Magnus Daniel Omeis

(Porträt aus dem Großen Ordensbuch, Germanisches Nationalmuseum

Hier sind zwei Rückgriffe notwendig: Bei dem erwähnten MYRTILLUS handelt es sich um den acht Jahre vorher verstorbenen Präses und Kraftshofer Pfarrer MARTIN LIMBURGER, gemäß dessen Einfall der Irrhain eingerichtet worden war. Und zweitens sollten wir uns einmal vorstellen, wir hörten der Verlesung der Ordenssatzung zu. Wir haben sie nämlich hier, obwohl es lange Zeit hieß, sie sei verschollen. WILHELM SCHMIDT, Mitglied des Pegnesischen Blumenordens in seiner schwersten Zeit, machte am 9. Juli 1942 eine Entdeckung, die für ihn trotz der Zeitumstände erfreulich gewesen sein muß (ich sehe ihn wie Serenus Zeitblom aus Thomas Manns "Doktor Faustus"): Er fand an unerwarteter Stelle (wie es bei dem Zustand des Pegnesenarchivs immer noch im Bereich des Möglichen liegt) die Urschrift der Satzung, die sich der Orden 1699 gegeben hatte, die älteste erhaltene. Nun sind Satzungen zwar keine literarischen Texte im engeren Sinne, doch sie erhalten durch den Bezug auf die Bedingungen, unter denen gedichtet und Sprachpflege betrieben wurde, eigene Bedeutsamkeit. Der dahinter stehende Wille einer Gruppe hat in einer Weise Ausdruck gesucht, die der Verständigung über ganz bestimmte, zeitgebundene Verhältnisse dienen sollte, und die Zwecke greifen über diese Gruppe hinaus in den Sprachraum der betreffenden Zeit. So werden selbst kleine Änderungen am Wortlaut von Satzung zu Satzung aussagekräftig. Darüber hinaus kommt diesen Dokumenten auch rechtliche Verbindlichkeit zu -- alles Eigenschaften, die eine geschichtliche Deutung oder wenigstens Einordnung geradezu herausfordern. Die Satzungen legen solcher Deutung auch weniger Hindernisse in den Weg als poetische Texte und unterstützen dadurch mittelbar die Deutung der Poesie. Aus diesen Gründen erscheint es mir gar nicht so unsinnig, sich einmal darum zu kümmern.

Die erste Satzung

Wohlgemeinte Satzung und Verordnungen worauf sich der Löbl. Kayserl. gekrönte Blumen-Orden an der Pegnitz, im Jahre Christi 1699 unter der Preiswürdigsten Vorstehung Damons, auf hochvernünftiges Einrathen der Neu-erkohrnen Zweyer Nürnbergischen Consiliariorum, Poliander und Asterio, wie auch der itziger Zeit Zweyen Altdorfischer, Irenians und Cherisons, freywillig verglichen hat.

Was hier derartig überschrieben ist, besteht aus 18 Punkten, die in der Tat teils Grundsätzliches, teils Verwaltungstechnisches regeln. Innerhalb der Paragraphen gehen diese Gesichtspunkte ineinander über; man scheint weniger der in der Überschrift angedeuteten Aufteilung als vielmehr einer inhaltlichen Rangfolge stattgegeben zu haben.

Von den in der Überschrift benannten Altdorfer Consiliarii" oder Ordensräten hatte zumindest IRENIAN den etwa 50 km weiten Weg zum Irrhain nicht gescheut. Er hieß sonst CHRISTOPH WEGLEITER, war 1659 geboren, hatte in Altdorf die Theologie bis zur Magisterwürde studiert, wurde 1679 in den Orden aufgenommen und Poeta Laureatus Caesareus, also Kaiserlicher Gekrönter Poet. Diesen Titel konnte man anläßlich akademischer Graduierung von einem Kaiserlichen Pfalzgrafen, einem Comes Palatinus, wie der seinerzeitige Präses SIGMUND VON BIRKEN einer war, ziemlich leicht erhalten, wenn man ein wenig gedichtet hatte. WEGLEITER unternahm zwei weite Bildungsreisen, auf denen er unter anderen den Erzpietisten SPENER traf und Englisch wie seine Muttersprache sprechen lernte; zurückgekehrt, Dr. theol. und bald Professor in Altdorf, wurde er Ordensrat. Er starb 1706; an veröffentlichten Werken gibt es von ihm außer theologischen Schriften ein paar Gedichte in der Form der Hirtengespräche.

Der andere Altdorfer, CHERISON , jedoch ist für uns zunächst durchsichtig wie ein Geist. Dieser Hirtenname taucht nämlich nur im Titel der Satzung von 1699 auf und nicht in den späteren Mitgliederlisten, auch nicht in der Abwesenheitsliste der Sitzung im Irrhain. Unter den Altdorfern, die zur fraglichen Zeit Mitglieder des Ordens waren, wird in der Stammliste allerdings ein THEMISON geführt, der als einziger auch Ordensrat gewesen sein soll. Von diesem später mehr. Könnte der ersterwähnte Name auf einen Hör- oder Abschreibefehler zurückgehen, oder hat eine Umbenennung stattgefunden? Aber nun zur Verlesung des Satzungsentwurfes:


Erstens, Ordensziele:


Verehrung des Göttlichen Nahmens, Vermehrung der Teutschen Treue, und [...] das Wachsthum unserer Mutter-Sprache nach ihrer Zierde und Lieblichkeit.

Von einer Aussprache über diesen Punkt oder die folgenden ist in der Niederschrift nichts erwähnt. Möglicherweise war den Herren nicht ganz danach, während sie im flimmernden Halbschatten einer aus Ruten zusammengebogenen, von Latten gestützten Laubhütte eng beieinandersaßen oder -standen. (Gab es Mobiliar im Irrhain? Bänke allenfalls.) Es war aber auch kaum nötig, die allgemein anerkannten, längst praktizierten Grundsätze denen zu erläutern, die damals anwesend waren.

Heutigen Lesern allerdings könnten die trügerisch vertrauten Worte schon etwas aufstoßen, wenn sie nicht in ihrer tatsächlichen Fremdheit erkannt und vor dem Hintergrund dessen, was wir über die damalige Kultur wissen, in unsere ganz anders gewordene Sprache umgesetzt werden.

Die religiöse Wendung hatte SIGMUND VON BIRKEN, der ja auch mit namhaften Pietisten der ersten Generation in Briefwechsel stand (z.B. mit dem erwähnten PHILIPP JAKOB SPENER), dem Orden gegeben. Davon zeugt die aus dieser Zeit überkommene Devise "Alles zur Ehre des Himmels". In der lateinischen Fassung, die AMARANTES angibt, heißt sie: "Divini germen honoris", was wörtlich übersetzt lauten würde: "Keim göttlicher Ehre". Damit ist aber ausgedrückt, daß der Orden auf seinem Gebiet Gottes Ehre zum Wachsen bringen solle, also nicht etwa, daß alles, was der Orden unternehme, nur um der Ehre Gottes willen zu geschehen habe. So scheint es aber um die Mitte des 18. Jahrhunderts verstanden worden zu sein! Die Generation der Gründer war auch nicht unfromm gewesen, aber für so vorrangig hatten sie das bei einer Schäfergesellschaft nicht gehalten.

In der Festschrift von 1894 stellt THEODOR BISCHOFF die Vermutung auf, als Vorbild für die ursprüngliche Zielsetzung des Blumenordens sei die Satzung der "Intronati" zu Siena anzusehen. HARSDÖRFERS Wiedergabe findet sich in seiner Vorrede zum Teil V der Frauenzimmer-Gesprächspiele. Das erscheint mir stimmig angesichts der Gleichzeitigkeit der Gesprächspiele mit den Anfängen des Ordens. Wenn wir diesem Hinweis folgen, so war wohl in den ersten Jahren die Empfehlung zur geistigen Haltung der Mitglieder etwa folgende:

"Die Feinde der Tugend und der Teutschen Helden Sprache, sollen hier nicht zugelassen werden. [...] Du aber bet andächtig, studiere fleissig, sey fröliches Gemüts, beleidige niemand. Frage nicht nach frembden Händeln. Glaub Deinem Wahn nicht. [D.h. Halte deine Anschauungen nicht für die einzig richtigen, bilde keine fixen Ideen aus, sei tolerant; wie leicht das einseitige Wähnen zum Verfolgungswahn werden kann, deutet der folgende Satz an:] Laß Dich ein fröliches Schertzwort nit betrüben."

Wie es von hier aus zur "deutschen Treue" kommt, ist nicht ohne weiteres verständlich. Es handelt sich aber wahrscheinlich um einen Gegenbegriff zu dem im Hofleben dieser Zeit gängigen Leitbegriff des "Politischen". Darunter verstand man nicht etwa öffentliche Angelegenheiten -- eine Öffentlichkeit, die sich um Staatsdinge hätte kümmern dürfen, gab es im heutigen Sinne ja noch nicht -- sondern die Kunst des Karrieremachens, oft auch auf Kosten der weniger durchtriebenen Mitmenschen. Bezeichnend für diesen Sprachgebrauch ist der Sinnspruch "Heutige Welt-Kunst":

Anders sein und anders scheinen;

anders reden, anders meinen;

alles loben, alles tragen,

allen heucheln, stets behagen,

allem Winde Segel geben,

Bös' und Guten dienstbar leben;

alles Tun und alles Dichten

bloß auf eignen Nutzen richten:

Wer sich dessen will befleißen,

kann Politisch heuer heißen.


Sein Verfasser ist FRIEDRICH VON LOGAU, ein schlesischer Dichter (1604-1655), der übrigens zur selben Zeit wie HARSDÖRFER am selben Ort, nämlich in Altdorf, studierte. Diese Studenten waren sehr wohl darüber im Bilde, daß besagte Leitvorstellungen politischer Klugheit aus Macchiavellis amoralischem Buch vom Fürsten sowie aus den an Höfen absoluter Könige ausgebildeten Überlebenstaktiken stammten. Ein anderer Vertreter der gegenhöfischen Tendenz war Johann Michael MOSCHEROSCH, dessen Bruder QUIRIN als PHILANDER das 49. Mitglied des Ordens war. Als weitere Beispiele für Schriftsteller, die sich nicht eben um die Verbreitung absolutistischen oder kriecherischen Gedankenguts verdient machten, kann man JUSTUS GEORG SCHOTTEL und JOHANN RIST erwähnen. Beide, obwohl Auswärtige, gehörten schon unter HARSDÖRFER dem Orden an.

Man fragt sich, was eine Sprachgesellschaft mit solchen Grundsätzen bezweckt. Auf den zweiten Blick aber kann man nicht übersehen, daß die Kultur der Sprache mit der Möglichkeit, die Wahrheit sagen zu dürfen und auch beim Wort genommen werden zu können, aufs engste verbunden ist.

Die Sprachenvermengung der damaligen Zeit war eben auch Ausdruck sowie Mittel der Spitzbüberei und Verstellung. Bevor man sich also um den moralischen Hintergrund der Sprachverderbnis gekümmert hatte, brauchte man mit der Zierde und Lieblichkeit gar nicht erst anzufangen. Diese zu fördern war allerdings wichtig, um den Anschluß an die überlegene Kultur der anderen europäischen Staaten nicht zu verpassen. Man konnte nicht erwarten, gebildete Leute zum Gebrauch des Deutschen anzuregen, wenn diese Sprache sich höchstens zum Umgang mit den Pferden eignete, wie Kaiser Karl V. der Anekdote nach ein gutes Jahrhundert früher gesagt haben soll.


Zweitens, die spärlicheren Dichtungen des Ordens:

Dieser Punkt der 1699 errichteten Satzung ist vermutlich ein Hinweis darauf, daß im Orden ein halbes Jahrhundert nach seiner Gründung der dichterische Schwung nachzulassen begann. Dementsprechend mußte man jedes Ordensmitglied bei Strafe eines Talers dazu anhalten, wenigstens einmal im Jahr dem Orden etwas selbst Gedichtetes einzuschicken.


Drittens, eine Wende in der Sprachpflege der Pegnesen:

Jedes Mitglied wird aufgefordert, sich neuer, unbekannter Wörter und "verworfener Konstruktionen" zu enthalten, wobei mit den ersteren nicht einmal unbedingt Fremdwörter gemeint sind.

Sollte etwa die Warnung vor neuartigen Wörtern bereits ein Zeichen dafür sein, daß man sich von den oft recht gesuchten Kunstwörtern der barocken Dichtkunst abwandte, obwohl gerade die Nürnberger auf diesem Gebiet viel Erfindungsreichtum bewiesen hatten? Um diese Zeit legten sie damit jedenfalls wenig Ehre mehr ein. Der "galante" Schriftsteller MENANTES äußert sich verächtlich: "[...] Denn mancher Maul-Affe stehet in der Ketzerey, er könne vor keinen Poeten passiren, oder seine Verse würden sich bey den Leuten nicht beliebt machen, wenn er sie nicht durch und durch mit neugebackenen Worten ausfüttert. Darum zerkauet er wohl manchmal ein halb Mandel Federn, ehe eine solche Gebuhrt zur Welt kömmt. [...] Vor allen Nationen suchen die Nürnberger etwas sonderliches hierinnen. Ob aber ihre Inventiones durchgehends solten approbiret werden, darüber mögen Teutschverständige urtheilen." Spätere "Deutschverständige", wie um 1730 GOTTSCHED, führten einen ausdrücklichen Kampf gegen den "Schwulst der LOHENSTEINischen Manier" (der dem MENANTES noch teuer war), und was sie an Vertretern der sogenannten Zweiten Schlesischen Dichterschule tadelten, traf mittelbar auch die zweite Generation der Pegnesen zu BIRKENs Zeit. Der vorliegende Satzungspunkt konnte jedoch nicht hindern, daß die Nürnberger auch später nach jener Epoche beurteilt wurden.

Eine zweite Quelle des Vorurteils: Es gab um 1700 zahlreiche und vielbelächelte Wortneuschöpfungen auf dem Gebiet religiösen Schrifttums, gerade bei den Pietisten -- und die Pegnesen dieser Jahre waren dem Pietismus geneigt. Man sollte die Warnung vor Wortneubildungen zum Hinweis nehmen, den Blumenorden als Sprachgesellschaft und die religiöse Orientierung seiner Mitglieder besser auseinanderzuhalten, als es die Zeitgenossen taten. Hierzu diene ein Blick auf den Hintergrund solch neuartiger Bestrebungen bei MAGNUS DANIEL OMEIS (einen Hintergrund, von dem MENANTES zunächst nichts wußte).

OMEIS las für interessierte Studenten in seiner Eigenschaft als Altdorfer Professor auch Kollegia über Poesie und gab als Frucht dieser Vorlesungsreihe -- und als Stütze für weitere derartige Veranstaltungen -- eine "Gründliche Anleitung" heraus. Hierin finden sich fast wörtlich die Bestimmungen aus der zitierten Satzung. Das heißt aber auch, daß die Grundsätze, die Omeis mit seinen Ordensgenossen ausarbeitete, in der damaligen Zeit durchaus nach draußen und in die Weite der deutschen gelehrten Welt wirken konnten. Es lohnt sich schon einmal, den überaus weitschweifigen Titel des Werkes anzusehen, der geradezu eine Inhaltsangabe darstellt. So wollte man also um 1700 der Aufgabe nachkommen, Sprache und Dichtung zu pflegen:

Gründliche Anleitung Zur Teutschen accuraten Reim- und Dicht-Kunst/ durch richtige Lehr-Art/ deutliche Reguln und reine Exempel vorgestellet: worinnen erstlich von den Zeiten der Alten und Neuen Teutschen Poësie geredet/ hernach/ nebst andern Lehr-Sätzen/ auch von den Symbolis Heroicis oder Devisen, Emblematibus, Rebus de Picardie, Romanen/ Schau-Spielen/ der Bilder-Kunst/ Teutschen Stein-Schreib-Art u.a. curieusen Materien gehandelt wird; samt einem Beitrage von der T. [eutschen] Recht-Schreibung/ worüber sich der Löbl. Pegnesische Blumen-Orden verglichen. Hierauf folget eine Teutsche Mythologie/ darinnen die poëtische Fabeln klärlich erzehlet/ und derer Theologisch- Sittlich- Natürlich- und Historische Bedeutungen überall angefüget werden; wie auch eine Zugabe von etlich- gebundenen Ehr- Lehr- und Leich-Gedichten. Welches alles zu Nutzen und Ergetzen der Liebhaber T. [eutscher] Poësie verfasset Magnus Daniel Omeis/ Comes Palat. Cæs. Moral. Orator. und Poës. Prof. P. zu Altdorff/ der im Pegnesischen Blumen-Orden so benannte Damon. Andere Auflage. Nürnberg/ in Verlegung Wolfgang Michahelles/ Buchhändl. Gedruckt bey Joh. Michael Spörlins seel. Wittib. 1712.

In diesem Werk wird mit voller Absicht zwischen den sprachlichen Regeln für Poesie und denen für Prosa kein Unterschied gemacht. (Der Grammatiker MORHOF hatte in dieser Hinsicht BIRKEN und seine Freunde sehr kritisiert.) "Wir haben uns nemlich die ungezwungene natürliche Schreib-Art in den Reim-Gedichten des Herrn von Rosenroth/ Herrn Morhofs selbsten/ Herrn Weisens und dero Erinnerungen/ bestens gefallen lassen/ und unsers hochverdienten Herrn Harsdörfers auch hierinnen gantz richtige- und ungezwungene Schreib-Art nach und nach wiederum eingeführet." Man möchte provinzielle Eigenheiten nicht geradezu pflegen, obwohl OMEIS sich in diesen Dingen für mehr Duldsamkeit ausspricht, als der Orden von seinen Kritikern erwarten durfte: "Was aber Herr Morhof hiedurch verstehe/ daß bei den Schrifften der Pegnitz-Hirten etwas fremdes sey/ so in den Ohren der Schlesier und Meißner nicht wol klinge/ kan ich fast nicht errathen. [...] Es klinget auch in unsern Ohren hier zu Lande nicht wol/ wann sie ihre diminutiva Kindgen/ Liebgen u.a.m. allzuviel gebrauchen; auch wenn sie reimen und schreiben z.E. Können und Sinnen/ Marter-Wochen und Bisem-Kuchen/ Durchlauchtig/ Guttes/ Bluttes und dergleichen. Wir lassen sie aber nichts desto weniger bei ihrem Werth/ und erwarten von ihnen gleiche Gedult und Höflichkeit."

Das half dem Orden keineswegs gegen auswärtige Polemik. Er war, wie man dem entschuldigenden Ton dieser Ausführungen anmerkt, in einem Rückzugsgefecht begriffen. Einzelne Seltsamkeiten bei anderen aufzuspüren, konnte in allen Lagern der damaligen Auseinandersetzung zum Sport werden, doch man gewann nicht viel dabei. Die allgemeine Entwicklungstendenz ließ sich weder zugunsten noch zuungunsten des Ordens in wenigen Beispielen fassen. Es fällt freilich auf, wenn in dem "Register vieler T.[eutscher] gleichlautender Wörter", das OMEIS seinem Buch beigab, derart unreine Paarungen auftreten wie "Bahn -- Bann, Eiter -- Euter, Kriegen -- kriechen, Spielen -- ausspülen", und diese sind schwer aus dem Nürnberger Dialekt erklärbar. (Freilich hat er sich seit damals sehr verändert.) Aber die Hauptfrage muß doch lauten: Ging die Entwicklung der deutschen Literatursprache an den Nürnbergern vorbei, oder verlief sie gar im Gegensatz zu ihnen?

Jedenfalls war dem Orden zu diesem Zeitpunkt gewiß nicht mehr vorzuwerfen, daß er auf gewaltsame Weise Eindeutschungen von Fremdwörtern vorgenommen hätte, wie das Sprachgesellschaften vormals zu tun pflegten. Mäßiger Gebrauch von Fremdwörtern wird zugestanden; ausgeschlossen werden allerdings "Die aus der Französischen/ Italienischen/ und andern fremden Sprachen entlehnte Wörter/ welche in unserer Mutter-Sprache das Burgerrecht noch nicht überkommen [...] Müßen auch allzuhohe/ oder vielmehr hart-gezwungene/ obscure und affectirte Wörter [...] vermieden werden; als wie jener sagte: Ich erdrache mich/ ich erbasiliske mich. d.i. ich werde zornig." Das heißt: Neubildungen, Neologismen, haben auch im Blumenorden keine Konjunktur mehr.

Damit folgen OMEIS und seine Ordensmitglieder eigentlich dem Fluß der Dinge. Auch die Trennung verschieden poesietauglicher Stilebenen erfolgt in seinem Buch ganz nach Auffassung der immer ständischer denkenden Zeit: "Man soll durchgehend in einem T.[eutschen] Reim-Gedicht solche rein-Teutsche Wörter gebrauchen/ die bei gelehrten und vornehmen Leuten im Gebrauch sind." Unzeitgemäß erscheint allenfalls die Zusammenkoppelung von "vornehmen" und "gelehrten" Leuten, denn weniger die allmählich nach unten gedrängten Professoren, sondern die aristokratischen Vorbilder gaben den Ton der guten Gesellschaft an -- so dachten jedenfalls diejenigen Gelehrten, die sich unter Geringachtung ihrer "schulfüchsischen" Standesgenossen nach oben orientierten, die "Galanten". Daß dabei mehr das Ausland als der Zustand der "guten Gesellschaft" in Deutschland Anlaß gab, sei beiläufig angemerkt.

Etwas bedenklich muß auch erscheinen, daß Omeis selber oft nicht beherzigt, was er lehrt — beziehungsweise, daß sein Setzer sich nicht daran hält. So heißt es zwar, daß fremdsprachige Eigennamen — "nomina propria" — in deutschen Buchstaben zu schreiben seien und daß sie nicht in der Weise der fremden Sprache dekliniert werden sollten. Doch selbst in den wenigen bisherigen Zitaten können wir Gegenbeispiele finden. Ähnliches gilt für die Machart der mitgeteilten Gedichte: die Praxis läuft hinter der Theorie her. Immerhin erscheint die Sprache dieses Buches der heutigen näher — und auch Harsdörfers Schreibweise näher — als Texte aus dem damaligen Sachsen, das Vorbildwirkung beanspruchte. Wir sehen es an dem oben zitierten Text von HUNOLD-MENANTES, und weitere Beispiele werden folgen. Was sich ungefähr bestätigen läßt, ist allerdings, daß OMEIS die Entwicklung der Schriftsprache wieder auf den in Nürnberg ziemlich folgerichtigen Pfad brachte. Im Gegensatz dazu zeigen die handschriftlichen Blätter aus dem Ordensarchiv, daß man sich zumindest im Alltag nicht sehr um Sprachreinheit bemühte.

In Gedichten sah das jedoch anders aus. Mir scheint, der Punkt 3 der ersten Satzung ist vor allem auf die von der Poesie zu fordernde Richtigkeit zu beziehen. Damals wurde nämlich gerade die poetische Freiheit im Satzbau diskutiert; hier wird sie erwähnt als die "verworfenen Konstruktionen". Es handelt sich wohl um eine mehr ästhetische als sprachpflegerische Maßgabe, die für die deutsche Dichtung als erster MARTIN OPITZ aufgestellt hatte und die in der Literaturtheorie der Aufklärung unter französischem Einfluß erneut stark betont wurde. OMEIS hob den sächsischen Schulmann und Dichter CHRISTIAN WEISE lobend hervor wegen der Natürlichkeit der Wortstellung in dessen Gedichten, "secundum constructionem prosaicam".


Viertens, was anständig sei:

Der "galant" genannte Zeitstil mit seiner überhöflichen, geschraubten Ausdrucksweise und manchen Anspielungen der Art, die man heute noch "galant" nennen würde, war den Nürnbergern wohl in mehrfacher Beziehung ein Dorn im Auge, obwohl man nicht umhinkonnte, Dichtern aus den eigenen Reihen die Möglichkeit zu lassen, nach der Mode zu gehen. Jedenfalls deutet darauf die seltsame Gespaltenheit der einschlägigen Bestimmung hin.

Zunächst heißt es da, ein Ordensmitglied habe alle Erzeugnisse seiner Feder, die es unter seinem Ordensnamen veröffentlichen wolle, vorher der Gesellschaft vorzulegen, die sich in einem "freyen, doch wolgegründeten Gutachten" darüber äußern werde. Das heißt wohl, daß man kein Blatt vor den Mund nahm, aber ganz sachlich argumentierte. Es ging darum, ob der Dichter in Anspruch nehmen dürfe, das Werk nach den Maßstäben des Blumenordens verfaßt zu haben. War dem nicht so, durfte er das Werk zwar in Druck geben, aber nicht unter seinem Ordensnamen. Es ging dann den Orden nichts an, und die übrigen Mitglieder wollten ihm auch nicht zur Seite stehen in irgendwelchen literarischen Streitereien, die er vielleicht damit auf sich zöge.

Es kann durchaus sein, daß die damals so beliebten Hochzeitsscherze, die mehr und mehr zu einer derb erotischen Textart geworden waren, unter diese Bestimmung gefallen sein könnten. Jedenfalls geschah es im Januar 1703, daß von einem Mitglied ein unzensiertes "Tractätlein" herauskam, "davon die sämtliche Gesellschaft den geringsten Antheil nicht genommen; sondern des Verfassers Verantwortung alles, so wol den Inhalt, als die Schreib-Art, überlassen."

Übrigens hatte ein jeder von Werken, die unter dem Namen des Ordens gedruckt wurden, 12 Exemplare unentgeltlich an den Orden zu liefern. Dies entspricht dem heute noch geübten Brauch von Universitätsbibliotheken bei Doktorarbeiten.


Fünftens, Sammelveröffentlichungen:

Auch diese Bestimmung läßt leider den Schluß zu, daß der ungezwungene Fluß der Beiträge zur dichterischen Ordenstätigkeit am Versiegen war. Man machte sich zur Pflicht, wenigstens alle drei Jahre ein größeres Werk im Namen des gesamten Ordens zu veröffentlichen, entweder aus den unter der Zeit eingelaufenen Arbeiten, oder ein zu diesem Zwecke eigens neuverfaßtes Werk. Sehr originell wird so etwas ja selten, aber Originalität als Vorbedingung und Maßstab dichterischer Leistung war zu jener Zeit noch nicht erfunden.


Sechstens, Hauptversammlung:

Dieser Punkt regelt den Zeitpunkt der alljährlichen Versammlung aller in "und bey" Nürnberg wohnenden Mitglieder. Sie soll entweder am Jakobi-Fest (25. Juli) oder in der Woche stattfinden, in die das Fest fällt, und kann in Nürnberg selbst, bei Nürnberg (namhafte Familien besaßen in der Umgebung Landsitze), zu Altdorf (wo die Nürnberger Universität war), Feucht (dem Ort des Zeidlergerichts und mehrerer Patriziersitze) oder an entsprechenden Orten stattfinden. Bei der Mahlzeit möchte man sich aller "Weitläufftigkeit und Überflußes" enthalten -- angesichts der Eßfreudigkeit damaliger Zeiten ein sympathischer Zug ins Geistige.


Siebtens, äußere Zeichen der Zugehörigkeit:

Das Führen von Hirtennamen griechischer Herkunft, die Wahl einer Blume und das Tragen eines weißen Seidenbandes, auf dem beide eingestickt zu sehen sind, brauchte den Pegnesen von 1699 nur in Erinnerung gerufen zu werden. Dies waren längst eingeführte Gebräuche. Man könnte höchstens Verdacht schöpfen, daß sie nicht mehr so selbstverständlich oder gerne ausgeübt wurden. Andererseits blieb trotz zunehmend rationalistischer Zeitstimmung dem Pegnesischen Blumenorden eigentlich keine Wahl: Er mußte bei den Attributen einer literarischen Schäfergesellschaft bleiben, wenn er nicht seine Eigenart verlieren wollte.


Achtens, Anwendungsgebiete dieser Zeichen:

Hier wird geregelt, daß der Name innerhalb, aber auch außerhalb der Versammlungen zu gebrauchen sei, insbesondre als Verfassername. Wer bei Versammlungen das Ordensband anzulegen vergessen hat, zahlt einen Gulden Strafe an die Kasse.


Neuntens, Hütten im Irrhain:

Jeder darf im Irrhain auf eigene Kosten, jedoch nur mit Vorwissen der Gesellschaft, eine Hütte errichten. Vor deren Tür darf er seine Blume gemalt als Sinnbild anbringen, aber ohne seinen Ordensnamen. (Vermutlich sollte das dazu anhalten, die Sinnbilder der anderen Mitglieder im Gedächtnis zu behalten. Auch eine Art mönchischer Bescheidenheit, als Einzelner hinter der Gesellschaft und ihren Leitsätzen zurückzutreten, konnte sich darin ausdrücken.) Übernimmt einer die Hütte eines verstorbenen Mitglieds, so hängt er dessen Sinnbild, aber diesmal samt Namen, in der Hütte auf. So wird die Erinnerung wachgehalten.


Zehntens, Zeichen des Zusammenhalts der Gesellschaft:

In diesem Punkt heißt es: Wenn ein Mitglied sterbe, heirate oder zu neuen "ansehnlichen Würden" gelange, solle man Gelegenheitsgedichte darauf verfassen und auch drucken lassen. Darüberhinaus wird die Ehrung der Toten in der Weise betrieben, daß man den Namen des Verstorbenen auf eine schwarze Tafel schreibt -- ohne Zweifel eine Holztafel -- und im Irrhain oder unter einem sonstigen "Schwiebogen" aufhängt. In diesem Zusammenhang ist vom "Kirchhof" des Irrhains die Rede. Dies kann nur ein uneigentlicher Ausdruck für eine bestimmte Gegend innerhalb des Irrhains sein, die der Totenehrung zugedacht war -- vermutlich dieselbe, die es jetzt noch ist. "Schwibbogen" ist ein anderer Ausdruck für einen Bogengang oder eine Blendarkade an einem Gebäude. Rätselhaft erscheint mir allerdings, an welche Gebäude dabei gedacht worden sein kann.


Elftens, Nachrufe für Außenstehende:

Wohltätern des Ordens wird ebenfalls ein Gedicht anläßlich ihres Ablebens zugesichert. Wiewohl darin ein Anreiz zu erkennen ist, dem Blumenorden finanziell unter die Arme zu greifen, haben sich auf die Dauer die literarischen Nachrufe auf Mitglieder und Freunde des Ordens, aufwendig mit Kupferstichen ausgestattet, gegenteilig auf die Kasse ausgewirkt, wie noch zu sehen sein wird.


Zwölftens bis vierzehntens, Geldangelegenheiten:

Die Aufnahmegebühr für Neumitglieder wird auf 6 Reichstaler festgesetzt, der Jahresbeitrag auf einen Reichstaler. Wenn man bedenkt, daß noch fünfzig Jahre später zehn Reichstaler der Jahreslohn für eine Köchin waren und ein Pfund Rindfleisch für etwa den zehnten Teil eines Talers zu haben war, so kommt der Jahresbeitrag etwa den heutigen Kosten für das jahrweise Beziehen einer Wochenzeitung gleich und die Aufnahmegebühr der Anschaffung eines Farbfernsehgerätes. Man hatte damals mit ebensolcher Selbstverständlichkeit Personal, unglaublich schlecht bezahltes, wie man heute bestimmte Geräte hat, und daher hatte ein Mitglied wohl das zufriedene Gefühl standesgemäßen Aufwands bei seinen Auslagen für den Orden. Im übrigen legte die Gesellschaft die Hand auf die Hälfte der Einkünfte, die jemand aus Veröffentlichungen unter seinem Ordensnamen bezog. So war es jedenfalls geplant.


Fünfzehntens, großzügige Handhabung von Neuzugängen:

Kirchturmpolitik drückt sich darin jedenfalls nicht aus, und Standesdünkel ebensowenig, ja nicht einmal Gelehrtenstolz, wenn es heißt: "In die Gesellschafft selbst soll man die, so es begehren, sowohl von hohem, als niederem Stande, Sie mögen gleich frembde oder einheimische seyn, und von der Gelehrsamkeit profession machen, oder doch die guten Künste und Wissenschafften hoch achten, insonderheit aufgeweckte und scharffsinnige Gemüther, die zumahln in oder nahe bey Nürnberg sich aufhalten, willig einnehmen." So niedrig durfte der Stand der Bewerber freilich nicht sein, daß etwa die erwähnte Köchin hätte aufgenommen werden können. Aber es wird bereits deutlich, wie die Aufgeschlossenheit für Dichtung bestehende Standesschranken einebnet, sofern nur die gemeinsame Voraussetzung einer gewissen Schulbildung erfüllt ist -- was allerdings auch in gewissem Grade an Besitz gebunden war. Eine bürgerliche Klasse innerhalb der alten Oberschichten zeichnet sich ab.


Sechzehntens, Vereinsämter:

Das Amt des Präses oder Vorstehers entspricht dem 1. Vorsitzenden heutiger Vereine. Zwei bis vier "Consiliarii" und ein "Secretarius" sind ihm beigeordnet (heute sagt der Blumenorden dazu "Ordensräte" und "Schriftführer"). Wählbar sind ältere Mitglieder, die in Nürnberg oder "nahe bei der Pegnitz" (d.h. innerhalb des wirtschaftlichen und politischen Einflußgebietes der Stadt, im Gebiet ihrer Pflegämter) oder in Altdorf wohnen. Bemerkenswert für diese Zeit ist, daß die Amtsträger in "freier" Wahl ermittelt werden; das heißt wohl, daß keine Absprachen oder Bündnisse zwischen Familien oder Interessengruppen in Betracht kommen sollen und daß auch von oben, etwa von städtischen Behörden, kein Einfluß anerkannt werden solle. Nähere Angaben zur Durchführung fehlen jedoch.


Siebzehntens, Befugnisse des Präses:

Es war mehr an ein kollegiales Prinzip als an eine Alleinherrschaft gedacht. Der Präses kümmert sich zusammen mit mindestens einem seiner Räte um die Angelegenheiten des Ordens und beruft die Gesellschaft ein. Er übt die Zensur eingegangener Werke aus und besorgt, unter Umständen zusammen mit einem Rat, "Zusammentragung und Verlag der Schriften, welche im Nahmen der Gesellschaft herauskommen". Das heißt, er muß wohl selbst hinreichend bewandert sein, um den Herausgeber abgeben zu können. Er trägt einem oder zwei Mitgliedern auf, die "Verfertigung" (das ist wohl die Redaktion) der größeren Veröffentlichungen zu besorgen, um Ungleichheiten in der "Schreibart" zu vermeiden. (Man hatte damals ja noch keine einheitliche Rechtschreibung und Zeichensetzung, ja kaum Übereinstimmung in gewissen Fragen der grammatischen Endungen; somit lag die Aufgabe einer Gesellschaft wie des Pegnesenordens gerade darin, durch das eigene, möglichst weit verbreitete Beispiel gewissen Schreibgewohnheiten zu allgemeiner Verbindlichkeit zu verhelfen.) Seine Schriften zeigt der Präses zur Endabstimmung den Räten, diese ihm die ihren. Von den 12 Exemplaren jeder Veröffentlichung behält er zwei, die Räte bekommen je eines, den Rest legt man zum Grundstock der Ordensbibliothek.

Wenn das wirklich so gehandhabt wurde, dann muß in der Tat der größte Teil der alten Drucke mit der Zeit verlorengegangen sein, vielleicht erst am 2. Januar 1945, als die Stadtbibliothek zerbombt wurde, in der diese Bestände nach Auskunft des damaligen Schatzmeisters Wilhelm Schmidt lagerten. Unter Umständen ist noch ein Teil, der eigentlich in die Ordensbibliothek gehörte, in Altdorf zurückgeblieben oder bei der Verlegung der alten Universitätsbestände in die Erlanger Universitätsbibliothek gelangt.

Es ist ferner der Präses, heißt es weiter, der den neuen Mitgliedern nach einiger Bekanntschaft ihre Hirtennamen gibt. Er läßt auch das Ordensband für sie fertigen. Dafür bekommt er vier von den sechs Talern der Aufnahmegebühr. Er nimmt auch andere Gelder für den Orden in Empfang -- ein eigenes Schatzmeisteramt ist hier noch nicht vorgesehen -- und bestimmt, wo ein jeder im Irrhain seine Hütte errichtet.


Achtzehntens, der Schriftführer:

Abgesehen von Pflichten, die Schriftführer von Vereinen heute noch haben, etwa Protokollführen, hat er noch die zum fehlenden Schatzmeisteramt gehörende Aufgabe eines Buchhalters. Etwas unklar ist die Bestimmung, er solle dem Präses und den Räten "entdecken, was zum besten der Gesellschafft gereichet". Vermutlich ist damit gemeint, daß er sie rechtzeitig von Anfragen und anderen Vorgängen im laufenden Briefwechsel in Kenntnis setzt und im Hinblick auf briefliche Verbindungen nach auswärts berät. Er kann sich eines der jüngeren Mitglieder "beifügen laßen", das an seiner statt den übrigen eröffnet, was von Ordens wegen gerade geschrieben und gedruckt wird, und das ebenfalls durch fleißigen Briefwechsel den Nutzen der Gesellschaft befördert.

Eine zusammenfassende Würdigung dieser Satzung von 1699 kann nicht unberücksichtigt lassen, daß sie ein ähnliches Schicksal zum Ausdruck bringt wie der Wolff'sche Rathausneubau: Was sich da fest, prächtig und für alle Zukunft hingestellt zeigt, wurde erst unternommen, als es mit dem Inhalt, dem die schöne Form gegeben wurde, schon nicht mehr so weit her war als zu Zeiten, da man in engen und kleinlich anmutenden Verhältnissen Taten von europäischer Bedeutung ins Werk setzte. Immerhin waren die Verfasser dieser Satzung gefuchste, im Rat der Stadt bzw. in den Gremien der Universität zu Erfahrung gelangte Verwaltungsfachleute und stellten darum dem Fortleben des Ordens ein Gerüst bereit, das ihn auch über Zeiträume des Welkens hinüberretten konnte zu neuer Blüte. Das betrifft vor allem die anfangs so locker gehandhabte Präsidialverfassung, die verhältnismäßig einfache Zugänglichkeit und nicht zuletzt alle diejenigen Punkte, die geeignet waren, aus einem Dichterklub eine menschliche Gemeinschaft zu machen, der man sich verpflichtet fühlen konnte. Die Ehrung verstorbener Ordensangehöriger ist dafür das beste Beispiel; irgendetwas dieser Art ist in allen folgenden Satzungen vorgesehen. Es war auch dafür gesorgt, daß man immer etwas für den Orden zu tun fand, auch wenn daraus keine bahnbrechenden Muster der Dichtkunst hervorgingen oder weithin wirkende Sprachpflege mehr wurde. Man konnte sich damals, ähnlich wie die Großkaufleute der Stadt, noch in dem Gedanken beruhigen, daß man gerade eine kleine Krise zu überstehen habe, ohne wahrzunehmen, daß die Zeitläufte in grundlegender Weise anders geworden waren und Tätigkeiten nach bisheriger nürnbergischer Art nicht mehr begünstigten.


Sitzungen unter Omeis

Nichts von solchen Erwägungen ist dem Protokoll jener Irrhain-Sitzung anzusehen. Man ging zu Punkt drei der Tagesordnung über.

DAMON erinnerte daran, daß man dem CELADON zur Verleihung der Würde eines kaiserlichen Hofpoeten ein Glückwunschgedicht zu verfertigen habe. Über diesen CHRISTOPH ADAM NEGELEIN schreibt AMARANTES, "er war Kauf- und Handelsmann allhier [...] Ehe er sich noch zur Römisch-Catholischen Religion gewendet [anders wurde man nicht Hofpoet in Wien], so ward er Ao. [=Anno] 1679. von dem seligen Floridan [BIRKEN] aufgenommen."


Teil I: Die dritten Gründer

 

Am 29. Juli 1700 schwankten ein paar Kutschen aus dem Tiergärtnertor zu Nürnberg und rollten nordwärts auf der Landstraße nach Bamberg dahin. Eine Dreiviertelstunde Weges später, in der Ortschaft Buch, blieb eine zurück; den alten Herrn, der darin gesessen war (ANDREAS INGOLSTÄTTER), hatte eine Übelkeit befallen. Man kümmerte sich wohl in einem Gasthof um ihn.

Es muß ein heißer Tag gewesen sein. INGOLSTÄTTER traute sich nicht zu, so lange durchzuhalten, bis die Fahrt, eine gute Viertelstunde später, vor einem verhältnismäßig schattigen Waldstück zuende gewesen wäre, in dem er POLIANDER genannt worden wäre und sich in seiner belaubten Hütte beim Gespräch mit seinen Blumengenossen" hätte erholen können. Die geplante Sitzung des Pegnesischen Blumenordens im Irrhain sollte eigentlich nichts Anstrengendes sein: Gerade darum, weil man die Freude an der freien Natur mit der Freude an der Dichtkunst verbinden wollte, hatte man sich in den ersten Zeiten des Ordens in den Auen des Pegnitzflusses ergangen (der auch im Namen der Vereinigung zu finden ist) und seit 1676 das verwilderte, aus dem Rand des Sebalder Reichswaldes nahe Kraftshof sich hervorschiebende Dickicht als labyrinthischen Rückzugsort ausgebaut. Aber INGOLSTÄTTER war nun schon zu alt für solche Ausflüge.

Er war 1633 geboren, bekleidete das einträgliche Amt des Marktvorstehers in Nürnberg, war Mitglied der Blumengenoßschaft" seit 1672, Ordensrat; ein sonderbarer [besonderer] Liebhaber der Astronomie", machte Merkverse auf Ordnung und Namen von Sternbildern, stiftete nicht nur dem Orden freigiebig, sondern auch einmal der Universität Altdorf zur Erwerbung einer Armillarsphäre 300 fl.; hatte immerhin noch elf Jahre zu leben. In seiner und ASTERIOS Hütte, einer der größten, fand die Versammlung statt.

ASTERIO zog ein Stück Papier aus der Tasche und legte Tintenglas und Federkiel zurecht. Er hatte das Protokoll zu führen: GEORG ARNOLD BURGER, einundfünfzig Jahre alt, kein unwichtiger Mann in der Stadt (wenn auch keiner von denen, die wirklich die Fäden in der Hand hielten). Er hatte in Jena auf derjenigen Universität, die im naturwissenschaftlichen Bereich damals führend war, Mathematik bis zum Magistergrad studiert, trieb aber auch Theologie, hielt nach seiner Rückkehr Privatvorlesungen vor Liebhabern der Mathematik, deren es in Nürnberg auch unter Nichtakademikern seit des Regiomontanus Zeiten etliche gab, und es wurde ihm erlaubt, dazu die Stadtbibliothek samt ihren Globen zu benützen; 1675 wurde er Schreiber in der Registratur der Stadt und Mitglied des Ordens, 1693 älterer Rath-Schreiber"; mit der Erfahrung aus diesem Amte diente er dem Orden natürlich auch als Schriftführer und Ordensrat und ist ohne Zweifel Abfasser des vorliegenden Schriftstücks, aus dem wir über den Verlauf der Sitzung unterrichtet sind. (Er starb 1712.)

Eine Sitzung beginnt mit der Begrüßung durch den Vorsitzenden. DAMON II. erhebt sich. Auf der Abbildung, die ihn, Professor MAGNUS DANIEL OMEIS, als den zum zweitenmal amtierenden Rektor der Altdorfer Universität zeigt, trägt er eine lange, gepuderte Perücke. Ob er sie auch an jenem Julitag getragen hat, ist fraglich; das wäre er sich kaum als Präses des Blumenordens schuldig gewesen, denn hier spielte man eigentlich die Rollen einer poetischen Schäfergesellschaft. Schäferkostüme sind jedoch im Archiv des Pegnesischen Blumenordens nicht überliefert, lediglich weißseidende Armbänder. Man darf den Herren aber gönnen, daß die Kleiderordnung bei einer Versammlung im Irrhain nicht allzu streng war; an breitkrempige Hüte und offene Hemdkragen nach den Abbildungen von dichtenden Schäfern in den damals veröffentlichten Gemeinschaftswerken des Ordens wäre zu denken,

Auch DAMON nimmt nun ein Papier zur Hand, daraus trägt er eine vorbereite Rede vor, in der er beklagt, daß seit dem Ableben des MYRTILLUS II. kein Werk aus der Mitte dieser Dichtergesellschaft mehr erschienen sei und man also in der Fremde fast nicht wisse, ob solche noch in aufrechtem Stand wäre". Außerdem habe die Gesellschaft die entworfene Satzung nicht in die Tat umgesetzt. Man müsse nun aber zur Erhaltung des Blumenordens etwas beschließen. Daraufhin wird der Satzungsentwurf verlesen, ein Beschluß aber ausgesetzt, bis die Satzung an die übrigen Mitglieder weitergereicht sei. Zum zweiten wird an den Jahresbeitrag von einem Taler erinnert.

1700 war er schon nicht mehr in Nürnberg. Er war der zweite Hofpoet nach dem Italiener DONATUS CUPEDA, dessen jährlichen Ausstoß von 6 Opern- und mehreren Operettentexten er ins Deutsche zu übertragen hatte. Daneben konnte er deutsche Theatertexte verfassen. Lateinische Poesie und Komödie war aber den Jesuiten reserviert. Aus seiner Nürnberger Zeit soll es ein Singspiel im Duodezformat geben: Der Grosglaubige Abraham, und der Wundergehorsame Isaac . Mit der Abfassung des Glückwunsches wurde FERRANDO beauftragt.


SAMUEL FABER war im Orden der zweite des Namens FERRANDO. Er war geboren zu Altdorf 1657 als Sohn FERRANDOS I. (JOHANN LUDWIG FABER); wurde ebenfalls P[oeta] L[aureatus] C[aesareus] und war eine zeitlang Sekretär bei KNORR VON ROSENROTH in Sulzbach gewesen. Von MYRTILLUS II. wurde er 1688 in den Orden aufgenommen. Beruflich war er als Rektor des von Melanchthon gegründeten Gymnasiums bei St. Egidien tätig. Eine der Übungen, die er seinen Schülern aufgab, war, aus "Hui und Pfui der Welt" von ABRAHAM À SANCTA CLARA die "elegischen Epigrammata" in andere Gattungen umformen zu lassen, und er spornte sie auch sonst zum Dichten an. Er selbst war ein begabter Stegreifdichter, verfaßte 250 lateinische und deutsche Epigramme, gab ein Schulbuch mit Merkversen historischen Inhalts heraus (übersetzt aus dem Lateinischen des CHRISTOPH WEIGEL 1697) und hat auch viel beigetragen zu den deutschen Bildunterschriften der auch heute noch verbreiteten WEIGELschen Beschreibungen der "Haupt-Stände", schönen Kupferstichen über Berufsbilder mit erbaulicher Ausdeutung, wie man sie noch in Nürnberger Geschäften und Lokalen, zuweilen in Glasmalerei umgesetzt, finden kann. Des weiteren gab er Privatvorlesungen über Arithmetik, Zivilarchitektur und Festungsbau. Dieser ungemein umtriebige und vielseitige Mann starb 1716. Sein Schüler RIEDERER, von dem noch die Rede sein wird, hat ihm in Leipzig nach seinem Tod eine Lobschrift wegen seiner pädagogischen Fähigkeiten drucken lassen.

Einige Zeit schon hatte draußen vor dem Irrhaintor, wo die Kutscher mit den Pferden vor sich hindösten, ein Kraftshofer Landwirt ausgeharrt. Jetzt ließ man ihm ausrichten, daß er mit seinem Anliegen vor die Versammlung treten könne. Es muß nötig gewesen sein, daß ihn ein Diener auf dem Hin- und Rückweg begleitete, sonst hätte er sich in dem Geschlinge der Irrwege nicht zurechtgefunden. Es ist wohl nicht denkbar, daß ein Bauer jemals den umzäunten und normalerweise verschlossenen Irrhain ohne Erlaubnis betreten hätte. Es gab allerdings am Ende des "Langen Ganges" ein Pförtchen, wodurch man unter Umgehung der Irrwege in den "Kirchhof" und von da auf demselben Wege, der heute zur Naturbühne führt, die damalige Gesellschaftshütte erreichte.


Die versammelten Blumengenossen hörten den offenbar recht selbstbewußt auftretenden Bittsteller durchaus mit einem Gefühl für Recht und Billigkeit an; im nächsten Punkt des Protokolls steht: "4. Nachdeme [...] Kißkalt zu Krafftshoff nicht mehr gestatten wollen, daß über seine Wiesen an die Thür des Irrgartens mit Kutschen gefahren werde, weil ihm nicht allein dadurch mercklicher Schaden an Graß zugefüget, sondern auch von 3. Jahren her ihm keine Beliebung40 mehr, wie ehedeßen geschehen, gereichet worden: als hat man selbigen vorkommen laßen, mit ihme deswegen gütlich gehandelt, und sich endlich dahin verglichen, daß man ihm vor die vergangene 3. Jahre zusammen Drey Gulden bezahlen und für das Künfftige alle Jahr um Laurentij Einen Gulden und Vierzig Creuzer entrichten wolle, welches er dann also angenommen, und für genehm gehalten."


Nun hatte man aber auch Erfreuliches zu berichten. Drei Blumengenossen hatten im Berichtszeitraum Werke verfaßt.


Zuerst erwähnt ist POLEMIAN. Dies war JOHANN MICHAEL LANG, geboren 1644 in Etzelwang. Für die Vielfältigkeit seiner Neigungen und seiner Persönlichkeit sprechen die von AMARANTES mitgeteilten Einzelheiten: Er studierte in Altdorf nicht nur Theologie, sondern auch Medizin und sammelte in heilkundlichem Zusammenhang über 1000 Kräuter. 1687 wurde er Magister (und, wie es sich bei Pegnesen jener Zeit fast von selbst versteht, PLC), ging dann nach Jena, zwischendurch war er Pfarrer zu Vohenstrauß, und 1694 begab er sich als Lizentiat der Theologie nach Halle. (Ein weiteres Mal sieht man daran die pietistischen Verbindungen des Ordens!) 1697 nach Altdorf berufen, promovierte er zum Doktor, wurde auch Professor der Theologie und 1698 Pegnese, später auch Ordensrat; dann aber wurde er zum Anhänger eines umstrittenen Predigers namens Rosenbach und anscheinend deswegen 1709 vom Magistrat "in Ehren" entlassen. Nun wandte er sich zur Zuflucht der verfolgten Pietisten, dem König in Preußen, der ihn zum Pastor und Inspektor nach Prenzlow in der Uckermark berief, wo er 1729 starb. Seine 37 Schriften, einige Kirchenlieder nicht gezählt, bilden ein Hin und Her zwischen naturwissenschaftlichen und theologischen Betrachtungen. So auch Mathematische Sinnbilder, durch Christliche Erklärungen und Andachten zur Übung in der Gottseeligkeit bequem gemacht . -- Es erscheint uns heute vielleicht reichlich verschroben, in der Mathematik, die seit Descartes eine gesellschaftsfähige Geistesübung geworden war, nach Zusammenhängen zu suchen, die sich theologisch ausdeuten ließen, und das ganze in literarischer Form zu bearbeiten; doch was war Irdisches Vergnügen in Gott , das BARTHOLD HINRICH BROCKES ab 1721 herausgehen ließ, anders als ein ähnlicher Versuch anhand genauer Naturbeobachtungen? Daraus gelangen noch heute einzelne Gedichte in die Schulbücher.


Das zweite erwähnte Werk war von DAMON selbst: Historia Poetarum Latinorum , offenbar ein Standardwerk für den Lehrgebrauch, sonst wäre der Titel bereits damals weniger allgemein gehalten gewesen. Zwei weitere seiner Werke sind unter "Ejusd" aufgeführt -- eine Abkürzung von "eiusdem", d.h. desselben --, und zwar die oben schon zitierte Gründliche Anweisung zur Teutschen Poesy , die ihm neben BUCHNER, HARSDÖRFER selbst, ROTTH und anderen einen Platz im Reigen der OPITZ-Nachfolger sichert, und ein Gedicht bey Übergebung der Academischen Rector-Würde . Daß Gelegenheitsgedichte damals eine so große Rolle spielten, erklärt sich schon hinreichend aus der Lust am Repräsentieren. (Die gibt es heute wohl ebenso, doch wird ihr nicht in so künstlicher Form und deshalb oft stilloser und langweiliger gefrönt.) Darüberhinaus ist Dichtung innerhalb eines Ordens ganz selbstverständlich eine gesellige Angelegenheit und nicht Herzensergießung einsamer Genies; der Orden ist ja überhaupt aus geselligem Anlaß entstanden. Nicht-Barockforscher sollten sich also nicht über die scheinbare Plattheit solcher Lyrik erhaben dünken; wenn sie nicht sehr lyrisch ist, so ist sie doch Zeichen einer Hochkultur.

Der letzte Punkt, den jene Blumengenossen, ohne Zweifel von zahlreichen Stechmücken umschwirrt, im Irrhain behandelten, betraf die etwas ausweichende Antwort, die man einem ungenannten Geistlichen auf sein Ersuchen um Aufnahme erteilen wollte.


Außer den bisher erwähnten Anwesenden ist im Teilnehmerverzeichnis noch PHILEMON genannt: DAVID NERRETER, geboren 1649 in Nürnberg. Nach Studien in Altdorf und Königsberg sowie der üblichen Bildungsreise wurde er 1694 Diakon in Nürnberg, ab 1695 Pfarrer der Vorstadt Wöhrd bis 1708, dann Konsistorialrat und Generalsuperintendent in Hinterpommern; er starb 1726. Bemerkenswert ist, daß er unter anderem wissenschaftlich über den Koran arbeitete.


Mit dem Erscheinen zweier weiterer Mitglieder hatte man anscheinend gerechnet, ihre Namen aber in der Niederschrift mit Abwesenheitsvermerken versehen müssen: Zum einen ISMENIAN (KONRAD MARTIN LIMBURGER, Sohn des vorigen Präses MYRTILLUS II.), aufgenommen 1691. Er hatte im Laufes seines Lebens Pfarrstellen verschiedener Orte des Nürnberger Gebiets inne, zuletzt in Lauf, wo er 1730 starb; als Werke von ihm sind einige erbauliche Lieder verzeichnet. Der andere war LYCIDAS (WOLFGANG MAGNUS SCHWEYHER, Bankier zu Nürnberg), aufgenommen 1698 wegen seiner "Dienstfertigkeit und Gastfreyheit"; zudem hatte er als Schwager des Präses OMEIS diejenigen Beziehungen zum Orden, die anscheinend auch wichtig genommen wurden. Er lebte bis 1701.


Alle Angaben zu Lebensläufen in diesem Kapitel folgen Amarantes.


Ein weiteres Sitzungsprotokoll (Ort: Altdorf; Zeit: 25. Juli 1705) zeigt ein ungewöhnlich hohes Maß an Sekretärslatein und einige Zerfahrenheit im Orden. Es waren wieder nur sechs Mitglieder zugegen: DAMON, POLIANDER, ASTERIO, IRENIAN, POLEMIAN und THEMISON.


Bei dem letzteren handelte es sich um ADAM BALTHASAR VON WERNER. Er war geboren in Breslau, hatte in Leipzig studiert, ab 1694 in Altdorf; dort promovierte er zum Doktor der Rechte und wurde 1697 Professor. In den Blumenorden wurde er 1698 von OMEIS aufgenommen und fungierte später als Ordensrat. In seiner beruflichen Laufbahn brachte er es 1699 zum Dekan seiner Fakultät und 1705 zum Rektor. 1708 wurde er abberufen nach Frankfurt an der Oder; zuletzt wirkte er in Hannover als Hof- und Kanzleirat; er starb 1740. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich durch derartige Ortswechsel die Mitgliedschaft im Blumenorden über weite Gebiete des Reiches verteilte.


Die Nürnberger Vertreter hatten nicht einmal ihre Ordensbänder dabei, wurden aber nur auf den entsprechenden Satzungspunkt hingewiesen und mußten nicht zahlen, denn es war auch keine förmliche schriftliche Einladung erfolgt.


DAMON hatte eigene Gedichte mitgebracht, scheint aber damit allein gestanden zu sein, denn er weist ausdrücklich auf Punkt 2 der Satzung hin. POLIANDER wird lobend hervorgehoben, weil er sich um die Erhaltung des Irrhaines verdient gemacht hatte. Die Gesellschafter fragen sich in diesem Zusammenhang, ob nicht weitere kapitalkräftige Mitglieder geworben werden könnten.


Folgende Namen waren im Gespräch: Johann Jacob Hartmann (Schaffer, d.h. oberster Diakon, zu St. Lorenz, der dann als DURANDO -- lat. ,durus': ,hart' -- aufgenommen wurde), M. JUSTIN WEZEL, WALTHER BARTHEL MARPERGER, DREßLER, M. PONHÖLZL, GOTTFRIED ENGELHARD GEIGER (Rektor der Schule bei St. Sebald), ein Herr PFLÜGER und ANDREAS TAUBER (Marktadjunkt in Nürnberg).


Nachträglich wurde TAUBER von HERDEGEN-AMARANTES ein wenig ungerecht als muthwilliger Bankerotteur" bezeichnet -- man hatte ab 1704 bei ihm immerhin 100 fl. des Ordensvermögens zu 5% angelegt und konnte später gerade noch das Kapital retten; daraus machte dann ISMENIAN nach Auffinden eines alten, längst abgegoltenen Schuldscheins eine große Affäre, sodaß der Orden durch Zutun unbefriedigter Gläubiger TAUBERs noch in einen unprofitablen Prozeß geriet, der ihn 50 Gulden kostete.

Über zwei weitere Neuaufnahmen wurde ein Beschluß gefaßt: Der damalige Pfarrer von Kraftshof, DAVID BÜTTEL, sollte wegen der Aufsicht über den Irrhain Mitglied werden. Er erhielt den Namen SILVANO. Und unter 7. steht, daß Frau REGINA INGOLSTÄDTERin unter dem Namen REGILIS "in die Gesellschafft eingenommen" wurde.



Ein neuer Präses

Professor Omeis starb im November 1708; wie in den vorherigen Fällen, so führte auch diesmal das Ableben des Präses zu einer Denkpause. Man war veranlaßt, den nach wie vor kritischen Zustand des Ordens genauer ins Auge zu fassen und der Ratlosigkeit zu entgehen. Es dauerte bis ins folgende Jahr, daß sich die Ordensräte entschlossen, dem Herrn CHRISTOPH VII. FÜRER VON HAIMENDORF AUF WOLKERSDORF den Vorsitz anzutragen. Dieser war seit dem Gründer der erste Präses, und überhaupt erst das zweite Mitglied, aus dem Patriziat. Er hatte ab 1678 von M.[agister] BURGER — dem erwähnten ASTERIO, aller Wahrscheinlichkeit nach, — Privatunterricht erhalten; dieser war es auch, der ihm den Antrag überbrachte, da der älteste Ordensrat, POLIANDER, mit seinen 77 Jahren zu diesem Gang derzeit zu kränklich war. Mitglied war FÜRER schon seit 1680 unter dem Namen LILIDOR gewesen (,der Lilienträger', nach seinem Wappenbild), nachdem er ab 1679 in Altdorf, unter anderem bei OMEIS, studiert hatte.

1682 hatte er eine Gedichtsammlung herausgehen lassen mit dem Titel Vermischter Gedichte-Kranz bey Muß- und Neben-Stunden aus Lust zusammengebunden/ von dem Pegnesischen Blumengenossen Lilidor [...], und die gefiel einem der maßgebenden Literaten der Zeit, jenem oben erwähnten ERDMANN NEUMEISTER, so gut, daß er sie für die beste hielt, die bis dahin aus dem Orden hervorgegangen war. Fürer war also auch von daher für sein Ordensamt wohlgeeignet. Er hatte fast die ganze Zeit von 1682 bis 1690 auf ausgedehnten Kavaliersreisen verbracht und war wieder heimgekehrt, obwohl ihm in Italien ein Prälat, der ihn gerne zum Katholizismus bekehrt hätte, zugeredet hatte, niemand wisse in Nürnberg einen Mann wie ihn richtig zu schätzen. (Das könnte man beinahe glauben, wenn man von den heutigen Nürnbergern auf die damaligen schließt.) Nach seiner Rückkunft vertraute man ihm immerhin erst einmal eine Stelle im Rat an, in der er "das Beste der Kirchen und Schulen auch des gemeinen Wesens zu befördern, sich eifrigst angelegen seyn lassen" durfte. Das heißt, er war so etwas wie Kulturreferent mit kirchlichem Einschlag oder, wie man damals sagte, ,Scholarch'. In dieser Eigenschaft wird er einen gewissen Anteil gehabt haben an der "ehrenvollen Entlassung" des Polemian im Jahr 1709. Jedenfalls rühmt AMARANTES ihm persönlich nach, daß "dem Verführer TUCHTFELD, da er sich ehemalen unterstehen wollte, sein Unkraut unter den guten Waizen hier auszusäen, der Weg bald zum Thor hinaus gewiesen wurde." Auch dem pietistischen Theologen PETERSEN, der von OMEIS etwas überstürzt in den Orden aufgenommen worden war, wies er nach, daß seine Lehre in einem Punkt nicht mit der Augsburger Konfession vereinbar sei, und er entlarvte einen betrügerischen Visionär. Mit Katholiken kam er jedoch, bei allem Abstand — oder wegen des Abstands — recht gut zurecht, und das war wünschenswert: Der Orden hatte nämlich in Österreich außer NEGELEIN noch weitere katholische Mitglieder, auch aus dem Adel: PHILIPP JAKOB OSZWALD, FREIHERRN VON OCHSENSTEIN, Kaiserlichen Hofmathematiker, aufgenommen 1676; DAPHNIS III., Baron FERDINAND ADAM PERNAUER VON PERNEY, der als Altdorfer Student 1680 aufgenommen worden war, und ALBANIE, ANNA MARIA BARONESSE VON WEISZENFELD, PLC, aufgenommen 1696 unter OMEIS. Es war den Ordensmitgliedern angesichts solcher Vielseitigkeit klar, daß kein anderer als LILIDOR in Frage kam, dem Orden wieder aufzuhelfen, der, wie ASTERIO vortrug, 1708 kaum noch sieben Mitglieder "in hiesiger Gegend" zählte.

LILIDOR veranlaßte, was ein heutiger Vorstandsvorsitzender in ähnlicher Lage wohl auch in die Wege leiten würde: Er forderte erst einmal alle Mitglieder zu schriftlichen Vorschlägen auf, wie der Orden wieder zur Blüte gebracht werden könne. Einige dieser Denkschriften sind erhalten. Sie zeigen, daß man auf der Höhe der Zeit war und gerade deshalb nicht länger pseudo-höfische Schäferpoesie treiben konnte.

Übrigens wurde noch 1717 eine dichtende "Schäfergesellschaft Helicon" durch CHRISTOPH GOTTLIEB VON IMHOF, VEIT AUGUST HOLZSCHUHER — alte Patriziernamen! — , GOTTFRIED KASPAR DAUMILLER, JOACHIM BÄUMLER und LORENZ WILHELM NEUBAUER gegründet, wie WILHELM SCHMIDT in seinem Manuskript ausführt. RENATE JÜRGENSEN deutet den Vorgang als Absetzbewegung derjenigen, die mit dem Blumenorden nicht mehr einverstanden gewesen seien, weil er von FÜRER obrigkeitlich ausgerichtet und den Pietisten sowie der reichgeschmückten Verssprache gar nicht mehr günstig gewesen sei. Der starke Anteil patrizischer Gründer der Helicon-Schäfer scheint dem ersten Gesichtspunkt entgegenzustehen. Wenn man darüberhinaus phantasievollen Umgang mit der Sprache unter dem Zeichen des Pietismus aus ästhetischen Gründen bevorzugt, bezieht man leicht gegen den Zug der damaligen Zeit Stellung. FÜRER war nicht unmusisch, er war lediglich ein modernerer Dichter als die abgelebten Schäferspieler. Die Sache hatte ja auch, wie JÜRGENSEN selbst hervorhebt, keine Zukunft. Mir scheint, hier handelte es sich um ein Sammelbecken der Zurückgebliebenen, und gerade darum war der Anteil der patrizischen Namen so hoch — neben den sozial Aufstiegswilligen, die sich zu allen Zeiten gern nach der gehobeneren Mode von gestern orientieren. Aber letztlich handelt es sich bei den hier wettstreitenden Betrachtungsweisen nur um zwei Seiten derselben Münze, und ich halte es nicht für problematisch, mit meiner Blumengenossin "zu einem Ton einzustimmen".


POLIANDERS Denkschrift




Die offensichtlich früheste Denkschrift richtet sich mit mehreren Anreden unmittelbar an den neuen Präses, als hätte dieser sich von einem besonders ausersehenen Mitglied Bericht erbeten. Der mit Bleistift in späterer Zeit angebrachte Vermerk "Schrift Lilidors" ist etwas irreführend, weil nicht gleich ersichtlich ist, daß er sich auf die Schrift der Randbemerkungen bezieht. Der Verfasser gibt auf der zweiten Seite unten an, er sei in hohem Alter, und in dem "Poetenstübchen" in seinem Haus "Zum halben Mond" seien die Pegnesen früher zusammengetroffen, also vor der Einrichtung des Irrhains. Es muß sich also um POLIANDER handeln, denn AMARANTES berichtet, das Haus, am Fischbach gelegen, habe INGOLSTÄTTER gehört und dieser habe den Pegnesen, bevor es den Irrhain gab, auch seinen Garten zu Zusammenkünften angeboten.


POLIANDER, noch der zweiten Generation der Pegnesen um SIGMUND VON BIRKEN zugehörig, war der rechte, seinem neuen Ordensoberhaupt die Anfänge des Ordens in Erinnerung zu rufen. Es ist nur seltsam, wie wenig FÜRER offenbar zunächst davon wußte — oder wie wenig man ihm zu wissen zutraute —, nachdem er doch dem Orden seit 1680 angehörte. Man war auch durchaus bereit, die geschichtlichen Tatsachen von der Gründung des Ordens so zurechtzufiltern, wie es dem hohen Herrn belieben sollte: "Hirbey werden Herrn Fürers hochadel.[ige] Herrl.[ichkeit] zu fragen seyn, ob Sie gut befinden, daß der Anfang der Gesellschaft vom S.[eligen] Herrn Harsdörffer hergeführt werde? nach welchen Entschluß die Wahl S.[einer] Hochadel. Herrl. möchte ausgeführet werden."


Diese auf den ersten Blick etwas seltsame Zumutung erklärt sich vielleicht daraus, daß man die langen Zwischenräume zwischen den Amtszeiten der ersten Präsides zum Vorwand hätte nehmen können, von Neugründung zu sprechen und dadurch den Blumenorden zu einer moderneren Angelegenheit zu machen. (Schließlich schriebe sich die Académie Française auch schon von 1635, wenn nicht nach dem Ende einer inaktiven Periode 1661 eine Neugründung erfolgt wäre.) Oder galt etwa der wahre Gründer HARSDÖRFER zu seiner Zeit und vielleicht auch im Gedächtnis der folgenden Generationen als nicht allzu rühmenswerter Außenseiter innerhalb seiner Kaste? Er hatte sich jedenfalls 1649 einen Verweis vom Rat zugezogen, weil er dem Feldmarschall Wrangel und anderen zum Friedensschluß in Nürnberg versammelten Gesandten trotz verordneter Staatstrauer um die siebzehnjährig verstorbene Kaiserin Maria Leopoldina das Eintreffen einer Komödiantentruppe "verschwätzt" hatte. Der Schwede hatte daraufhin nicht abgehalten werden können, die Schauspieler zu sehen, und man hatte alle Hände voll zu tun, den Vorfall in Wien nicht bekannt werden zu lassen. Und das war nicht einmal alles: Ein Lobgedicht auf die Siege des schwedischen Feldmarschalls hatte ihn 1648 schon auf ein paar Tage in -- ehrenvolle -- Haft auf dem Rathaus gebracht, da es unter Umgehung der Zensur gedruckt worden war und Nürnberg als protestantische Stadt alles vermeiden wollte, was gegen den katholischen Kaiser gerichtet erscheinen konnte.


POLIANDERs nächster, höchst vorsichtiger Vorschlag zur Vereinfachung der Ordensinsignien ist bemerkenswert, weil er einen rationalistischen Geist vertritt, der mit Hirten- und Blumensymbolik nichts rechtes mehr anzufangen weiß; doppelt überraschend ist dabei, daß er von einem betagten Mitglied kommt, das den Höhepunkt der Pegnitzschäferei noch erlebt hat: "[...] Ob Sie aber viele freundt, auch Dames einnehmen werden, stehet allerdings zu Dero Belieben. Die hiesigen (vielleicht aber die fremde nicht) möchten angelangt werden, zu Erhaltung des Irrhayns zu weynachten etwas jährlich zu erlegen, ob man aber bey derer reception wieder so viel Complimenten mit ertheilung eines Patents, mit der Gesellschafft Insiegel, und eines Bands, so jedesmal 3 fl. kostet, fortzufahren, solle auch in S. Hochadel. Herrl. gn[ädiges] Belieben gestellt werden."


Am Rand steht in anderer, also wahrscheinlich FÜRERs, Handschrift: "Wer hat den Lehnbrieff über den Irrgarten von E.[inem] HochE.[dlen] Rath der Gesellschafft ertheilt?" Diese Bemerkung sieht nach Rücksichtnahme auf einen Ratskollegen aus — abgesehen davon, daß Fürer kurioserweise nicht wußte, daß sein eigener Vater zu den Mitunterzeichnern des Dokuments gehört hatte. Ist er vielleicht kurzzeitig mit dem Gedanken umgegangen, den unrentablen Irrhain aufzugeben, hat es dann aber aus Pietät unterlassen? In POLIANDERs Text heißt es da nämlich: "Der Irrgarten kost mehr zu erhalten, als man glaubete, ich habe dazu vor wenig Jahren auf einmal bey 50 fl. angewandt, dennoch gebraucht er abermal reparirens. Doch wird Herr Pfarrer zu Krafftshoff wolEhrw.[ürden] mit guter Aufsicht viel ersparen können." Andererseits könnte die Randbemerkung auch von FÜRERs Bestreben zeugen, auf klaren und gesicherten rechtlichen Verhältnissen aufzubauen.


Ein für die zunehmende Sorgfalt in zeremoniellen Fragen typisches Zeugnis der galanten Epoche ist der Satz: "Bißhero ist gebräuchlich geweßen, daß der ältiste von der Gesellschafft [POLIANDER selber nämlich, in den letzten Jahren!] bey Zusammenkünfften den Vorgang gehabt, solches aber wird sich hinfüro wegen vornehmer Personen, so eintretten möchten, nicht thun laßen." Freilich, eine Schäfergesellschaft war eben dazu gegründet worden, daß man sich über angenehme Dinge in seiner Freizeit auch einmal von Mensch zu Mensch, sozusagen in naturnahen Verhältnissen, unterhalten könnte; dabei kommt allenfalls die Würde des Alters in Betracht. Gerade das kommt einem Nürnberger um 1710 nicht mehr tunlich vor. Man sehe sich nur einmal die reichlich überzogenen Anreden an! (Schließlich gehörte ein Nürnberger Freiherr nicht zum hohen Adel; aber es war wohl eine gewisse Inflation der Titel und Würden eingetreten, um nur ja von dem Grobianismus der vorigen Epoche loszukommen.) Damit ist aber die Hirtengesellschaft wesenlos geworden. Die ausgehende Barockzeit scheint verschnörkelter in gesellschaftlichen Dingen als der Hochbarock -- und das in einer Reichsstadt, die eigentlich eine Republik darstellt. In den letzten Jahren ist in der Wissenschaft eine Auseinandersetzung wiederaufgenommen worden, ob nicht die herrschenden Familien Nürnbergs sich seit der Kleiderordnung von 1641 noch mehr als bisher gesellschaftlich abgeschlossen und versucht hätten, die Schicht der Akademiker von den Privilegien ihres Standes auszuschließen. POLIANDERs Zaghaftigkeit wäre ein deutliches Zeichen solchen Niedergangs.


Man vergleiche damit einmal, was HARSDÖRFER in der schon zitierten Vorrede zu Teil V der Frauenzimmer-Gesprächspiele zu diesem Gegenstand aus der Satzung der Sieneser "Intronati" anführt, und wie er es angewandt wissen will:


III. Such Ehre bey deines gleichen. Lehr die Ungelehrten. Lerne von den Verständigen. Frag/ was du nicht verstehest. Sey freundlich gegen jedermann.

IV. Wer wol redet/ dem wird wol nachgeredet. Wer wol thut/ dem wird wolgethan. Wer nach Lob strebet/ muß sich löblich halten. Wer das wolgemeinte mißdeutet/ kan nicht für fromm geachtet werden.


Soweit die Intronati. Es ist leicht ersichtlich, daß diese Gesellschaft sich noch nach dem Ideal des Renaissance-Gelehrten ausrichtete, das seit BALDASSARRE CASTIGLIONEs Buch Il Cortegiano (1528) auch für den Höfling vorbildlich geworden war. Dort blieb etwas am Leben von der Aufbruchsstimmung der Gebildeten, die eine zeitlang auf gleichem Fuße mit den Mächtigen der italienischen Stadtstaaten verkehrten (da sich diese ihrerseits als Emporkömmlinge verstehen mußten). Die Sienesen machten HARSDÖRFER mit der Möglichkeit von Gesprächspielen bekannt, und aus ihrem Bestand verdeutschte er die ersten Spiele seiner Sammlung, wie er am angegebenen Ort selbst erwähnt. HARSDÖRFER führt weiter aus, durch fortdauernde Verwendung der Gesellschaftsnamen würden die ständischen Verschiedenheiten überwunden:


Dann I. hierdurch die Gesellschafter hohes und nidriges Standes einander gleich werden/ und keinen andern Vorzug/ als nach der Ordnung ihrer Einkunfft [ihres Eintreffens] erheischen.

II. Daß aller Ehrgeiz dadurch aufgehoben/ und vielmehr auf allgemeinen Ruhm der Gesellschaft/ als absonderliches Namenslob eines oder deß anderen/ gesehen wird. III. Daß hierdurch aller Titelpracht abgethan/ und so hochfürstlicher Personen Tugendeifer in so gewogener Freund- und Höflichkeit erhelle.


Eine Randglosse führt an, daß bei den Intronati in Siena immerhin ein Francesco de' Medici und vier Piccolomini Mitglieder seien. Hier überdauerte etwas den Absolutismus, was später in bürgerlichen Idealen aufgehen konnte. Übrigens war HARSDÖRFER auch Mitglied der "Accademia degli Ociosi" in Neapel, der ein Fürst Carrafa angehörte, und unterhielt Beziehungen zur "Accademia della Crusca" in Florenz.


Auch zu den späteren Zeiten nach 1700 wurden gerne Herren aus bedeutenden Familien in Sprachgesellschaften aufgenommen (GOTTSCHED, der ein tüchtiger Propagandist war, machte es sich in Leipzig um 1730 zur Hebung des Ansehens seiner Bestrebungen geradewegs zum Prinzip), aber von Bedenken wegen Förmlichkeiten des Umgangs wurden diese nicht behindert. Von einer Exklusivität des Adels wie beim Gesandten in GOETHEs Werther hätte jedenfalls literarische oder wissenschaftliche Liebhaberei wenig profitiert, ebenso wie von zeremonieller Weitschweifigkeit. Ob diese aber beim Pegnesenorden einriß, darf angesichts der Mitgliederliste bezweifelt werden, und ANDREAS INGOLSTÄTTERs resignierter Seufzer "Ich habe aber um dieses alles ausgesorgt, indem meine wenige Kräffte und hohes Alter mir nicht zulaßen werden, bey der Gesellschafft etwas thun zu können" drückt wohl eher die Angst eines älteren Menschen aus, mit neuen Gesichtern zurechtkommen zu müssen, als einen Wandel der Umgangsformen im Orden. (INGOLSTÄTTER starb im folgenden Jahr.) Sein Gutachten fährt fort:


"[...] über den Irrgarten, haben jeweiln gelehrte fremde etwas geschrieben. Ich weiß aber nicht, wo ihre Gedichte hinkommen seyn, noch auch, was in erst besagten Stüblein, und in denen Hütten des Irrgartens geschrieben worden." — Vermutlich ziemlich wenig, der oben erwähnten Mücken halber.


"In den neuen Gesezen, möchte vor allen anzuführen seyn, [...]" — hieraus geht hervor, daß eine neue Satzung errichtet werden sollte. Es folgt der erneute Vorschlag eines Zensurparagraphen nach Art des vorigen und ein Hinweis auf die von BIRKEN festgesetzten Ordensziele.


Zuletzt rafft sich der Verfasser noch zu einer Beschwerde gegen einen beliebten Schriftsteller des galanten Zeitalters auf, wiewohl nicht ganz zu begreifen ist, was dies in einer Denkschrift zur Fortführung des Blumenordens zu suchen hat. "Hierbey frage ich, ob nicht dem Menantes, oder Hunold aus Türingen bescheidentlich zu Gemüth geführet werden können, was er unbescheidentlich von der Gesellschafft geschrieben. [...] Er hat [unleserlich] 2. Tractätlein geschrieben, wie man wol und höfflich werden, auch höfflich und galant schreiben soll, hat es aber übel praestirt." Es liest sich in der Tat nicht sehr galant und noch weniger höflich, wenn dort steht: "Jedoch wollen am allermeisten die Nürnberger, oder sogenannten Pegnitz-Schäffer, angesehen seyn, und brüten allerhand Worte aus, welche man zu Tausenden, wie die Raupen-Nester verbrennen solte. [...] Wer ein guter Teutscher Poet seyn will, mag sich nur nicht unter dieser Hirtenzunfft so gemein machen, daß er seine Renommee drüber verschertzet."


Das ist glatter Rufmord. Offenbar hat der Protest der Pegnesen Herrn HUNOLD auch erreicht, denn in der Neuauflage von 1722 rückt er in die Vorrede die Entschuldigung ein: "Nur ehe von dieser Materie abbreche/ muß ich nothwendig erwehnen/ daß wenn unter andern nichts-würdigen Poeten der Pegnitz-Schäffer in meiner Comödie gedacht/ ich hiermit den gelehrten Hrn. Professorem Omeis zu Altorff/ wie auch andere brave Ordens-Glieder will honestissimo Modo ausschliessen/ als die sich/ wie diesen vornehmen Leuten selber bekannt/ besser als viele ihrer Lands-Leute signalisiret." Er stellt dies in den Zusammenhang von Erörterungen darüber, daß man Mithilfe von Regeln zwar Gedichte machen lerne; die Poesie komme aber aus dem Geist, der von der Natur empfangen wird. (Insofern vertritt HUNOLD für seine Zeit einen recht fortgeschrittenen Standpunkt, aus dem er eben mit Dichtergesellschaften nichts mehr anfangen kann.) Was jedoch "Stil" betrifft — und das hat damals sowohl mit landschaftlichen als auch gesellschaftlichen Spracheigenarten zu tun — bleibt HUNOLD bei seiner Ablehnung der Pegnesen und unterläßt keineswegs seine mit Vorurteilen beladenen Schmähreden. Etwa: "So weiß ich auch, daß die Nürnberger viel schöne Gedichte, welche gut und zierlich nach unserer [der Meißnischen Art] elaboriret gewesen, verlacht, und nicht einen Creutzer werth geachtet haben, sondern sie haben ihre Saalbadereyen, wie die Affen ihre Jungen, und wie die Spanier ihre Mäntel, über alles geliebet und aestimiret. Doch ihre eigenen Lands-Leute, welche eine Zeitlang in Meissen gelebet, haben sie vor Narren gescholten. Es ist oben eine Opera, Arminius genannt, in Druck kommen, welche Negelein gemacht, von dieser machen sie einen grössern Staat, als weyland Augustus von der Aeneide des Virgilii. Als ich sie aber las, kriegte ich die Colica davon."


Ich kann mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, daß HUNOLDs Urteile auch mit dem widrigen Gezänk der Konfessionen zu dieser Zeit zusammenhängen; der zum Katholizismus konvertierte NEGELEIN mußte ihm einfach ein Greuel sein. Desgleichen betont er auch an mehreren Stellen, er wolle nicht für einen Pietisten gehalten werden. Ob die Urteile zutreffend seien oder nicht, ob sie sich auf den Blumenorden von 1707 oder gar 1722 überhaupt noch beziehen lassen oder längst überwundene Sachverhalte betreffen, kommt gegenüber der öffentlichen Wirkung, die es hat, kaum mehr in Betracht. Die Untertanen des starken August fühlen sich im Aufwind, lassen neben sich nichts mehr gelten — und die Literaturgeschichtsschreibung, jedenfalls die zum Schulgebrauch, betet ihnen das seit nahezu zwei Jahrhunderten nach, als ob nicht WIELAND und GOETHE die reichsstädtische, oberdeutsche Kultur gegen die HUNOLDs und GOTTSCHEDs erfolgreich vertreten hätten. Ich habe den Verdacht, es ließen sich auch andere Entwicklungslinien ziehen als nur immer die von den Mittel- und norddeutschen Galanten über die Leipziger und Berliner Aufklärer nebst den Schweizer Querdenkern, Göttinger Genieburschen und die Halberstädter Glucke geradewegs nach Weimar. In Dichtung und Wahrheit findet man den Verlauf anders dargestellt, und daran ist wohl mehr Wahrheit als Dichtung.


Nebenbei erlauben die hier gegebenen Auszüge aus den Nürnberger Gutachten dem in der Literatur der Epoche bewanderten Leser die Feststellung, daß in der Rechtschreibung und Grammatik der Nürnberger weniger Unterschiede zum heutigen Gebrauch bestehen (abgesehen von der immer wiederkehrenden Verwechslung von Dativ und Akkusativ und der Bevorzugung der starken Adjektivdeklination) als bei Schriften aus dem bairisch-österreichischen Sprachraum. Sie können es in dieser Hinsicht mit den Schreibgewohnheiten der vielgepriesenen Meißnischen Kanzlei sehr wohl aufnehmen. Es wundert also nicht, daß der vielgelesene JOHANN HÜBNER in seinem Lehrbuch über die Redekunst unter anderem Franken als eine Gegend nennt, in der die deutsche Sprache besonders gepflegt worden sei. Es hat freilich auch historische Gründe und nicht nur solche der sprachlichen Vorzüge, daß gerade die mitteldeutsche Schreibtradition auf unseren heutigen Gebrauch stärker nachgewirkt hat als die anderer Gegenden. Übrigens ist an der Schreibung "höfflich" bei INGOLSTÄTTER im Unterschied zu "Höflichkeit" bei HARSDÖRFER zu ersehen, daß man in Nürnberg mittlerweile von einem Umweg der Rechtschreibungsentwicklung beeinflußt war, der über schlesische und sächsische Schreiber lief. Ich habe manche Texte aus dem Meißnischen Einflußgebiet gelesen, das sich als so vorbildlich empfand; HARSDÖRFER war sparsamer mit Verdopplungen umgegangen — das mußten die anderen erst wieder abschaffen.


Die im Vergleich dazu schlichtere Rechtschreibung der ersten Pegnesengeneration geht auf SCHOTTELs Grundsatz zurück, Zusammensetzungen aus den ursprünglich einsilbigen Stammwörtern der deutschen Sprache sichtbar werden zu lassen. Er hatte auch in hauptwörtlichen Zusammensetzungen den Anfangsbuchstaben eines jeden Hauptworts groß geschrieben — ein Brauch, der sich bis in die Schreibweise KLOPSTOCKs und HÖLDERLINs hinzieht; für Lyriker gar kein schlechtes Mittel, Wortbildungen durchsichtig und empfindbar zu machen.


An dieser Stelle empfiehlt sich ein Einschub über JUSTUS GEORG SCHOTTEL, auch wenn er nicht unmittelbar zum Umfeld der hier behandelten Zeitspanne gehört; man wußte aber gewiß noch von seiner Bedeutung für den Orden und für die deutsche Sprache insgesamt. Er war "der vertraute Genosse Harsdörfers in allen sprachlichen Fragen" als FONTANO I. (Eine Blume führte dieses Ordensmitglied noch nicht, wie WILHELM SCHMIDT in seinem unveröffentlichten Entwurf der Ordensgeschichte gegen HERDEGEN und BISCHOFF behauptet. Das sei ein voreiliger Rückschluß aus der Blume des nächsten FONTANO gewesen; nur Verwandte hätten jedoch die Blume ihres Namensvorgängers übertragen erhalten.) SCHOTTEL war Kammer- und Konsistorialrat in Wolfenbüttel, erster Hofmeister des jungen Herzogs ANTON ULRICH, der nachmals mit seinen umfänglichen Barockromanen in die Literaturgeschichte eingehen sollte. Eine zeitlang war SIGMUND VON BIRKEN der zweite Hofmeister, d.h. Privatlehrer des ANTON ULRICH gewesen, was sich in seinem ganzen späteren Leben immer wieder einmal auszahlte; er hatte dafür freilich das Korrekturlesen für die Aramena zu leisten, die in Nürnberg gedruckt wurde. SCHOTTEL wurde jedenfalls mit BIRKEN bekannt und daher Mitglied des Ordens; er hatte schon 1641 eine Teutsche Sprachkunst verfaßt, 1645 eine Teutsche Vers- oder Reimkunst und gab 1663 sein Hauptwerk heraus, Ausfuehrliche Arbeit von der Teutschen HaubtSprache [...] , laut M. SZYROCKI "das bedeutendste sprachwissenschaftliche Werk des 17. Jahrhunderts". SCHOTTELs "Sprachkunst" war übrigens ab 1644 an den Nürnberger Schulen eingeführt.



ERGASTOs Gutachten




Bisher war in den Vorschlägen zur Fortführung der Arbeit des Ordens die Sprachpflege als Arbeitsgebiet zu kurz gekommen. Bemerkenswerte Ansätze dazu finden sich aber in der Denkschrift von ERGASTO, ERHARD REUSCH.


Er war 1678 zu Coburg geboren, studierte unter anderem. in Altdorf, wurde dort 1704 Magister, später Licentiat beider Rechte, hielt sich ab 1706 in Nürnberg auf und wurde 1708 von seinem Gönner OMEIS aufgenommen. Eigentlich wollte er Gymnasiallehrer werden, und OMEIS empfahl ihn nach St. Egidien, doch die Scholarchen sahen, daß sein Auftreten vor den Schülern "zu furchtsam" sei und er sich mehr für Hochschulen eigne. Nach einer Zwischenzeit in Erfurt war er von 1716 bis 1723 wieder in Nürnberg, dann als Professor in Helmstädt, und starb 1740.


Neuaufnahmen

Gleich am Anfang widerspricht er der Möglichkeit, aus Nürnberger Gelehrtenkreisen hinreichend rührige Gesellschafter zu bilden; man müsse daher auch Männer aus beiden Markgrafentümern (Bayreuth und Ansbach) hereinziehen. (Den Nürnberger Lokalpatrioten, denen die Feindseligkeit der Markgrafen immer wieder in frische Erinnerung gebracht wurde, wird das wenig eingeleuchtet haben.) Auch er betont, daß man junge und aufgeweckte Gemüter im Orden brauche, mit der Begründung, die alten Mitglieder hätten so viel zu tun, daß sie kaum zum Dichten kämen. Dabei ist wohl vor allem an die Berufspflichten dieser Gelehrtenschicht und an Familienpflichten zu denken.


Sprachpflege

ERGASTO wäre anscheinend schon zufrieden, wenn nur die Satzung von 1699 endlich einmal ernst genommen würde. Bisher hätten sich nur wenige um das "Wachsthum unserer Mutter-Sprache" gekümmert. Man solle sich die Académie Françoise zum Vorbild nehmen! Daß es ihm um Wörterbucharbeit geht, zeigen die nächsten Sätze: Da wird ein Vorschlag des Regensburger Ratsherrn J. L. PRASCH aufgegriffen, Mundartwörterbücher und ein vollständiges deutsches Wörterbuch samt Grammatik herauszubringen. Man solle aber arbeitsteilig vorgehen. Für einen erschien die Aufgabe wohl zu umfangreich.

REUSCH fährt fort, wer das Mundart-Glossar bearbeite, müsse alle Sprachen beherrschen, die von der "Teutschen" abstammen; er meint, alle germanischen Sprachen. Von da aus überrascht es nicht, daß es den Leipzigern gelang, den Nürnbergern, trotz oder gerade wegen derer weit ausholenden Gründlichkeit zuvorzukommen. Was ERGASTO hier fordert, konnten gerade erst hundert Jahre nachher die Brüder Grimm leisten; bis dahin hatte ADELUNG seinen Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders der oberdeutschen [...] längst zuwege gebracht. (Auch in unseren Tagen bestand leider eine ähnlich verfahrene Lage mit dem Ostfränkischen Wörterbuch, das lange nicht fertig werden wollte, nachdem andere Stämme ihre Mundartwörterbücher schon jahrzehntelang besaßen.)

Man müsse einen Zettelkasten anlegen, heißt es weiter, in den die Mitglieder fleißig Anmerkungen einbringen sollen. Wenn man beobachtet, welche Mühe es heutige Mitglieder des Ordens kostet, mitten aus dem Alltag heraus ein paar sprachkritische Glossen zusammenzutragen, die man an die Presse gelangen lassen könnte, wird verständlich, daß daraus nicht viel wurde.


Pflege der Dichtung

Punkt 4 ist ein wenig zukunftsweisender. Auch die anderen schönen Künste sollten neben der Poesie gepflegt werden, und -- das ist wirklich neuartig — "literaturam elegantiorem". Diese Bezeichnung muß sich auf diejenige Literatur beziehen, die nicht allgemein als dichterisch anerkannt war, sondern als Modeerscheinung, Lesefutter für Halbgebildete, in zweifelhaftem Ansehen stand, auch wegen der nicht immer gänzlich jugendfreien Darstellung; kurz: die Romane. (Auch andere, kleinere Prosagattungen kommen in Betracht, wie etwa die seinerzeit beliebten "Totengespräche", worin man die Geister abgeschiedener Berühmtheiten einander im Jenseits begegnen ließ und auf diese Weise eine Menge Hofklatsch ablud.) Die elegante Literatur wird als "Gewürz" für die Dichtkunst bezeichnet, an welcher die "schlenderhafte Welt" schon allmählich "Ekel" (im Sinne von Überdruß) zu empfinden beginne. Auch Historiker solle man aufnehmen und ihre Werke damit fördern. Hier kommt zum Ausdruck, daß man sehr wohl über den augenblicklichen Stand der Romantheorie Bescheid wußte: Damals wurde versucht, das Verfassen erfundener Handlungen in Prosa als eine Art erweiterter Geschichtsschreibung zu rechtfertigen. Als ob vor den Lesern eines Simplicissimus oder angesichts des romanschreibenden Herzogs ANTON ULRICH VON BRAUNSCHWEIG eine Rechtfertigung nötig gewesen wäre! Doch die Leser wollten allmählich etwas Wirklichkeitsnahes zur Erweiterung ihres Horizontes haben, ohne sich der Mühe zu unterziehen, sprachliche Wohlklänge und gesuchte Bilder wahrzunehmen. Schon HARSDÖRFER hatte diesem frühbürgerlichen Bedürfnis mit seinen Sammlungen von Geschichten Rechnung getragen.

Weil er gerade bei Geschichtsschreibung ist, macht Ergasto auch noch den Vorschlag, man solle eine Geschichte des Ordens verfassen. 34 Jahre später hat AMARANTES diese Anregung zum ersten Mal verwirklicht.

Ansonsten müsse man einfach veröffentlichen, was man in Reserve habe, zum Beispiel den zweiten Teil von FÜRERs Himmlische Vesta und irdische Flora.

Dazu ist zu bemerken, daß in diesem von LILIDOR schon 1702 veröffentlichten ersten Teil seiner Hauptwerke eine Übersetzung des Cinna von CORNEILLE erhalten ist, "welcher der um unsre teutsche Sprach hochverdiente Herr Professor Gottsched in Leipzig mit grossen Ruhm gedenket/ in der Zueignungs-Schrift vor seinem sterbenden Cato [...]". GOTTSCHED schrieb, daß dieses Stück "ebenermassen eine Zierde unserer Schaubühne worden". (Das muß nicht unbedingt heißen, es sei auch aufgeführt worden. Wieso aber wird in den Literaturgeschichten eigentlich nur immer die "Cid"-Übersetzung des Braunschweiger Bürgermeisters LANGE als Vorläufer der klassizistischen deutschen Theaterstücke erwähnt?) Außerdem hat FÜRER die 5. Satire des BOILEAU übersetzt und erwies sich damit wohlinformiert über das Neueste, was in Paris vorging. Er war ja auch dreimal dort gewesen, was jedenfalls mehr war, als ein GOTTSCHED jemals für seine Informiertheit hätte geltend machen können. JOHANN ULRICH KÖNIG, der sächsische Hofdichter, erwähnte diese Übersetzung lobend auf dem 132. Blatt seiner Sammlung der Gedichte des FREIHERRN VON CANITZ, auch eines frühen Klassizisten.

FÜRER hat die von REUSCH angeregte Herausgabe seiner Pomona oder aufgesammlete Früchte der Einsamkeit erst 1726 besorgen können. Das Buch soll dem PRINZEN EUGEN und dem KAISER KARL VI. (dem in Nürnberg damals die neuerbaute Karlsbrücke gewidmet wurde), sehr gut gefallen haben.

Aber zurück zu REUSCH! Er schlug unter diesem Punkt zuletzt noch vor, man könne ja noch die Witwe IRENIANs um die unveröffentlichten Manuskripte ihres Mannes bitten. Zu deren Veröffentlichung ist es aber nicht gekommen.

Neben den Unterhaltungskosten für den Irrhain, für deren Bestreitung jährliche Gebühren eingefordert werden müßten, solle man sich eigentlich auch die Stiftung eines Literaturpreises etwas kosten lassen. Dazu benötigte man einen Mäzen, "dahin aber wol nimmermehr zu gedenken". (Dieser Seufzer bleibt leider aktuell! Eben das schlug der Nürnberger Dichter Godehard Schramm dem Orden in der Aussprache nach seiner Lesung am 19. 11. 1991 auch vor, überschätzte damit jedoch dessen jetzige finanzielle Möglichkeiten ganz erheblich.)

Am Ende schreibt Reusch noch eine großes Kompliment an Lilidor für seine kluge Aufsicht über den Orden.




LILIDORS Programm



Am 14. Oktober 1710 setzt sich Präses LILIDOR selber zum Schreiben nieder und verfaßt in neun Punkten seine Vorschläge zur Fortführung der Ordensarbeit, die ihm, zusammen mit seiner Umfrage, mit Recht den Ehrennamen eines dritten Gründers des Blumenordens eintragen. Eigentlich mußte ein jeder Präses, der nach längerer Amtszeit seines Vorgängers den Orden übernahm, ein Neugründer sein. BIRKEN hatte ja nach dem Niedergang in HARSDÖRFERs letzten Lebensjahren einiges zu tun, um die Gesellschaft 1662 wieder zu beleben; daher heißt er traditionell der "zweite Gründer des Ordens". Mag sein, daß er dem seines patrizischen Vorstehers beraubten Orden erst nach langer Frist wieder zu einem gewissen Ansehen verhelfen konnte, indem er auswärtige Vornehme aufnahm. Auch seine Beziehungen zum Wiener Hof könnten eine Rolle gespielt haben. LIMBURGER konnte nach BIRKENs Tod darauf aufbauen, gewann aber im großen und ganzen, was Honoratioren betrifft, nur Neumitglieder aus der Altdorfer Professorenschaft hinzu. Es war schwerer geworden, den Orden zu einer Größe im ständischen System Nürnbergs zu machen, mit der man rechnen mußte. OMEIS erging es nach dem Tod LIMBURGERs (1692) und nachfolgendem Interregnum sicher auch nicht viel besser, als er 1697 das Amt übernahm. Dafür bewirkte er mit der ersten selbständigen Satzung einen programmatischen Neuanfang. Leider konnte diese Satzung ohne die Autorität eines Angehörigen der tatsächlich herrschenden Schicht nicht umgesetzt werden. FÜRER erntete den Erfolg — allerdings nicht, ohne selbst nochmals ausgesät zu haben. Ich würde daher gerne beiden gleichermaßen zubilligen, innerhalb der Spanne ein- und derselben Generation den dritten maßgeblichen Anlauf zur Festigung des Ordens getan zu haben.



Ordens-Hauptbuch


Zunächst geht es dem neuen Präses um das Anlegen eines Hauptbuches, in dem die Gesetze, die Mitglieder, die Einnahmen und Ausgaben verzeichnet stehen sollten. Was davon verwirklicht worden ist, befindet sich in Schuber LXXI des Ordensarchivs: Je ein Einnahmen- und ein Ausgabenbuch des Ordens, gebunden, 94 bzw. 86 teilweise beschriebene Blätter zum Zeitraum 1708 bis 1788. Man sieht, in Geldsachen reagierten die Pegnesen prompt. Auf die Stammliste der Mitglieder (von AMARANTES begonnen) und das Große Ordensbuch, in dem unter anderem die seit LILIDOR geltende Satzung abgeschrieben steht, mußte der Orden jedoch eine Weile warten; das wurde erst unter Präses NEGELEIN in Angriff genommen. Man führte dann diese Aufzeichnungen getrennt, zweckmäßigerweise; LILIDOR hatte noch eine Art von Hauptbuch vorgeschwebt, wie es zu seiner Zeit in Zünften geführt wurde. (Überhaupt fällt auf, wie gediegen derartige Zunftbücher und ihre Aufbewahrungsschreine samt Bildnissen der Meister ausgeführt sind; bei einem Besuch in der einschlägigen Abteilung des Germanischen Nationalmuseums kann man zweifelnd werden, ob der Blumenorden jener Zeit über die Kleinode, Weistümer und Rituale hinaus, die wohlhabende Nürnberger Zünfte auch besaßen, etwas Besonderes aufzuweisen hatte. In dieser Frage hilft es nur, auf Werke zu achten, nicht auf Archivalien.)



Öffentlichkeitsarbeit



LILIDOR regt an, eine Broschüre im Umfang von ein oder zwei Bogen zu drucken, die den Orden wieder bekannter machen soll. Das erinnert mich natürlich an unser Bedürfnis nach einer ähnlichen Schrift, die ich 1986 unter dem Titel Was ist, was will und was tut der Pegnesische Blumenorden e.V. zusammengestellt habe und die wir seither im Selbstverlag zu vertreiben versuchen. Auch das ist schon einmal dagewesen.



Traditionspflege



Punkt 3 läßt erkennen, daß es ihm nicht darum zu tun war, den Blumenorden seiner Symbolik zu entkleiden: er bestätigt den Gebrauch von Siegel und Leitsprüchen. Dabei leitet ihn wahrscheinlich die Einsicht, daß angesichts der stark voneinander abweichenden Gesichtspunkte, die bei seiner Umfrage zu Tage getreten sind, Traditionspflege auf mittlere Sicht das einzige ist, was den Orden zusammenhalten kann. Auch eine Beschreibung des Irrhains mit Kupferstichen soll erscheinen.



Außenpolitik

Jedes Mitglied soll fähige Neumitglieder vorschlagen. Auch Auswärtige möchte er beteiligen. Zum Beispiel solle der berühmte BENJAMIN NEUKIRCH geworben werden. Dieser war ab 1703 an der Ritterakademie in Berlin tätig gewesen und lebte ab 1718 als Erzieher des Erbprinzen nahebei, beim "Erbfeind" in Ansbach (wo er 1729 verstarb). Offensichtlich hatte FÜRER das Gras wachsen hören und vielleicht eine hochpolitische Beziehung anzuknüpfen im Sinne gehabt. Das wird den anderen zu riskant erschienen sein. Ganz ausgeschlossen schien es aber mindestens zu Anfang nicht; in NEUKIRCHs Namen hatte sich ein anonymer Herr B. von ... (ob es nicht doch NEUKIRCH selber war?) nach den Aufnahmemöglichkeiten erkundigt. Man könne ihm, meint LILIDOR, ganz gut das Ehrenpreis als Blume und den Namen Gloriander' geben mit Vers 34 aus dem 4. Kapitel des Buchs Daniel zum Sinnspruch; auch die erste Zeile zu einem Gedicht über NEUKIRCH fällt LILIDOR schon ein: "Ich diene Friederich, dem großen Preiß der Preussen" -- ein hübscher Alexandriner mit Wortspiel; man darf nur nicht FRIEDRICH WILHELM I. mit seinem Sohn verwechseln, den man später mit mehr Recht so nennen mochte. NEUKIRCH war allerdings schon auf dem absteigenden Ast; zwanzig Jahre später gilt er den aufgeklärten Literaten nur noch als der Sammler und Herausgeber von schwülstigen Absonderlichkeiten in LOHENSTEINischer Manier, weil er die maßgebende Gedichtsammlung der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts besorgt hat. Aus seiner Mitgliedschaft wurde nichts.



Devisen

Unter Punkt 7 schlägt der Präses vor, dem Blumenorden als ganzem eine Devise zu dichten, falls nicht schon eine vorhanden sein sollte. Sehen wir einmal davon ab, daß er sich hierüber nicht hinreichend im Bilde zeigt: Was hätte es geschadet, wenn der Orden in diesem neuen Ansatz seiner Geschichte eine andere Devise erhalten hätte als BIRKENs frommen Spruch? Bekanntlich gab es und gibt es drei: die erste, auf Harsdörfer zurückgehende, ist mit dem Bilde der Pansflöte verbunden und lautet: "Alle zu einem Ton einstimmend", was von AMARANTES ins eindeutige Latein gebracht wird: "Melos conspirant singuli in unum". Die zweite: "Mit Nutzen erfreulich". Diese rein gesellige Devise war der zweiten Generation der Pegnesen zu heidnisch erschienen, und sie hatten mit dem Bilde der Passionsblume eine neue Devise eingeführt: "Alles zur Ehre des Himmels". Das entspricht nicht etwa dem "Soli Deo Gloria" auf barocken Kirchen, das die vom Künstler verdiente Ehre aus rechter Bescheidenheit seinem Schöpfer zuerkennt; in der von BIRKEN gewählten Form erinnert die Devise mehr an die calvinistische Auffassung, daß der Mensch überhaupt nur auf der Welt sei, um Gott zur Ehre zu dienen, ohne sich ein Verdienst aus dieser Pflicht machen zu können.

In seiner Heidelberger und Berliner Variante stand der Pietismus dem Calvinismus übrigens näher als der Orthodoxie. Das paßt zu dem Geiste, in dem der puritanische Kapitalist wuchert und vorgibt, um Gottes Ehre willen nicht müßig und nicht ohne Gewinnstreben sein zu dürfen. Ob die Nürnberger um 1690 auf diese Ideologie hereinfielen? Gewiß nicht alle Pegnesen. OMEIS jedenfalls nicht, der in seiner 5. Dissertation den alten EPIKUR vom Vorwurf des einseitigen Strebens nach Lust reinwaschen hatte wollen: "Epicurus ab infami dogmate, quod summum bonum consistat in obscoena corporis voluptate, defensus. [...] Norimb. Ao. 1679." Ich muß bekennen, daß mir der Einfluß des Pietismus auf die Dichtung als der Zwang erscheint, einen Umweg für die "ach so weltliche" Poesie über die religiöse Begeisterung zu suchen. Bei allzu vielen blieb es dabei. (Indirekt kam freilich die pietistische Seelenkunde der gesamten Dichtung zugute, wie am Beispiel des Einflusses zu sehen ist, den die "schöne Seele" des Fräuleins VON KLETTENBERG auf GOETHE hatte.) Der Dichtung im Orden aber scheint es damit ebenso ergangen zu sein wie der Musik und dem Theater in England unter dem Puritanismus. LILIDOR wäre der Mann gewesen, das zu ändern, aber er durfte sich auch wiederum nicht in den schädlichen Ruf eines Freigeistes bringen. Das konnte sich ein Nürnberger Patrizier, dessen Stellung im Machtgefüge auch von seinem Eintreten für die ortsübliche Religion abhing, einfach nicht erlauben. Andererseits gab es noch auf einige Zeit neben der pietistischen Seelenkultur und Gottseligkeit nichts, was für Lyrik im besonderen verwertbar gewesen wäre. Abgekürzt gesagt: Ein trockenes Zeitalter brach an.

In der Diskussion zu seinem Vortrag vor dem Blumenorden am 11. Juli 1989 vertrat Herr Professor Dr. HARTMUT LAUFHÜTTE, Passau, die Ansicht: Gerade die Gegnerschaft zur lutherischen Orthodoxie und das Wurzeln in einer ungebrochenen mystischen Tradition machten den Pietismus des 17. Jahrhunderts zu einer Anschauung, die dichterischer Bewältigung des Daseins günstig war. Er bat auch, nicht zu vergessen, daß die erste und zweite Generation der Pegnesen mit Selbstverständlichkeit ihr gesamtes Leben religiös ausgerichtet habe, also noch nicht viel anders als im Mittelalter. BIRKEN drehte also keineswegs das Rad der Zeit zurück. Andererseits sei es schon für OMEIS um 1700 schwierig gewesen, BIRKENs poetische Verdienste zu würdigen, ohne ihn bloß zu entschuldigen. Man sieht aus alldem, daß die Schwierigkeit, als Pegnese nach 1708 noch Gedichte zu machen, eben doch von der anhaltenden Nachwirkung dieser Devise herrührt. Damit aber war der Anschluß an die zeitgenössische Entwicklung der Dichtung erschwert.

Geldangelegenheiten



Punkt 8: FÜRER geht mit gutem Beispiel voran, indem er schon fürs nächste Jahr einen Beitrag von 6 fl. entrichtet. Außerdem "schreibt" er zur Vermehrung der Rücklagen 50 fl. Das war ebenso großzügig wie einst INGOLSTÄTTERs Beitrag zum Irrhain, obwohl angenommen werden muß, daß der letztere -- ohnehin kinderlos -- an barem Gelde flüssiger war als ein Patrizier, dessen Einkünfte zur Hauptsache aus der Bewirtschaftung von Landgütern stammten. Dabei entschuldigt sich LILIDOR noch, daß es nicht mehr sein konnte, da er zu Hochzeiten in seiner Familie und zu Aussteuern sowie zum Neubau der kürzlich abgebrannten Egidienkirche ebenfalls beisteuern müsse. Doch läßt er den Blumenorden nicht ganz leer ausgehen und gibt ihm damit wieder etwas Lebenskraft. OMEIS hatte als Professor aus eigenem nichts zusetzen können.



Neuaufnahmen



Schließlich schlägt FÜRER noch zwei Neuaufnahmen vor: "Herr Conrector Geiger und Herr Riederer wären beede zur Gesellschafft gar anständig." GOTTFRIED ENGELHARD GEIGER, CHELYSON, war noch von OMEIS 1708 zum Dichter gekrönt worden; JOHANN FRIEDRICH RIEDERER, geboren 1678, Kauf- und Handelsmann in Nürnberg, Sohn des Diakons an Sankt Egidien, war ein Sprachgenie und hatte sich in verschiedenen Ländern und allerhand kaufmännischen Berufen den Wind reichlich um die Nase wehen lassen, hielt sich 1698 längere Zeit in Paris auf, hernach in Lyon; er wurde als IRIFLOR mit der Mitgliedsnummer 105 in den Orden aufgenommen; 1711 veröffentlichte er Leichen- Hochzeit- Vermischt und Geistliche Gedichte . Sogar kabbalistisch interessiert soll er gewesen sein. Er starb 1734 am Schlaganfall.


Der erste, den FÜRER 1710 selbst in den Orden aufnahm, war übrigens der aus Leipzig als OMEIS' Nachfolger berufene Professor SCHWARZ, dessen Name etwas einfallslos auf Griechisch zum Ordensnamen MELANDER gemacht wurde. Wenn einer damals aus Leipzig kam, war er noch nicht unbedingt als Aufklärer verdächtig, aber wohl auf dem neuesten Stand der galanten Literaturbestrebungen. SCHWARZ wurde der übernächste Präses.



ERHARD REUSCH, das Neumitglied, soll mit seiner oben erwähnten Denkschrift in einer Mitgliederversammlung viel Anklang gefunden haben, wenn man AMARANTES Glauben schenken will. (Man hätte ihn auch aus lauter Traditionsbewußtsein ins Leere laufen lassen können; aber damals war der Orden anscheinend entschlossen, sein Wesen zu verjüngen.) Sogar zur Fortführung seiner Gedanken wurde er ermuntert.



Vorschläge eines rätselhaften Unbekannten



In derselben Mappe, in der sich die bisher zitierten Schriften zu Lilidors Umfrage finden, bewahrt das Pegnesen-Archiv auch ein Blatt auf, dessen Vorschläge über die anderen noch um ein bedeutendes hinausgehen. Die Frage ist nur: Ist die Einordnung in diesen Zusammenhang nicht falsch? Die Zuschreibung des ohne Namen überlieferten Manuskripts an den neuen Präses von 1708 scheint jedoch schon an der oben erwähnten Stelle bei AMARANTES angedeutet — er zitiert wörtlich daraus — und hat sich wohl in der aufbewahrten Ordnung des Archivs erhalten. Jedenfalls erschien mir dieses Blatt beim ersten Lesen als früheste Antwort auf die Umfrage, so neuartig und gar nicht präsidial klingen die darin entwickelten Vorstellungen. Der Verfasser sieht den Blumenorden schon als eine Nürnbergische Akademie. Da dieser Gedanke im Lauf der Geschichte noch mehrmals aufgegriffen wurde und wohl einer der Ansporne ist, dem der Orden sein Überleben zu danken hat, möchte ich hier etwas ausführlicher zitieren, auch wenn sich herausstellen sollte, daß diese Vorschläge viel älter sind. Außerdem kann man daraus entnehmen, wie wenig fremdwörterfrei, in welch verschrobener Orthographie und wie kanzleihaft langatmig ein Pegnese schreiben konnte, wenn er sich einmal nicht zusammennahm und seine Schreibweise aus der Amtsstube borgte. (Die im Zusammenhang mit HARSDÖRFER überlieferten Ratsverlässe zeigen nur zu deutlich, daß offizielle Schreiben in Nürnberg der Meißener Kanzlei eben doch nicht das Wasser reichen konnten. Zumindest auf diesem alltäglichen Gebiet ist deren Vorrang anzuerkennen.)


Nachdeme sich so viel gelehrte und fast in omni scibili erfahrene Leuthe zu Nürnberg befinden, welche so wohl durch ihre continuierende Studien, und eigne Erfindungen, als auch durch gute correspondentzen viel herrliche dinge immo vistu nothwendig erfahren müssen, welche aber aus Ermangelung einer gesellschafft oder Zusammenkunfft, entweder bey ihnen allein verbleiben, oder doch denen wenigsten communiciert und mithin durch die Zeit wird vergessen werden. [Absatz!]


Hieraus spricht noch gänzlich die in der Zeit des Renaissance-Humanismus gängige Ansicht, daß man die Wissenschaft am besten durch Austausch seiner Funde unter persönlich bekannten oder im Briefwechsel befindlichen Gelehrten fördere. Fachzeitschriften gab es wenige, die Bezugswege waren wohl umständlicher als die Briefzustellung, und Bücher dienten zwar zum Sammeln und Niederlegen, genügten aber nicht dem Anspruch auf schnelle Ausbreitung des Wissenswerten. Gelehrte waren darum eifrige Briefschreiber, und das blieb so bis zum Ende des Jahrhunderts, als die Zahl derer, die etwas mitzuteilen hatten, so gestiegen war, daß die europäische Gelehrtenrepublik unübersichtlich wurde. Von da an schrieben einander fast nur noch diejenigen, die ein Spezialgebiet bearbeiteten. Wenn hier die Befürchtung laut wird, daß ohne persönliche Zusammentreffen Gelehrter in einer Stadt viel Wissen in Vergessenheit geraten könne, so scheint dem das Vorhandensein von Büchern zu widersprechen. Man bedenke aber, daß nicht alles, was als Vermutung oder Forschungsziel anregend wirken kann, im Druck gut aussieht. Die persönliche Mitteilung läßt Gedanken nicht verkommen, mit deren Vorläufigkeit man sich nicht gern vor die Augen der gesamten Mit- und Nachwelt wagt.


Als stündte dahin ob Mann nicht [wie] ad exemplum andre dergleichen gesellschafften in franckreich und Engeland, monatlich oder wenigstens alle 6 wochen, sommers Zeit in einem Garten, winters Zeit aber in einem hauß, dazu etwan den Sommer H .[errn] Rößlers Garten nicht unanständig, allenfalls aber der meinige neben meinem Hauß der gesellschafft allzeit offen und zu Diensten stündte, mögte zusammen kommen, da einem jeden, jedoch mit gantz offen Hand auch ohne einige müh oder Zwang freistündte, dasjenige was er etwan diese 4 wochen über remarquables gelesen oder aber in Historicis, Mathematicis in Medicina in Chimica in Astronomia observirt, was ihm von neuen büchern zukommen oder er sonsten erfahren, was er vor sich von Teutschen oder lateinischen Versen gemacht & selbsten abzulesen der Compagnie sentiment darüber einzuholen und ein Exemplar davon ad acta zu lieffern, worüber dann ein kurtzes protocoll nur in forma eines Registers könnte gehalten werden, damit man gleichwohl wüßte, was von Monat zu Monat passirt wäre.


Wie man sieht, spielt die Dichtung nur noch eine Nebenrolle. Die Sprachpflege wird gar nicht eigens erwähnt. Aber eine schwungvolle aufklärerische Arbeit hätte man geleistet, wenn sich die Nürnberger damals ihren Pegnesenorden hätten umfunktionieren lassen und der wissenschaftliche Sammeltrieb der Einzelnen in einen Markt des Wissens umgewandelt worden wäre!


Es deutet in eine Zeit schon vor der Wende zum 18. Jahrhundert, in der Nürnberg beinahe zu einer der Hauptstädte der deutschen Frühaufklärung geworden wäre: ERHARD WEIGEL, berühmter Jenenser Professor, erwarb 1698 in Nürnberg ein Haus, um darin ein "Collegium Artis Consultum" einzurichten. WEIGEL, der auf die Generation von CHRISTIAN WOLFF großen Einfluß ausübte — auch ASTERIO und der Altdorfer Mathematikprofessor STURM waren seine Schüler gewesen — war einer der bedeutendsten deutschen Rationalisten und Physikotheologen des 17. Jahrhunderts. Er beabsichtigte wohl, eine der englischen "Royal Society" ähnliche Einrichtung zu schaffen, starb aber leider im Jahr 1699, sodaß sein Plan unausgeführt blieb und bald von der Berliner Akademie überholt wurde, die LEIBNIZ zum Gründer hatte. Daß er überhaupt auf Nürnberg verfallen war — obwohl ihn doch schon alle Welt in Jena aufsuchte, wo damals bereits fortschrittlichere Lehre möglich war als in Leipzig —, lag wohl an seinen guten Beziehungen zu Nürnberger Kunsthandwerkern, Mechanikern (denen er Aufträge zu Experimentalgerätschaften gab), Mathematikern, Astronomen, Theologen und schließlich auch Patriziern. Nürnberg hatte offensichtlich auch nach dem Dreißigjährigen Krieg noch einiges zu bieten.


Dafür, daß FÜRER-LILIDOR diesen Plan gekannt haben mag, sprechen zwei Umstände: Erhard Weigel hatte gute Beziehungen zum Orden: Er widmete ihm sein Werk Europäischer Wappenhimmel. Und: FÜRER gehörte, neben WEGLEITER und manchen anderen, zu den verhältnismäßig vielen England-Reisenden aus dem Orden, und er hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach, Sitzungen der Royal Society besucht. Er hatte aber auch während seiner Aufenthalte in Paris gelehrte Salons kennengelernt, und die im folgenden erwähnten Namen spielten dabei eine Rolle: "Damalen wurden auch von dem berühmten Antiquario, Mr. Morell, dem König [Ludwig XIV] einige seiner [FÜRERs] Französischen Gedichte gezeigt.") Die Rede ist von LILIDORs Bildungsreise des Jahres 1683. Bis hierher kann man annehmen, daß die vorliegende Denkschrift tatsächlich vom Präses selbst stammt: Er arbeitet die Erinnerung an wesentliche Bildungserlebnisse und Bekanntschaften mit bedeutenden Männern auf.


Weilen aber diese gesellschafft ohne jemandes Beschwehrniß und mit höchster Freyheit geschehen solle, auch nicht allezeit dergleichen neue observationes sich ereignen mögten, oder solche doch die völlige Zeit der 1 oder 2 Stund nicht ausmachen, als stündte dahin, ob nicht nach dem Exempel der assemblée welche in Paris bey dem Duc d'Aumont gehalten wird, da Vaillant, Morell, P. Menetrier und andere gelehrte Leuth sich fleißig eingefunden, ein Stück von einem gewissen alten oder Neuen gedruckten authoren, oder einem curiosen manuscripto, so ursach zu guten Diskursen geben mögte, und worumb sich die compagnie zu vergleichen hätte, mögte abgelesen werden, nach dessen vollendung, von derselben discurirt und was absonderlich remarquable befunden würde ad protocollum könnte gebracht werden.


Wenn schon keine Akademie, so doch wenigstens einen literarischen Salon könnte man aus dem Blumenorden machen! Ob aber in Nürnberg, wo jeder vor sich hin arbeitet und nicht leicht einer geneigt ist — ob aus Bescheidenheit oder Muffligkeit, sei dahingestellt —, sich vor anderen hervorzutun?


Es sollte aber freistehen allen und jeden fremden und einheim. Herren, geist und weltlich, wofern sie nur von jemand von der gesellschafft introducirt würden, oder etwas Curioses mit bey zu tragen hätten, diese gesellschafft zu frequentiren.


Das wird den Pegnesen nun doch zu liberal gewesen sein, wenn sich auch das Verfahren der persönlichen Empfehlung und Einführung, wie in britischen Clubs, auf die Dauer bewährt hat.


Der nächste Abschnitt des Textes äußert Bedenken, ob nicht die mit Versammlungen dieser Kreise verbundene Sorge um das leibliche Wohl etliche abschrecken würde, an solchen Unkosten teilzuhaben. Deshalb solle nichts als etwas Brot und Bier gereicht werden, bis vielleicht ein wohlhabender Teilnehmer einen Fundus für bessere Verpflegung auswerfe.


Zuletzt kippt die Erwähnung einiger Namen von Personen, die als Ordensmitglieder vorgeschlagen werden, die bisherige Zuschreibung an den 1680 aufgenommenen CHRISTOPH VII. FÜRER: Stadtschreiber BURGER und die Herren INGOLSTÄTTER, STÖBERLEIN und EINART! Die ersten beiden wurden 1675 bzw. 1672 aufgenommen; JOHANN LEONHARD STÖBERLEIN, Apotheker zu Nürnberg, war unter dem Namen POLYANTHUS von 1672 bis zu seinem Ableben 1696 Ordensmitglied. , Einart', ist vielleicht ,Eimmart' zu lesen und bezieht sich dann auf den ersten Direktor der Nürnberger Kunstakademie, der 1705 schon verstorben war. Demgemäß stammt der Text aus der Zeit unmittelbar vor 1672, was auch die veraltete Orthographie erklären würde, und richtet sich an SIGMUND VON BIRKEN! Wer aber hat ihn verfaßt? War es vielleicht der anonyme Herausgeber und Übersetzer der ersten vollständigen Molière-Ausgabe in Deutschland, dessen Vorwort auf persönliche Anwesenheit in Paris vor oder kurz nach Molières Tod (1673) schließen läßt? Es muß jedenfalls jemand gewesen sein, der innerhalb der Nürnberger Gelehrtenschicht zuhause war oder zumindest viele ihrer Angehörigen kannte:


Ich zweiffle nicht es würden künfftig hin vor allen Herren Predigern, geistl., Doctoribus Medicinä und andren absonderlich etwan Herren Winklern, Herrn Wülffen so gute correspondenten haben, gleichfalls mit beytretten.


Und wenn aus der Akademie oder dem Salon nichts würde, könnte man immer noch ein Colloquium oder ein Gespräch beim Wandeln in Gärten veranstalten.




Es ist nicht ausgeschlossen, daß LILIDOR auf der bewußten Sitzung aus diesem älteren Text vortrug und somit die Überlieferung auf eine falsche Spur setzte. Auf diese oder ähnliche Gedanken hin ließ ERGASTO seine Fernere Erläuterung der jüngsthin gehorsam eingesendeten Unvorgreifl. Gedanken nachfolgen und betrat damit wieder den sicheren Grund der praktischen sprachwissenschaftlichen Tätigkeit. Für uns ist daraus vor allem die nähere Erläuterung bemerkenswert, wie er sich die Wörterbucharbeit vorstellt. Er beginnt mit der zweifellos richtigen Feststellung, selbst gelehrte Deutsche verstünden ihre "Mundart" (ihre Muttersprache) nicht richtig. Andere Völker verachteten deshalb die deutsche Sprache, und man müsse sie kultivieren. Hier holt er aus zu einer großen Begründung aus der Sprachpflege der alten Römer. Die lateinische Kultur überhaupt ist ihm Vorbild, wie von einem Gelehrten in der Nachfolge der Renaissance nicht anders zu erwarten. (Das führte in der Praxis allerdings oft zu einer Nachahmung der langatmigen Satzbaukünste Ciceros.) Er wiederholt das allgemeine Vorurteil vom harten und rauhen Klang des Deutschen und macht dafür mangelnde Pflege seines Wohllauts verantwortlich. Den STREFON, also HARSDÖRFER, nennt ERGASTO als Vorbild mit seinem Specimen Philologiae Germanicae. Gerade der Orden habe ihm darin nachzueifern. Außerdem nennt er SCHOTTELs "Opera de Lingua Germanica", BÖDIKERs "Grundsätze der Deutschen Sprache und Grammatik" sowie die Werke von GEORG HENISCH als gute Beispiele.


Zuletzt erwähnt er auch ein abschreckendes Beispiel: der Palmenorden sei nunmehr erloschen! Es ist die Zeit, in der die Sprachgesellschaften des siebzehnten Jahrhunderts nach und nach absterben. GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ, der ja in Altdorf studiert und somit wohl auch vom Blumenorden einiges erfahren hatte, hatte ja bereits geurteilt: "Am allermeisten aber ist unser Mangel [...] bey denen Worten zu spühren, die sich auff das Sitten-wesen, Leidenschafften des Gemüths, gemeinlichen Wandel, Regierungs-Sachen, und allerhand bürgerliche Lebens- und Staats-Geschäffte ziehen. [...] Das Übel ist so hoch gestiegen, daß es nicht mehr mit Reimen, Liebesgedichten und Lustschriften, wie wohl sie auch gesetzt, zu erreichen und zu übermeistern, sondern anderes Rüstzeug von mehr Gewicht und Nachdruck vonnöten." Das scheint sich geradewegs gegen die "ziersteigenden Reimgedichte" der Nürnberger zu richten. Es konnte nicht ohne eine Trennung von Liebhaberei und wissenschaftlicher Philologie weitergehen. Dem waren Sprachgesellschaften nicht mehr gewachsen. Jedenfalls in Deutschland, wo es keine hinreichend breite und einflußreiche Kulturträgerschicht in einer Hauptstadt von überragender Bedeutung gab.


Was Damon jahrelang versuchte, erreicht Lilidor dank seiner 50 fl. und einem etwas festeren Zupacken aufgrund seines höheren Ansehens fast spielend: die Tätigkeit in Gang zu halten und neu zu beleben. Dabei sind zunächst Ergebnisse in bildlicher Form zu vermelden, die immer wieder einmal abgedruckt werden, während die damaligen Dichtungen des Ordens fast restlos vergessen sind.



Die erste gedruckte Satzung

Nun steuerte alles auf eine neue Satzung zu, und 1716 ist sie auch erschienen, sogar im Druck. Ich habe den handschriftlichen Entwurf mit seinen vielen Streichungen und Ergänzungen eingesehen, um mir ein Bild machen zu können von den Auseinandersetzungen, die zu dieser Fassung nötig waren und den Beweggründen, die wahrscheinlich dahinter standen.

Die religiöse Grundlage

Punkt I. setzt wieder die Ehre Gottes voran. Wer sollte wohl etwas dagegen haben? Es lag an den Pegnesen selbst, ob sie fähig waren, in der Selbsterkenntnis des Menschen innerhalb seiner irdischen Umstände, wie sie der Dichtung anderswo mehr und mehr zum Gegenstand wurde, auch eine Beförderung der Ehre Gottes zu sehen, oder ob ihnen lediglich Gesangbuchverse oder dergleichen einfielen; daß sie es unter dieser Devise wagten, diesem aus der Lage des Bürgertums gerechtfertigten Anliegen zu folgen, erscheint zunächst zweifelhaft, bis wir etwa verborgene Meisterstücke frühaufklärerischer Dichtung aus dem Ordensarchiv gezogen haben. Die Schriftenverzeichnisse, die AMARANTES jeweils den Lebensabrissen der von ihm besprochenen Mitglieder folgen läßt, lassen dies auf den ersten Blick allerdings nicht vermuten. CHRISTOPH VII. FÜRER hat, anteilig genommen, noch mehr Theologen zu Pegnesen gemacht, als es vorher schon geschehen war. Er ließ sich zwar poetische Werke zeigen, bevor er jemanden aufnahm, aber in den Schriftenverzeichnissen stehen hernach keine anderen Titel als Predigten, Kirchenlieder und theologische oder erbauliche Abhandlungen.


Hier ist es wohl angebracht, zwei Aufstellungen einzuschalten, die WILHELM SCHMIDT nach dem Kriege seinem Festschrift-Entwurf für 1944 noch handschriftlich beilegte:


"Pfarrer als Mitglieder: Sehr stark war früher die Theologie im Blumenorden vertreten. 13% der gesamten Mitglieder waren Pfarrer. Anfangs, bis etwa 1800, waren es natürlich nur evangelische, aber dann wurden, besonders auch unter Vorständen, die selbst Pfarrer waren, auch katholische Kollegen aufgenommen, selbst israelitische. Unter den 185 Pfarrern sind 5 Katholiken und 2 Israeliten mitgezählt. 7 Vorstände und 8 Ordensräte waren Pfarrer, die sich fast alle um den Orden große Verdienste erwarben [...] 10 Pfarrherren von Kraftshof waren Mitglieder und haben sich um den Irrhain hochverdient gemacht [...] Bis etwa 1851 stellten die Pfarrer 32% der Mitglieder (148 unter 457), später [von da an gerechnet] sank ihr Anteil auf 4% (37 unter 1010). [...]"


"Gesangbuchdichter: [...] 1691 erschien der 'Poetische Andachtklang, von denen Blumengenossen verfasset'. Sigmund von Birken war zwar Jurist, aber Pfarrerssohn. Von ihm stammen noch 3 schöne Lieder des heutigen bayerischen Gesangbuchs. Von den anderen Verfassern waren noch 15 Ordensmitglieder, davon 10 aus der Frühzeit des Blumenordens. Von diesen 16 Pegnesen stammen 30 Lieder des Gesangbuchs. 1693 erschien 'Die alte Zionsharpfe' vom Pegnesischen Blumgenossen Celadon (Negelein). Von ihm enthält das heutige Gesangbuch freilich kein Lied [... ]" _ weil er katholisch geworden war. Es wäre also die Mühe wert, in katholischen Gesangbüchern Österreichs nachzusehen.



Wohlverhalten

Punkt II. der Satzung von 1716 handelte davon, wie die Pegnesen in ihrem Leben den hohen christlichen Idealen ihrer Kunstausübung entsprechen sollten. Die "deutsche Treue" reichte nicht mehr hin; in der Handschrift war nachträglich ergänzt worden, was im Druck so erscheint: "[...] sollen sie einen unsträfflichen und solchen Wandel führen/ welcher der Gesellschafft und ihnen selbst keinen Nachtheil/ Vorwurf und Spott bringen kan;" — als Heuchler durften sie nicht dastehen. Die Treue aber sollen sie halten "damit keiner dem andern/ aus unordentlichen Bewegungen etwas zu leyd thue/ oder veranlasse oder verhänge/ daß es durch andere geschehe; hingegen sollen sie es miteinander wol meinen/ und einer des andern guten Namen/ Wolfahrt / Würde/ etc. so viel an ihm ist/ und mit gutem gewissen geschehen kan/ allenthalben aufrecht erhalten zu helfen oder zu fördern trachten. Woraus dann von selbsten fliesset/ daß sich keiner mit hinterlistigen Verleumdungen/ stachlichten Erfindungen/ Satyrischen Gedichten und Schrifften einlassen/ oder jemands Ehre oder guten Leumund antasten/ kränken und mindern solle."


Irgendjemand muß den Einwand gemacht haben, daß Satire ja ein moralisches Zuchtmittel sei; als solches und zum Ausprobieren neuer Wertsetzungen war sie der Literatur der Epoche unentbehrlich. Die Verfasser hatten bloß anfangs die größten Schwierigkeiten, als Laien gegenüber den berufenen Hütern der Moral, den Geistlichen, zu rechtfertigen, daß auch sie sich mit Fehlern der Mitmenschen befaßten, und standen stets im Verdacht, nichts als lose Spottmäuler zu sein. Es wurde auch fleißig geforscht, wer gemeint sein könnte — bei den in dieser Hinsicht oft recht durchsichtigen Predigten tat man ja auch nichts anderes — und einen Schriftsteller traf leichter der Unmut als einen Kanzelredner. Um beiden Seiten gerecht zu werden, rückte man in die ursprüngliche Handschrift folgendes ein: "Doch werden damit diejenige Straff-Gedichte nicht verbotten/ worinnen/ ohne Namen der Personen/ die Laster und Untugenden/ nach Art anderer guter Poeten/ auch wol Satyrisch/ getadelt/ und wie sie es verdienen/ zur nöthigen Warnung/ abgemahlet werden."


Und nun folgt noch eine Verschärfung der Pflicht, daß einer "nichts wider Zucht und Erbarkeit laufendes" schreiben dürfe, nämlich "in allen seinen Schrifften". Die galante Epoche neigte sich ihrem Ende zu; altnürnbergische Anständigkeit trat am Beginn der Tugendepoche wieder in ihr Recht.


Einstweilen gab es freilich mindestens einen Pegnesen, von dem etliche galante, sogar eindeutig frivole Gedichte bekannt sind, nämlich den oben erwähnten JOH. FRIEDR. RIEDERER: Leichen- Hochzeit- Vermischt und Geistliche Getichte. Nürnberg/ In Verlegung Johann Hofmanns und Engelbert Strecks Seel. Wittiben. Anno 1711. -- also noch vor dieser Satzung. Man sehe sich darin einmal an: "Rede einer schwangern Tochter, welche auf ihrer eigenen gottlosen Mutter Schoß die Ehre verloren", "Der jungen Tochter einfältige Fragen an die Mutter" (aus dem Französischen), "Die schöne Gertraud", oder auch folgendes Epigramm:


Zu einem Pfaffen sprach der lose Bruder Nix

Ihr küsset alle Tag das hölzern Crucifix/

nun weiß ich daß an euch ist keine Ader stolz:

drum küsst den Galgen auch: Dann es ist beedes Holz.

Der Pfaff sprach: Guter Freund! mir ist dein Wille kund/

du küssest deine Frau vermuthlich auf den Mund/

probiers/ und küsse sie auf — — (hier schämt sich die Feder.)

Dann beedes/ wie ich weiß ist auch von einem Leder.


Diese Art von herbeigezwungener Zotenreißerei war offenbar unter ehrbaren Bürgersleuten zu bestimmten Anlässen im Schwange und hinderte Riederers Aufnahme in den Orden nicht. Seine weiteren Satiren und Gelegenheitsgedichte scheint FÜRER zumindest toleriert zu haben.


Zusätzlich haben wir von ihm, neben einer Reihe von Übersetzungen, eine hochinteressante Biographiensammlung von international bedeutenden Kaufleuten mehrerer Jahrhunderte, geschrieben gerade um die Zeit, in der mit GEORGE LILLO's The London Merchant (1731) die erste Tragödie mit bürgerlichen Personen Aufsehen erregte: Merkwürdiges Leben einiger hier und dar gewesenen Kauf-Leuthe [...] Frankfurt und Leipzig [posthum] 1739. RIEDERER war in der Bemühung, den Blick zu öffnen für die Mächte der Zukunft, unter den Frühesten. Er schreibt auch recht flüssig und unverschnörkelt. Seine Wiedergabe der alten Sage von Dick Whittington liest sich wie die ersten deutschen Übersetzungen aus DEFOE.


Sprachpflege

Punkt III. setzt der Sprachpflege neue Ziele, die auch schon sehr einen Wechsel der Leitvorstellungen vom zierlich Durchgearbeiteten zum Naturgemäßen verraten — was immer man unter ,Natur' verstanden haben mag. Man soll die "[...] Mutter-Sprach in ihrer natürlichen Art erhalten/" und die Gedanken sollen "[...] in ungezwungener und woleingerichteter Zierde vorgetragen [werden]". In diesem Zusammenhang steht die wichtige Bemerkung, daß nur fähige Leute aufzunehmen seien, "damit man nicht/ im Fall der ungleichen Aufführung/ ihrer Gesellschafft sich wieder zu entschlagen Ursach nehmen möge." In der Handschrift stand noch deutlicher, daß einer ausgestoßen werde, der den obigen Bestimmungen (wohl einschließlich Punkt II.) zuwiderhandle.


Eigentlich ist Punkt IV. nur eine Ergänzung zu III. im Hinblick auf Wortwahl und Satzbau. Nach der schon bekannten Ablehnung von gewagten Wortneubildungen — wie schwer wird es KLOPSTOCK bei solchen Lesern dann wieder haben — ergeht Abmahnung von "[...] wunderbaren und widrigen Zusammenfügungen/ auch [...] verworffenen und undeutlichen Arten im Vortrag [...]". Ich möchte das Wort ,wunderbar' hervorheben. Lange war es erklärtes Ziel der Dichtung gewesen, unter dem Zeichen des ,meraviglia-Ideals', den Leser in Erstaunen, ja Verblüffung zu versetzen, und sei es durch widrige Zusammenfügungen. Dichter wie GIAMBATTISTA MARINO in Italien und LUIS DE GONGORA in Spanien hatten mit ihren Raffinessen, dem ,conceptismo', Vorbildwirkung ausgeübt; der Manierismus hatte von der zweiten Hälfte des sechzehnten bis weit über die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hinaus die europäischen Intellektuellen fasziniert; nun ist er auch in Nürnberg zu Ende gegangen.



Innenpolitik

FÜRER muß sich stark für die Belange der Stadtregierung verantwortlich gefühlt haben; schließlich war er ja Mitglied des ,Aeltern Geheimen Raths', wurde 1718 Zweiter Losunger und 1725 sogar Erster Losunger (als solcher hatte er die Stadtkasse); nebenbei fungierte er noch als ,Geheimbder Rath' des Mainzer Kurfürsten und anderer Reichsfürsten. Unter dem Vorsitz dieses Politikers wurde der Orden zur öffentlichen Angelegenheit. (Das konnte HARSDÖRFER, der zum Zeitpunkt der Ordensgründung erst "im löbl. StattGericht Assessor war", sich noch nicht unterstehen.


Punkt V. dieser Satzung leitet aus der Tradition des Ordens her, daß der Präses ein Nürnberger sei, und fügt hinzu, daß er "[...] mit Genehmhaltung der Herren Scholarchen HochAdel. Herrlichk. daselbst/ von denen in Nürnberg/ und nahe um die Pegnitz herum lebenden Gesellschafftern/ aus ihrem eignen Mittel/ erwehlet werden solle; [...]". Das ist freilich ein zweischneidiges Schwert; zusätzlich zur Selbstzensur in moralischen Dingen riskierte man damit eine Oberaufsicht der Kultusbehörde in personellen Fragen. Noch so fähige Leute, wenn sie etwa als Hinterfrager und Aufklärer galten, konnten so hintangehalten werden. Zu allem Überfluß heißt es, weil der Rat dem Orden den Irrhain überlassen habe, solle man ihm auch Ehrerbietung in allem bezeigen. Aufschriften am Außenportal und an der zweiten Tür des Irrhains sollten davon Kunde geben.



Der Orden als Literaturgesellschaft


Punkt VI. erläutert die schon bekannte Zensurregelung; Punkt VII. bestätigt den Brauch, Ordensnamen zu führen, wiewohl sie hier nicht mehr ,Hirtennamen' heißen, und weiße Ordensbänder zu tragen.


In Punkt VIII. wird die bisherige Veröffentlichungspflicht dahingehend aufgeweicht, daß keine festen Zeiträume mehr gesetzt werden, sondern "[...] die Herren Gesellschaftere/ dann und wann/ doch nachdem es eines jeden Gelegenheit/ Amt und Geschäffte leiden wollen/ von ihrer Arbeit in Teutscher Dicht-Kunst/ [...] einsenden [...]". Anders hätte es nicht der Wirklichkeit dieser Menschen und dem Wesen des dichterischen Einfalls entsprochen; andererseits wird damit der Hauptzweck einer literarischen Gesellschaft zur beiläufigen, ziemlich selten ausgeübten Liebhaberei.



Dingliches-Rechtliches

Punkt IX bringt zu der Regelung des Hüttenbaus im Irrhain die Ergänzung, "[...] daß dabey nicht über das Ziel im Platz/ im Ausschmücken/ und in der Kostbarkeit/ geschritten werde/ oder dem Irr-Garten selbst an den Gängen und andern wesentlichen Stücken nichts zu Schaden geschehe."

War etwa der ursprünglich vorgesehene Zweck des Irrhains, einen ruhigen Ort zum Rückzug vom Getriebe der Welt und zum Nachsinnen über deren Eitelkeit zu bieten, so in Vergessenheit geraten, daß Versuche, einen Lustgarten daraus zu machen, selbst vor dem symbolischen Grundbestand nicht Halt gemacht hätten ohne diese Ermahnung? Schließlich war dies die hohe Zeit der Nürnberger Hesperidengärten.

Des weiteren werden noch die mittlerweile eingeführten Sterb-Tafeln ausdrücklich erlaubt.

Schließlich legt Punkt X. die Beitragshöhe ohne jeden inflationären Aufschlag auf die bisherigen Beträge fest.

LILIDOR hat dafür gesorgt, daß der Rat der Stadt schon bald, noch durch Dekret vom 9. Oktober 1716, diese Satzung bestätigte und den Orden ausdrücklich unter seinen Schutz" nahm.


Nun ist die Grundlage für das Weiterleben des Pegnesischen Blumenordens geschaffen, indem er weitgehend von der höfischen Schäfermode abgekoppelt wurde. Das Bewußtsein europäischer Kultur, aus dem HARSDÖRFER für Nürnberg etwas Zeitgemäßes erreichen wollte, was er in Siena und Neapel kennengelernt und von andern Orten her mitgeteilt bekommen hatte, ist etwas geschwunden. Männer, die noch wissen, was vor dem Dreißigjährigen Krieg an gemeinsamen Errungenschaften in Italien, Spanien, den Niederlanden, England und Frankreich gepflegt wurde, sind rar geworden. Man stellt sich auf den nationalen Nachholbedarf gegenüber Frankreich ein und auf den Beitrag, den Nürnbergs Gelehrte zu Bestrebungen liefern können, die in andern Städten bereits mit großem Einsatz betrieben werden. Eigene Neuansätze fehlen. Noch ist Nürnberg nicht ein verschlafenes Provinzstädtlein voller Tüftler und Pedanten, noch ist man überzeugt, einen Wiederaufbau zu leisten. Doch die Verhältnisse werden enger. Dadurch wird freilich alles im Ablauf ein wenig sicherer, voraussagbarer. Diese Satzung des Blumenordens ist jedenfalls so gediegen, daß sie für die nächsten achtzig Jahre hält.