicht daran hindern, Friederich als dessen "Nachfolger" zu bezeichnen. Es fragt sich, in welchem Sinne. Es soll schon vorgekommen sein, daß ein für ein hohes Amt wählbarer Mann nur einstweilen zu jung war und man daher einen Zwischenkandidaten erkor, während alle doch wußten, daß der betreffende über kurz oder lang nachfolgen werde. Mit Dietelmair selbst war es "über lang" so ähnlich gegangen. War Hartliebs Stellung etwa wegen der Familienkonstellation so schwach, daß Friederich als designierter Präses zu diesem Zeitpunkt offen gegen ihn rebellieren konnte? Oder bezieht sich das 'Nachfolger' nur auf den Sachverhalt, daß Friederichs Ordensname Irenäus II. lautete? Eine familiäre Tradition sollte sich gewiß auch darin geltend machen. Wie dem auch sei, falls Hodevon und Sclerophilus gedacht hätten, daß Friederich als unselbständiger Nachtreter des ersten Irenäus in die Pflicht zu nehmen sei, hätten sie sich gewaltig getäuscht.

Wenn Friederich nun ein "Gehorsamstes Promemoria mit Beylagen sub N. 1 et 2" (vorstehende Briefe) im Kreise der Mitglieder herumschickt, fragt man sich erheitert, was das "gehorsamst" noch heißen soll. Nun gut, der Sache dient er damit. Er widerlegt darin den von Hodevon mitgeteilten Standpunkt des Präses: "Sie beruften sich diesfalls auf meinen Seel. Herrn Schwiegervatter, der, wie alle noch lebende Hochschäzbare Mitglieder wissen, nichts ohne Vorwissen und Genehmigung der Gesellschaft vorgenommen; [das konnte, falls es stimmte, zu sehr weitgreifenden Umdeutungen der Rolle des Präses führen] ohne dabey zu bedenken, daß dazumahl die Zusammenkünfte selten sein mußten, da die Zahl der Mitgliedere sehr gering, [das Gegenteil hätte ebenso davon erwartet werden können] der Kosten Aufwand aber sehr groß, und für ein einzelnes Mitglied bey einer Zusammenkunft grösser war, als er jezt bey 4 Zusammenkünften ist, daß ferner [Dietelmair] nicht an Ort und Stelle wohnte [...]"

Hier geht es nicht um die Ideale des Gesellschaftslebens, sondern um das Praktische und Finanzielle. So kann er vielleicht sogar die älteren Mitglieder gewinnen. Das Vergnügen, solchen Versammlungen beizuwohnen (wenn nicht gerade gestritten wurde), muß in einer Zeit ohne viele andere gesellige Zerstreuungen ein ungeheucheltes gewesen sein. Er konnte sich ausrechnen, daß der nun folgende Vorschlag, die Zusammenkünfte in Zukunft auch ohne den Präses zu halten, trotz seiner Dreistigkeit etwas Anziehendes haben werde.

Es folgt das Protokoll der Sitzung vom 11. Februar 1788. Bei dieser fehlten allerdings — in Bleistift von späterer Hand nachgetragen — eine ganze Reihe von Mitgliedern, auch solche, die auf die Umfrage zustimmend geantwortet hatten: neben Präses und Schriftführer auch der vorsichtige Faulwetter, Stoy sowieso, Seyfried, Dr. Panzer, L. St. Link (der nach erster Wahrnehmung der Querelen wohl von dem gesamten Orden in Zukunft nichts mehr wissen wollte), aber auch Leuchs. Dr. Leinker eröffnete die Sitzung mit der Bemerkung, daß etwas geschehen müsse, "[...] um zu zeigen, daß der Orden nicht, wie auswärtige Gelehrte neuerlich vorgegeben, erloschen seye, das Publicum in der Folge durch gelehrte Ausarbeitungen von dem Gegenteil zu überführen." (Es ist bemerkenswert, daß von Dichtungen des Ordens gar nicht die Rede ist.) In dieser Hinsicht sei lange nichts geschehen. Leinker nimmt Bezug auf die Sitzung vom 5. 9. 1786, in der regelmäßige Tagungstermine festgesetzt worden seien. Aber selbst der übliche gemeinsame Besuch des Irrhains sei unterblieben. Die Mitglieder hätten keine Arbeiten, nur Geldbeiträge geleistet. Einige seien wegen dieser Lage der Dinge schon ausgetreten. (Das stellt wohl eine zweckdienliche Deutung dar, die wirklich haltenswerte Mitglieder nicht betreffen kann; Trägheit, selbst etwas zur Änderung zu tun, mag häufiger die Ursache gewesen sein.) Um nicht auch diese Versammlung ohne Nutzen verstreichen zu lassen, liest Theophobus teilweise ein deutsches Gedicht vor, das einen zu Freydank parallelen englischen Text von einem Abt Anis (oder Amis) wiedergibt. Verfaßt hat es Zahn-Evander. Damit endet die Sitzung (wie die vorige mit Leinkers Gedicht). Während sich also die Absichten der arbeitswilligen Mitglieder mehr auf Geschichtliches zu richten beginnen, spielt Poesie eine einkleidende Rolle. (Deutlich wird dies etwas später aus der Niederschrift einer Sitzung vom 18. August 1788, in der steht, es sollten nicht nur Dichtungen, sondern auch historische Gegenstände behandelt werden.)


Starre Gegenwehr

Die Sitzung kam dem Präses zu Ohren — erstens war Nürnberg nach heutigen Begriffen eine Kleinstadt, und zweitens sollte gerade das ja geschehen. Und Sclerophilus ließ sich herausfordern. Aus seiner Sicht stellte das ganze eine völlig ungerechtfertigte Hetzerei dar.

Am 28. Februar 1788 verfaßte er eine Gegendarstellung: Schon seine erste Versammlung habe einem "Polnischen Reichstag" geglichen. Man befand sich damals in der Zeit der Polnischen Teilungen, und die Polen hatten wohl guten Grund zu lebhaften Parlamentssitzungen. Es ist ein bißchen ärgerlich, wie gedankenlos sich Hartlieb hier Schmidbauers Schimpfwort zu eigen macht. Was er sagen will, ist schlicht, man habe ihm von Anfang an keine Gelegenheit gegeben, sich mit einem Neuanfang nach seinen Vorstellungen durchzusetzen. Das mag wohl wahr sein.

Sein Rundschreiben bezüglich einer Versammlung im Irrhain habe so wenig Gegenliebe gefunden, daß er darauf nicht mehr zurückkommen wollte. Er hätte vorgehabt, auch die älteren Mitglieder wieder in die Versammlungen zu bringen. Daran war den jüngeren vermutlich nicht viel gelegen. Die Sturm-und-Drang-Periode hatte den Anfang vom Ende des selbstverständlichen Ehrens jeglicher älteren Leute gemacht.

Beleidigte Würde einer ganz und gar unwirksamen Art spricht sich in dem Satz aus, er sei unter dem vorigen Präses 24 Jahre lang Schriftführer gewesen. Erstens stimmt es nicht, denn sein Amt als solcher rechnet erst seit 1774, was seine Funktionen vorher auch gewesen sein mögen, und zweitens hat man von seinen Jahren der Amtsführung keine Leistungen. Das wäre noch schöner, sich das Ersitzen einer langen Dienstzeit zur Ehre anzurechnen. Bei jungen Leuten, die Tatendrang in sich fühlen und sich von so etwas zurückhalten lassen sollen, stößt man mit derartigen Schmollwinkel-Prahlereien nur noch auf höhnisches Gelächter.

Er nimmt Anstoß an einem Satz im zuletzt erwähnten Protokoll, wo es heißt, daß es den Mitgliedern zukomme, Gesetze zu machen, und auch, auf deren Durchführung zu achten. Das ist die amerikanische Unabhängigkeitserklärung im kleinen.

Hartlieb möchte "eine gelehrte Gesellschaft in ganz Deutschland wissen, die dergleichen paradoxen Satz statuire." Hieraus erhellt mit aller Deutlichkeit, daß er die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Wenn er "paradox" schreibt, verwechselt er die Verfahrensfragen des Vereins mit der Wahrheitsfindung. Über die Wahrheit kann man nicht abstimmen, aber eine Gelehrtengruppe ist demokratisch zu organisieren, ohne daß die Forschung leidet. Lilidor I. hatte aufgrund seiner Kenntnis ausländischer Gesellschaften einen fortschrittlicheren Standpunkt eingenommen als sein kleinkarierter Nachfolger, der nur die obrigkeitshörigen deutschen Verhältnisse kannte.

Die Gesinnung Leinkers und Friederichs gegen den Orden erinnert ihn an die Art des Patriotismus in Holland. Er hatte es gerade nötig, die republikanische Gesinnung in den Verdacht des undisziplinierten Eigennutzes zu bringen und auf andere, fortschrittlichere Gesellschaften herabzusehen.

Abschließend bietet er an, vierteljährlich nach Möglichkeit eine Versammlung einzuberufen, wie es verlangt wird, falls seine Rechte als Präses nicht angetastet werden, aber nicht an einem bestimmten Tag, wegen der Art seiner Geschäfte. Wenn er das ohne das begriffsstutzige Polemisieren eher getan hätte, hätte er weniger oder gar keine Angriffsfläche geboten, und der Vorstoß der Stürmer und Dränger wäre auf gut Nürnbergische Art im Sande verlaufen.

Der cholerische Hodevon kann sich nicht verkneifen, zu dieser Stellungnahme eine Beilage zu schreiben, in der er es den Wühlern ganz ordentlich hinreibt. Er bestreitet — wie Faulwetter! — die Gültigkeit der Abrede vom 5. 9. 1786 über Sitzungstermine, da sie "In der Tabacscompagnie, welche sich nach Beendigung der wesentlichen Geschäfte des Löbl. Ordens in meiner Wohnstube formierte [...]" von zehn Mitgliedern ohne Beisein des Präses getroffen worden sei. Dazu schrieb Zahn später mit Bleistift, Schmidbauer habe doch selber die entsprechenden Zusätze zum Original-Protokoll gemacht; außerdem hatten Präses und Schriftführer durch teilweises Eingehen auf die vorgesehenen Sitzungstage durch die Tat anerkannt, was beschlossen worden war. (So sieht es Wilhelm Schmidt.)

Hier prallen zwei Welten voller Selbstgerechtigkeit aufeinander. Heute versteht man auch wieder etwas besser, wie gereizt Schmidbauer (und vielleicht seine Frau Gemahlin) über den Tabakrauch in ihrer guten Stube wurden, als das geradezu burschenschaftliche Herumhocken immer länger dauerte. Für die Jungen war ihr Qualmen — noch ganz ohne Einfluß einer Reklame — der Ausdruck ihres Freiheitsgefühls. Dabei waren sie für Hodevon anmaßende Hungerleider, denen vielleicht der Anzug nicht gehörte, den sie am Leibe trugen. Er stichelt, die Gesellschaft rede zwar von Geldbeiträgen, aber nicht vom Schuldigbleiben. 50 Gulden habe er noch zu bekommen. Auf ein entsprechendes Rundschreiben hätten sogar zwei ältere Mitglieder nur mit einem "Compliment" erwidert. "Die Handwerksleute aber lassen sich von mir mit einem blosen Compliment nicht abspeisen."

Wie recht er doch hat! Es geht nicht an, daß man es vor lauter geistigem Höhenflug in diesen Dingen nicht genau nimmt (nur daß man einen andererseits Philister nennt, der es darin genau nimmt, aber keinen geistigen Höhenflug zustandebringt). Nun war aber das Schuldenmachen in fast allen Gesellschaftsschichten damals Mode; je besser einer situiert war, desto ungestrafter konnte er in der Regel das Zahlen aufschieben. Um einen standesgemäßen Lebenswandel zu führen, blieb einem innerhalb der auf der Stelle tretenden Wirtschaft oft nichts anderes übrig, denn bei strenger monetärer Kontrolle auf der Basis der Edelmetallwährung konnte nicht einfach die Notenpresse angeworfen werden, um die Ausgaben von heute mit dem Erwirtschafteten von übermorgen zu bezahlen, und Kredit war in dieser Schrumpfökonomie nicht unter halbwegs annehmbaren Bedingungen zu haben. Junge Leute, die auf späteres gutes Einkommen zu hoffen hatten, fühlten sich geradezu berechtigt, schlechte Zahler zu sein, und der verschuldete Student oder Berufsanfänger war schon damals ein Klischee, wie Kortums Jobsiade genugsam erweist. Es war aber gar nicht schön, die schwächsten Glieder der Schuldenmacherkette, die kleinen Handwerker, damit und mit Verschleppung ihrer Beschwerden um ihren redlichen Gewinn zu bringen, und im weiteren Verlauf der Betrachtung wird man von dem Fall hören, daß einem solchen einmal auf katastrophale Weise der Kragen platzte.

Schmidbauer jedenfalls liebte es gar nicht, Drucker, Kupferstecher, Posamentierer, Gärtner und dergleichen andauernd vertrösten zu müssen, und das ist ihm nachzufühlen. Er habe, schreibt er, noch 3 fl. und einige "Creuzer" in der Kasse; davon solle er drei Rechnungen von 85, 32 und 26 fl. bezahlen. Nun sei er aber keineswegs zu unverzinsten Vorschüssen verpflichtet. Statt sich mit dieser Beschwerde an Hartlieb zu wenden, der ja versäumt hatte, Rücklagen zu bilden, verwendet er dieses Argument zu einer Spitze gegen die Einmütigkeit der Protestlümmel: Die von Schaffer Panzer seinerzeit vorgeschlagene Sammlung für den "Leichenfall" sei auch "einmüthig unterblieben". Der einfachste Weg aus der Misere wäre allemal das Beschränken der Ausgaben, und bei den unnötigsten fängt man an. Darin, was unnötig sei, war aber Schmidbauer mit den Jungen nicht einig. In der "außerordentlichen" (lies: illegitimen) Versammlung von neulich sei auch "die Meynung gar dahin geäußert [worden], daß man der Namen u. Diplomatum gar nicht nöthig habe. Wie aufgeklärt! So kan jeder sich für ein Mitglied ausgeben [...] und nur seine Zulassung im Gasthof dienet ihm zum Beweis." Diese scheinvernünftige Argumentation, die der in Panik geratene Aufklärer gegen die vom Stapel läßt, die ihn links überholt haben, ist leicht zu entkräften, wenn man den überschaubaren Bereich ins Auge faßt, in dem sich die befürchtete Hochstapelei abspielen hätte müssen, und den geringen Ertrag derartigen Schwindels. Aber Hodevon dreht jetzt nur noch durch. Eindeutiges Symptom dafür ist wieder einmal die ins Leere zischende Schlußpointe, er habe dem Orden nun schon 40 Jahre die Treue bewährt.


Übergewicht der Neuerer

Aber Friederich konnte sich die Hände reiben! Nun hatte er die beiden Alten da, wohin er sie durch gezielte Provokationen bringen wollte, denn der Pfiff an der Taktik ist, die Angegriffenen ins Unrecht zu setzen. Sein "Gehorsamstes Promemoria" vom 24. 3. 1788 geht an zehn Mitglieder. (Welche wohl?) Er schickt die beiden Stellungnahmen der Ordensleitung mit und bemerkt dazu: "Diese Beylagen enthalten nun die auffallendsten Beleidigungen, Injurien aller Art — und mitunter auch Grobheiten der ersten Grösse, die auf keine Weise von irgend einem ehrliebenden Mann gelassen angenommen werden können." Kriegsrat soll auf einer außerordentlichen Versammlung in seiner Behausung gehalten werden. Von den Adressaten melden sich dazu durch Unterschrift: Colmar, K. Link, Dr. Panzer, Schaffer Panzer, Frank, Waldau, Zahn; Diakon Dietelmair erklärt sich solidarisch mit Frank und Schaffer Panzer, entschuldigt sich aber, fernbleiben zu müssen; Rektor Vogel und der Kaufmann Bezzel, der in der Laufer Gasse wohnt, antworten nicht. (Daß Leinkers Name hier nicht erscheint, mag mit einer Krankheit zusammenhängen; nicht lange darauf starb er.)

Von der außerordentlichen Sitzung vom 1. April 1788 ist das Konzept Zahns für seine Niederschrift vorhanden. Es heißt dort, Diacon Spies, Pfarrer Link von Beringersdorf und Seyfried seien ausgetreten; mehrere andere, "welchen das bisherige unfriedfertig- und despotische Verfahren äußerst unangenehm fallen müssen, [hätten das] allbereits zu erkennen gegeben." Der Vorwurf, den Frieden im Orden gestört zu haben, und zwar auf "despotische" Weise — ein Leitbegriff der politischen Opposition jener Tage — wird also ziemlich einseitig auf die Ordensleitung abgewälzt. Wie zur Beschämung des Pfennigfuchsers Schmidbauer ist diese Niederschrift auf bestem Lumpenpapier abgefaßt, das auch bis heute kein bißchen verblichen ist. Von da an besteht eine große Lücke zwischen den Niederschriften und im Briefwechsel, die bis in den August reicht. Es muß aber vorher schon ausgemachte Sache gewesen sein, daß Präses und Schriftführer den Orden oder jedenfalls ihre Ämter verließen. Colmar scheint beauftragt worden zu sein, eine neue Satzung vorzubereiten. Man wollte, nachdem der Widerstand der Perücken gebrochen war, streng nach bürgerlichem Rechtsempfinden vorgehen.

Eigentlich hätte es dem Grundsatz dieses historischen Rückblicks entsprochen, wenn er sich auf einen Vergleich der Satzungen aus verschiedenen Zeiten beschränkt und eine Schilderung dieser Stürme im Wasserglas taktvollerweise unterlassen hätte. So etwas kommt in jedem Verein einmal vor, mit mehr oder weniger dramatischen Nebenumständen. Doch im Unterschied zu den unerfreulichen Aufarbeitungen irgendeines unwichtigen Hickhack in irgendeiner "Szene" geht es hier nicht um unwürdiges Affentheater in Schilda oder Abdera, sondern die Szene dieser Geschehnisse ist Europa am Vorabend der Französischen Revolution. Man kann nicht umhin, den Vorgängen dieser Jahre im Blumenorden höhere geistesgeschichtliche Beispielhaftigkeit zuzuschreiben. Übrigens setzte sich auch hier, in vereinfachter Weise ähnlich wie in Frankreich, am Ende nicht die radikalste Partei durch, sondern eine weitgehend traditionsgebundene Kraft, die aber den geistigen Neuanfang zum Teil in den Formen des Zusammenschlusses aufhob.


Colmars Entwurf einer neuen Satzung

Die folgenden Auszüge aus Colmars Satzungsentwurf sind verkürzt um diejenigen Stellen, die auf der Grundlage der bisherigen Satzungen nicht als neu anzusprechen sind.

" 1. Unsre alten Geseze [...] enthalten zum Teil solche Regeln, welche sich auf iedes Sitten-Brauchtum gründen, und die also wol nach unseren Sitten, einem neuen Mitglied nicht füglich empfohlen werden dürfen [d.h. brauchen!]; beinahe gar nichts ist darin von der inneren Verfassung des Ordens gesagt; es bedarf also einer neuen Verbesserung und Vermehrung, welche bekantlich endiglich von dem Willen der Gesellschaft abhängt." — Man fordert, anders gesagt, den Übergang vom Naturzustand zum bewußten "Contrat Social".

" 2. [...] Meiner Meinung nach ist auch das Amt des Sekretärs, mit dem Konsiliariat nicht wol kompatibel. [...]" — Der Schriftführer soll also kein richtiger Ordensrat sein: eine Kehrtwendung gegenüber der Einschätzung nach Amarantes. Ist es aber nur die jeweils letzte Erfahrung mit einem Schriftführer, die solche Umwertung herbeiführt, oder sieht Colmar einen tieferen Grund; etwa den, daß der Schriftführer zu sehr dem Praktischen verhaftet sei, um geistig bedeutsame Entschlüsse mitzutragen?

" 8. [...] Für die Aufnahme auf Anmelden wird 10 fl. bezalt; für die Berufung zur Gesellschaft aber wird nichts gefordert. [...]" — Das leuchtet ein: Man wollte sich brauchbare Mitglieder heranholen, ohne Gefahr zu laufen, daß diese sich für die vorerst noch zweifelhafte Ehre im Hinblick auf die hohen Kosten schön bedankten und abwinkten, während man dem Sich-Einkaufen von weniger geeigneten Leuten eine hohe Schwelle setzen — und doch gegebenenfalls davon profitieren — wollte.

" 9. [...] ieder der viermal nacheinander, ohne warhaft gegründete Ursache anzugeben, ausbleibt, wird der Gesellschafts-Rechte verlustig [...]" — Auch sehr verständlich: Man wollte keine Karteileichen mitschleppen. Darunter fallen durchaus einige der bisherigen Mitglieder.

Unter 11 listet Colmar in Frageform einige Punkte auf, die er für besonders erörternswert hält und wozu er sich noch keine eigene Meinung gebildet hat. "[...] c, ob die getroffene Wal des Hrn. Praes. dem Scholarchat angezeigt (cf. Lex V) oder lieber nach alter Observanz [Brauch] es unterlassen werden wolle? [...] d, ob die Vorlesungen nicht immer oder mehr Revisionen zu unterwerfen? [d.h. ob, wie bisher, eingereichte Vortragstexte vom Vorstand erst auf ihre Eignung hin beurteilt werden müssen.] [...] f, [...] b, ob die Geselschaft ohne Schulden zu machen, oder nur onera [Lasten; hier wohl Kreditaufnahme] zu tragen, oder vom Kapital zu verlieren, bestehen kan [...] h, [...] ob nicht der, vom Hrn. Präses anzunehmende Geselschafts-Aufwärter, lieber bei jedem Konvente ein fixum ex cassa bekommen solle? weil er sonst bei gleicher Bemühung, nach Anzal der Anwesenden nur ungleiche Bezalung erhält. z.B. [...] Aufwartung bei der Tafel [...] 2 fl. 24 x [Kreuzer] [...] l, Ob die Portraits im Stiftungsbuch nicht fortgesezt werden könten? m, auf welche schickliche Art dem abgegangenen Herrn Präses die von ihm verwahrten Akten u. anderes abzunehmen, ob es bis zur Wal der Herren Vorsteher ausgesezt werden will, oder einsweilen von den Gliedern besorgt werden soll, welcher Punkt bei der nächsten Session, n, wo ohnehin wahrscheinlich auch wegen des Herrn Ferd. Schmidbauers etwas bestimtes referirt werden kan, mehr Licht zur näheren Erörterung erhalten wird. Im Monat Julius 1788 Salvo S[uperiori; "unbeschadet eines besseren Vorschlags"] Themisander II. [!] i.e. Dr. Colmar."

Resignation des alten Vorstands und Neuwahl

In der schon erwähnten Sitzung vom 18. August 1788, die wieder im Gasthof "Rother Hahn" am Kornmarkt 2 stattfand, wurde die Wahl des neuen Vorstands auf 1. September anberaumt und auch eine Einladung an Hartlieb und Schmidbauer ausgesprochen. Doch schon am 17. August 1788 raffte sich Hartlieb, der das wohl hatte kommen sehen oder anderweitig von den Absichten unterrichtet war, zu einer bemerkenswert würdigen Kurzmitteilung auf: "Da mir meine Gesundheit und Gemüthsruhe viel zu lieb ist, als daß ich dieselbe wegen einiger Mitglieder des löbl. Pegnesischen Blumen-Ordens aufopfern sollte; so lege ich mein bisheriges Praesidium bey demselben mit Freuden nieder. PS[alm] CXX, b.[eim] 7. Sclerophilus." Die angegebene Bibelstelle ist mit Bleistift, also wahrscheinlich wieder von Zahn, aufgelöst: "Ich halte Frieden, aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an."

Pfarrer Hartlieb kann einem eigentlich leid tun. Subjektiv hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen. Daß er zu einer Symbolfigur für den pfäffisch-oligarchischen Schlendrian geworden war, unter dem Nürnberg als Ganzes litt — und nicht nur Nürnberg —, konnte ihm am letzten klar werden. An seinem Befinden wird er ohne Blutdruckmeßgerät gemerkt haben, was es heißt, in diesem Alter noch so behandelt zu werden. Drei Jahre später war er tot.

Schmidbauer freilich kann es sich wieder nicht verwehren, dazu eine zweieinhalbseitige Erklärung abzugeben. Seine eigene Austrittserklärung legt er bei.

Unterdessen hat für die Sitzung am folgenden Tag Friederich mit einem neuen 'Promemoria' — heute würde man sagen 'Memorandum' — den Weg zur Wahl eines neuen Vorstands gebahnt. Um die Form zu wahren, macht er den Vorschlag, Hartlieb und Schmidbauer möchten ruhig einfache Mitglieder bleiben; es war zu erwarten, daß diese dann ablehnten, was sie auch noch zu schlechten Verlierern stempelte. Das Wahlverfahren wird als Modell künftig zu erhoffender demokratischer Zustände ganz genau festgelegt: "[...] daß nemlich jedes Mitglied einen zusammengerollten Zettel in der Größe eines halben Octavblats, auf welchen nur der blosse Zunahme des neu zu erwählenden Herrn Praesidis, mit der Weglassung aller Titulaturen entweder eigenhändig mit Versalbuchstaben [Großbuchstaben, um die Handschrift unkenntlich zu machen] oder von unbekannter Hand geschrieben mitbringen -- und solchen zwey aus der Gesellschaft hirzu deputirt werdenden Mitgliedern behändigend, diese aber solche Zettel bey gesammter Versammlung eröfnen, und sodann durch die Mehrheit der Stimmen der neue Herr Präses erwählt und eine gleiche Methode bey der Wahl der Herren Consulenten und Sekretärs beobachtet werden solle." — Geheime Wahl, Gleichheit der Kandidaten gegenüber dem Verfahren, Wahlausschuß unter öffentlicher Aufsicht, einfache Mehrheitsentscheidung. Was für Umwege die Geschichte geht! Gut zweihundert Jahre danach lernen unsere neuen Mitbürger im Osten diese Errungenschaften erst wieder kennen und schätzen.


Faulwetters Gutachten zum Satzungsentwurf

Offenbar war Faulwetter als schon etwas erfahrenerer Jurist gebeten worden, zu dem Colmarschen Satzungsentwurf ein Gutachten anzufertigen. Er entledigte sich dieser Aufgabe, nicht ohne in einer längeren Vorbemerkung entschieden klar zu machen, daß er auf der Seite der Neuerer stehe. Das betreffende Doppelblatt im Quartformat sendete er am 29. August 1788 als Rundschreiben an die Mitglieder, damit sich diese vor der Abstimmung darüber eine Meinung bilden konnten. (Ich hoffe nur, es ist ihnen nicht so schwer geworden wie mir, Faulwetters genialisch ausfahrende und verschnörkelte Handschrift zu entziffern.)

"ad 1.) Es lehrt die Erfahrung, daß die nüzlichsten Anstallten oft vielen lächerlich scheinen, & daß ihre Vortrefflichkeiten oft und deswegen verkannt werden, weil noch manches damit verbunden ist, welches auf die Sitten & den Geist unsres Jahrhunderts nicht mehr paßt. Man betrachtet nicht selten diese Anstallten von dieser Seite, faßt dagegen Vorurtheile, spricht nach selbigen davon, macht sie lächerlich, u. siehe da! die guten Anstallten gewinnen kein Gedeihen, bloß darum, weil dasjenige nicht davon abgesondert wird, was sie tadelloser (fürnehmlich nach den Zeiten) machen kann. [Dies ist freilich auch eine Warnung an die ganz Radikalen, die letzten Jahrzehnte des Blumenordens bloß lächerlich zu machen.] Wenn ich hier wage, dieses auch in Bezug auf unseren löblichen Orden zu sagen, so bitte ich zugleich, meine Freymüthigkeit mit der Reinigkeit meiner Absicht u. meines Eifers, das wahre Wohl des Ordens zu befördern, gütig zu entschuldigen. Ich verehre den Löblichen Orden als eine Anstallt, die nüzlich u. vortreflich u. für sich betrachtet also beschaffen ist, daß weder Tadel, noch Spott dessen Werth verringern können: allein hat er nicht noch Nebensachen &&., welche wohl den Zeiten der Stiftung, aber keinesweges unseren Zeiten angemessen sind? [Hier am Rand Bleistiftstriche als Zeichen der zustimmenden Hervorhebung.] Kan die Annahme arkadischer Namen & die Wählung besonderer Blumen, die oft wizelnde Erklärung &&. nicht manchem anstößig scheinen, u. ihn von dem Vorhaben, ein Mitglied zu werden, abwenden? Ist der anfängliche Endzweck nicht zu sehr eingeschränkt? Letzteres hat schon der im Jahr 1740 seel. verstorbene Ergasto eingesehen, u. deßwegen beliebte Vorschläge gemacht. [Am Rand: s. Amarantes Histor. Nachr. && S. 889]" — Davon sollen sich auch ältere oder legalistische Mitglieder angesprochen fühlen: Die Umgestaltung des Ordens ist seit siebzig Jahren überfällig, unsere Gedanken haben Tradition. — "Dieses alles [Randnote: u. noch mehreres, welches auszuführen hier weder Zeit, noch Ort ist,] überzeugt mich, daß Vermehrung u. Verbesserung unserer alten Geseze sehr nothwendig sind, u. bekenne mich in dieser Überzeugung dem vortrefflichen Verfasser des hierzu gemachten Entwurfs besonders verbunden; ich glaube auch, daß diese Verbesserung u. Vermehrung [hier Unterstreichungen, zum Teil mehrfach unter einem Wort, in roten Bleistiftstrichen] in so ferne und so lange ganz allein von dem Willen der Gesellschaft abhange, als von dem Wesen selbst des von Hoher Obrigkeit bestättigten Ordens u. seiner Geseze nichts abgethan wird." — Hier äußert sich wieder der vorsichtige Jurist. Auf Neudeutsch: Ihr müßt eure Satzungsänderungen als bloße Schönheitskorrekturen ausgeben, sonst weckt ihr schlafende Hunde und bringt sie beim Scholarchat nie durch. — "Durch die dermalige Verbesserung u. Vermehrung aber wird im Grundwesen des Ordens u. der Gesetze nichts abgeändert, sondern vielmehr demselben mehr Würde u. Dauer gegeben werden, folglich geschieht dadurch nichts, als daß die Mitglieder ihre dem Orden schuldigen Pflichten thätig erfüllen."

"ad 2.) Nach den Gesezen [...] scheint es, als wenn anfänglich das Sekretariat mit dem Konsiliariat verbunden gewesen seye. Allein nach meinen Begriffen lassen sich beede Aemter gar nicht miteinander vereinigen. Es kan sich treffen, daß einer, oder der andere Konsiliarius einen abwesenden Vorsteher vertretten muß: Es ist aber eine unziemliche Unordnung, wenn ein Präses das Protokoll führt. Da wir auch keine Titulsucht bey einem unserer Mitglieder vermuthen können, so wird sich derjenige, welcher zum Sekretär gewählt wird, auch nach keinem anderen Titul sehnen. Übrigens ist es sehr räthlich, zween Konsiliariis anzustellen."

Zu 3 schlägt Faulwetter vor, dem Präses bei Stimmengleichheit die Entscheidung zuzugestehen, außer natürlich bei Präseswahlen, wo die Stimme des Ersten Ordensrats den Ausschlag geben soll.

Der Schriftführer, das zu 4, kann von einem einfachen Mitglied vertreten werden. Ein Schatzmeisteramt wird immer noch nicht ins Auge gefaßt; dem Schriftführer bleibt nach 5 die Verantwortlichkeit für die Kasse, aber ob er Kaution leisten müsse, "möchte wohl zu umgehen seyn". Dazu aber eine spätere Bleistiftnotiz: "Die Caution ist fest gesetzt." Faulwetter war es um spannungslose Beziehungen innerhalb des Ordens zu tun; andere Mitglieder, die sich wohl den geringen Kassenbestand nicht allein aus den Ausgaben für Trauergedichte erklären konnten — obwohl diese, der Kupferstichausstattung nach, verhältnismäßig hoch waren — wollten den Kassenwart in seinem eigenen Interesse auf größere Sorgfalt verpflichten.

"ad 6.) Aus sehr weißen Gründen empfiehlet sich der Vorschlag, daß Präses, Konsulenten u. Sekretät hiesige Bürger seyen, u. in der Stadt, oder doch wenigstens innerhalb der Linien wohnen, [...]" — Die Linien sind gleichbedeutend mit dem damals noch bestehenden System von Außenschanzen weit vor den Mauern (wovon heute noch Namen wie "Bärenschanzstraße" zeugen).

"ad 7.) Nach meiner Einsicht mögte die Anzahl von 5. Ausschüssen genug seyn: Ungerade muß aber auch selbige seyn, weil bey Vorfällen, wo Ausschüsse beyzuziehen sind, auch noch 3. Vota, nemlich der beeden Konsulenten, u. des Sekretärs, mithin 8. Vota, gegeben werden, u. nur bey gleich fallenden zweyerley Votis ein Votum decisivum Präsidis sich denken lässet." — Ausschüsse kamen in Colmars Entwurf auch vor, und durch deren Einführung würde sich der Orden wiederum auf die Bahn einer Gelehrtenversammlung begeben. Faulwetter möchte den Entscheidungsspielraum des Präses gegenüber den auseinanderstrebenden Spezialisten stärken — der Mann hätte nicht übel in eine verfassunggebende Versammlung der Nation gepaßt, nur bestand darauf vorerst wenig Aussicht.

Zu 8 und 10 fällt Faulwetter nichts Neues ein, aber die Fragen Colmars ergänzt er noch:

"ad 11.) [...] c.) Ist es nur Observanz, daß bißher die getroffene Wahl dem Scholarchat nicht angezeigt worden ist, so möchte auch dermals davon nicht abzugehen seyn." — Man gibt ein Gewohnheitsrecht nicht ohne Not auf. — "d.) Wenn ich Revisionen für nicht räthlich halte, so gründet meine Meinung sich auf Erfahrung. Ich weiß Fälle, wo dadurch gutes Verständnis, u. die allen Gesellschaften nöthige Eintracht unterbrochen worden ist. Doch möchte es, wenn Jemand, als Mitglied des Ordens etwas in Druck herausgeben wollte, bey demjenigen verbleiben, was in den alten Gesezen deßhalben verordnet ist. [...]" Zu der Möglichkeit, auswärtige Mitglieder zu haben, rät Faulwetter, daß man erst den Orden wieder in Gang bringen müsse, dann könnten solche Beziehungen rühmlich sein. Und was die Grundsätze des Umganges mit dem Vereinsvermögen angeht, so müsse man erst einmal herausfinden, wie es wirklich um die Kasse bestellt ist.

Unter Punkt 12 fühlt Faulwetter vor, "[...] ob nicht in Zukunft, neml. in dem Falle, daß Ordens-Namen aufgehoben werden, bey Ordensversammlungen ein jedes Mitglied, mit Umgehung seines sonstigen Charakters [seiner gesellschaftlichen Stellung], bloß bey seinem Namen, als Herr N! angeredet u. zum Votieren aufgefordert werden solle?"

Zum Abschluß greift auch Faulwetter, unter 13, auf den Gedanken an eine Nürnbergische Akademie der Wissenschaften zurück: "Wird es gewiß den Löblichen Orden zieren, wenn nicht nur bloß Dichtkunst, sondern mehrere Theile der Wissenschaften darinnen bearbeitet werden. [...]"

Der Unterschrift Faulwetters vom 20. August 1788 folgt eine Reihe von Namen, zum Teil mit Zusätzen, die erkennen lassen, daß dieses Gutachten als Rundschreiben umlief (und zwar noch ziemlich lange): "Mit diesen hocherleuchteten Erinnerungen confirmiert sich gänzlich Dr. J.A. Friederich, OrdensKons.[ulent]" — J.D. Lugenheim Dr. — Dr. J.G. Leuchs — Dr. J.K. Link — Seyfried u.s.w. bis zum 8. Februar 1790.

Einstweilen fand am 3. November 1788 im Roten Hahn eine Sitzung statt. Es war die erste nach der neu beschlossenen Regel, daß man "normal jedesmals am nächsten Montag nach den vier Quartalen" zusammenkommen wolle, und zum ersten Mal hatte der neue Präses den Vorsitz.


Der Reformpräses

Unterdessen, am 1. September, wie beschlossen, war nämlich die Wahl vor sich gegangen, und zum Präses war Georg Wolfgang Panzer-Theophobus erkoren worden — nicht Friederich, sei es, daß er gerne als Ordensrat aus zweiter Reihe wirken wollte, sei es, daß er weiterhin als zu jung galt, oder, daß in einer geheimen Wahl, also ohne Fortwirken der schwiegerväterlichen Protektion, die Vorbehalte gegenüber einem Macher, der ein bißchen zu tüchtig zu Werke gegangen war, um sympathisch zu wirken, zum Tragen kommen konnten.

Zweiter Ordensrat, da Leinker unterdessen gestorben war, war Faulwetter geworden. Colmar, Link, Waldau, Seyfried und Reichel wurden als Ausschußvorsitzende dem Vorstand neu hinzugefügt. Schriftführer wurde Zahn.

Er bekam bald viel zu tun, noch fehlten ihm wichtige Unterlagen. Schon am 3. September 1788 richtete Friederich ein "Promemoria" an Panzer, in dem es unter anderem heißt: "Wer soll die bey dem Transport der Behälter, Akten etc. aufgehende Kosten bestreiten, da Herr Hodevon die Cassa und Rechnungen noch in Händen hat?" Man muß es nicht so sehen, als hätten die bisherigen Amtsträger mauern wollen; in einer Zeit, in der jeder Wechsel des Schriftführeramtes einen Umzug der gesamten Archivalien mit sich führte, nicht nur einiger Schachteln mit Briefen, kostete diese Umstellung Geld. Und Schmidbauer konnte nicht gut zugemutet werden, von sich aus für den Transport zu sorgen. Es ist fraglich, ob bei der schließlich doch zuwege gebrachten Übergabe wirklich alles übergeben worden ist. Warum sollte seit den Tagen Holzschuher-Alcanders nichts, aber auch gar nichts an Schriftwechsel dazugekommen sein? Andererseits hätte Schmidbauer, wenn er nichts aus seiner und Reichels Amtszeit auszuliefern gehabt hätte, den Vorwurf bestätigt, es sei nichts getan worden. Er wird behauptet haben, es sei etwas da, gehe aber die Verächter seiner Amtsführung nichts an, und diese werden sich an dieser überwundenen Epoche nicht sehr interessiert gezeigt haben. Vielleicht kommt sogar noch einmal aus dem unübersichtlichen Archiv oder anderswo her etwas ans Tageslicht, was der jüngere Fürer verordnete, was Dietelmair schrieb, was die wenigen Mitglieder um 1765 trieben.

Am 3. 11. 1788 hat Hartlieb schließlich den Amtsnachfolgern alles ausgehändigt, was sie erwarteten — auf jeden Fall seinen nachgetragenen Kassenbericht 1774 bis 1786, diesmal gegen Quittung — und sie der guten Form halber beglückwünscht. Er scheint mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft zufrieden gewesen zu sein. Eine alte, wahrscheinlich noch um 1800 eingetragene Randbemerkung mit Bleistift: "Diese Bitte ist Unglaublich und im Hinblick auf das Verhalten des Praeses Sclerophilus geradezu unbegreiflich." Fragt sich nur, wer wen gebeten hatte — war es Großmut des Siegers oder Wahren des Gesichts? Daß man nun gemeinschaftlich versuchte, nach außen hin alles als ganz normalen Verlauf hinzustellen, zeigt nicht allein Panzers wenige Jahre danach gehaltene, hier mehrfach zitierte Festrede.

Ganz so schroff, wie es die neuen Vordenker erwartet hatten, war nämlich der Bruch mit der Vergangenheit unter Präses Panzer nicht. Er war immerhin eines der ältesten Mitglieder. In jener Festrede von 1794 gibt er bekannt, daß er 1729 zu Sulzbach in der Oberpfalz geboren und noch unter Anton Ulrich Fürers Vorsitz 1764 "unter die Ordensmitglieder aufgenommen" worden sei. Es scheint ein gewisser Widerspruch zu der an gleicher Stelle erhobenen Behauptung zu bestehen, er gehöre zu den von Reichel Aufgenommenen, aber wer den geringen zeitlichen Abstand zwischen 1764 und des jüngeren Fürer Ableben ins Auge faßt, kann für wahrscheinlich halten, daß Panzer, durch familiäre Verbindung mit dem Hause Jantke ohnehin dem Orden nahe, von Reichel nur noch die Urkunde zu erhalten hatte. (Nebenbei sieht man daran, wie Reichel in die Aufgaben eines Präses hineinwachsen konnte, ohne gewählt zu sein.) Das Weiterleben der Tradition ersieht man aus dem folgenden Satz aus Friederichs eben zitierter Denkschrift: "Außerdem werden auch neue Diplomata gedruckt werden müßen und mit dem Ordens Siegel zu signieren seyn."

Am 9. Februar 1789 wurde Colmars Satzungsentwurf besprochen. Weiter oben war zu sehen, daß sich Colmar bereits im Juli 1788 "Themisander II." genannt hatte. Wenn man ein wenig vorausgreift bis zu dem Rundschreiben mit Protokoll einer Ordenssitzung, das Panzer durch Zahn am 11. August 1789 ausgehen ließ und in dem unter anderem dazu aufgefordert wird, die gewählten Ordensnamen und Blumen einzutragen, sieht man, wie die Reste der Schäfermode doch wieder durchdrangen: Sechs Einträge sind bis zum 8. Februar 1790 geschehen; Link wollte auf die Dauer gegenüber älteren Mitgliedern auch nicht zurückstehen und nannte sich Evonymus. Theophobus — "der Gottesfürchtige", oder ist nach Gellerts Vorbild der Name als "Fürchtegott" zu verdeutschen? — wollte die arkadischen Namen nicht abschaffen. Er muß noch um den christlichen Hintergrund der Pegnitzschäferei gewußt haben, in einer Zeit, da republikanische Franzosen die Schäfereien der Marie Antoinette unsäglich albern und provozierend fanden.

In einer anderen Hinsicht jedoch hielt es Panzer nicht mit gutem altem Herkommen: Er dachte offenbar wenig von Frauen im Orden, oder mindestens von den einsamen, gramvollen Frauengestalten (Witwen und älteren Fräulein), die dem Orden zu dieser Zeit noch angehörten. Ein Zusatz, den er auf Friederichs Promemoria anbrachte, zeigt das mit aller Deutlichkeit: "Den, in dem Orden befindlichen Frauenzimmern die Wahl zu notificiren [zur Kenntnis zu bringen], halte ich nicht für nöthig." Gemahlinnen zu den Sitzungen zuzulassen, auch wenn sie nicht Mitglieder waren, konnte er den Blumengenossen aber offenbar nicht abschlagen. In einem Einladungsschreiben vom 22. Dezember 1790 heißt es, die Versammlung solle um vier Uhr nachmittags im Sebalder Pfarrhof beginnen; der Präses als Hausherr bitte aber, wegen der Enge außer Gemahlinnen keine Nichtmitglieder mitzubringen und für das Abendessen 30 Kreuzer zu bezahlen.

Nach der Reihenfolge der überlieferten Sitzungsberichte: Am 4. 5. 1789 wurde festgestellt, daß in Hartliebs Rechnung eben doch noch ganze 174 Reichstaler fehlten. Fast einstimmig votierte man für gütliches Erlassen. — Panzer schlug in ausgefeilter Form eine Erweiterung der Ordensziele vor, darunter "deutsches Sprachstudium"; man solle es theoretisch, literarisch und praktisch betreiben und etwa Aufsätze über Richtigkeit und Schönheit der Schreibart liefern. — Die Ordensnamen waren erhalten geblieben, aber nun wurden ausdrücklich Band und Denksprüche zu den gewählten Blumen abgeschafft. — Im Hinblick auf die Ausstattung des Irrhains mit Monumenten ist bemerkenswert: Die Marmorplatte, welche Leinkers Frau hatte anfertigen lassen, paßte angeblich nicht gut an einen Baum, also wurde Colmar beauftragt, dafür einen Stein im "Kirchhof" setzen zu lassen — den zweiten.

10. 8. 1789: Nun soll auch noch Hartliebs Bildnis für das Große Ordensbuch gemalt werden. Die Sieger überbieten sich geradezu in Großmut.

Man besichtigte am 28. August 1789 den Irrhain gemeinschaftlich. Mehrere Hütten waren herrenlos, diejenige der Jungfer Scherb ohne Dach. Wie sollte sich das arme Fräulein darum kümmern? Die lud doch keiner mehr in die Kutsche und fuhr sie hinaus. Man ließ es sich aber gern gefallen, daß am 3. Mai 1790 die Bezzels im Namen einer anderen vereinsamten Frauensperson, der Tochter des Amarantes, dem Orden zwei silberne Medaillen mit Abbildungen zweier Präsides nebst schriftlichen Beilagen überreichten.

Eine der herrenlosen Hütten übernahm Dr. Wittwer-Chiron II. Er durfte auch im selben Jahr seinem Vater Chiron I. eine Gedenktafel aufhängen. Im Mai 1790 entstanden größere Schäden durch Windbruch. Es scheint allerdings zweifelhaft, ob das Unwetter, wie 1990, gleich 40 Bäume umgestürzt hat. Die folgenden Besichtigungen der Aufräumarbeiten — am 21. Juni und 26. August 1790 — wurden auch zum Anlaß genommen, Gedichte vorzutragen (Häßlein, ganz altmodischer Autodidakt, las ein Gedicht über Amor, das andere Mal durfte auch Panzers Tochter eines vortragen).


Verlagerung der Interessen

Die geschichtswissenschaftlichen Neigungen einiger Ordensmitglieder wirkten sich in diesen Jahren auf einem Großteil der Versammlungen aus. Dabei mutet es merkwürdig an, schon etwa hundert Jahre, bevor die gründerzeitliche Renaissance-Schwärmerei einsetzte, an der Wahl der Gegenstände bei diesen Nürnbergern ähnliches zu beobachten. Vielleicht hängt es mit dem absehbaren endgültigen Untergang der Reichsidee und des reichsstädtischen Wesens zusammen, daß man sich auf deren beste Zeiten gerne besann. Kaum war Siebenkees aufgenommen (16. 8. 1790), las er schon über Quellen Nürnberger Geschichte (8. 11. 1790). Präses Panzer und Will gruben den Barbier und Meistersinger Hans Volz aus (16. 8. 1790), Colmar des gleichzeitigen Meisters Rosenblüth Komödie von Troja (22. 8. 1791).

Kiefhaber las am 16. 2. 1792 über Willibald Pirckheimer, Volkert aus Originalbriefen von Celtis (7. 5. 1792). Auch über Nürnberger Goldmacher und die ältere Geschichte Straßburgs konnte man auf letzterer Sitzung etwas vernehmen. Am 5. 11. 1792 griff Panzer sogar ins Mittelalter zurück und las aus Hugo von Trimberg. Daß am 12. 8. 1793 Vogel einen Versuch über die Religion der alten Ägypter verlas, gehört allerdings eher zu den freimauerischen Bezügen, die einzelnen Ordensmitgliedern wohl nicht abzusprechen sind.

Die Geschichte des Ordens selbst wurde zunächst nur soweit ins Auge gefaßt, daß man den neuaufgenommenen Candidaten Wißmüller (16. 8. 1790) damit beauftragte, das Ordensarchiv in Ordnung zu bringen, und daß man von den Neumitgliedern verlangte, ihre Lebensläufe einzureichen (7. 2. 1791). Am 6. 5. 1793 wurde dies noch einmal zur Sprache gebracht mit der ausdrücklichen Absicht, den Amarantes fortzusetzen. Daraus wurde freilich nichts. Die zünftigen Historiker, die dem Orden nun angehörten, blickten doch mehr nach außen und weiter nach hinten, mußten es wohl auch, um Deutschlands steigendem Selbstbewußtsein die beruflich von ihnen erwarteten Dienste zu leisten.

Am 3. August 1791 fand im Irrhain eine Feier zu Ehren des Präses Panzer statt. Dazu war ein Laubentempelchen aufgebaut, der "Tempel der Freundschaft", an welchem Inschriften angebracht waren. Abends wurden das Tempelchen und der "Kirchhof" beleuchtet. Das hatte Konrad Grübel eingerichtet, der Stadtflaschnermeister. Damit empfahl er sich für die weit aufwendigere Illumination zur Jubiläumsfeier 1794.

Auf dem erneuerten inneren Portal, das von Friederich mit einem deutschen Text versehen worden war, waren die beiden Buchstaben V und F angebracht und beleuchtet, was "Vivat Friederich" bedeuten sollte. Der so Mitgefeierte gab wieder eine Probe seiner geselligen Tugenden: Er sang mit seiner schönen Tenorstimme die Strophen des Schiller'schen Liedes An die Freude, die anderen Mitglieder hielten beim Kehrreim mit. Fünf "Stadt-Hautboißten" werden dabei auch ihr Bestes getan haben. Schiller wußte nichts davon...


Am 1. November 1791 mußte besprochen worden, wie sich der Orden gegen eine abträgliche Darstellung in der Berliner Deutschen Bibliothek (des After-Aufklärers Nicolai, dem Nürnberg sowieso wegen seines nicht schachbrettartigen Straßenverlaufs ein Greuel war) zur Wehr setzen sollte. Ein Widerhall davon war auch in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung in einem der neuesten Stücke zu lesen gewesen. — Das war doch schon mal dagewesen, nur waren's ein Jahrhundert früher die Sachsen, im Namen der Galanterie! Was mochte nun dahinterstecken? Ohne einer genaueren Untersuchung vorzugreifen, die einem Erlanger Studenten als Zulassungsarbeit zu gönnen wäre, vermute ich einmal, daß es politische Gründe waren, die den Journalismus jener Tage veranlaßten, Nürnberg zum Gegenbild all dessen hinabzustilisieren, was man für fortschrittlich hielt. Statt des Josephinismus einen ordentlichen Jakobinismus, oder so ähnlich. — Die Pegnesen rückten dem Journal von und für Franken eine in ihren Augen zweckmäßige Abhandlung ein, desgleichen dem Intelligenzblatt Nürnbergs. Schiller hat's nicht wahrgenommen...


Weil im Irrhain einige fremde Leute gestört hatten, wurde am 22. 8. 1791 vereinbart, daß Mitglieder zu Versammlungen nur noch "Hausgenossen" mitbringen dürften; selbst Personen von Ansehen müßten sich in Zukunft Abweisung gefallen lassen, wenn sie nicht an Ort und Stelle durch eine Abstimmung der Mitglieder eingeladen würden.


In den nächsten Jahren gediehen die Hecken trotz mehr und mehr stützenden Lattenwerks immer schlechter, da der zum Hochwald herangewachsene Baumbestand immer mehr Schatten warf. Auf die Dauer wurde daher aus den künstlichen Gängen ein Park nach romantischem Geschmack.


Am 13. 8. 1792 machte man sich allmählich Gedanken über die Feiern zum einhundertfünfzigjährigen Bestehen des Ordens. Es wurde eine Sammlung angeregt: Jedes Mitglied sollte vierteljährlich einen Taler zwölf Kreuzer in die Kasse liefern. (Das, im Zusammenhang mit den Aufwendungen für Trauerfälle, war dem damaligen Hersbrucker Stadtpfarrer wohl zu viel; als anläßlich des Ablebens des Dr. Wittwer-Chiron II. die Liste an ihn kam, strich er seinen Namen einfach durch.) Im übrigen drängte der Präses darauf, die Satzung rechtzeitig vor dem Jubiläum zu überarbeiten, und am 12. 8. 1793 wurde endlich deren letzte Fassung innerhalb der Epoche erstellt. Man hat sie dann augenscheinlich vordatiert:



Verneuerte Geseze des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg, im Jahr 1791.

In Punkt I. erscheint die Bezeichnung 'Vorsteher' statt 'Präses'. Dies ist daran etwa das Bemerkenswerteste.

Punkt II. geht ebenfalls über die Colmarschen Vorschläge und Faulwetterschen Zusätze nicht hinaus, außer in der Beschreibung der Vorsteher-Befugnisse:

"Wie er selbst nichts willkührlich oder einseitig zu thun berechtiget ist; so kann auch ohne sein Wissen, und ohne seine Einwilligung nichts vorgenommen werden."

"III. Die zween Consulenten geben ihre Stimmen zuerst, und haben die Gesellschaft mit Rath und Beystand zu unterstüzen. Wenn schriftliche Aufsäze zu entwerfen sind, so verfertigen sie dieselben entweder selbst, oder prüfen solche, im Fall man sie einem andern Ordens Mitgliede sollte aufgetragen haben." — Bei diesen Aufsätzen ist an Schriftstücke aus der Verwaltungsarbeit zu denken.

"IV. Der Secretair [...] hat die sämmtlichen Schriften, Dokumente, Bücher u.d.[gl.] sammt dem Pokal in seiner Verwahrung. Eben derselbe hat auch die Kasse [...] Von ihm erhalten die Mitglieder die Schlüssel zum Irrhain [...] Kleine Verbesserungen in dem Irrhain veranstaltet er auf Anzeige und unter der Aufsicht des iedesmaligen Garteninspectors, des Herrn Pfarrers zu Kraftshof, mit Vorwissen des Präses. Alle andere erhebliche Bau, und den Irrhain betreffende Sachen aber, werden von dem Präses, beyden Consulenten und dem Secretair gemeinschaftlich besorgt, und der Gesellschaft davon Rechenschaft abgeleget. [...] Er erhält jährlich aus der Kasse Sechs Gulden für seine Bemühung. [...]"

"V. Die Wahl des Präses, der beyden Consulenten und des Secretairs hängt ganz von der Willkühr der Ordens Mitglieder ab, ohne daß dabey auf Stand oder Gesellschafts Alter Rücksicht genommen werden darf, sondern blos die Ehre, der Flor und das Wohl der Gesellschaft in Betrachtung gezogen werden muß. Doch müssen die zu diesen Stellen zu erwählenden Personen, ordentliche Mitglieder der Gesellschaft und hiesige Bürger seyn, auch innerhalb der Linien wohnen. Sie legen daher, wenn sie ihren Wohnort verändern, ihr Amt nieder, [...]" Das Wahlverfahren wird beschrieben wie bei Colmar, mit dem Zusatz, daß die Zettel nach der Wahl sogleich vernichtet werden.

Unter Punkt VI. ist nicht von Ausschüssen, sondern von einem Ausschuß von fünf Mitgliedern die Rede, die der Präses bei außerordentlichen Vorfällen und eiligen Angelegenheiten statt einer Vollversammlung berufen kann. Ihre Wahl erfolgt alle zwei Jahre, wobei immer zwei der fünf weiterhin im Ausschuß verbleiben, auch wenn sie es schon mehrere Wahlperioden lang gewesen sind. Eine gewisse Stetigkeit des zweitinnersten Entscheidungsorgans wird dadurch erreicht; es läßt sich aber auch denken, daß man eine solche Einrichtung zum Tummelplatz einer grauen Eminenz umfunktionieren kann. Waren die Umstürzler von 1786 nicht bereit, ihrerseits schnellen Wandel im Orden zu tolerieren? Das sieht gar sehr wie eine Nachahmung der französischen "Directoire"-Verfassung nach Robespierres Sturz aus.

Punkt VI. regelt die Aufnahme. Personen, die "bey dem Präses um ihre Aufnahme in die Ordens Gesellschaft Ansuchung gethan, oder die von einem der Ordens Mitglieder [...] dazu vorgeschlagen werden, können nicht anders, als bey der gewöhnlichen Ordens Versammlung, durch die Mehrheit der Stimmen aufgenommen werden [...] aber doch nicht eher als nach Verlauf eines Vierteljahrs [...] Ob sich die neu aufgenommenen Mitglieder wollen gefallen lassen bey ihrem Eintritt in den Orden, der Gesellschafts-Kasse ein Geschenk zu machen, das bleibt ihrem eigenem [sic] Belieben anheimgestellt. Will ein Mitglied wieder aus dem Orden tretten, so muß solches vorher dem Präses angezeigt werden, der sodann der ganzen Gesellschaft hievon bey der nächsten Versammlung Nachricht giebt."

"VI. [Festschreibung der Sitzungstermine.] Der Anfang der Sitzung geschiehet nach fünf Uhr. Derselbe wird mit Ablesung des leztgehaltenen Protocolls gemacht, welches sodann von dem Präses und den beiden Consulenten [...] unterschrieben wird. Hierauf läst der Präses [über die anstehenden Angelegenheiten] votiren, und alles durch die Mehrheit der Stimmen entscheiden. Da diese [...] Sitzungen vorzüglich dazu bestimmet sind, sich den Absichten des Ordens immer mehr zu nähern, so haben die Mitglieder unter sich festgesetzet, daß dabey wechselsweise gelehrte Abhandlungen vor und abgelesen werden sollen, die entweder in die schönen Wissenschaften überhaupt einschlagen, oder die deutsche Sprache und Dichtkunst zum Gegenstand haben, ohne jedoch die vaterländische Geschichte auszuschliesen." — Die Vortragsmanuskripte erhält anschließend der Schriftführer für das Archiv.

Punkt IX. setzt den Jahresbeitrag auf einen Gulden und zwölf Kreuzer fest. Das sind zwölf Kreuzer weniger als 1699!

Unter X. werden die Rechte und Pflichten auswärtiger, "aber doch im Nürnbergischen sich aufhaltende[r] Mitglieder" geregelt. Sie zahlen denselben Beitrag, haben Zutritt zu den gewöhnlichen Versammlungen, können sogar Abhandlungen schriftlich einschicken und ihre Stimme zur Präseswahl, zu der sie eingeladen werden müssen, im Verhinderungsfall nach Art einer Briefwahl abgeben. Eine stärkere Unterscheidung als siebzig Jahre zuvor zwischen Stadtbewohnern und Nürnbergischen Untertanen im Umkreis wird sichtbar. Am Ende war es doch ein organisch-kultureller, kein allzu gewaltsamer Wandel, daß Nürnberg einige Jahre später seine Territorialherrschaft verlor.

Punkt XI. macht aus dem Vorschlag, für die Druckkosten eines Trauergedichts oder Nachrufs jeweils Geld von den Mitgliedern einzusammeln, eine Regel. Trauergedichte scheinen aber aus der Mode gekommen zu sein. In einem dieser Nachrufe heißt es: "Was unlängst der Herr Geheimde Rath Zapf in Augsburg wünschte, es möchten statt der Leichengedichte, welche noch an manchen Orten in der Mode seyen, von den verstorbenen Personen Biographien geliefert werden; dies ist statt der, sonst auch bey dieser Gesellschaft gewöhnlichen Leichengedichte, seit dem Jahre 1788 eingeführt."

Was Veröffentlichungen allgemeiner Art angeht, so wird für das Ordensarchiv nurmehr ein Exemplar gefordert. (XII.)

In XIII. heißt es: "Jedes Mitglied fertigt bey seinem Eintritt in den Orden, eine kurze Lebensbeschreibung von sich, welche ebenfalls dem Ordensarchiv beygelegt wird."

Eine neue Sicht der Dinge bereitet sich durch Sammeln von Tatsachen vor, auch wenn die Gesichtspunkte des Sammelns noch herkömmlicher Art sind. So stellte man im 17. Jahrhundert "Realien-Lexika" zusammen, die unter dem Aspekt der Kuriosität und zum Zwecke rhetorischen Aufputzes mit gesuchten Bildern und Vergleichen alle möglichen Sachverhalte aus Natur- und Länderkunde sowie Gewerben enthielten. Damit wurde der Aufklärung vorgearbeitet. Was sich der Blumenorden am Ende des 18. Jahrhunderts zum Ziel setzt, ist zunächst noch zu verstehen aus der Anteilnahme an allem Menschlichen: Man wünscht über das Subjekt der Aufklärung, den mündig werdenden Bürger, noch mehr zu erfahren. In Adalbert Stifters frühem Roman Die Narrenburg wird diese introspektive Neugierde eine Generation später dem Zweifel, ja der Lächerlichkeit preisgegeben: Es ist gar nicht so weit her mit dem Individuum, und es sollte sich lieber nach außen richten. Das könnte man als den Beginn des Realismus in der Dichtung bezeichnen. Die Pegnesen gehören zu jenen, die im Zeitalter des Bildungsromans unwillentlich diesen Umschwung vorbereiten, indem sie über den durchschnittlich gebildeten Menschen das Charakteristische aufschreiben lassen. Ein Nürnberger Bildungsroman könnte einem freilich lieber sein, aber den könnte man sich höchstens aus den kollektiven Daten unter Vergleich mit dem Wilhelm Meister nachträglich zusammenstellen.

Kurios und in keiner weiteren Satzung des Ordens enthalten sind die Bestimmungen der nächsten beiden Punkte:

XIV. sollen die Irrhain-Hütten des Vorstands aus der Ordenskasse unterhalten werden, während die übrigen Hütten aus den privaten Mitteln ihrer Besitzer instandgesetzt werden. (Dieser "Staat im kleinen" kennt bereits "öffentliches Eigentum", welches den Funktionären zugutekommt. Wo das endet, ahnten die Guten wohl nicht. Die dachten noch in den Kategorien von "Ehrensold" und dergleichen materieller Anerkennung.)

XV. muß ein jedes Mitglied nach Möglichkeit das Archiv retten helfen, wenn es beim Schriftführer brennen sollte. Darin spiegeln sich alteingeführte Bräuche für den Verteidigungsfall und zivilen Notstand, die im alten Nürnberg mit seiner Stadtmauerbemannung und der Stadtviertelfeuerwehr nach wie vor gut organisiert waren. 1791 war man auf so etwas erst recht stolz. "Gemeinsinn".

Zuletzt legen die belletristischen Juristen in XVI. noch fest, daß die gesamte Blumengesellschaft diese Gesetze unterschreibe und sich dadurch "zu deren Vesthaltung und Beobachtung verbindlich mache." Sanktionen werden nicht in Aussicht gestellt. Man war ein Ehrenmann, und das genügte. Man wird noch sehen, ob.


Die Jubelfeier von 1794

Am Nachmittag des 15. Juli 1794 verfügten sich die Ordensmitglieder, alle in schwarzer Kleidung (wie die Abgeordneten des Dritten Standes in der Französischen Nationalversammlung), in den oberen Rathaussaal. Dort, wo Juvenells Deckengemälde aus reichem Rahmen herableuchtete, sowie in den anstoßenden beiden Zimmern, wo Dienerschaft einen Imbiß und die Stadtpolizei eine Wache hingestellt hatte, begab sich der mit Reden vollgestopfte Teil der Feier. "Der Herr Vorsteher beschenkte die Gesellschaft mit dem zweyten Bande seiner typographischen Annalen [...]" Mit folgenden Neumitgliedern aus räumlich oder weltanschaulich entfernteren Bereichen schmückte sich der Orden zu diesem besonderen Anlaß: "Herr Georg Jacobi, Praeses des catholischen Religionsexercitii im deutschen Haus allhier [...]; Herr Johann Georg Meusel Königl. Preuß. und Hochfürstl. Quedlinburgischer Hofrath, und öffentlicher ordentlicher Lehrer der Geschichtskunde zu Erlangen; Herr Christian Wilhelm Jacob Gatterer, Churpfälzischer wirklicher Bergrath und öffentlicher ordentlicher Lehrer zu Heidelberg; [...] Herr Carl Beniamin Lengnich, Archidiacon und Bibliothekar bey der Oberpfarrkirche zu St. Marien in Danzig." Anschließend ging man in die obere Rathausvogtei zum Essen. Dort überreichten dem Präses der älteste Sohn des Arztes Panzer und dessen Freund, Dr. Friederich, sein Porträt. Sein eigener Sohn, der Kandidat Panzer, sprach einen Glückwunsch.

Am nächsten Tage ging es hinaus in den Irrhain, wo "von dem geschickten Flaschner Herrn Grübel eine geschmackvolle Illumination veranstaltet war." (Ob der geschickte, auch von Goethe gelobte Mundart-Dichter Grübel einige Jahre später in den Orden aufgenommen worden wäre, auch wenn er sich nicht mit zwei Illuminationen zu Bewußtsein gebracht hätte?) Über 1000 Personen sollen damals an diesem Fest im Freien teilgenommen haben.

Zu dem noch nicht hinlänglich erklärten Begriff 'Privatgesellschaft', der zuerst im Namen der Altdorfer Studentenvereinigung aufgefallen war, gab Panzer in seiner Rathaus-Festrede die abrundende Auskunft. Die Anrede an die Versammelten ist im Sinne des alten ständischen Systems öffentlich genug: "Hochpreislicher Herr Kirchenpfleger, Hochansehnliche Herren Scholarchen, Hochverehrliche Herren Gesellschafter". Doch beeilte er sich, der vernachlässigten Kulturpolitik der abgesackten alten Reichsstadt die Initiative gegenüberzustellen, die der Blumenorden, trotz aller Beschränkungen, immerhin in neuere Zeiten herübergerettet hatte: "Es ist blos eine Privatgesellschaft [...], die das, was sie werden wollte, und was sie wurde, immer aus sich selbst nehmen muste — eine Gesellschaft, die ihrer Art und Einrichtung nach, dasjenige weder leisten wollte, noch konnte, was andere Academien und ausgebreitetere Gesellschaften, denen ein ungleich größerer Wirkungskreiß angewiesen werden muste, und denen es daher nie an der thätigsten Unterstützung, nie an den ehrenvollesten, ihre, nothwendigerweise größere Anstrengung, belohnenden Ermunterungen fehlen konnte, zu leisten imstande waren." Das war der Vergleich nach außen. Zum Geist einer privaten Sprach- und Dichtungsgesellschaft fiel aber Panzer folgendes ein: "Wer wollte ferner mit den Musen einen vertrauten Umgang zu pflegen wünschen, wenn dieses blos zum Zeitvertreib und zur Ausfüllung müßiger Stunden geschehen sollte, wenn man von ihnen nicht auch die einzige große Kunst — der Welt nützlich zu seyn — lernen könnte?" Dies ist nun allerdings platter Rationalismus, graudämmriges achtzehntes Jahrhundert; hier scheidet sich der Geist des Blumenordens vom Geist der Klassiker, namentlich Goethes. Von der Autonomie des Kunstwerks, vom Menschen, der, fern von dem Nützlichkeitszwang des Alltags, als Spielender zu höherem Menschsein findet, und von ästhetischer Erziehung nach Schillers etwa gleichzeitigem Entwurf ist hier noch nicht die Rede.