Teil VII: Die enge und die weite Welt



Es mußte im Interesse aller im deutschen Sprachraum tätigen Regierungen sein, der Industrialisierung und der damit verbundenen weiträumigen wirtschaftlichen Tätigkeit nicht zu viele Hemmnisse in den Weg zu legen; andererseits mochte man den Bürgern die 1848 geforderten freieren gesellschaftlichen Zustände noch nicht gönnen. Literatur und der immer wichtigere Journalismus strebten nach einer Aufweichung des Obrigkeitsstaates — staatsfromme Literatur gab es daneben auch, gerade im Blumenorden —, während gerade die traditionell denkenden Bürger die Schattenseiten der liberalen Wirtschaft und der technischen Neuerungen bemerkten. Daneben gab es — gerade im Blumenorden — auch Fortschrittsgläubige. Manchmal trafen sich die Gegensätze zwischen Internationalität und Dorfidylle, treudeutscher Biederkeit und Technokratenwillkür, Nationalismus und regionalem Selbstverständnis, Fernreisen mit neuesten Verkehrsmitteln und Mittelalterschwärmerei in ein- und derselben Person. Der Blumenorden hatte 1853 seine Satzung im wesentlichen nur dadurch etwas verändert, daß man einige Fremdwörter durch deutsche ersetzte; zu einer Satzung im Sinne eines allgemein gültigen Vereinsrechts kam es erst viel später. Doch verschob sich, vielleicht unter dem Einfluß des Literarischen Vereins, dem ja mehrere Mitglieder gleichzeitig angehörten, die Wirksamkeit mehr und mehr ins Öffentliche, und weder die Grenzen Nürnbergs noch Bayerns waren auf die Dauer die Grenzen der Wahrnehmung und des Wahrgenommen-Werdens. Als der Literarische Verein austrocknete, war der Blumenorden dazu bereit und fähig geworden, dessen aktive Mitglieder aufzunehmen und dessen Tätigkeit fortzusetzen.




Die Ära Kreß geht zu Ende


Geradezu symptomatisch für die auseinanderstrebenden Tendenzen im Blumenorden sind Beiträge zweier Paare von Mitgliedern: Negges — Lochner; Greger — Sondermann.


Am 21. Oktober 1853 meldet das Protokoll: „[…] Ferner zeigte Herr Ordensvorsteher v. Kreß an, daß dem Orden verschiedene, gedruckte Schriften zur Aufbewahrung im Ordensarchiv und in die Ordensbibliothek geschenkt worden sind, und zwar

[…] c.) von H. Dr. Negges zu Heidelberg: „Der Deutsch-Katholicismus in seiner Entwickelung“ 2 Bd. Heidelberg 1854. [offenbar vordatiert!]

[…] f.) von H. Kantor Dr. Lochner: „Philippus Melanchthon u. das Gymnasium zu Nürnberg“, 1852. Gedruckt als Manuscript für Freunde; […]“


Scheint Lochner eine auf seinen umittelbaren Wirkungskreis begrenzte Existenz geführt zu haben (ganz so stimmt es nicht!), so mischt sich Negges in alles, was neuartig und antiautoritär ist, darin Brugger vergleichbar. Knallautoritär und gleichzeitig auf Wohltätigkeit in der aufkommenden Industriegesellschaft abzielend dagegen Greger der Ältere:


Lösungsversuch der von der gemeinnüzigen Gesellschaft zu Bern ausgeschriebenen Preisfragen über das Beste der Eisenbahnarbeiter; […] von Johannes Baptist Greger, Königlich Bayerischen temp. quiesc. Kreis- und Stadtgerichts-Rath zu München. München 1853. Gedruckt auf Kosten des Verfassers und bei solchem […] zu haben gegen 12 kr.


Er stammt aus Waltershof im Fichtelgebirge und hat von seinen Eltern „Wirtschäftlichkeit“ gelernt: „wie wer es mir sonst möglich gewesen, zwölf eheliche Kinder bei 600 fl. Jahresbesoldung ein und zwanzig Jahre lang glücklich zu erziehen“. Im Landgericht Eschenbach und später im Landgericht Mießbach hat er sich um Anlage und Pflege von „Vicinalwegen“ verdient gemacht, wobei er eigenes Geld in Höhe von 6000 fl. hineingesteckt hat.


„Die Erreichung nüzlicher allgemeiner Zwecke bedingt immer eine Anstalt mit öffentlicher Authorität, d.h. gesezlicher Gewalt.“ Die Verpflegung der Eisenbahnarbeiter soll durch Beauftragte aus ihren eigenen Reihen und unter allgemeiner Aufsicht besorgt werden, denn ein privat wirtschaftender Marketender wird zu seinem Vorteil arbeiten und dadurch entweder teurer sein oder Unterschlagungen begehen.


Die Verpflegung soll knapp sein, weil man sonst müde wird. Außer dem ausgegebenen Essen darf kein Arbeiter etwas zu sich nehmen. Alkohol, Tabak und Kaffee sind verboten. Greger hat selber bei schwerer Gartenarbeit so gelebt und verweist auf die Schweizer und die Fichtelgebirgler, die nicht üppig leben (meist vegetarisch) und dennoch zähe und starke Arbeiter sind.


Wie aus den besprochenen Einrichtungen des Militärs kann man auch aus dem Beispiele der ehemaligen Klöster lernen, was man in unseren hochnothpeinlichen Zeiten brauchen kann und soll. […] daß ganze Gemeinden zusammenstünden, um ein klösterlich patriarchalisches Leben einzuführen (jedoch weit entfernt von den täuschenden und schädlichen Grundsätzen der Socialisten!). […]

Dem Vergeuden des Lohnes kann einzig und allein nur dadurch abgeholfen werden, daß man denselben nichts ausbezahlt, sondern den Lohn versichert und sogar zur nüzlichen Verzinsung bringet. Als ich vor 40 Jahren den ersten Entwurf zu den Sparkassen machte […] wurde ich hiezu durch traurige Erfahrungen in meinen Justizgeschäften veranlaßt; denn ich überzeugte mich, daß Dienstboten um ihr sauer verdientes und langsam erspartes Geld von 5, 10, 30 50 fl. etc. oft recht erbärmlich kamen […]

Jeder Arbeiter würde nun nach meinem Plane ein Dienstbüchl erhalten. In diesem wird eingetragen:

Lohn, gestaffelt nach Arbeitsleistung, nicht verhandelbar; Ausgaben für Verpflegung und Unterbringung; Rest, der für die Sparkasse bleibt.


Daß dem Arbeiter hie und da einige Kreuzer in die Tasche gegeben werden dürfen, versteht sich wohl von selbst, z.B. zur Ausbesserung seiner Kleider. […] Es wird auch sehr gut sein, wenn jeder Arbeiter eine Nummer erhält, welche er an der Brustkleidung angeheftet immer tragen muß […]


Ein bißchen schmeckt das schon nach GULAG, auch wenn keine politische Maßnahme oder Bestrafung dahintersteckt, und wenn in der praktischen Durchführung (welche zum Glück unterblieb) ein paar Sadisten sich eingemischt hätten, dann wäre das ganze einem KZ ähnlich geworden.


Die zwanghafte Persönlichkeit des Volksbeglückers Greger äußert sich auch in folgendem Gut- bzw. Schlechtachten:


„[…] 1.) […] d.) […] Herr Ordensvorsteher las aus letztgenanntem Schriftchen [Bemerkungen über Hilfbeschäftigungs-Anstalten in Bayern von Greger zu München] p. 23. vor, in welchem der Verfasser eine Tabaksteuer vorschlägt. Derselbige nennt bey dieser Gelegenheit das Tabakrauchen und Tabakschnupfen schädlich, gefährlich, stinkend, sehr kostspielig, vergiftend, selbstmörderisch, mit Frevel und Übermuth verschwenderisch, unzählige Feuerbrände verursachend, wohlhabende Familien ruinierend, zeitwegnehmend, Menschenleben zu Grunde richtend, eine, jährlich hundert junge Leute, Buben und Windbeutel verführende, stinkende Mode, die jährlich hundert Familienväter frühzeitig ins Grab reißt, endlich eine ekelhafte, unanständige, höchst schädliche Eitelkeit und Gewohnheit, einen Taxus [?], der dem Staat sehr großes Unheil zuzieht, so daß derselbige verpflichtet ist, gegen ein Uebel einzuschreiten, das nur von den Menschenfressern erfunden und geerbt wurde, wie denn auch früher von unterschiedenen Staaten die schärfsten Gesetze dagegen gegeben wurden.


Dieser Auszug wurde mit großer Aufmerksamkeit vernommen, brachte jedoch bey den meisten Anwesenden eine sichtbare Mißbilligung hervor, während nur Wenige dem Verfasser ihren vollen Beyfall zollten. […]“ Das werden diejenigen gewesen sein, welche den unbestreitbaren medizinischen Standpunkt einnahmen; daß aber der eifernde Ton, in dem Greger sich herausließ, in der Honoratiorenrunde nicht gut ankam, wurde eher an der Mimik sichtbar.


Ganz anders die öfter schon bemerkte penible Trockenheit und weitausgreifende Themenwahl bei Sondermann, der in diesen Jahren zum Höhepunkt seiner Produktivität auflief. Am 14. März 1853 verliest er aus seiner, wie immer, aus Gedichten, Übersetzungen und historischen Abrissen zusammengestellten Arbeit über Andreas Hofer; im Februar 1855 ist Torquato Tasso an der Reihe.


„[…] Dabei ist es meine Absicht, der geschichtlichen Darstellung einige typische Dichtungen zur Seite zu stellen, welche mit derselben in genauer Verbindung stehen, oder ihr sich anschließen. Göthes Tasso soll dabei aber unberücksichtigt bleiben, da dieses Drama wohl eines besonderen Vortrages werth ist. […]“ Zusammenfassend läßt sich über die Schachteln 69, 70 und 71 des Pegnesenarchivs sagen: Sondermann leistet ungemein genaue historische Arbeit. Im Druck erschienen, hätten diese Abhandlungen als Standardwerke gelten können und ihm vielleicht eine Habilitation eingebracht. Das ganze ist sorgfältig aufbewahrt in Kapseln aus zwei starken Hülsen von Karton, innen mit ornamentiertem Papier ausgekleidet, die ineinandergeschoben gerade in eine Archivschachtel passen. Am 15. Februar 1856 las er „Ueber des [sic] k.k. österr. Feldmarschall Radetzky — seine Verdienste und Persönlichkeit. […]“ — ein zeitgenössisches Thema. Dann wieder ein anscheinend abgelegenes: „Im Dogenpalaste zu Venedig werden die Bildnisse von 115 Dogen der Republik aufbewahrt. […] Aber das Bild eines Dogen fehlt aus dieser Reihe, das Bild des Dogen Marino Falieri. Da, wo sein Bild seinen Platz haben sollte, sieht man die Stelle mit einem schwarzen Vorhange bedeckt, auf dem die Worte zu lesen sind: Hic est locus Marini Falieri decapitati pro criminibus […] Das tragische Ende dieses Dogen hat unter Anderen auch Byron zum Gegenstand eines historischen Trauerspieles gemacht […]“ Wäre nicht der Hinweis auf Byron, es fehlte am Reizwort für den zeitgenössischen Zuhörer. Dabei war Sondermanns Unparteilichkeit wohl außer Zweifel; nur modern wollte er sein. Das schloß auch Beiträge über das Königshaus ein, die pflichtschuldigstes Fürstenlob enthielten, etwa: „König Maximilian I. von Bayern“ in Geheft 58 von Schachtel 71, mit Bleistift datiert: „12. Dec. 1853“, eingelegt ein etwas geringerformatiges Geheft dieses Titels, wohl die Urschrift, mit vielen Korrekturen. Darauf folgt 59, „König Max I. von Bayern, 12. December 1855“ und in den Geheften 60 bis 63 Erinnerungen an den Besuch des Königs in der Universität Erlangen am 26. Juli 1855, vorgetragen in der „kleinen“, wöchentlichen Versammlung des Blumenordens am 21. Dezember 1855 und in der öffentlichen Versammlung am 10 März 1856. Es handelt sich zunächst um die „Festode […] überreicht von den Professoren der Friedrich-Alexander-Universität (in deutscher metrischer Übersetzung)“. Da er nun schon einmal dabei ist, reicht Sondermann historische Hintergrundmaterialien nach, etwa die Ode zur Volljährigkeit des Kronprinzen Maximilian im Jahre 1829, verfaßt von Dr. Friedrich von Roth, Mitglied Nr. 265, übersetzt von Sondermann, der wieder einmal den bloßen Vermittler spielt. Daß er allerdings auch imstande ist, seine eigenen Erlebnisse zum Gegenstand zu machen, zeigten bereits Gedichte aus seinen Reiseerinnerungen. Die prosaische Ausarbeitung der Eindrücke einer solchen Reise findet sich im Pegnesenarchiv zweimal: als „Skizze meiner Reise nach Hamburg und Berlin (vom 23. Juni bis 6. Juli 1856). Vorgetragen in der öffentlichen Versammlung des pegnesischen Blumenordens den 9. Februar 1857.“ und als Reinschrift. Die Beliebtheit der Reiseliteratur in dieser Zeit rührt wohl auch von der Wahrnehmung, wie viel in Veränderung begriffen war.


[…] In der kurzen Zeit von dreizehn Tagen gelang es mir mit Hilfe der Eisenbahnen, über Leipzig, Magdeburg und Braunschweig Hamburg zu besuchen und über Berlin und Dresden nach Nürnberg zurückzukehren und doch dabei einen Theil der beachtenswerthesten Sehenswürdigkeiten an den genannten Orten in Augenschein zu nehmen. […]


In Leipzig besuchte er „die neue, nach Heideloff’s Entwürfen im gothischen Style erbaute katholische Kirche […und…] besuchte Gellert’s Grab“. Von Bach ist nicht die Rede.


[Hamburg:] In der Altstadt sind die Straßen, eng, krumm und winkelig, das Pflaster holprig, die Häuser schwarz, finster und ernst. In der Neustadt dagegen, welche seit dem Brande vom 5.-8. Mai 1842 aus dem Schutte verjüngt sich erhoben hat, sind die Straßen fast durchgängig gerade und breit und die Häuser im großartigsten und freundlichsten modernen Style angelegt. […] lautkreischende Ausrufer der verschiedensten Dinge, hin und her eilende Geschäftsleute und müßig schlendernde Spaziergänger, Droschken und glänzende Equipagen die Menge, Karren und Omnibus, welche beständig nach allen Richtungen die Stadt durchkreuzen, verursachen ein Gewoge und Getöse, daß auch die stärksten Nerven sich nur allmählich daran gewöhnen können. […Im Hafen beeindrucken ihn] die mächtigen, stolz ruhenden Schiffskolosse und die Riesendampfer, welche zum Theil zischend oder brausend ihre schwarzen Wolken in die Luft entsenden […] Eigene Seeschiffe zählt Hamburg etwa 200, darunter das Riesendampfschiff Germania, welches sich während meines Aufenthaltes in Hamburg wieder zur Abfahrt nach Amerika rüstete. […] Das Börsengebäude, ein wahrer Prachtbau, steht auf dem geräumigen Adolphplatze, auf dem sich in Zukunft auch das neue Rathhaus erheben soll. […] An den Säulen des Corridors las ich eine Menge handschriftlicher neuester Nachrichten aus allen Theilen der Welt, welche erst später in den Zeitungen gedruckt zu lesen waren. […]


Die Sehenswürdigkeiten in Berlin, „welche auf mich den tiefsten Eindruck gemacht haben, [sind] das Mausoleum in Charlottenburg und das Denkmal Friedrichs des Großen unter den Linden. […]“


Über die Stadt Dresden schreibt er: „Ihr Glanz ruht nicht in dem, was sie sich selbst, sondern in dem, was ihr die Natur gegeben hat. […]“ Das ist eine zumindest eigenwillige Aussage. Aber Barock liebt man zu dieser Zeit ohnehin nicht.


Schließlich reicht er ein geschichtliches Werk zum Vortrag ein, das höchstens dadurch eine Beziehung auf die Umwelt seiner Zuhörer hat, daß sich infolge der geschilderten Ereignisse etliche Flüchtlinge in Nürnberg und seiner Umgebung eingefunden haben: „Geschichte des Bauernkrieges im Lande Österreich ob der Enns im Jahre 1626. [mit Bleistift datiert:] 10. März 1857.“


Daß auch andere mit Reiseschilderungen willkommen waren, zeigt ein Protokolleintrag: „Nürnberg, den 20. April 1855. eod. lo. [Im Hause des Bratwurstfabrikanten, H. Fleischmann hinter dem Rathhause.] […] 1.) Las Herr v. Erffa [ein regelmäßiger Besucher der Sitzungen, der auch oft etwas vortrug, meistens über geschichtliche und dynastische Themen] eine Beschreibung seiner Reise durch das nordwestliche Deutschland, nach Belgien in das Seebad von Ostende vor, welcher große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. […]“


Solche Vorträge schlossen sich in den wöchentlichen Versammlungen dem geschäftlichen Teil des Abends an und wurden bei Gefallen für öffentliche Veranstaltungen vorgemerkt. Der Ordensschriftführer Seiler hatte jedoch immer zuerst den Entwurf seiner Niederschrift von der vorigen Sitzung zur Genehmigung vorzulesen, worauf Vereinsangelegenheiten zur Aussprache gelangten. Diese wiederum waren zuweilen vom Ausschuß vorbereitend debattiert worden.


„Geschehen am 28. May 1856. eben daselbst.

Auf geschehene, besondere Einladung des Herrn Ordensvorstehers, FreyH. v. Kreß versammelten sich heute um 6. Uhr Abends der Gesamtvorstand und die Ausschußmitglieder, um über den vom Ordensmitglied, H. Dekan Beck gestellten Antrag [wegen einer Aufnahmegebühr für Neumitglieder] zu berathen und Beschluß zu fassen. [Der Antrag wurde mit Stimmenmehrheit abgelehnt.]

Als dann beriet man sich auch über die Abfassung des Textes und der Verzierung des zu lithographierenden Formulars zu den Diplomen. Es wurde die freye verfertigte Zeichnung des H. G. Wagler für zweckmäßig gefunden und demselbigen die weitere Besorgung bey dem H. Lithographen, Birkmann, übertragen.“


„Geschehen am 17. Oktober 1856. im Gasthof zum goldenen Reichsadler.

[…] 4.) Sodann blieb es im Zweifel, ob im künftigen Monate eine öffentliche Versammlung abgehalten werden kann, weil nur H. Ordensrath Dietelmair sich anheischig machte, Vorträge für dieselbige bereit zu stellen, u. zwar:

— eine Abhandlung „über die dramatische Musik nach ihren verschiedenen Methoden mit Beziehung auf Richard Wagner“; […]“ — Dieser nie gehaltene Vortrag wäre wohl höchst zeitgemäß gewesen, es läßt sich aber nicht feststellen, ob Dietelmair dem Thema aus seinem Standpunkt gerecht hätte werden können.


Und schließlich:

„Nürnberg, den 19. Obr. 1856. ebendaselbst.

[…] eröffnete der erste Ordensrath H. Pf. Dietelmair die

1.) Verhandlungen mit dem Ausdrucke tiefsten Bedauerns wegen des Ablebens unseres allverehrten Ordensvorstehers, Herrn v. Kreß, das die ganze Versammlung aufrichtig mit ihm theilte. [Dietlmair, Dr. Lösch, v. Aufsess, Beck, Dr. Fikenscher, Georg, Dr. Göschel, Heller, Kaufmann, Leuchs, v. Gemming, Michahelles, Merkel, Platner, Schmidt, Schnerr, Sondermann, v. Tucher, Wagler I. u. II, Ziehl und Seiler]

[…] 3.) Es wurde sodann zur Wahl eines neuen Ordensvorstehers geschritten, welche mit überwiegender Stimmenmehrheit, mit 21 gegen 8 Stimmen, auf das ordentliche Ordensmitglied, Herrn Gymnasialrector, Dr. Lochner, allhie, fiel, wovon demselbigen durch die beyden Herren Ordensräthe Nachricht gegeben werden soll.

4.) Sodann wurden 50. Exx. des neuen Formulars für die Diplome vorgezeigt, die aber, weil sie fehlerhaft gedruckt waren und so erst nicht gefielen, dem Beschlusse gemäß, zur Verbesserung und neuem Druck auf besseres Papier zurückgegeben werden sollen. […]“





Einschub: Höchster Besuch im Irrhain


Kress hat gerade noch erlebt, möglicherweise durch seine Verbindungen zu Hofe sogar herbeigeführt, daß zum ersten und einzigen Mal ein leibhaftiger bayerischer König den Irrhain besuchte. „Als im Sommer 1855 die königlichen Majestäten von Bayern einige Wochen in Nürnberg verweilten, hatte König Max auf seinen kleinen Ausflügen in die Umgegend auch den Irrhain bei Kraftshof besucht und erkundigte sich bei Gelegenheit einer Audienz bey dem Vorsteher des Ordens mit lebhaftem Interesse nach den näheren Umständen dieser schon über 200 Jahre bestehenden literarischen Gesellschaft.“ In dem sorgfältig abgefaßten Bericht heißt es weiter:


„[…] Über dem mit Blumen geschmückten Eingangsportal begrüßte sie die Inschrift


Seid uns willkommen auf ländlichen Auen!

Städtischer Schimmer ist hier nicht zu schauen,

aber ein redliches, treues Gemüth,

das für euch beide in Liebe verglüht.“


Der Kirchhof war mit Girlanden geschmückt, und die Mitglieder standen im Kreis wartend. 15 Uhr: Kress begrüßt das Königspaar am Portal. Außerdem Dietelmair, Lösch, Seiler, Pfarrer Lauber von Kraftshof. Jubelnde Begrüßung drinnen. Präses Kress hebt in seiner Ansprache hervor, daß der Orden solche Ehre noch nie in seiner Geschichte erfahren habe. Er dankt für die allerhöchste Huld und erinnert daran, wie zum Jubiläum 1844 der Orden dem König eine Festschrift sandte und dieser die Umschrift des Ordenssiegels zu einem Glückwunsch umformulierte: „daß der Orden für sie (seine Mitglieder) mit Nutzen erfreulich seyn möge.“ Anschließend werden Huldigungsgedichte vorgetragen von Kress, Dietelmair; „ihm folgte der Rector des Gymnasiums Dr. Lochner und gab nach einer hierzu geschickten Einleitung über den Blumenorden das Gedicht ,Die schöne Elise von Bayern’.“ Weitere Gedichte von Seiler und dem Landrichter von [unrichtig!]  Schrodt aus Hersbruck und seiner Gemahlin Valerie schließen sich an. „Seine Majestät sprach sich gegen die Dichterin belobend aus.“ Dann einige Gesänge eines Chores von Mitgliedern. „Nachdem der König einige angebothene Erfrischungen angenommen und aus dem OrdensPokal, ‚der Tulpe’ auch das Wohl des Blumenordens zu trinken geruhte und auch des Vorstehers allerhuldvollst gedacht hatte, brachte dieser ein Lebehoch auf den König aus“ und dann eines auf Königin Maria, nicht ohne um Erlaubnis dazu gefragt zu haben. Dann darf Kress am Tisch des Königs Platz nehmen, der sich mit ihm unterhält. Er erkundigt sich nach der Entstehung dieser Anlage, läßt sich durch die übrigen Teile führen, besichtigt das Denkmal Wielands, „von welchem Dichter der erhabene Monarch äußerte, ‚daß er ihm in seiner Jugend viele Freude gemacht habe’,“ er spricht auch mit den Landbewohnern, „welche sich in großer Anzahl eingedrängt hatten, weil sie auch ihren König sehen wollten, und schied mit der Versicherung, ‚einen sehr vergnügten Abend verlebt zu haben’. […]“




Zwischenakt


Nun konnte man sich wieder den laufenden Geschäften widmen, und Schriftführer Seiler legte ein neues Protokollheft an:


Protokolle über die Monatsversammlungen des pegnesischen Blumen-Ordens unter der Leitung des 15. Ordens-Vorstehers, S.T. Herrn Dr. Rh. Gg. Wolfg. Karl Lochner, k.b. Studien-Rector und Professor, Ritter des Verdienst-Ordens vom heiligen Michael, vom Jahre 1857. an.


Die Verschiedenheit der Geschäfte zeigt sehr deutlich die Niederschrift einer Sitzung, „Geschehen Nürnberg den 16. Jan. 1857. im Gasthause zum goldenen Reichs-Adler.

[…] 5.) […] Dabey wurde zugleich der Beschluß gefaßt, daß künftighin von auswärtigen, ausserordentlichen Mitgliedern ein Dukaten in Gold als Aufnahmegebühr und für die Ausstellung eines Diploms entrichtet werden soll.

6.) Ferner wurde ein beim Ordensvorsteher eingelaufener Brief von OM [Ordensmitglied] Negges aus Paris vorgelesen, in welchem derselbige Vorschläge zur Erweiterung des Wirkungs-Kreises des Ordens macht. Bey aller Anerkennung der wohlwollenden Meynung des Antragstellers beschließt die Versammlung, zur Tagesordnung überzugehen.

[…] 8.) Endlich wurde beschlossen, daß ein neues Mitgliederverzeichnis gedruckt und dem verst. H. Ord. Vorst. Freyherr von Kreß ein schriftliches Denkmal gesetzt werden soll, zu dessen Abfassung auf dringendes Bitten Herr OR [Ordensrat] Dr. Lösch bewegen ließ; daß dem Schuldner Stephan das Kapital von 400 fl. nicht gekündiget werden dürfte, da er das Viertel an den rückständigen Zinßen (f. 24.) abgeführt hat und nur mit 3 fl. noch rückständig ist, und daß über die bedachungsbedürftige große Hütte im Irrhain durch eine besondere Kommission, bestehend aus dem Schriftführer, dem OM. H. Th. Wagler und einem Techniker, eine Untersuchung anberaumt und auf dem Grund derselben ein Antrag gestellt werden soll.“


Die Mitglieder müssen verstört gewesen sein, als nach verhältnismäßig kurzer Zeit plötzlich bekannt wurde:


„Nürnberg am 16. October 1857. im Lotterschen ehemals Löselschen Kaffehause.

[…] 3.) Ferner zeigt der Vorsitzende [Dietelmair] an, daß Herr Rector Dr. Lochner seine Ordensvorstandschaft mittelst eines Schreibens niedergelegt hat, worauf beschlossen wurde, diese Niederlegung anzunehmen, dem H. Dr. Lochner den Dank des Ordens für seine bisherigen, verdienstlichen Leistungen auszudrücken und ihn zu bitten, seine Thätigkeit dem Orden zu erhalten. […] Da die Zeit zu weit vorgerückt war, wurden die Verhandlungen geschlossen.“


Hinter vorgehaltener Hand wurde bald herumgesprochen, was geschehen war: „Nürnberg d. 20. Dcbr 1857

Verehrter Herr College!

Sie kennen die schlimme Wendung, welche H. Rectors Dr. Lochner Geschick genommen hat. Er ist in Folge desselben von der Vorstandschaft des Blumenordens abgetreten […]“ Was aber war diese schlimme Wendung?


Wilhelm Schmidt stellt den Vorgang in seiner unveröffentlichten Festschrift so dar: „Kleinliche und engherzige Auffassungen im Ministerium waren die Ursache. Diese Maßregelung veranlaßte Lochner, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen und den Vorsitz niederzulegen. Im Dezember 1858 trat er überhaupt aus dem Orden aus, nachdem er keine Sitzung mehr besucht hatte. […] Sein Ausscheiden aus dem Orden geht auf Vorgänge zurück, die mit dem Orden selbst nichts zu tun hatten.“


Noch genauer Mummenhoff in seinem Nachruf:


Der 3. Dezember des Jahres 1882 bedeutet für die Nürnberger Lokalgeschichtsforschung einen herben, wenn nicht unersetzlichen Verlust. An diesem Tage verschied der quieszierte Rektor und Stadtarchivar Dr. Georg Wolfgang Karl Lochner.

Der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg muß es als seine unabweisliche Pflicht erachten, das Gedächtnis dieses Mannes, den er kurz nach seiner Gründung durch Verleihung der Ehrenmitgliedschaft auszeichnete, zu erneuern und zu befestigen. […]

Lochner wurde am 29. August 1798 als der Sohn des Kupferstechers Karl Friedr. Lochner zu Nürnberg geboren. […Er besuchte] von 1809-1815 das neuorganisierte Gymnasium, dessen erster Rektor Hegel war.

[…] an der Universität Erlangen […studierte er] Theologie und Philologie, welch letzterer Wissenschaft er sich 1817-1818 ausschließlich zuwandte. Von Juni 1819 bis um Ostern 1823 war er als Lehrer an einer Erziehungsanstalt zu Nürnberg thätig und bekleidete darauf ein volles Jahr eine Hauslehrerstelle bei einer adeligen Familie Württembergs.

Nachdem er noch im Sommer desselben Jahres die Prüfung für das höhere Schulamt mit vorzüglichem Erfolge bestanden hatte, übernahm er auf kurze Zeit die Verwesung einer Gymnasialklasse in seiner Vaterstadt, wurde aber als der Demagogie verdächtig am 8. Mai 1824 seiner Lehrthätigkeit entrissen, verhaftet und nach München abgeführt, nach Jahresfrist indes wieder auf freien Fuß gesetzt.

Zunächst wirkte er nun als Privatlehrer in Nürnberg, bekleidete seit Sommer 1826 das Lehramt für neuere Sprachen […] 1830 wurde er zum obersten Leiter und Subrektor der lateinischen Schule, 1845 zum Verweser des Rektorats und 1846 zum Professor der Oberklasse und Rektor der Studienanstalt befördert. Die Philosophische Fakultät der Universität Erlangen ehrte ihn am 14. August 1854 durch Ertheilung des Doktorgrades und König Maximilian II. von Bayern am 22. Januar 1856 durch Verleihung des St. Michaelsordens I. Klasse. Am 10. Oktober 1857 erfolgte seine Quieszierung. […]

[Um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können,] trat er am 24. Dezember 1857 als Hülfsarbeiter in die Redaktion des Korrespondenten v.u.f. Deutschland ein, bei welchem er bis Ende 1860 thätig war, und in dessen Feuilleton er eine Anzahl kleiner historischer Aufsätze erscheinen ließ.

Lochner hatte am 12. Dezember 1856 seine Gattin durch den Tod verloren. Ihr folgte am 30. Oktober 1862 die schon seit zwei Jahren kränkelnde und dann ernsthaft erkrankte Tochter […]

Da fiel es wie ein belebender Sonnenstrahl in sein trübes Dasein, als ihn der Magistrat gegen Ende des Jahres 1864 zur Einrichtung und Ordnung des städtischen Archivs berief.

[…] 1830 war er nämlich neben seinem Lehrberufe auch noch in der Archivpraxis tätig. […] es hat fast den Anschein, als ob der frühere Reichsarchivdirektor und quieszierte Regierungsdirektor, der durch seine Memoiren bekannte Ritter von Lang, nicht ohne Einfluß auf die Gewährung eines so weit gehenden Zugeständnisses gewesen sei. In der Vorrede zu den Jahrbüchern stattet Lochner seinem Förderer in warmen Worten seinen Dank ab, […]

Es folgt eine genaue Auflistung und Würdigung der zahlreichen und umfangreichen Arbeiten Lochners, u.a. „Das städtische Archiv verwahrt nunmehr 16 gleichfalls aus Lochners Nachlasse erworbene Quartanten, diplomatisch getreue Abschriften von ebensovielen Tomen der Ratsbücher der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg v. J. 1441-1532“. Keine Erwähnung seiner Mitgliedschaft oder gar Vorstandsschaft im Blumenorden! Das kann auch daran liegen, daß Mummenhoff mit dem Blumenorden zeitweise im Unfrieden lebte, wie noch berichtet werden wird.


Zum Glück für den Blumenorden war es keine schwierige Aufgabe, einen würdigen Präses zu finden: „[…] 3.) Darauf wurde zur Wahl eines neuen Ordens-Vorstehers geschritten. Unter 26. Stimmen fielen 20. auf den 2. Herrn Ordensrath, Dr. Lösch, der auf besonderes Andrängen der Anwesenden [außer Lösch noch Dietelmair,  Lützelberger, v. Forster, Seiler jun., v. Aufsess, Sigm. Merkel, Beck, Schmidt, Leuchs, Dr. Göschel, Th. Wagler, Haller, Sondermann, Schnerr, Dr. Mehmel, Wieland, Dr. Zahler, Georg, Seiler sen.] zuletzt die Wahl annahm.

4.) Alsdann wurde zur Wahl eines zweyten Ordensrathes geschritten und dieselbige fiel mit Stimmenmehrheit auf das OM. H. Th. Wagler, der dieselbige auch annahm.“




Die sich fortbildenden Gebildeten


Aus dem Nachruf, den ihm sein Sohn schrieb, lernt man den neuen Präses erst richtig kennen:


Geboren den 12. Oktober 1792. in Wallhausen bei Crailsheim, unter 8 Kindern der jüngste Sohn des dortigen Geistlichen […] im Jahr 1807. bezog er das Gymnasium zu Ansbach und 1810. die Universität Erlangen, um sich dem Studium der Theologie zu widmen.

[…] wie es ja auch bekannt ist, daß die Predigt, die er am Sonntag zu halten hatte, bereits am vorhergehenden Montag oder Dinstag [sic] fertig in seinem Pulte lag. Und nicht etwa, als wäre die Schnelligkeit des Arbeitens auf Kosten der Tiefe und Gründlichkeit gegangen; im Gegenteil […] Die Früchte seiner Arbeitskraft kamen in reichstem Maße unserer Stadt zu Gute, der er — nachdem er vom Jahr 1813-17. seinem Vater als Vikar zur Seite gestanden — seit dem 1. Oktober 1817. als Geistlicher angehörte, zuerst als dritter, seit 1820. als zweiter Pfarrer bei St. Jakob, seit 1838. als erster Pfarrer an St. Aegidien. […] was er in einem Zeitraum von 20. Jahren als Schulreferent zum Besten unserer städtischen Volksschulen geleistet, welche Verdienste er sich um den Gustav-Adolph-Verein, dieses sein Schooskind, erworben, dem er zuerst die Bahn in Nürnberg brach, […]


[…Es] entging ihm doch in der That auf dem Gebiet der neueren, vaterländischen Literatur nicht leicht ein Werk von Bedeutung, das er nicht gelesen und nicht blos gelesen, sondern sich so angeeignet hätte, daß er darüber ein gründliches Urtheil fällen konnte. […] Wie er unser Interesse zu lenken wußte auf „den Odendichter Horaz“ (1845.), auf das griechische Epigramm (1847.), auf den Heliand oder altsächsische Evangelienharmonie (1852.), so verstand sein fein beobachtender Geist auch an alten, uns längst liebgewordenen Bekannten immer neue Schönheiten uns zu zeigen […] Nachdem er (1845.) „über das Märchen  im Allgemeinen und über des Musäus Volksmärchen insbesondere“ gesprochen, führte er uns öfter zu unserem Friedrich Schiller zurück und zwar in folgenden Abhandlungen: „Maria Stuart und Elisabeth“ (1848.), „Charakter [S. 5] Mortimer’s in Maria Stuart“ (1848.), „Schilderung der vier Staatsmänner in Schiller’s Maria Stuart“ (1851.), „über Schiller’s Wilhelm Tell“ (1851.), „Schiller als Dramatiker“ (1859.), „Schiller’s Anlage zur Komik“ (1860). Unseren besonderen Dank verdiente der Verewigte dadurch, daß er uns so gerne mit den neuesten bedeutenderen Erscheinungen auf dem Gebiet der Literatur bekannt machte […]: „Esaias Tegner’s Leben und Dichtungen“ (1848.), „Amaranth von Oskar von Redwitz“ (1849.), „Otto der Schütz von Kinkel“ (1850.), „Gutzkow’s Ritter vom Geiste“ (1852.), „über Heinrich IV., Drama von Köberle“, „Proben aus den Distichen: Welt und Zeit“ (1855.), „Hans Heidekuckuck von Otto Roquette“ (1855.), „Gedichte von Eduard Ille“ (1856.), „Johann von Werth, eine deutsche Reitergeschichte von Wolfgang Müller von Königswinter“ (1858.), „Euphorion von Gregorovius“ (1858.), „Franz von Sickingen, eine historische Tragödie von Lasalle“ (1860.), „der Patrizier und sein Haus, eine Nürnberger Geschichte von Hesekiel“ (1862.), „Brunhild von Geibel und die Nibelungen von Hebbel“ (1863.). Auch außerhalb der deutschen Literatur suchte und fand er seinen Stoff, wie er denn „Eugen Sue’s Geheimnisse von Paris“ (1844.), „die altschottischen und altenglischen Volksballaden, bearbeitet von Dönniges“ (1852.), die meist in lateinischer Sprache geschriebenen Werke des Jesuitenmönchs „Jakob Balde“ (1849.), „den englischen Dichter Ossian“ (1853.), „den persischen Dichter Sadi“ (1853.), und „Kalewala, ein finnisches Nationalepos“ (1857.) zum Gegenstand ebenso anziehender, als belehrender Abhandlungen machte.


In einer zweiten Reihe von Vorträgen, 11 an der Zahl, behandelte er Gegenstände der Kunst, der Malerei sowohl, als der Plastik und Architektur. […] „Thorwaldsen’s Werke in Kopenhagen“ (1850.), „die Zerstörung Jerusalems, Oelgemälde von W. Kaulbach“ (1850.), „Canova’s Grabmonument der Erzherzogin Christina von Oestreich in der Augustinerkirche in Wien“ (1852.), „die Königsgräber in St. Denis und der Kaiserdom von Speyer“ (1855.), „Napoleon’s Grab und Ludwigs XVI. Sühnkapelle“ (1855.), „die Madeleine und das Pantheon in Paris“ (1856.), „Kaulbach’s Zerstörung von Jerusalem und Schorn’s Sündfluth in der neuen Pinakothek in München“ (1858.), „eine interessante Bekanntschaft auf meiner letzten Reise“ (nach dem Rhein 1860.) — er meinte damit die schon oben erwähnte Moses-Statue von Michel Angelo —, „die Wartburg“ (1861.), und „über die Elgins Marbles oder die Ueberreste vom Parthenon in Athen im britischen Museum in London“ (1862.), der letzte Vortrag, den der Verewigte in unserem Kreise hielt.


Endlich finden wir noch drei Vorträge biographischen Inhalts, nämlich „die Mutter Göthe’s und Schiller’s“ (1846.), ferner „die Gedächtnißrede [auf Kress]“ (1857.), und eine Abhandlung „zu Harsdörffer’s Gedächtniß“, im Jahr 1858. zur Feier von dessen 200jährigem Todestage verfaßt.


Auch an poetischen Versuchen hat es der Verewigte nicht fehlen lassen, meist Gelegenheitsgedichten […Er selbst meinte dazu:][…] Reim und Metrum sind Fesseln und Fußschellen, in denen ich kein Glied rühren kann. Wollte ich nur etwas halbwegs Erträgliches für Freund N.N. liefern, so mußte ich wenigstens den Reim wegwerfen. […]


Und noch eine Kuriosität am Rande: „[…] die letzten Monate seines Lebens übte er  sich zum Zeitvertreib im Stechen hölzerner Model, s.g. Zuckermodel, worin er es zu einer außerordentlichen Fertigkeit gebracht hatte. […]“


Der gewiß auch sehr bedeutende Kirchenrat Dr. Carl Christian Christoph Fikenscher, dessen Respizienz der Predigten Dietelmairs weiter oben berührt wurde, kommt dagegen als verhältnismäßig selbstzufriedener und wenig beweglicher Gebildeter heraus, wie aus seinem Nachruf von 1857 zu ersehen ist:


Herr Kirchenrath Dr. Carl Christian Christoph Fikenscher, geboren den 30. November 1798 zu Culmbach, 1819 Subrector in Feuchtwangen, 1821 Progymnasiallehrer und 1824 Professor am hiesigen Gymnasium, 1829 Hauptprediger an St. Sebald und Districts-Schul-Inspector, 1837 Decan der Diöcese Nürnberg, wurde am 3. September 1857 ganz unerwartet seinen Angehörigen und zahlreichen Freunden durch den Tod entrissen […]


Im Jahre 1844, in welchem der pegnesische Blumenorden seine zweihundertjährige Jubelfeier beging, trat der Verewigte demselben als Mitglied bei. […] Dr. Fikenscher [war] schon vor seinem Beitritte zu demselben in seiner „Geschichte des Reichstages von Augsburg, 1830“ und insonderheit in seiner Schrift „Das Gymnasium in Nürnberg nach seinen Schicksalen und seinem gegenwärtigen Bestande etc., Nürnberg, bei Friedrich Campe. 1826“ mit Werken vor die Oeffentlichkeit getreten, welche zu den angegebenen Bestrebungen des Ordens in nächster Beziehung standen. […] eben so eine metrische Uebersetzung des lateinischen „Gedichtes auf die Schule zu St. Aegidien in Nürnberg von Helius Eobanus Hessus, 1532“ […]

[…Er hielt] gehaltvolle Vorträge, welche hauptsächlich in seiner philologisch-klassischen Bildung wurzelten, in den seit 1845 eingeführten und von Damen und Herren zahlreich besuchten öffentlichen Versammlungen.


In seinem ersten Vortrage, gehalten am 26. Januar 1846, gab er eine „Erklärung der Ode des Horaz, Buch III. Ode I, deren Thema das Lob der Genügsamkeit ist. Dr. Fikenscher leitete diesen Vortrag mit den Worten ein: „Ich habe die Absicht, das Antike einer nicht blos aus Kennern des Alterthums bestehenden Gesellschaft so vor die Seele zu führen, daß sie den Genuß, den ein römisches Ohr an den Gesängen des Dichters Horatius empfunden hat, würdigen kann. Es soll ein Versuch seyn, zu zeigen, daß das Alte, sofern es schön gewesen, immer schön bleibt. Die Uebersetzung gebe ich nach Günther, nicht weil sie mir ganz zusagt und ganz treffend ist, sondern weil sie für das deutsche Ohr durch den Reim genießbarer ist […] Streifen wir von dieser Horazischen Ode das römische Colorit ab, so bleibt die allgemeine Wahrheit übrig, daß nur die Genügsamkeit den Menschen zufrieden macht,“ und wies zuletzt in verschiedenen Aussprüchen der heiligen Schrift nach, daß jene allgemeine Wahrheit auch die christliche sey, und daß die einzig unversiegbare Quelle der Zufriedenheit in der Gemeinschaft mit dem Herrn  gefunden werde.


[Die Texte folgender Vorträge finden sich in Schachtel 72 des Pegnesenarchivs:] Character der Antigone des Sophokles, vorgetragen am 30. Januar 1847; Character des Königs Kreon von Theben, vorgetragen den 17. März 1847; König Oedipus, nach Sophokles, vorgetragen den 14. November 1848; Oedipus auf Kolonos, nach Sophokles, vorgetragen den 22. Januar 1849; Pindars erster olympischer Gesang, übersetzt und erläutert, vorgetragen den 10. December 1850; Gudrun, die Königstochter aus dem Hergelingenland, geschildert nach dem Schauspiel von Victor Strauß und dem altdeutschen Heldengedicht, vorgetragen den 8. December 1851.


Ein um den Blumenorden verdientes älteres Mitglied möchte sich um dieselbe Zeit zurückziehen:

„Verehrter Herr Ordenssekretair

Mein vorgerücktes Alter, so wie verschiedene andere Gründe bewegen mich hiermit meinen Austritt aus dem Blumenorden anzuzeigen. Indem ich sämtlichen Mitgliedern deßselben für ihr freundschaftliches Wohlwollen danke, wünsche ich dem alten ehrwürdigen Orden auch unter dem neuzuwählenden Herren Präses ein fröhliches Gedeihen und verharre mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebenster Meißner“


Ein neu eingetretenes Mitglied hat schon etwas ganz Fortschrittliches (wie wenn heute einer sein Mobiltelephon der neuesten Machart herauszieht):


„Geschehen am 16. April 1858. ebendaselbst.

[…] 6.) OM H. Pf. Heller zeigt sein photographisches Bildnis vor und übergibt es zur Sammlung. […]“




Schillerfeiern


Das Jahr 1859 und damit Schillers 100. Geburtstag war herangerückt. Der Blumenorden reagierte darauf nicht in erster Linie wie ein Jubelkommittee, sondern eben als Literaturgesellschaft:


„Geschehen Nürnberg am 21. Januar 1859. im Zimmer des Deiningerschen Bierwirtschaftshauses

[…] 4.) Derselbige [Lösch] berichtet, daß auf Kosten der Ordenskasse 300 Exx. von dem neuaufgefundenen Schillerschen Gedichte gedruckt, und theils in der öffentlichen Versammlung an die Anwesenden vertheilt werden und die noch übrigen mit dem nächsten Umlaufschreiben an die Ordensmitglieder, die es noch nicht besitzen, abgegeben werden.

[…] 6.) H. OV [Ordensvorsteher] zeigt an, daß die beiden ordentl. Ordensmitglieder H. Rector Dr. Lochner und H. Medailleur Dallinger sich vom Orden abgesondert haben.

[…] 13.) Nachträglich wird noch beschlossen: Es soll künftig das Verzeichniß der Vorträge bey öffentlichen Versammlungen jedesmal gedruckt und vorher an die Besuchenden ausgetheilt werden. […]“


„Geschehen am 30. 7br. 1859. im Gasthause zur blauen Glocke

[…] 2.) [Vorträge zum Schillerfest]

[…] 4.) Weiter wird beschlossen:

a.) daß zu den öffentlichen Vorträgen am genannten Feste der Saal im rothen Roß beybehalten und durch die Ordensmitglieder so viele Billets ausgetheilt werden sollen, als der Saal ohngefähr Personen faßt;

b.) daß am Abendessen nur Ordensmitglieder theilnehmen können und

c.) daß man sich eventuell zu Geldbeyträgen zu irgend einem Zwecke geneigt zeigen wird. […]

6.) H. OV zeigt an, daß die zu Ehrenmitgliedern aufgenommenen H. Geibel, Heise [sic], Rückert und Müller von Königswinter diese Mitgliedschaft angenommen haben und es werden von den zwey letztgenannten Herren die deßhalb eingelaufenen Briefe mitgetheilt.

7.) […] daß auswärtige, ordentliche Mitglieder, wenn sie zwey Jahre lang ihre jährlichen Geld-Beyträge nicht entrichtet haben, sofort als außerordentliche Ordensmitglieder angesehen und im Verzeichnisse aufgeführt werden sollen. […]“


„Geschehen am 21. October ebendaselbst

[Lösch ist erkrankt, Seiler übernimmt die Leitung der Sitzung.]

3.) In Bezug auf die Feier des Schillerfestes wird beschlossen:

a.) daß dieselbige Montag den 7. November l.J. im großen Rathhaus-Saale gehalten

b.) das Festessen aber im Saale des rothen Rosses eingenommen werden soll:

c.) der Rathhaussaal erhält keine Decoration durch den Orden, dagegen wird der Speisesaal decorirt. Das Couvert soll ohne Wein f. 1. kosten.

4.) Da H. Prof. Dr. J. Mayer zum allgemeinen Bedauern erklärte, daß er im großen Rathhaus-Saale keinen öffentlichen Vortrag zu halten im Stande und daß der vorwürfige für ein solches Publikum nicht geeignet sey; so beschloß man die Vorträge also zu ordnen, daß H. OR Dietelmair dieselbige [sic] mit seinem Gedichte auf Schiller eröffnet, alsdann H. OV Dr. Lösch seinen prosaischen Vortrag über den gefeyerten Dichter in zwey Abtheilungen [gestrichen: hält], zwischen welche H. Pf. Heller sein in der Versammlung vorgelesenes Gedicht vorliest und H. Pfarrer Kunel diese Vorträge mit passenden Schlußworten endigt. H. Dr. Koch soll gefragt werden, ob er sein versprochenes Gedicht wohl auch vortragen wird. Die Anfrage bey ihm übernahm H. OR Wagler.

5.) Hierauf wurde gegen 3. Stimmen beschlossen, daß von Seiten des Blumenordens zur Schillerstiftung ein Geschenk von fl. 100. bestehend in einer in der Kasse befindlichen Staats-Schulden-Tilgungs-Kassen-Obligation gemacht werden soll. […]“


„Geschehen, Nürnberg den 18. 9br 1859. ebendaselbst

[…] 5.) Das eingereichte, schriftliche Bittgesuch an den hiesigen Magistrat um Ueberlassung des großen Rathhaus-Saales zur Schillerfeier wird vorgelesen und beygefügt, daß dasselbige abschlägig beschieden wurde. [Ganz so hoch stand der Blumenorden also nicht mehr bei der Stadtverwaltung im Kurs.]

[…] 7. Weiter wird kund gegeben, was man mit den auswärtigen, ordentlichen Mitgliedern, den pp. v. Erffa, v. Heilbronner u. v. Rotenhahn in Betreff ihrer ferneren Mitgliedschaft und rückständigen Geldbeiträgen verhandelt hat. […]

9.) Früherer Verabredung gemäß, soll am 5. Dbr. eine öffentliche Versammlung gehalten werden, bey welcher vortragen:

a.) H. OV Lützelberger: W. Pirckheimers u. Eoban Hesse’s Trauerlieder auf den Tod Albrecht Dürers aus dem Lateinischen übersetzt; […]

10. […] H. Sensal Meißner habe schon vor einiger Zeit H. OM Wagler und dann in voriger Woche dem OV Dr. Lösch den Wunsch ausgesprochen, wieder als Mitglied in den Orden einzutreten. Letzterer habe ihm dann ein scherzhaftes Schreiben zugesendet, auf welches die Antwort erfolgte, die nun vorgelesen wird. Hierauf beschloß man: H. Meißner zu bemerken, daß er der Aufnahme nicht mehr bedarf […]“


Meissner war seiner Sache nicht ganz sicher, aber vielleicht war er sich der meisten Sachen nicht mehr sicher:

„Ewr. Hochehrwürden

Mir gestern zugekommene erfreuliche Zeilen haben mich auf eine sehr angenehme Weise überrascht. Ich konnte mir nicht denken, daß ein löblicher Blumenorden nach meinem erfolgtem Austritt aus demselben weitere Notiz von mir nehmen würde. […] Ich stelle mich dem Kriegsgericht, das nächsten Freitag über mich ergehen soll, und kehre je nachdem der Spruch ausfallen wird, zur verlaßnen Fahne zurück, deren fernere glorreiche Erfolge ich freilich nicht miterkämpfen, aber immerdar mit meiner Theilnahme begleiten werde!

Mit ausgezeichneter Hochachtung

Euer ergebenster Meißner

Am 14. Nov. 1859“


Und Negges versucht wieder eine Anknüpfung, aus der immerhin hervorgeht, wie es um seine Herkunft und daherrührenden literarischen Interessen bestellt ist:


„Paris, den 9. Juli 1859.

Hochwürdiger Herr Stadtpfarrer,

Hochgeehrter Herr Ordens-Präses!

In der Voraussetzung, daß die verehrlichen Mitglieder des pegn. Blumen-Ordens nicht ohne Theilnahme vernehmen, wie hoch — selbst unter den obwaltenden politischen Mißhelligkeiten — das Andenken eines deutschen Dichters auf französischem Boden geehrt wird, habe ich mir erlaubt, Ihnen, während meiner Anwesenheit in Colmar vorigen Montag die, bei der Enthüllungsfeier des Pfeffel-Denkmals gehaltene Rede, die Festgesänge p.p. unter Kreuzband einzusenden. Es wird Ihnen auch für den Blumen-Orden ein Exemplar des Pfeffel-Album — auf Buchhdlr. Weg durch die Decker’sche Druckerei auf m. Veranlassung zukommen & ebenso werde ich Ihnen noch eine nähere Beschreibung dieser Feier durch Einsendung einer Elsasser-Zeitg, zugehen lassen; indem ich Sie bitte, davon den geehrten Mitgliedern Mittheilung zu machen. — Denjenigen welchen es zu wissen interessirt, wie ich zu dieser Festlichkeit gekommen bin, diene zur Nachricht, daß ich als Enkel-Neffe des gefeierten Dichters — dem die französischen Gelehrten den Beinamen „Le Lafontaine allemand“ gegeben — von dem Fest-Comité eingeladen wurde & dort einen schönen Tag im Kreise gebildeter, für deutsche Dichtkunst schwärmende Männer zugebracht habe. […]

Negges“

In diesem Umschlag finden sich u.a. mehrere Exemplare der „Allgemeinen Auswanderungszeitung“ mit detaillierten  Berichten über Zustände in überseeischen Gebieten und die Modalitäten der Auswanderung, herausgegeben von Dr. Büttner in Rudolstadt. Möglicherweise hatte Negges noch vor, es anderen gescheiterten 1848ern nachzutun und nach Amerika auszuwandern. Die Pegnesen behandelten ihn und seine eifrigen Vorschläge allmählich etwas von oben herab:


„Geschehen, Nürnberg am 20. Jan. 1860. im Gasthause zur blauen Glocke.

[…] 2.) Hierauf zeigte H. OV Dr. Lösch an, daß die Vorträge am Schillerfeste in’s Reine geschrieben sind und der Freyfrau v. Gleichen-Rußwurm überschickt werden sollen.

3.) […] Im Bezug auf von die von ihm zu Mitgliedern des Ordens vorgeschlagenen Herren p. Jaccius, und seines Schwagers des Herrn Prof. Dr. Joach. Sighart zu Freysingen, wird beschlossen, daß dem Herrn Negges brieflich bedeutet werden soll, man nehme nur ausgezeichnete Dichter zu Ehrenmitgliedern auf; wollen indeß die Genannten als [sic] außerordentliche Mitglieder werden, so mögen sie sich nur selbst melden.

[…] 8.) Das OM H. Hptm. Zeltner [es kann sich nur um den neu aufgenommenen Gründer der Ultramarinfabrik handeln, aber wieso er „Hauptmann“ tituliert wird, ist ein Rätsel] beschwerte sich in einem Briefe an den H. OV darüber, daß man im neuesten Mitgliederverzeichniße ihn als adelich aufführte; […]

15.) Auf H. OM Meißner’s Wunsch, bey jedem Abendessen des Ordens den Pokal umherkreißen zu lassen, wird nicht eingegangen. […]“


Wenn man die zartsinnigen Bedenken konservatorischer Art erfahren hat, die heutige Museumsbedienstete erheben, wenn der Blumenorden den Tulpenpokal, seine Dauerleihgabe, zum Irrhainfest verwenden möchte, sieht man erst, wie absurd und gefährlich Meissners sentimentales Anliegen erscheinen mußte. Er scheint nicht mehr in der besten geistigen Verfassung gewesen zu sein. Es ist tragisch, daß man alten Menschen kaum mehr ansieht, was für tüchtige Zeitgenossen sie einst waren. Als Meissner zwei Jahre später starb, würdigte ihn der Nürnberger Kurier im Nachruf:


[…] Bis dahin [1815] hatten Frankreich auf dem Continent und England zur See sich in den Handel getheilt; die Continentalsperre hatte das Ihrige beigetragen, mit dem deutschen Handel auch das Gewerbsleben Nürnbergs zu lähmen. Jetzt galt es, der Industrie neue Absatzwege zu schaffen. Es ist nicht das geringste Verdienst Herrn Meißners, diese Aufgabe richtig erkannt zu haben. Er war vielleicht der erste Nürnberger Kaufmann, der sich mit einem so vollständigen Sortiment von Manufakturwaaren auf die Reise begab […] Schon im Jahr 1817 hatte er Gelegenheit, bei der großen Theuerung seinen Gemeinsinn in Organisirung einer Brodvertheilungsanstalt zu bethätigen, […] Diejenige Anstalt aber, welcher er mit besonderer Liebe zugethan war, ist der Gewerbeverein, früher unter dem Namen Gesellschaft für vaterländische Industrie bestehend […] Seit dem Jahr 1831 war er Vorstand der Leih- und Unterstützungsanstalt, einer besonderen Sparte dieses Vereins, mit gesondertem Kapital […] Trotzdem daß alle Gelder unverzinslich ausgeliehen wurden, hat sich das Vermögen der Anstalt fortwährend vermehrt, weil bei der großen Vorsicht, mit welcher die Solidität der Schuldner und Bürgen überwacht und die Rückstände beigetrieben wurden, nur höchst selten Verluste eintraten […] auch ein paar Kinderschriften sind in früherer Zeit von ihm erschienen, denn den Kindern war er besonders zugethan […] Hatte er sich doch selbst den kindlichen Sinn gewahrt, mit ihm den lebendigen Christenglauben und weder die Einflüsse der französischen Encyclopädisten, noch die Zerstreuungen der Welt hatten ihm je dies innere Heiligthum antasten können […] Lange Zeit war er eines der fruchtbarsten Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens […] Einen großen Theil seiner Mußestunden verwandte er auf die Freimaurerei, die ihm ein dankbares Feld für seine Begabung bot. […]


Nicht in der besten Verfassung war auch Mönnich, dessen Beitrag zu den Schillerfeierlichkeiten zum Abschluß dieser Übersicht auch erwähnt sei:


„Hochverehrter Freund!

Sie sehen aus beifolgendem Schillerwerk, daß Niemand seinem Geschick entgehen kann. Kaum war ich von meinem zweiten Aufenthalt im Wildbad anfangs October zurückgekehrt, als mir ein Vortrag zur hiesigen Gymnasialschillerfeier so nahe gelegt wurde, daß ich trotz der Mühe, die er mir kostete, die Feder zu führen & trotz meinem sonstigen, immer noch miserablen Zustand, ihn übernehmen & mich der Lösung der Aufgabe, so gut & so schlecht es auch gehen mochte, unterzog. […] Haben Sie die Gewogenheit, das für Herrn Platner, mit dem ich im Wildbad in diesem Sommer zweimal zusammenzutreffen so glücklich war, und das dem Blumenorden bestimmte Exemplar zukommen zu lassen […] Sie entschuldigen, wenn ich abbreche, da mir schon von den paar Zeilen mein Handgelenk wehe thut. Mich Ihnen und den Ihrigen aufs Beste empfehlend

Ihr ganz ergebener W.B. Mönnich.“




Ein neuer Kern aktiver Mitglieder kündigt sich an


Am 1. Januar 1860 verstarb Schnerr. An seiner Stelle wurde Franz Joseph Gottlieb Schrodt, aufgenommen 1851, mittlerweile Regierungsrat geworden, zum Ausschußmitglied erwählt. Er hielt kurz darauf einen Vortrag über Paul Heyse, der damals gerade 30 Jahre alt war und nicht ahnen konnte, daß er 50 Jahre später den Literatur-Nobelpreis erhalten würde (schon weil es diesen Preis noch nicht gab). Doch der Blumenorden war schon auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihn an 15. 4. 1859 als Ehrenmitglied aufgenommen.


Ein erst 1859 aufgenommenes Mitglied machte allmählich mit Vorträgen auf sich aufmerksam:


Über das Drama Philoktet von Sophokles.


Als man vor etwa zwanzig Jahren den Versuch machte, die Antigone des Sophokles in einer dem alten griechischen Theater möglichst treu nachgebildeten Ausstattung auf der deutschen Bühne einzuführen, fehlte es nicht an bösen Zungen, welche dieses Unterfangen lächerlich zu machen versuchten und von fossilen Tragödien sprachen, die man aus dem Schutt u. Moder einer längst abgestorbenen Welt hervorgegraben und nun mit pedantischem Aberglauben und alterthumssüchtiger Borniertheit den Zeitgenossen als ein ästhetisches Schaugerüst genießbar zu machen versuche. […] Man wandte dagegen ein, auf der Bühne müsse dem Volke ein Spiegelbild seiner eigenen Denkweise, seiner Sitten u. Gebräuche, seiner Größe und [gestrichen: „Schwäche“] Thatkraft dargestellt werden […] u. doch hatte man dabei eine Hauptsache ganz u. gar übersehen, daß nämlich das menschliche Herz mit seinen Leidenschaften, Begierden u. Erregungen, dieses rätselhafte bald trotzige bald verzagte Ding, heute noch wie vor 3000 Jahren das nämliche ist […]


Damit entspricht Heinrich Wilhelm Heerwagen ziemlich genau der in bürgerlichem Gewande allgemeinmenschlichen Auffassung Heyses. Außerdem befaßte sich Heerwagen nebenbei gerne mit Musik, auch theoretisch. Er hielt einen Vortrag über einen Musiker, der 1552 eine musiktheoretische Schrift in Nürnberg herausgegeben hatte:


„Geschehen am 16. May 1861. ebendaselbst [in der Wirthschaft zum Auge] […] 5.) Zum Schluße tragen vor:

a.) H. Rector Dr. Heerwagen: „Zwey Notizzen [sic] über den Musiker Adrian Petit und sein hiesiges Leben“ […]“


Am 3. November 1862 setzte sich der Dilettant Heerwagen am Beispiel Karl Friedrich Zelters mit dem musikalischen Dilettantismus auseinander:


Es ist eine feine Bemerkung Göthes, daß der ächte Künstler von dem Dilettanten sich unter Anderem auch dadurch unterscheidet, daß Jener ein unbedingtes, ganzes Interesse an der Kunst und am Kunstwerk hat, der Dilettant dagegen immer nur ein halbes; […] daß er seine Leistungen nicht selten an die Verfolgung eines gesellschaftlichen, wohlthätigen oder patriotischen Zweckes anknüpft. Gönner und Freunde finden das, was man ihnen zu Liebe unternommen, natürlich für gut; u. es entwickelt sich aus solchem Verhältniß nur gar zu leicht jene gegenseitige Selbstgenügsamkeit u. Selbstbespiegelung, welcher sogar für Halbes u. Unfertiges mit einer gewissen Behaglichkeit Gunst und Beifall spendet und empfängt […] und gar übel empfindet, wenn sie einmal aus ihren geordneten Anschauungen herausgerüttelt wird.

Es leuchtet ein, daß der Dilettantismus, wo er nur in solcher Form auftritt, das Wesen der Kunst nicht fördert, sondern im Gegentheil ihren Ernst u. ihre Strenge vernichtet. […] so ist es gar keine überflüssige Frage, wie sich denn eigentlich die dilettantische Kunstübung zu verhalten habe, wann sie ihre Aufgabe erfüllen und deren Gefahren glücklich vermeiden will. […]

[…] ich habe es vorgezogen, nur eine einzelne Species des Dilettantismus, nämlich den musikalischen, welcher außer Zweifel gegenwärtig die weiteste Verbreitung genießt, in einigen seiner interessantesten Formen zu verfolgen […] indem ich das Lebensbild eines Mannes zu entwerfen versuche, der während seines ganzen Lebens unter mancherlei Nöthen und Kämpfen der Musik als Dilettant im vollkommensten Sinn des Wortes gehuldigt hat und ebenso auch für die Begründung und Pflege ächter musikalischer Kunst in Dilettanten-Kreisen bis zum letzten Lebenshauche eifrigst bemüht gewesen ist.

Karl Friedrich Zelter war seines Zeichens ein Maurer […]


Heerwagen war seines Zeichens Altphilologe und Gymnasiallehrer, aber er komponierte auch und spielte sehr gut Klavier.

Erstes Blatt einer Folge von Stücken für das Fortepiano, zusammen mit weiteren Kompositionen Heerwagens aufbewahrt im Stadtarchiv Nürnberg:

Unterdessen dauerte das gute Verhältnis zum Literarischen Verein fort und entwickelte sich anscheinend zu einem Austausch von Schriften, von denen schon vor der endgültigen Verschmelzung einige beim jeweiligen Partner hängengeblieben zu sein scheinen.


„P.P. Ew. Wohlgeboren

erstattet der Pegnesische Blumenorden hiermit seinen verbindlichsten Dank für die wohlwollende Uebersendung des neuesten Albums des sehr verehrlichen literarischen Vereins, sowie für den bey dieser Gelegenheit kund gegebenen Wunsch, daß der Orden bestens gedeihen möge.

Ein gleicher Wunsch erfüllt ihn für das Gedeihen des literarischen Vereins und er rechnet es sich zur besonderen Ehre an, zu demselbigen in freundnachbarlichem Verhältnisse zu stehen und mit ihm noch fernerhin zur Bildung des ästhetischen Sinnes in unserer Stadt glücklich und einträchtiglich zusammenzuwirken.

Den sehr verehrlichen Gesamtvorstand des literarischen Vereins lädt der Orden mittels Uebersendung des Programms zur nächsten, öffentlichen Versammlung ein und würde es als eine besondere Anerkennung seiner Leistungen ansehen, wenn wenigstens der Vorstand stets auch an den genannten Ordensversammlungen Theil zu nehmen belieben tragen würde.

Mit aller Hochachtung verharrt Ew. Wohlgeboren ganz ergebener, GCHZSeiler, Ordensschriftführer.“


Zum Beispiel ist folgender Dankbrief Gutzkows nicht erst 1874 ins Ordensarchiv gekommen, sonst wäre er unter einer anderen Nummer einsortiert (110 statt 56):


„Weimar, 2. März 1862.

Hochgeehrte Herren!

Wollen sie es gütigst meiner, mit Berufsarbeiten aller Art in Anspruch genommenen Zeit zu Gute halten, wenn ich Ihnen für die mir gewordenen ebenso überraschende wie höchst ehrenvolle Ernennung zum Mitglied des ,Literarischen Vereins’ erst jetzt meinen Dank ausspreche.

Es ist ein so schönes Gefühl, selbst da, wo man nicht lebt, eine heimathliche Stätte bereitet zu wissen! […]

Fahren Sie fort in Ihrem treufleißigen Anbau unbefangener und gründlicher Literaturpflege, die sich auch dadurch auszeichnet, daß Sie auf dem zur Isolirung geneigten bayrischen Gebiete nicht dem einseitigen Lokal- und Provinzialgeiste huldigen, sondern die alte, dem ganzen Reich angehörende Kaiserstadt Nürnberg zu einer Station unseres allgemeinen deutschen Entwicklungsganges machen!

[…] bin ich, mit nunmehr collegialischem Gruß und Handschlag, hochachtungsvoll

Ihr wahrhaft ergebener Gutzkow“


Auch der Linkshegelianer Robert Prutz sandte einen ähnlichen Dankbrief für seine Ernennung, gelangte aber nicht mehr in den Blumenorden, weil er schon 1872 starb.


Zuschriften und Anregungen von auswärts halten auch den Blumenorden selbst in Schwung und bieten neben lokalen Themen immer wieder Stoff zu Vortragsveranstaltungen. So sendet wieder einmal Seidenstücker am 10. September 1862 einen Brief, in dem er seinen Aufsatz über Walter von der Vogelweide ankündigt und 5 Taler für die Ordenskasse beilegt, doch treffen nach und nach insgesamt 7 Broschüren ein, u.a. „Schiller und Herzog Carl von Würtemberg. Historisch-Litterarisches“, 82 Seiten, datiert vom 16. September 1844, aber für den Orden ein Nachklang des Schillerjahres. Auf S. 3 findet sich die bedenkenswerte Einschätzung: „Er legt das Hohe in das Leben, und er sucht es nicht darin.“


Themen aus der Kunstgeschichte treten häufiger auf als sonst, so in der Wochenversammlung vom 21. Februar 1862 ein Vortrag des Mitglieds Dr. Göschel, Lehrer für Anatomie an der Kunstgewerbeschule, über die Künstlerfamilie Preißler, den er alsdann in der öffentlichen Versammlung vom 16. Januar 186346 zum besten gibt; Lösch selbst spricht in der öffentlichen Versammlung vom 21. März 186247 über die Elgin Marbles. In ebendieser spricht Bibliothekar Lützelberger, von dem auch noch öfter die Rede sein wird, über die Meistersinger.


Vom 19. Oktober 1861 bis zum 23. Februar 1863 überlegen die Pegnesen, ob sie zu einem geplanten Uhland-Denkmal eine Spende geben sollen, können sich aber nicht dazu entschließen.


Ein sprachkundliches Werk tritt von außen unaufgefordert heran: „Nürnberg, den 17. October 1862. ebendaselbst

[…] 3.) Ferner zeigt derselbige [Lösch] an, daß Herr Manuel Paschke, Lehrer des Deutschen und der Geschichte am k.k. Gymnasium in Teschen, dem Orden ein Exemplar seiner Schrift, betitelt: „Proben und Grundsätze der deutschen Schreibung aus fünf Jahrhunderten, Wien 1862. Verl. v. Förster“, dem Orden mit einem Begleitungsschreiben zugeschickt hat. Beydes wird von ihm mitgetheilt, worauf man beschließt, dem H. Einsender dafür schriftlich zu danken […]

9.) H. Rector Dr. Heerwagen wird mit überwiegender Stimmenmehrheit zum Ordensrath an die Stelle des leider unheilbar kranken OR H. Pf. Dietelmair erwählt, und der Gewählte nimmt die Wahl an. […]“


Es wird ein Austausch der Ordensleitung und eine Auffrischung der Mitgliederschaft mit Vertretern neuer Eliten.


„Geschehen am 20. März 1863. ebendaselbst

[…] 2.) Hierauf übernimmt H. OR Dr. Heerwagen anstatt des wegen Unwohlseins abwesenden Herrn Ordensvorstehers, Dr. Lösch, den Vorsitz und läßt über die zu ordentlichen Mitgliedern des Ordens vorgeschlagenen Herren Kaufmann Wilhelm Friedrich Bleicher allhier und Joh. Theod. Oskar Wieß, k.b. Handelsgerichtsassessor, Großhändler und Fabrikbesitzer allhier, abstimmen. Dieselben werden einstimmig aufgenommen. Herr Literat, Joh. Paul Priem, allhier aber wird mit allen Stimmen zum Ehrenmitglied des Ordens ernannt.“


„Geschehen, Nürnberg, den 18. 7br. 1863. ebendaselbst

[…] 2.) Alsdann ergreift der erste Herr Ordensrath, Th. Wagler, das Wort, gedenkt des durch den Tod dem Orden entrissenen Vorstandes, Herrn Dr. Lösch’s, in rühmlichster Weise und lädt die anwesenden Ordensmitglieder ein, zur Wahl eines neuen Vorstehers zu schreiten. Nach geschehener Wahl ergibt sich, daß Herr Gymnasial- und Studienrector Dr. Heerwagen, mit 17. Stimmen, gegen Eine, seine eigene, zum Ordensvorsteher erwählt worden ist. […] An seine Stelle, wird hierauf H. Regierungsrath Schrodt zum zweyten Ordensrathe, mit 16. Stimmen gegen 3. erwählt […]“

Immer mehr prominente Mitglieder


Bescheiden zu bleiben, ohne den Anschluß an die kulturelle Entwicklung zu verlieren, war weiterhin die Einstellung der Ordensleitung. Doch hatte schon Lösch eine Annäherung an Literaten angebahnt, deren Bedeutung sich in einigen Fällen sogar erst später herausstellte, und Heerwagen gab diesen Bestrebungen in seiner Standortbestimmung und seiner folgenden Mitgliederpolitik um nichts nach.


„Rede beim Antritt der Vorsteherschaft im Pegnesischen Blumen-Orden gehalten von Dr. Heinrich Wilhelm Heerwagen am 2. November 1863“


Hochzuverehrende Versammlung!


[…] Es war [dem vorigen Präses] Bedürfniß, von Zeit zu Zeit fremder Menschen Städte zu beschauen, ihre Sitten und Gebräuche kennen zu lernen, was Kunst und Wissenschaft bei ihnen hervorgebracht, mit eigenen Augen zu betrachten. Nie kehrte er von einem solchen Ausfluge zurück ohne reichen Gewinn für sein Wissen und Empfinden; und da er bemüht war die gewonnenen Eindrücke in bestimmter Fassung bei sich selbst fest zu halten, so zeigte er sich auch stets zu Mittheilungen darüber bereit. Wer erinnerte sich nicht mit lebhaftem Interesse jener belehrenden Vorträge über die Elgins Marbles und über die Wartburg, durch welche der Verewigte noch in dem letztvergangenen Winter, wenn auch schon durch körperliche Anfechtungen heimgesucht, doch die ungebeugte Kraft seines geistigen Lebens so unverkennbar an den Tag gelegt hat! […] Denn unter seiner Vorsteherschaft und auf seine Anregung trat der Orden mit den Koryphäen deutscher Dichtung, Friedrich Rückert, Emanuel Geibel, Paul Heyse, Victor Scheffel in nähere Beziehung […] Dessenungeachtet kam er nie auf den Gedanken, durch Ostentation der dem Orden zufließenden geistigen Erzeugnisse demselben auch äußerlich eine mehr imponirende Stellung verschaffen zu wollen; im Gegentheil er hielt fest an dem Grundsatze, daß sich das wahrhaft Gute auch ohne das Geschrei der Menge in der Stille wirksam erweise und zur Constatirung seines Werthes einer geräuschvollen Anerkennung nicht bedürfe. […] Je weniger das, was wir Ihnen zu bieten im Stande sind, mit den geräuschvollen u. zerstreuenden Genüssen der herrschenden Tagesrichtung gemein hat, desto mehr wissen wir auch die Hingebung zu würdigen, mit welcher unsre prunklosen Leistungen entgegengenommen werden. […] Die Wissenschaft hat ja in unsrem Jahrhundert auf allen Seiten hin ihren Umfang in so wunderbarer Weise erweitert, daß der Einzelne, wenn er noch Etwas leisten will, seine ganze Thätigkeit auf einen Punkt concentriren muß. […] Deutsche Kunst u. deutsche Wissenschaft steht allerwärts, selbst bei jenen Nationen, die unsere politische Bethätigung möglichst niedrig anzusetzen geneigt sind, in höchster Achtung. Wie wäre es möglich, daß unter uns selbst Gleichgültigkeit oder gar Geringschätzung dieser edlen Güter, die unser Stolz u. unsere Zierde sind, überhand nehmen könnte, vollends in einer Stadt, die, wie keine andere, auf jedem Blatte ihrer Geschichte davon Zeugniß gibt, was deutscher Fleiß und deutscher Scharfsinn vermag. […] Die Wissenschaft u. Kunst sind ja nicht mehr privilegirtes Besitzthum einzelner Stände […] und unter den verschiedensten Berufsarten finden wir Männer, für welche unsere Litteratur ein Gegenstand nicht bloß der Unterhaltung sondern ernster und eingehender Studien ist. Für Bestrebungen dieser Art wird der Pegnesen-Orden, der nie exclusiv bloß den Gelehrten-Stand repräsentiren wollte, immer den geeignetsten Mittelpunkt bilden und sein Wachsthum u, Gedeihen beruht viel mehr auf der Erweckung einer allseitig sich entfaltenden Thätigkeit der Mitglieder als auf einem genialen Eingreifen des jeweiligen Vorstandes. […] Aber die Empfänglichkeit u. der Sinn für das Schöne, was unsre Literatur in so reichem Maße darbietet, immer mehr zu wecken, zu nähren u. allgemeiner zu machen, das Alte als klassisch Erkannte immer wieder vorzuführen, das Neue nach seinem wahren Werthe zu würdigen — das kann, das wird für alle Zeit Gegenstand unserer Bestrebungen sein und wenn wir anders von nichtiger Eitelkeit und hohler Ruhmbegierde uns frei fühlen, uns auch volle Befriedigung gewähren. […]


Zunächst sieht es ganz so aus, als wolle man sich auf das Ureigenste zurückbesinnen, denn am 20. November 1863 bietet Realschullehrer Dr. Hauck einen öffentlichen Vortrag über Christoph VII. Fürer von Haimendorf an, den 5. Präses, und Lützelberger referiert gar über ein Geschichtswerk des dermaligen Ordensrates Wagler. Doch am 5. Januar 1864 beginnt der Gymnasiallehrer Dr. Johann Heinrich Wölffel eine Serie von Shakespeare-Vorträgen mit dem „Macbeth“; Pfarrer Heller dilettiert über Naturwissenschaftliches: „Das feurige Männlein, oder erfahrungsmäßiger Beweis, daß es Irrlichter gibt“. Die Vielfalt der Themen besteht fort.


Als es darum geht, die Benutzung des Irrhains wieder etwas zu beschränken, verfaßt Heerwagen einen begütigenden Brief an den Vorstand des Literarischen Vereins, in dem er diesen von den geplanten Beschränkungen ausdrücklich ausnimmt. Die Beziehungen, die schon jeher gut gewesen waren, gediehen unter Heerwagen zu dem Grad, daß er die Einladung zu einer Shakespeare-Feier des Literarischen Vereins im April 1864 als Rundschreiben an Ordensmitglieder weiterreichte. Was aber den Irrhain in jenen Jahren betrifft, erfordert einen Einschub.




Unerwünschte Berühmtheit des Irrhains


„Geschehen am 16. April 1858. ebendaselbst [d.h. „im Bierwirtschafts-Zimmer des H. Deininger“].

[…] 3.) Im Betreff des Irrhainsbesuches durch feiernde Gesellschaft im Laufe des Sommers, beschloß man:

a.) Gesellschaften von einigem Ansehen sollen Erlaubniß zur Benutzung des Irrhains erhalten, und zwar unentgeldlich, Bierwirthe und einzelne Personen dagegen nicht;

b.) Bey Einladungen soll bemerkt werden, daß Erlaubniß zur Benützung des Irrhains gegeben worden sey und so haben die Vorstände der Gesellschaften für jeden durch diese angerichteten Schaden zu haften;

c.) Dem Gärtner ist zu befehlen, daß er Niemandem den Eintritt in den Irrhain ohne erforderliche und vorzuzeigende, schriftliche Erlaubniß gestatte. […]“


Man kam damit einer schriftlichen Ermahnung des Königlichen Landgerichts Erlangen vom 30. Juli 1858 zuvor, „nicht mehr zu gestatten, daß andere Gesellschaften im Irrhain Feste feiern, bei denen eigene Wirte mitgeführt werden, die dann auch an jedermann zum Schaden der Kraftshofer Gastwirte Getränke und Speisen abgeben.“ Es haben sich auch wirklich etliche Bittschreiben von Gesellschaften zur Benutzung des Irrhains aus den Jahren 1857 und 1858 erhalten, und eine Liste der Zusagen, die von 1858 bis 1863 anderen Gesellschaften zu Aufenthalten im Irrhain gegeben worden waren: Es waren siebenundzwanzig! Dabei machte der Irrhain einen mehr und mehr heruntergekommenen Eindruck.


„[…] 4.) Bezüglich der Herstellung des Irrgartens wird von H. Pf. Lauter in Kraftshof ein Brief vorgelesen und darauf beschlossen: es solle

a.) der bedeckte Gang erhalten und eine lebendige Hecke angelegt, [anstelle des verrotteten Zaunes!]

b.) hierzu H. Revierförster zu Kraftshof, Freyherr von Haller, in Verbindung mit H. Pfarrer Lauter, mit Beyziehung eines Sachverständigen, hierzu ein Ueberschlag gemacht [sic] und zur Genehmigung vorgelegt

c.) und Herr von Haller als außerordentliches Ordensmitglied aufgenommen werden,

d.) was aber die Wirthschaft daselbst durch auswärtige Gesellschaften anlangt, so soll es bey dem bisherigen Verfahren sein Bewenden haben. […]“


Friedrich Christian Sigmund Freiherr Haller von Hallerstein ließ sich in zuvorkommenster Weise einspannen (und gab damit späteren Amtskollegen Anlaß zum Kopfschütteln):


Geschehen, Nürnberg, den 18. 7br. 1863. ebendaselbst

 […] 7.) Nach diesem trägt der erste H. Ordensrath, Wagler, vor und theilt mit, daß die Baulichkeiten im Irrhain dem Orden fl. 266. 46 xr. gekostet haben, daß man zur Bestreitung dieser Kosten den Kapitalstock angreifen und fl. 200 baar für 2 Staatsobligationen in diesen Betrag einlösen müßte, die aber wieder erworben werden sollen. Man verhandelte hierauf mancherley über die Verhältnisse des Irrhains, wie derselbige vor Zerstörung gesichert werden dürfte; wie man von den öff. Gesellschaften, die dort sich versammeln für die Erlaubniß hiezu fl. 6 fordern soll und man vereinigt sich zuletzt dahin, daß das Letztere geschehe, und die Gesellschaft in ihren Ankündigungen der Erlaubniß Erwähnung thun, und daß H. Ordensvorsteher das Weitere mit dem H. Revierförster, Freyh. v. Haller, in Kraftshof das Weitere berathen und hierüber in der nächsten Monatsversammlung Bericht zu erstatten und Entschlüße zu veranlassen die Güte haben möge.


Die Mühlen mahlten aber langsam. „Nürnberg, den 20. October 1865. ebendaselbst

[…] 6.) Bezüglich des Unfugs, der im Irrhain durch Eindringlinge und den Gärtner getrieben wurde, und zur Kenntniß des Ordens gekommen ist, beschließt man:

a.) Daß mit nächstem Frühjahr in mehreren, öffentlichen Blättern zu Nürnberg und Fürth die Erklärung eingerückt werden soll, daß die Benützung des Irrhains den Gesellschaften und Vereinen nur nach vorgängig-erholter Erlaubniß und Erlegung von fl. 6. gestattet ist und daß dem sogenannten Gärtner durchaus zu untersagen ist, ein Eintrittsgeld zu fordern, weil er für seine Mühe vom Orden entschädigt wird;

b.) Daß dem Gärtner das Gewissen zu schärfen ist, ihm aber zugleich die Zusage zu machen, daß er von den fl. 6., welche die Vereine zahlen, die Hälfte bekommen soll;

c.) Daß an das Thor des Irrgartens ein neues Schloß angebracht, H. Revierförster v. Haller aber ersucht werden soll, den Schlüssel in Verwahrung zu nehmen und ihn nur gegen Vorzeigung eines Erlaubnißscheines an den Gärtner auszuhändigen. […]“


Der Sinn dieser Maßnahme hing jedoch davon ab, daß die Umfriedung dicht war. Davon später.




Mitgliederpolitik, fortgesetzt


„Geschehen am 16. December 1864. ebendaselbst

[…] 2.) Darauf liest H. OV das Antwortschreiben des H. Prof. p. v. Kobell an ihn vor, in welchem er sein Vergnügen ausdrückt, in den Orden als Ehrenmitglied aufgenommen zu werden. Zugleich zeigt Kobell an, daß auch H. Graf von Pocci sich eine Ehre daraus machen würde, dem Orden in gleicher Weise anzugehören. Beyde werden hierauf als Ehrenmitglieder aufgenommen und es sollen ihnen mit Nächstem die Diplome, die H. Prof. Eberlein mit Randzeichn[ung]en zu versehen, sich gütigst erboten hat, zugeschickt werden.

[…] Geschehen am 20. Januar 1865. bey Errmann

[…] 2.) Sodann liest der Herr OV die auf die Sendung der den Ehrenmitgliedern H. Gf. Pocci und Prof. Dr. von Kobell ausgestellten Diplome eingelaufenen Danksagungs-Schreiben, denen die Photographien dieser Herren beygeschlossen waren nebst einigen ihrer herausgegebenen Werke […Dr. Franz Ritter von Kobell war Mineraloge und Schriftsteller („Sandner Kasper“), Dr. Franz Graf von Pocci u.a. der Schöpfer des bayerischen Kasperlspiels…]


Die Photographien werden dem Album, die Bücher der Büchersammlung einverleibt und den Gebern schriftlich dafür gedankt.


[…] 4.) H. OR Schrodt theilt ein Antwortschreiben von Wien mit, in welchem über den zum ordentl. Mitglied vorgeschlagenen H. Schlöß kein günstiges Urtheil enthalten ist. OV liest einen Brief an H. Rechnungs-Rath Krauß in gleichem Betreff vor. Man beschließt, über Schlöß nicht abstimmen zu lassen. […]“

Schon am 10. 5. 1847 war Dr. Hans Philipp Werner Freiherr von Aufsess, der Gründer des Germanischen Nationalmuseums, als ordentliches Mitglied aufgenommen worden. Das Museum besteht seit 1852, und die Beziehung zum Orden bestanden u.a. in der Übersendung der „Beylagen zum Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit“, wie sie für die Nummern 7 und 8 der Reihe für den 10. Oktober 1865 bezeugt ist. Vom Blumenorden war es zu dieser Zeit Wagler, der über die Vorgeschichte dieser Gründung Auskunft geben konnte, wie er denn überhaupt sehr an bildender Kunst interessiert war.


 „Geschehen am 16. Februar 1866. ebendaselbst. […] 2.) Darnach erwähnt H. OV des höchst-bedauerlichen Ablebens, des ersten Ordensrathes H. Theodor Wagler’s, dem zu Ehren ein von H. Dr. Göschel zu verabfassendes Denkmal gedruckt werden soll.

3.) Man schreitet fort zur Wahl eines neuen Ordensrathes und es fällt dieselbige einstimmig auf den H. Stadtbüchner Lützelberger, der sie dankbar annimmt.

4.) H. OV verkündiget hierauf, daß den Orden durch den Tod des H. Friedr. v. Rückert, ein ausgezeichnetes Ehrenmitglied verlassen hat.“


Denkschrift auf das entschlafene Mitglied und den Rath des Pegnesischen Blumenordens, Herrn Eberhard Theodor Wagler, Privatmanns, geschrieben im Namen und Auftrag des Ordens von Dr. Johann Philipp Göschel, prakt. Arzt. Nürnberg. Wilhelm Tümmel’s Buchdruckerei. 1866.

Der 28. Januar 1797 war der Tag, an welchem unser edler Freund das Licht der Welt erblickte, als erstes Kind des damaligen Stadtgerichtssekretairs Georg Andreas Wagler, gebürtig aus Nürnberg, und dessen Ehegattin, Frau Marie Margarethe, einer gebornen Hagemann aus Eurichshof bei Rentweinsdorf. […]


„Meine Liebe zur Kunst wurde von einer liebenden Mutter, die in ihrer Jugend selbst sich mit Blumenmalerei aus der Dietschischen Schule beschäftigte, geweckt. Ich empfing den ersten Unterricht im Zeichnen als Knabe in der Zwinger’schen Zeichenakademie, die noch aus der Preißler’schen Kunstschule hervorgegangen war, und widmete mich dem Handelsstande. In diesem Berufe wurde zwar die Pflege der Kunst, aber nicht die Neigung zu ihr beseitigt; sie blieb wach und wurde in spätern Jahren durch den Umgang mit Künstlern, als dem Thiermaler J. A. Klein, dem Kupferstecher Fr. Geißler u.a., welche meine Freunde wurden, erkräftigt. […]“


Größere Ausflüge, von welchen auch noch Aufzeichnungen vorhanden sind, machte er theils allein, theils von wenigen gleichgestimmten Freunden begleitet, in die fränkische Schweiz, ins Fichtelgebirg, wo er die Kössein bei Wunsiedel bestieg, in die Schweiz und an den Bodensee, nach Thüringen, wo er besonders die Wartburg und Weimar besuchte, an den Rhein und dessen malerische Umgebungen, an die bayrischen Alpenseen, […] etc., endlich nach Hamburg und Kiel 1863, welches wohl sein letzter Ausflug gewesen sein dürfte.


[…] So finden wir Schilderungen seines Besuches der gräfl. Schönborn’schen Gallerie zu Pommersfelden, der Gallerien in Dresden und München, der Glyptothek daselbst, dann kleinere, aber ebenso gediegene Arbeiten über den schönen Brunnen, die Karthause in Nürnberg u.a. […] Ebenso anziehend erscheint uns sein Bericht über die Karthause, deren Entstehung durch Mendel um das Jahr 1382, ihre Erweiterung in späterer Zeit, so über deren nahen Verfall durch vandalische Zerstörung eines Theils derselben, und endlich sein  Bericht über deren Abgabe an das germanische Museum und dessen würdigen Gebrauch in anerkennenswerther Pietät, so wie auch über Kaulbachs edles Geschenk, dessen Frescobild:


Otto III. im Grabgewölbe Carls des Großen. […]


Eine monochrome Kopie dieses verlorenen Freskos schmückt seit 2014 die ehemalige Eingangshalle zum Zeugnis der Frühzeit des Museums und seiner Ausrichtung.


„5.) Sodann beschließt man, daß die nächste, öffentliche Versammlung am Montag den 5. März l. J. statt finden soll. Zu derselbigen werden vortragen:

a.) H. OR Schrodt: „Reiseerinnerungen an Oberitalien (Lago maggiore, Genua, Mailand, Verona, Venedig, Triest.) Fortsetzung und Schluß“ […]

6.) Zum Beschluße tragen vor:

[…] c.) H. OR Schrodt: Ein Gedicht von Felix Dahn auf Friedr. Rückert, aus der A.[ugsburger] A.[llgemeinen] Zeitung […]“


Schrodt reist mit dem Baedeker in der Tasche, scheint ihn zum Teil in seinem Bericht abgeschrieben oder inhaltlich wiedergegeben zu haben, und vieles an seinem Text ließe sich noch heute als Anregung für Besichtigungen verwenden. Wo seine Schilderungen einzigartig bzw. zeittypisch sind, geben sie auch über die Mentalität in Blumenorden Auskunft.

Verehrte Anwesende,


Als ein einfacher Berichterstatter über meine Wahrnehmungen und Erlebnisse während eines Ausflugs, den ich durch einen Theil von Oberitalien in der Zeit v. 8t Aug bis 11t Septbr des Jahres 1864 über Wien zurückkehrend unternahm habe ich versucht, eben nur dasjenige wiederzugeben, und in meinem Tagesberichte niederzulegen, was ich ohne ein Gelehrter zu sein, mit gesundem Sinne sah und beobachtete. […]


IV. […] häufig war die Straße unter Wasser, und endlich am Lago di Riva war die Brücke über einen Gebirgsbach abgerissen, man mußte aussteigen, sein Handgepäck an sich nehmen, über Ufergeröll mühsam in der Sonnenhitze des Mittags zu bereit gehaltenen Barken gehen, und sich an das andere Ufer fahren lassen, nachdem man den unverschämten Fährleuten einen tüchtigen Fahrpreis nach manchem Unterhandeln gezahlt hatte. Ohngeachtet nun an der niederen hölzernen Brücke höchstens ein paar leicht wiederherzustellende Pfeiler gebrochen waren, so sah man noch gar keine Anstalten zur Beseitigung dieses Verkehrshindernisses auf der so lebhaften Straße, wahrscheinlich weil es Sonntag war, und ohne Zweifel, weil auch von den herumlungernden Lombarden den Reisenden für das Hinüberschaffen etwas abgenommen werden konnte, denn wie ich am Comer See hörte dauerte es noch mehrere Tage bis diese einfache Ausbesserung zu Stande gebracht war.


Man stelle sich vor: Für einen Nürnberger dieser Zeit war es selbstverständlich, daß auch am Sonntag eine Brücke unverzüglich zu reparieren war.


Nachdem der pseudo Grieche mit seiner Geliebten, welcher sich auf unsere Plätze eingedrängt hatte nahezu mit Gewalt und unter Zuhilfenahme des Postconducteurs wieder hinausgeschafft und in einem unbequemeren Omnibus nicht ohne leidenschaftliche Aus-[V]brüche des Zornes verwiesen war, wurden wir endlich flott und setzten unsere Fahrt ungestört bis Colico fort […]


IX. […] wurde ein Nachen mit zwei Ruderern genommen und der Villa Carlotta ein Besuch abgestattet, welche in südwestlicher Richtung von Bellagio liegt und in einer guten Viertelstunde erreicht wurde; früher Villa Sommariva nach dem Vorbesitzer genannt, ist sie jetzt im Besitze des Erbprinzen von Meiningen als Erbe seiner verstorbenen Gemahlin der preußischen Prinzessin Charlotte. […]


X. […] In Majolica ließen wir uns wieder absetzen und besichtigten uns von Außen die Villen und Gasthöfe wollten es jedoch bei Genazzini gemütlicher und nicht so luxuriös auch von Engländern und Franzosen frei finden. […] und trafen unseren […] Hofrath Foerster einen Veteranen aus den Freiheitskriegen mit Neffen wieder wohlauf; […] Hier muß ich nun eine Episode machen, und nochmals auf den Abendtisch im Gasthaus zum Splügen zurückkehren, wo wir zwischen dem alten und jungen Herrn in der Mitte sitzend eine angehende Zwanzigerin mit lebhaftem Blick angenehmen Gesichtszügen wohlgefärbtem Teint uns gegenüber an der Tafel erblickten, welche bald deutsch, bald italienisch sprach, sich besonders aufmerksam gegen den alten Herrn benahm, aber auch mit dem jüngeren scherzte, so daß wir sie beinahe als die Verlobte desselben betrachten konnten. Doch fiel uns auf, daß sie eine Trientinerin von Geburt, von Deutschland nichts wissen wollte, für Garibaldi schwärmte und gleich gut deutsch und italienisch sprach. Bei der Fahrt über den Splügen befand sie sich mit den beiden Herren Foerster in einem besonderen Beiwagen und war äußerst lustig, doch schien sie mir dabei auch ihr Augenmerk auf die 4 jüngeren Engländer gerichtet zu haben, welche das Verdeck unseres Wagens besetzt hatten; in Chiavenna nahm sie zärtlich von den beiden Herren Abschied indem sie versprach bald nachzukommen, doch warten sie vielleicht heute noch auf sie, auf den Ersatz der Reisekosten von Chur aus, wo sie ihnen von einer englischen Familie empfohlen wurde, und auf einen kleinen Vorschuß von ewa 30 Frs. Wir lachten die Herren aus, daß sie sich von dem einschmeichelnden Wesen der Südtirolerin, die allerdings nicht ohne Bildung war, so hatten einnehmen lassen; erinnere ich mich noch, so war sie dem Oberkellner bei Genazzini als eine Schwindlerin bekannt. […]


Grundsätzliches Mißtrauen gegen Ausländer fühlt sich gerne bestätigt, Gereiztheit gegenüber Engländern und Franzosen aus Minderwertigkeitsgefühl. Deutschland ist noch keine Nation.


XIII. […] Der sehr zuvorkommende Wirth Seyschab ein Landsmann aus Lohe unweit von hier verschaffte uns einen von den […] am Ufer vor dem Hôtel liegenden Ruderkähnen und wir segelten auf dem herrlichen See der einen der Borromäischen Inseln, der Isola Bella, welche beim Näherkommen sich in ihrem terrassenartigen nicht vollständig bewachsenen Aufbau etwas steif ausnahm, zu. […] Hier und da störten aber die Statuen und Grotten des Zopfstyles. Viel mehr ziehe ich die nicht weit davon liegende Isola Madre vor, bei welcher die Kunst lediglich der Natur nachgeholfen hat […] Auf diese Insel möchte ich befriedigter den geschmückten Thron des Frühlings nach Jean Paul verlegen. […]


XIV. […] Auf dem Dampfbote [sic] trafen wir einen schon im Gasthof bemerkten äußerst vornehm thuenden preußischen Beamten mit seiner wie es schien neuvermählten hübschen Gattin, er sah auf Alle mit Verachtung herab im Bewußtsein des Großmachtthums, war äußerst einsylbig und bewährte bei späteren öfteren Zusammentreffen stets denselben kalten Gesichtsausdruck. […]


XXI. […] Montag 29t August

Die Eisenbahnfahrt von Mailand nach Verona, die wir früh Morgens antraten, und wobei wir vor dem Einsteigen Gelegenheit hatten, die Geräumigkeit und Zweckmäßigkeit des nicht in die Höhe ragenden sondern sich in die Länge ausdehnenden Baues dieses so wie aller anderen italienischen Bahnhöfe zu bewundern, […] Von da ab [Brescia] verließen wir die Berge und näherten uns den aus den jüngsten Kämpfen her blutgetränkten Gefilden, von Weitem sahen wir den Hügel von Solferino, den die Oesterreicher vergeblich zu erstürmen versuchten. […] Mitten aus dem Zauber [des Gardasees]


XXII. wurden wir durch die Paßplackereien und Gepäckschnüffeleien der österreichischen Mauthbediensteten gerissen, denn nicht nur, daß der eine dieser Zöllner als ich lange wartend auf meinen unter vielen Gepäcken liegenden Koffer hinwies zu mir in barschem Ton ohne alle Ursache sagte, wir können denselben doch nicht hertragen, was ich auch nicht verlangte, da mehrere Gepäckträger zu ihren Diensten standen, so wurde man bei Aushändigung der Pässe in einem engen Gang zusammengepfergt und mußte in der Hitze warten und aufhorchen bis im schlechtesten Deutsch der Paßname verlesen und der Paß selbst von Hand zu Hand behändigt wurde, wobei natürlich viele Irrungen mitunterlaufen können; eine schlechtere Einrichtung ist bei der Masse der Reisenden kaum irgendweo anders als in Oesterreich zu treffen, wo sowenig auf den Fremden Rücksicht genommen wird; kein Wunder daß sich die Oesterreicher auch durch solche Ungeschliffenheit gegenüber dem höflichen Benehmen das an der Grenzstation Desenzano sein soll, noch mehr verhaßt machen als sie schon sind; es wurde auch der Unwille, der über die ganze Procedur herrschte, allgemein; man schämte sich hier fast ein Deutscher zu sein, und ein fein gebildeter italienischer Geistlicher machte seinem Unmute nur durch ein feines sarkastisches Lächeln mit wenig Worten, die treffend das veraltete System und den österreichischen Groll kennzeichneten, Luft. […]


XXIV. […Auf einem Beiblatt zitiert er ein Gedicht von Perzico über einen Vorfall bei der Überschwemmung Veronas von 1557. In der Mitte der Ponte delle Navi stand ein Turm, der einzig noch stehengeblieben war und in dem der Türmer und seine Familie verzweifelnd nach Rettung schrien. Marchese Giovambatista Spolverino setzte ein Preisgeld für die Rettung aus, und Bartolomeo Kabele aus dem Valpantena gelang sie mithilfe von Stricken und Leitern, die eine Verbindung zum Turm herstellten und die Leute herauszuholen ermöglichten, bevor der unterspülte Turm zusammenstürzte. Das ist die Fabel der Bürgerschen Ballade vom braven Mann, aber das scheint Schrodt nicht zu wissen.]


XXXI. […] Nach dem Essen wurde an dem schwülen Abend noch ein Spaziergang auf der sehr belebten Riva Schiavonni gemacht, wo Polichinelli jedoch eben so schlecht wie bei uns zu sehen waren, und wo wir noch einige Einkäufe von photographischen Ansichten Venedigs machten. […] Um 11 Uhr an den Bord des Dampfschiffes […] da alle Plätze auf den Diwans der Kajüte besetzt waren so nahmen wir auf den am Boden liegenden Matrazzen Platz um einige Stunden zu ruhen. […] Den einzigen Nürnberger während der ganzen Reise traf ich hier auf dem Verdeck einen angehenden Studenten Merkel. […]


Beiblatt zu XXXII. […] Die Adria verbindet die Welttheile, — und mit den beiden Geburtsstätten u. Wohnsitzen der alten klassischen Kultur, Griechenland und Rom an ihren beiden Ufern, bildet dieselbe für den Forscher ein unerschöpfliches Gebiet.


Dieses ist, was der Stadt [Triest] einen so eigenthümlichen Charakter verleiht. Die Trachten des Morgenlandes bevölkern ihre Straßen mit allen Arten von bunten Kopfbedeckungen, geflickten Jacken und weiten Hosen. Da ist der Turbanträger und der Feßträger. Da ist der ritterliche Montenegriner mit seinem Dolch und Pistol im Gürtel […], da ist der Dalmatiner, der Albaneser […] der Halbasiat, der Grieche und der Türke, einander sehr ähnlich in ihrem Aussehen, und voneinander nur unterschieden durch ihren größeren oder geringeren Schurz und ihre Sprache. […] Obgleich das Leben der Stadt einen italienischen Charakter und Anstrich hat, so ist es doch gewiß jedes verständigen Deutschen Meinung, daß Deutschland die Pflicht habe, diese Stadt zu halten und daß es sie unter keinen Umständen, selbst den allerschwierigsten nicht, aufgeben kann, als seinem letzten und bedeutendsten Außenposten gegen den Süden und das südliche Meer.


Wenn gleich Triest seine Gründung, Blüthe und ganze Existenz Oesterreich zu verdanken hat, so ist das Interesse an dieser zum Gebiete des deutschen Bundes gehörenden Stadt doch nicht blos ein österreichisches, sondern auch vorzugsweise ein deutsches.


XXXIII. […] Hoffnung, daß wir schönes Wetter und Beleuchtung über den Semmering bekommen würden […] das Großartige des Baues und der Umgebung zu sehen; vom Fahren und von dem beständigen Betrachten des vielen Großartigen und Interessanten was sich auf dieser Bahn darbot, etwas ermüdet langten wir in Wien an, und da Hebbels Nibelungen gegeben wurde, durften wir es uns doch nicht versagen, diese herrliche Schöpfung mit trefflicher Besetzung worunter Hebbels Witwe als Brunnhilde zu sehen; wir rafften unsere Kräfte zusammen, und bereuten es nicht, da bei solcher Aufführung jede Müdigkeit verschwand.


[…] so beschränke ich mich darauf, zu erwähnen, daß ich während meines sechstägigen Aufenthaltes noch Richard I von Shakespeare Deutsche Komödianten und die Stumme von Portici im Hoftheater, dann das Lustspiel „Eine leichte Person“ im Theater an der Wien sahen [sic] […]


Nach einer Nachtfahrt bei der Abreise Abends 5 Uhr von Wien langte ich früh 7 Uhr wohlbehalten in Nürnberg […] an. Albert blieb des Theaters wegen noch ein paar Tage länger in Wien.


Theaterbegeistert war man jedenfalls. Wie war man situiert?


„Herr Franz Joseph Gottlieb Leopold Schrodt, kgl. Regierungs-Director dahier, wurde am 8. August 1808 in Nürnberg als der zweite Sohn des kgl. Hofgerichtsrathes Hrn. Franz Schrodt und seiner Ehegattin, Frau Maria geb. Freiin von Löffelholz von hier, geboren.“ Der verstarb Vater früh, die alleinerziehende Mutter  von 2 Töchtern und 2 Söhnen sorgte dafür, daß der ältere ins Kadettenkorps kam, der jüngere in „Pension“ bei Pfarrer Wilder. Dadurch und von seiner protestantischen Mutter her hatte er eher protestantische Anschauungen, obwohl er äußerlich als Sohn eines katholischen Vaters katholisch blieb. Er studierte in Erlangen, Heidelberg und München. „Die Freundschaft seiner Mutter mit dem angesehenen Hause des Rittergutsbesitzers Albrecht von Wahler öffnete ihm den Zutritt in diese an reizenden Töchtern reiche Familie, und Valerie war der Name der körperlich und geistig reichbegabten Jungfrau, welche dem liebenden, und verehrenden Jüngling Herz und Hand als treueste Gefährtin des Lebens reichte. Am 28 Mai 1838 schloß der inzwischen zum kgl. Regierungssekretär Baireuth ernannte glückliche Bräutigam den Bund ehelicher Liebe und Treue, der ihn so hoch beglückte und dessen Lösung durch den Tod der edlen Gattin der Anfang seines eigenen Sterbens war. Nur ein theurer Sohn, der nunmehrige kgl. Stadt- und Landgerichtsassessor; Hr Albert Schrodt, erblühte den liebenden, glücklichen Gatten, welche gerne ihre erste Wohnstätte in Bayreuth im Jahre 1840 mit der Vaterstadt vertauschten […] Die in der geliebten Vaterstadt auftretenden gemeinnützigen Bestrebungen fanden an ihm einen stets bereiten Freund und Förderer, und insbesondere wirkte er gerne im pegnesischen Blumenorden, dem er bis an sein Lebensende ein reges Interesse zuwandte. Hierin stand ihm seine geistig reichbegabte Gattin anregend treu zur Seite. Wer gedenkt nicht gerne jener schönen Abendstunden, wo nach geschlossener Vorlesung ein auserwählter Kreis aus beiden Geschlechtern sich noch an frugaler Tafel zu gemütlichem Beisammenseyn vereinigte. Wenn dann Sie nach vorausgegangener Einleitung ihres Gatten sich erhob und mit stets steigender Wärme und dem Wohllaut ihrer sympathischen Stimme in schöner poetischer Form ihre sinnigen, beziehungsreichen Dichtungen frei und mit weiblicher Würde vortrug, dann verbreitete sich über die Versammlung ein Gefühl höherer Weihe das zu würdiger Entgegnung u. Geistesblitzen herausforderte, die eine eben so heitere, als wohlthuende Stimmung verbreiteten. […] nach einigen Jahren trat bei dem seither so rüstigen Gatten eine merkliche Verstimmung des Nervensystems ein, die ihm die frühere Lebensfrische und Spannkraft raubte.“ 1872 starb Valerie. Das Stadtkommissariat wurde aufgehoben, und das war der Anlaß für ihn, in den Ruhestand zu gehen. Der Sohn wurde dienstlich nach Fürth versetzt und heiratete 1874 Bertha Heller, die Tochter seines Jugendfreundes. Er selber hatte 1876 den ersten Schlaganfall, der ihn lähmte, und er starb an einem Gehirnschlag am 18. Mai 1877.


Einstweilen beteiligt sich Franz Schrodt auch an Vereinsangelegenheiten: „[…] 5.) Es legt sofort der Ordens-Schriftführer die Rechnung für das Jahr 1865. ab, die abschließt: […] Die Rechnung wird von den Herren Mitvorständen und anwesenden Ordensmitgliedern [alle zusammen 17] mit dem Vorbehalte anerkannt, daß bey der Rechnung für 1866. hundert Gulden baar in Einnahmen und fl. 6. 22 xr. Zinßvergütung in Ausgabe gestellt werden, wogegen sich der Vermögensstand von fl. 800 auf fl. 700 abmindert.

6.) H. OR Schrodt beantragt hierauf, daß die Jahres-Geldbeyträge erhöht werden sollen worüber aber in der nächsten Monatsversammlung Beschluß gefaßt und allen Mitgliedern in einem Umlaufschreiben hiervon Kenntniß gegeben [werden] soll. […]“


Wenn man Schrodt als repräsentativ für die Führungsschicht in Nürnberg halten mag, ließen seine Bemerkungen im Reisebericht nicht auf große Sympathien der Nürnberger für Österreich, aber ebensowenig für Preußen schließen. Am 11. Mai war klar, daß Bayern, wie die meisten Mitglieder des von Schrodt in Triest als deutsche Macht bezeichneten Deutschen Bundes,   an der Seite Österreichs gegen Preußen in den Krieg ziehen werde. Im Juli hatte man die Preußen vor Nürnbergs Toren. Der Blumenorden machte sich Sorgen um seine Archivalien:


„Geschehen am 20. Juli 1866. auf dem Wöhrderthorzwinger.

Auf den Antrag und die Bitte des Ordensschriftführers: es möge das Archiv und die Bibliothek des Ordens in die Räumlichkeit der Stadtbibliothek gebracht werden und dem Ordensrath und Stadtbibliothekar H. Lützelberger zur Beaufsichtigung übergeben werden, wurde einstimmig beschlossen:

,Diesem Antrag und dieser Bitte sey zu willfahren.’

Herr Bibliothekar versprach, deßhalb beym Magistrat die Erlaubniß zu dieser Ueberführung des Archivs und der Bibliothek einzuholen und nach Erlangung derselben, die Aufsicht zu übernehmen. Sollte der Orden sich dereinst auflösen, so soll beydes der Stadtbibliothek einverleibt werden. […]“


Das klingt ein wenig wie der berüchtigte Satz des Satiremagazins Pardon für den Fall eines Atomkriegs: „Wenn die Sirenenmasten verdampft sind, wird Entwarnung durch Anschlag am Bürgermeisteramt bekanntgegeben.“


Im Wirklichkeit kam die Stadt bei den Feindseligkeiten von 1866 noch gut davon. Das Neueste wurde schon bald Gegenstand von Vorträgen:


„Geschehen am 26. 8br. 1866. ebendaselbst

[Anmeldung von Themen für die öffentlichen Vorträge:] 5.) […] b.) H. Pf. Heller: „Die Occupation Nürnbergs durch die Preußen.“ […]

9.) Vorgetragen wird:

a.) Von OR Seiler: „Eine Apostrophe an die Preußischen Herren Officiere, denen seine Festrede nicht gefallen hat; […]“


Eine durchgehends antipreußische oder gar anti-norddeutsche Stimmung kann aber nicht geherrscht haben, denn Themen aus diesem Bereich, bearbeitet von Karl Wilhelm Rehm, nehmen nach wie vor in den Veranstaltungen erklecklichen Raum ein (von ihm selbst geschätzte Vortragsdauer etwa 90 Minuten), etwa „Luise. Königin von Preußen. Lebens- und Charakter-Skizze“, „Grundzüge für das Lebens- und Charakter-Bild des Ministers Freiherrn vom Stein. […] 1865“, „Justus Möser. Eine Skizze seines Lebens und Wirkens“ (angekündigt für die öffentliche Sitzung vom Herbst 1866). In derselben Veranstaltung ließ er sich auch vernehmen zum Thema „Der Beruf der Frauen“, wozu er äußert: „Die Gegenwart zielt in allen Richtungen mehr nach Zersetzung und Ausebnung als nach Befestigung u. Erhaltung der gesellschaftlichen Zustände. […] In den Lebensfragen der Familie, der Gesellschaft, des Staats u. der Kirche machen sich entgegengesetzte Anschauungen geltend, die kaum eine friedliche Lösung erwarten lassen. […] Ein solcher Gegensatz ist der organische Gegensatz der beiden Geschlechter, als der beiden großen Abtheilungen der lebendigen Welt, und das hierauf beruhende sociale Verhältniß derselben. […Es folgen umfangreiche Quellenangaben. Die Schöpfungsgeschichte der Bibel wird zitiert als Geschichtsquelle. Es läuft auf Unterordnung hinaus, auch bei den Germanen, im Mittelalter und in der bürgerlichen Gesellschaft.] Mit leichtfertiger Frivolität waren die radicalen Emancipationsheldinnen in das Labor der Literatur eingerückt und hatten mit dem Schmerzensrufe der Unbefriedigung den Fehdebrief gegen die ganze Gesellschaft geworfen. [etc.]“ Man konnte also eine kultivierte Dame wie Valerie Schrodt gleichsam auf Händen tragen, aber in bezug auf Gleichstellung entrüstet reagieren.


Pfarrer Heller hat ihm 1871 einen schönen Nachruf geschrieben, aus dem hervorgeht, daß er nicht mehr und kaum etwas anderes geleistet hat als heutige kultivierte Damen. Er wurde am 5. November 1805 in Meinheim bei Gunzenhausen als Sohn eines Pfarrers geboren, studierte in Erlangen, wurde Mitglied der Burschenschaft Germania (nun gut, das war das Undamenhafte); nach Studienabschluß Assessor am Landgericht Pleinfeld, 1846 Landrichter in Hersbruck, 1850 Oberstaatsanwalt in Amberg. 1851 unternahm er eine Reise nach London zur Weltausstellung; wegen nervlicher Belastung erkrankt, wurde er nach Genesung Vorsitzender des Geschworenengerichts in Regensburg, 1853 in Bamberg, 1860 Direktor des Bezirksgerichts in Augsburg. 1863 ging er wegen Überlastung in den Ruhestand und zog nach Nürnberg. Dort beteiligte er sich „bei den verschiedenen wohlthätigen Vereinen, in deren Ausschuß ihn ein ehrendes Vertrauen berief, wie z.B. in den Ausschuß des germanischen Museums, des Rettungshauses für verwahrloste Kinder, der Blinden-Erziehungsanstalt, des Vereins zur Besserung entlassener Sträflinge und des evangelisch-lutherischen Centralmissions-Vereins.“

Von der Spannweite der Vorträge im Jahr 1866 kann man sich einen besseren Begriff machen, wenn man zwei weitere Themen ins Auge faßt: „Elegie auf Napoleon I.“, vorgetragen am 23. Oktober von Sigmund Merkel, dem Magistratsrat und Apotheker „Zum Mohren“, sowie „Indische Sinnpflanzen und Blumen zur Kennzeichnung des indischen vornehmlich Tamilischen Geistes“, ein Referat, das Pfarrer August Ferdinand Lösch, Sohn des verstorbenen Präses, am 5. Oktober 1866 hielt, über ein 1865 in Erlangen erschienenes Buch des Direktors der Leipziger Missionsgesellschaft, Dr. Graul. Es war in derselben Sitzung, aus der sich gleich zu Anfang Bibliothekar Lützelberger und Pfarrer Seiler entfernten, „um auf geschehene Einladung der heute Statt findenden Feier des 25sten Stiftungstags des literarischen Vereins als Vertreter des pegnesischen Blumenordens beizuwohnen“.


Das denkwürdige Jahr 1866 endet für den Blumenorden mit der Aufnahme einiger gesellschaftlich hochstehender Mitglieder, an denen sich seine öffentliche Bedeutung emporranken konnte:


„Geschehen am 21. December 1866. ebendaselbst

[…] 2.) wurden zu ordentlichen Ordensmitgliedern einstimmig aufgenommen:

a.) Herr Karl Euler-Chelpin, k. b. Oberpost-Meister, Ritter 1. Kl. des Verdienst-Ordens v. h. Michael, Officier des Griechischen Erlöser-Ordens, Ritter 1. Kl. des Großherzoglich Hessischen Ludwigsordens und Inhaber des Preußischen Stanislaus-Ordens mit Stern 2. Klasse;

b.) Herr Lothar von Faber, Fabrikbesitzer [Bleistifte!], k. b. Reichsrath, Ritter des Verdienst-Ordens der Bayerischen Krone und Ritter 1. Kl. des Verdienst-Ordens vom h. Michael, und

c.) Herr August von Kreling, k. b. Director der Kunst-Gewerbeschule, Ritter des Verdienst-Ordens der Bayerischen Krone, Ritter 1. Kl. des Verdienst-Ordens vom h. Michael und Inhaber der goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft von Hannover. […]“

Da diese freilich nicht die einzigen Neumitglieder waren, brauchte man wieder einmal neue Drucke der Satzung. Eine besondere Veranlassung, am Text etwas zu ändern, lag nicht vor, doch gab es einige Klarstellungen einer bereits geübten Praxis. So wurde in Punkt XII. formuliert: „Die Versammlungen, welche der Blumenorden veranstaltet, sind

1) nicht öffentliche, bei welchen bloß die Mitglieder Zutritt haben,

2) öffentliche, an denen jeder Gebildete Theil nehmen kann.“

Punkt XIII. präzisiert den Ablauf der nichtöffentlichen Sitzungen und ergänzt: „Auch das Programm der nächsten öffentlichen Sitzung wird hier regelmäßig festgestellt.“ Satzungsmäßig verbrieft wird über die Angabe in der Satzung von 1853 hinaus in Punkt XIV. die Vorbereitung und Durchführung der öffentlichen Sitzungen: „In den Monaten November bis April findet je eine öffentliche Versammlung Statt, in welcher Vorträge von Mitgliedern gehalten werden. Diejenigen, welche etwas vorzutragen gesonnen sind, haben den Ordensvorsteher womöglich 4 Wochen vor der betreffenden Versammlung mit Angabe des Gegenstandes hievon in Kenntniß zu setzen. Für die Reihenfolge der Vorträge ist im Allgemeinen die Zeit der Anmeldung maßgebend.“ Die übrigen Punkte bleiben inhaltlich unverändert. Die gesamte Revision wird in den nichtöffentlichen Sitzungen vom 18. Januar bis zum 23. April 1867 geradezu routiniert durchgezogen.

Der fünfköpfige Ausschuß nach Punkt VII. hat gewählt zu werden, und am 17. Mai 1867 fällt die Wahl „durch offene Beystimmung auf die H. Ordensmitglieder Oberpostmeister, Euler-Chelpin, Pf. Haller [muß Heller heißen, weil keiner der Haller im Orden jemals Pfarrer war; aber Seiler bekommt das nicht mehr so mit], Dr. Solger, Dr. Mehmel und Dr. Beckh, welche sämtlich die Wahl annahmen.“ Bei diesem Dr. Beckh handelt es sich um das erste Mitglied, welches Heerwagen aufgenommen hatte, und um seinen Nachfolger als Präses.


Nun bräuchte man eben noch ein stetiges Vereinslokal, aber damit sieht es schlecht aus. In den Sommermonaten hatte man sich in einem Zwingerhäuslein der stückweise vermieteten Stadtbefestigung versammelt, aber der Besitzer Häußler will den Freitag nicht mehr zugestehen. Die Schwester Valeries, Fräulein Natalie von Wahler, bietet ihren Gartensalon an. 1866 und dann wieder 1870 kommt für diese sommerlichen Treffen der Wöhrdertor-Zwinger ins Gespräch. Dieser wird 1871 abgerissen. Die nichtöffentlichen Versammlungen des Winters finden längere Zeit bei dem Wirt Errmann oder Ermann statt, nachdem man die Lokale Lotter, Deininger, Blaue Glocke, Goldener Reichsadler und die Wirtschaft Zum Auge wieder verlassen hat; das geht bis 1874 so, aber in diesem Jahr ändert sich ohnehin manches.


Negges geht es mittlerweile wirklich schlecht.


„Paris, d. 4. Aug. 1867

Hochgeschätzter Herr Präses!

Hochverehrter Herr Rector!

[…] Ich habe mit Befriedigung aus den öffentlichen Blättern erfahren, daß der Orden sich bei der Subscription zu Gunsten des verdienstvollen Dichters Freilingrath [sic] mit einem namhaften Betrage betheiligte, wodurch der erfreuliche Beweis geliefert wurde, daß unser — früher vielfach verkannter Verein — in letzterer Zeit, unter einsichtsvoller Leitung sich nicht mehr mit dem ,stillen Wirken’ begnügt, sondern die früher allzu enge gesteckten Grenzen erweitert und — seiner schönen Aufgabe bewußt, einem größeren und fruchtbringenderem Ziele zusteuert. […]

[…] daß auch ich — obgleich nicht politisch Verbannter — doch insofern ein unfreiwillig Exilirter bin, als ich, ungeachtet aller gemachten Anstrengungen keine, auch noch so bescheidene Stellung im lieben Vaterlande erringen kann: nur weil man, ohne Prüfung, mich wegen meiner 60 Jahre für dienstuntauglich zu erklären beliebt! […]“


Es handelt sich um einen weitschweifig formulierten Bettelbrief, der auf das Ansinnen hinausläuft, der Orden möge seinen Einfluß geltend machen, um bestimmte Werke zum Druck zu befördern, woraus der Bittsteller, Negges, ein Einkommen beziehen könnte. Wenn er aber gedacht hat, der Orden würde aus dem stillen Wirken in gesellschaftliche Wirksamkeit hinaustreten, täuscht er sich sehr. Es ist eher so, daß der Orden vornehm aus dem Hintergrund einzelne Erweise seiner Wertschätzung zu geben beliebt, ohne sich auf eine Parteilichkeit festzulegen. Dazu ist er im Inneren auch viel zu divers.


Pfarrer Ferdinand Lösch, Sohn des Präses Dr. Lösch, erwies sich in einer  Reihe von Vorträgen als Spezialist für italienische Kunst der Renaissance.


„Vittoria Colonna’s, Herzogin von Pesiara, Leben und Dichtungen. […] 1868“ Es heißt darin:


[…] Es ist die hochbegabte, feinfühlende Frau, mit der geistig zu verkehren dem alternden Michel Angelo ein so hoher, befriedigender Genuß war […]

Aehnlich wie in Mich. Angelo’s Sonnetten ist auch in Vitt. Poesie die Fülle der Gedanken in eine allzu knappe enge Form geschlossen, daher die deutsche Übertragung bei aller Trefflichkeit doch eine gewisse Härte und SchwerVerständlichkeit hat. […]

Manche Hiobpost war vorher noch bei ihr eingetroffen, welche ihre Sehnsucht nach jenem Leben steigerte. Unendlich geschwächt brachte man sie aus dem Kloster in den nahen Pallast des Quintiano Cosarini, des Mannes ihrer einzigen BlutsVerwandtin Julia Collonna. Nach zurückgelegtem 57. Jahre Ende Febr. des Jahres 1547 hauchte sie ihre große Seele aus — ein Beispiel ächter Frömmigkeit und Standhaftigkeit bis ans Ende. […]


„Torqu. Tassos Leben. Proben seiner lyr. Dichtungen. […] 1869“


„Vortrag im Blumenorden 1870 über Petrarka von Pfr. Ferd. Lösch an St. Aegidien zu Nürnberg.“ — „[…] Einmal auf dieß Gebiet italienischer Dichtkunst gerathen, fühlte ich mich aufgefordert, mich noch weiter auf diesem Gebiete umzusehen und wählte mir die Person des Petrarka. […] Was ich Ihnen über Petr. und den Geist seiner Dichtungen mittheilen kann, verdanke ich Quellen aus der Münchener Staatsbibliothek, zu denen mit abermals die Güte des Herrn Dr. Freimann verholfen hat. […]“


„Giovanni Boccaccio’s Lebensgang und Bedeutung. […] Novbr. 1871.“ — „[…] Nach der Betrachtung eines solchen Mannes [Petrarkas] ist es gewiß ein naheliegender Gedanke, den Spuren nachzugehen, wie die Saat, welche Petrarka ausgeworfen, gepflegt und verwerthet worden, wie die Anregung, die von ihm ausgegangen, zur lebendig fortwirkenden Kraft geworden. Unter den florentinischen Jüngern Petrarks […] werden in der römischen Literatur vornehmlich drei Persönlichkeiten genannt, welche dem Humanismus eine feste Stätte gegründet haben. Zum ersten Luigi Marsigli, welcher der Gründer des ersten freien Vereins war, in welchem Wissenschaft und menschliches Streben auch außerhalb der Kirche und der Hochschule gepflegt wurde, sodann Colaccio Salutato, der den Humanismus im Staatsleben das Bürgerrecht erwarb: endlich Giovanni Boccaccio, der die Freuden des stillen Gelehrten-Fleißes darstellt. […]“


„Vortrag im Blumen Orden über Ariost. gehalten im Nov. 1872 von Pfarrer Ferd. Lösch zu St. Aeg. in Nürnberg.“ In das Manuskript ist ein Zettel eingelegt: „Verehrter Freund!

Anliegend übersende ich Dir meinen letzten Aufsatz für den Blumenorden. Den mir wieder herausgegebenen über Savonarola werde ich zurückliefern, sobald mir Gelegenheit geworden ist, davon in einem anderen Kreise Anwendung zu machen.

In voller Liebe und Freundschaft

Dein Frd Lösch

Nbg. 10/1/74.“


Nun kann man spekulieren, weswegen sich Ferdinand Lösch für seinen Savonarola-Vortrag eine andere Hörerschaft suchen mußte. Vielleicht ist der Grund nicht einmal ein politischer oder geschmacklicher, sondern schlicht die Überlastung des Veranstaltungsplans. Es kann auch sein, daß in einer Zeit, die opulente Bauten im Stile der Neorenaissance errichtete, ein Hinweis auf die Kritik an dieser Pracht nicht unbedingt willkommen war.


Viel später wurde bekannt, daß Ferdinand Lösch auch zahlreiche Radierungen nach Vorlagen von Klein und Geißler, aber auch nach der Natur angefertigt hatte. Einige davon werden mit Abbildung von Auktionshäusern im Internet angeboten.


Die dunkle Seite der Spätrenaissance stellte Heerwagen dar: „Vier Monate in Rom. Bericht eines Deutschen aus dem Jahre 1565. In einer Wochenversammlung, am 10. Februar 1870, vorgelesen“ Es handelt sich um die schriftlich bezeugten Erlebnisse eines Philipp Cammermeister oder Camerarius, dritten Sohnes des Joachim Camerarius, welcher seinerseits erster Rektor des Egidiengymnasiums gewesen war. Der junge Camerarius wurde in Rom von der Inquisition verhaftet und bedrängt, zur katholischen Konfession zu konvertieren, lehnte aber ab. Nach quälenden Monaten wurde er entlassen, weil sein Vater bis zu Kaiser Maximilian II. um Vermittlung gebeten hatte und auch ein päpstlicher Legat in Thüringen festgesetzt worden war; sein Mitgefangener aber wurde hingerichtet.


Nichts Gutes läßt der schon im Dezember 1868 gehaltene Vortrag des k. Bay. Hauptmanns und 1. Adjutanten des Generalleutnants v. Stephan, Gustav Waagen, erahnen: „Ein Fragment: Ueber den Vergleich des gegenwärtigen Bestandes der vereinigten, deutschen Armeen gegenüber der französischen.“ Zum öffentlichen Vortrag kam dieses brisante Thema nicht. Im Januar 1869 trat man mit „Die Liebfrauenkirche zu Arnstadt“ von Georg Eberlein, Professor an der Kunstgewerbeschule, und Franz Schrodts Literaturbetrachtung „Ueber Hermann Lingg’s Völkerwanderung“ an die Öffentlichkeit. Seidenstücker sendet wieder einen Aufsatz: „Die Herzogin Amalie von Sachsen-Weimar als Pflegerin der deutschen Literatur, […] Septemb. 1869.“ Einen großen Teil der Arbeit nimmt die Betrachtung des Herzogtums Braunschweig ein, aus dem Anna Amalie stammte, und dabei vor allem die der Sprachgesellschaften, welche in ihm blühten. Speziell schweift er ab auf die 1746 in Helmstedt gegründete Deutsche Gesellschaft, deren Mitglied sein Vater Joh. Heinr. Phil. Seidenstücker war, Einwohner von Soest, Gymnasialdirektor, der grammatische Abhandlungen schrieb. Am Schluß findet er noch zum Thema zurück, indem er Anna Amaliens Interesse an Literatur auf diese Verhältnisse zurückführt.


Nein, die Pegnesen ließen sich von der dunklen Wolke am Horizont nicht die Freude an ihrem akademieähnlichen Betrieb verderben. Am 26. November 1869 trugen vor: „[…] 3.) […] c.) A. Lösch, „Charles Lamb’s Abhandlung über Spanferkel-Braten.“ Aus dem Englischen übersetzt.

d.) Dr. Solger, „Blicke auf Nürnberger Medicinalwesen im 16. Jahrhundert“ u.

e.) Haller: „Ein Bruchstück aus einer Trauungs-Rede des Rabiners Dr. Steiner in Frankfurt/M.“

Dabei liegt stets nahe, daß Seiler einfach nicht zwischen Haller und Heller unterscheiden konnte. Dem letzteren sähe das Thema ähnlicher. Seilers Schrift wird zunehmend krakelig und die Einträge spärlicher; wenn Konzeptblätter zu den von der jeweils nächsten Versammlung korrigierten Niederschriften erhalten sind, zeigen sich an ihnen die Änderungen häufiger.


Eine alte, eigentlich längst geklärte Frage kehrt in diesen Tagen wieder: „ob nicht Frauen-Zimmer, ledige, oder Wittwen, als ausserordentliche Mitglieder gegen einen mäßigen Beytrag in den Orden aufgenommen werden sollen? […]

[…] 5. ) Auf Antrag des OV beschließt man die Aufnahme der Frauenzimmer als ausserordentliche Mitglieder in den Orden und sollen dieselbigen auch alljährlich den Beytrag von f. 2. 42 xr. leisten. Die Wittwen gewesener Ordensmitglieder brauchen nicht besonders aufgenommen zu werden.

6.) Der OV zeigt an, daß der Orden auf dem Wöhrder-Thor-Zwinger seine Sommerversammlungen in einem besonderen Zimmer halten kann gegen Erlegung von je 24. xr. Es wird Solches wohlgefällig aufgenommen und die erste Versammlung daselbst über 14. Tage stattfinden.“


Und dann ist Krieg. Das Irrhainfest fällt aus.



Notdürftigste Reparaturen am Irrhain


Von denkmalschützerischen Erwägungen weit entfernt, hat man zwischen 1860 und 1875 am Irrhain nur das instandsetzen lassen, was zur Abhaltung der sommerlichen Feste unbedingt erforderlich war. Rückblende:


Pfarrer Lauter hatte am 12. Juni 186095 aus Kraftshof geschrieben, daß infolge des Fällens eines abgestorbenen Baumes am langen Gang 4 neue Säulen, 24 Stück Latten und 3 neue Bögen erforderlich seien. Anscheinend ist er den Forstarbeitern auf den Laubengang gefallen. Es dauerte bis zum 20. April 1866, bis Heerwagen „über den vom Gesamtvorstand vorgenommenen Augenschein über die Herstellungen im Irrhain“ berichtete und der Versammlung „einen vom Zimmermann Seyschab in Kraftshof verfertigten Kostenvoranschlag“ vorlegte. „In Folge dessen wurde beschlossen:

a.) daß Tische und Bänke gänzlich hergestellt werden sollen, samt den Dächern über den Hütten und Gebäuden;

b.) daß dagegen der Bogengang nicht ausgebessert und die Latten am Eingang nicht angebracht werden sollen.“

Am 18. Mai 186897 „theilte 4.) H. OV ein Schreiben des k. Forstamts Sebaldi an den Orden in Betreff eines öden Platzes vor dem Irrhain mit, und daß H. OR Schrodt deßhalb mündlich eine Erwiderung durch den k. Herrn Revierförster, Freyh. v. Haller, in Kraftshof abgegeben hat.“


Nürnberg den 1. Mai 1868: Das Königlich Bayerische Forstamt-Sebaldi, An den Vorstand des pegnesischen Blumenordens:

Gelegentlich der Bescheidung eines von dem k. Revierförster von Kraftshof eingereichten Gesuches um Verlängerung eines bestehenden Pachtverhältnisses wurde dem Forstamte von hoher k. Regierung die Aufgabe gemacht, über die nördlich am Irrhaine anliegenden theils öden, theils bepflanzten Waldtheile, deren gänzliche Aufforstung […] umständlichen Bericht zu erstatten und nachdem das k. Forstamt sich gegen die Aufforstung der unmittelbar vor dem Eingange in den Irrhain befindlichen Oedfläche ausgesprochen und beantragt hat, dieselbe ganz oder theilweise der Gesellschaft des Blumenordens als Sammelplatz zu Gesellschaftsspielen […] zu überlassen, ist das Forstamt durch hohe Regierungs-Entschliessung vom 3. März 1868 Nr. 3827 beauftragt worden, fraglichen Platz bis zu einer allenfalls zu erfolgenden Aufforstung der Gesellschaft des Blumenordens gegen einen nach dem Steuerbeitrag zu bemessenden Pachtzins zu überlassen. […]


Vorsichtig interpretiert, bedeutet das: Die in Dutzenden von Hektaren und Tausenden von Festmetern denkende zentrale Forstbehörde möchte auch im Bereich Kraftshof den Ertrag steigern. Die untergeordnete Behörde vor Ort, die sehr wohl den Blumenorden und die Bedeutung des Irrhains in kulturellen Zusammenhängen kennt, rät zu einem einvernehmlichen Vorgehen. Daraufhin zeigen sich die Chefs konziliant, möchten aber wenigstens einen Pachtzins erlösen.


Präses Heerwagen antwortet auf dieses Angebot, auf das man gerade noch gewartet hat: „daß die genannte Gesellschaft bezüglich der nördlich vom Irrhain gelegenen Oedung ein Pachtverhältniß einzugehen nicht gesonnen ist und auf die Benutzung dieses Raumes zu gesellschaftlichen Zwecken verzichtet.“


Von damals stammt also der Streifen Waldes zwischen dem Irrhain und dem Kotbrunnengraben. Der Eichenwald im Osten des Irrhaingeländes, an der Stelle, wo der alte Stich von 1744 eine Wiese und einen Obstgarten abbildet, und noch weit darüber hinaus, verdankt sich einer ähnlichen Aufforstungsaktion, möglicherweise schon einer früheren, wenn man den heutigen Umfang dieser Eichen betrachtet.


Noch am 13. Mai 1870 wird zu Protokoll gegeben: „7.) OR Schrodt theilt mit, was im Irrhain an Wiederherstellung geschehen wird und trägt an, das Irrhainfest, zu dem Pf. Petzet das Seinige beyzutragen verspricht, auf den 13. Juli gelegt werden möge, was gutgeheißen wird.“ Wie gesagt, hielt man das Irrhainfest wegen des deutsch-französischen Krieges nicht ab. Stattdessen: „3.) Hierauf beschließt man, daß der Orden fünfzig Gulden als Unterstützung für Weiber und Kinder der im Krieg befindlichen Männer und dann für die verwundeten Soldaten spenden soll.“





Bis zur Vereinigung mit dem Literarischen Verein


„Geschehen am 6. Januar 1871. bey Errmann.

[…] 2.) Sofort tragen vor:

a.) Rehm einen Brief des im Felde stehenden Feldwebels von H. Gomblum.

b.) Haller einen Brief  von seinem vor Paris stehenden Sohne […]

fortgesetzt am 20. Januar e. a. daselbst.

[…] 3.) In dieser Versammlung lasen vor:

[…] b.) v. Dithfurth: „Bazaine’s letzter Ausfall aus Metz. Ein Gedicht.“; […]“


Als sich der Sieg der Preußen und ihrer Alliierten abzeichnete, wandelten sich die besorgten, dann hoffnungsvollen Stellungnahmen im Orden in triumphierende. Doch nach der Reichsgründung brachte der in den Kategorien des alten Römischen Reiches deutscher Nation denkende Lützelberger seine Bedenken in einem Vortrag auf den Punkt, der Grillparzers 80. Geburtstag zum Anlaß nahm. Leider zeigt sich daran eben auch, daß in jener reichsstädtisch-nationalen Haltung die Keime schon angelegt waren, die zur der Stimmungslage vor dem 1. Weltkrieg führten.


Angesichts des neuen deutschen Reiches, welches sich in diesen Tagen gebildet hat, muß ich aufrichtig bekennen, daß es nicht dasjenige deutsche Reich ist, welches ich mir seit langen Jahren gewünscht, wie ich es gehofft und erstrebt hatte. Ich wollte und konnte mir nicht ein neues deutsches Reich denken ohne Oestreich, zumal seit ich im Jahre 1860 den herrlichen Donaustrom hinabgeschwommen war, seine herrlichen Gegenden gesehen, seine Städte und Burgen betrachtet und die schöne Kaiserstadt selbst durchwandelt hatte. Es war mir aus der Seele geschrieben, als ein Schwabe in einer geistreich geschriebenen Abhandlung bewies, daß die prachtvollen Flußgebiete des Rheins und der Donau, wie sie nicht fern von einander entstehen und dann nach Westen und Osten auseinander gehen, zusammengehören und Eigenthum des deutschen Reiches und Volke sein müssen. Wie konnte ich fassen den Gedanken, die entzückenden Alpen Tyrols, der Steiermark und Salzburgs mit ihrem trefflichen Volke und ihren schönen Städten, das adriatische Meer mit seinem Triest, der Donaustrom, von seiner Doppelgröße bei Passau an bis zur Leitha mit Linz und Wien, das fruchtreiche Mähren mit seinem Brünn und das herrliche Böhmen mit seinem Prag, das alles solle nicht mehr im deutschen Reiche sein, sondern ein fremdes Land; unser viel gesungenes Lied „Was ist des Deutschen Vaterland“ solle manchen Vers verlieren, und das deutsche Geld sich in Silber wandeln! „Schaut rings umher“, sagt Grillparzer von seinem Oestreich „wo habt ihr dessen Gleichen schon gesehn; wohin der Blick sich wendet, […][…] Aber freilich, als es nun offenbar ward und nicht mehr zu verkennen, daß mit jenem schönen deutschen Lande und seiner Macht jener finstere, schreckliche Geist, der schon einmal Deutschland zur Wüste gemacht, wieder von neuem sich verbunden; daß aus dem politischen Kampf um die politische Führerschaft ein religiöser Vernichtungskrieg gemacht werden sollte: als sich offenbarte, wie mit der Oberherrschaft Oestreichs zugleich die Herrschaft eines neuen Gottmenschen über die Menschheit begründet und verbreitet werden sollte — da ward meine großdeutsch gesinnte Seele doch bedenklich und begann zu erwägen, ob es wohl doch vor der Hand für Deutschland nicht besser sein möchte, wenn Oestreichs Herrschaft über Deutschland aufhöre. Wir wissen, was bisher geschah. Die Macht ist an Preußen gekommen, und was Oestreich gar nie zu denken gewagt, von dem es erst neuerdings das Gegentheil erfahren, Frankreich liegt zu Deutschlands Füßen, und Länder, die unter Oestreichs Herrschaft verloren gegangen, sind wieder gewonnen. Oestreich hingegen ist draußen. Doch es war leider schon längst draußen. Von jeher hatten die Fürsten Oestreichs Vorrechte und zählten ihre Länder nie als zu Deutschland gehörig. […] Alles, was dasselbe erzeugte, ward im übrigen Deutschland, besonders im Norden, einer harten Beurtheilung unterworfen und geringschätzig behandelt. So geschah es, daß Oestreich in der Literatur Deutschlands weit zurückgedrängt wurde, und erst in neuerer Zeit wieder sich aufmachte, das Versäumte nachholen zu wollen […] Ohne Zweifel zum Theil aus diesem Streben […] hat neulich Wien und Oestreich den 80. Geburtstag eines seiner ersten dramatischen Dichter benützt, um ein Fest zu feiern, ähnlich dem, welches Deutschland seinem Schiller weihte […] Und die Wiener selbst gestehen, daß daß sie erst jetzt eigentlich zu der freudigen Erkenntniß gekommen seien, zu den beiden Dichterfürsten Deutschlands den dritten, an des Schwaben und des Franken Seite Seite einen Oestreicher stellen zu können. [Es folgt die Einschränkung, daß es vorher auch schon etliche öffentliche Ehrungen Grillparzers in seinem Land gegeben habe… folgt  Biographisches… folgen Inhaltsangaben von und Zitate aus Dramen…] Durch die Schlacht von Marchegg bewahrte Rudolf von Habsburg Deutschland vor der Herrschaft der Slawen. Wiederum bäumt die slawische Welt sich mächtig gegen das deutsche Reich auf. Möge es auch dem neuen Kaisergeschlecht gegeben sein, uns vor jener verderblichen Macht zu bewahren.


Wie sich die Irrhainfeste der jeweils herrschenden Vorstellung von Würde und Ehre (neben dem Gefühl von Schönheit) anpaßten, ist besonders gut aus der Beschreibung eines Festes von 1872 zu ersehen:


++(Nürnberg, 9. Juli.) Auf den gestrigen Tag hatte der pegnesische Blumenorden nach mehrmaligem Verschieben in Folge der Ungunst der Witterung sein alljährliches Waldfest im Irrhain bei Kraftshof festgesezt und damit einen der wenigen wahrhaft sommerlichen Tage gewählt […] Vor zwei Jahren verhinderte der nahe Ausbruch des Krieges die Aufführung eines gleichen Spiels, und noch im vorigen Jahr mußte man sich auf eine einfache Begehung des Festes beschränken. […] Aufführung zog außer den Mitgliedern des Ordens eine große Zahl von Gästen herbei; von Erlangen kamen fröhliche Musensöhne, und selbst die ländliche Bevölkerung der Umgegend war unter den Zuschauern zahlreich vertreten. Dem Spiele ging in üblicher Weise ein allgemeiner Festgesang voraus, der nach der Melodie: „Brüder, reicht die Hand zum Bunde“, komponirt von Mozart, von dem Ordenssekretär, Herrn Pfarrer Seiler, gedichtet war […] ergriff der Ordensvorsteher, Herr Rektor Dr. Heerwagen, das Wort zu einer festlichen Ansprache […] hierauf auf die Jeztzeit überging, des siegreich errungenen Friedens und der Wiederherstellung des deutschen Reiches gedachte und schließlich den Wunsch und die Hoffnung aussprach, daß unsere deutsche Jugend, das heranwachsende Geschlecht, auch geistig bestrebt seyn möge, zur Ehre des deutschen Vaterlandes, zum Heile unserer Wissenschaft und Poesie beizutragen, damit, wie in den Tagen des blutigen Kampfes die politische Einigung, Macht und Größe durch so viele Opfer errungen wurde, auch in geistiger Beziehung Deutschlands Ehre fort und fort gewahrt bleibe […] Kurz nach 5 Uhr begann die Aufführung des Festspiels: „Der verlassene und wiederbelebte Irrhain“ (von dem Ordensmitgliede Herrn Pfarrer Johannes Heinrich Petzet). Der Vorstellung ging ein vom Verfasser gedichteter und gesprochener Prolog voraus, welcher […] die Gegenwart in ihren stürmischen Bewegungen schilderte, das Recht des vernünftigen Fortschrittes anerkannte und die edle Freiheit als das heilige Ziel unserer Bestrebungen pries, das leider so oft verkannt und auf falschem Wege errungen werden wolle. […] In dem Stücke treten die Stifter und Vorsteher des Blumenordens unter ihren Ordensnamen, Strephon (Georg Phil. Harsdörfer), Floridan (Sigm. v. Birken) und Myrtill (Martin Limburger) mit dem Meistersinger Hans Sachs auf, den sie als Gast aus dem Olymp mit sich zum Feste gebracht haben, der aber scheel zum gegenwärtigen Stand der Dinge sieht und sich in seiner derben Weise über die Verödung des Haines und über den Mangel an Sinn für poetisches Streben beklagt […] Von seinen Worten betrübt, gehen die Freunde mit ihm in den Hain, Frau Pegnesia zu suchen […] ein Landmädchen erscheint und beklagt in naiver Weise, daß sie von ihrem in den Krieg gegen Frankreich gezogenen Bräutigam keine Nachricht habe […] Die mit Sachs wieder erscheinenden Ordensritter klagen, daß sie Frau Pegnesia nirgends gefunden und das der Realismus der Zeit dem süßen Musenspiele ein Ende gemacht habe. Da treten die allegorischen Gestalten: Germania, Noris und Pegnesia auf, und erstere verweist den Klagenden ihren Kleinmuth, schildert den Aufschwung Deutschlands […] versöhnt mit solcher Kunde rasch Hans Sachs und seine Freunde mit der Gegenwart, und als das Landmädchen sich den Frauen und Herren, deren Gespräch sie belauscht, mit der schüchternen Frage naht, ob sie […] ihr nichts von ihrem Hans sagen könnten, […] tröstet sie Pegnesia […] Sachs eilt voll Mitgefühl für das klagende Kind fort […] und führt ihn bald in die Arme der Geliebten. […] Die Abendstunden waren fröhlichem geselligen Verkehr und dem Tanze der jungen Welt, zu dem die Wiese als Festsaal diente, geweiht […].


Nun bringt sich der Blumenorden auch bei den neuen höchsten Herren ins Bewußtsein: „[…] 4.) Zuletzt erstattet Seiler den Bericht, Daß S. Kaiserl. Hoheit der Kronprinz der Deutschen am 12. 7br. l. J. in seiner Begleitung die Sebalder Kirche und einen Chor besichtigte. Es wurde ihm von der Existenz des Bl. Ord. kund gegeben, das Ordensbuch gezeigt und die Festgabe von 1844. mit dem Mitglieder-Verzeichniß überreicht. Höchstderselbe nahm gnädigsten Antheil an dem Allen und dankte für das Geschenk. […]“


Der Oberste im Blumenorden allerdings schwächelt, und am 14. November 1873 beginnt ein Hin und Her, das sich jedes Jahr abspielen wird, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Heerwagen tatsächlich todkrank ist. „[…] 3.) Dr. Heerwagen zeigt an, daß er längere Zeit abwesend seyn werde, und man unterdessen sich berathen wolle in Betreff eines anderen Ordensvorstehers. […]


fortgesetzt am 23. 9br. 1873. daselbst.

1. Da der Ordensvorsteher Willens ist, abzutreten, so soll sich der Gesamt-Vorstand mit dem Ausschuß berathen, was zu thun sey. […]


Geschehen am 12. December 1873. daselbst.

[…] 4.) Lützelberger theilt mit, was die Vorstandsmitglieder mit dem Ausschuß bezüglich der Erklärung des Ordens-Vorstehers, als solcher abtreten zu wollen miteinander berathen haben. Die Versammelten [Schrodt, Lützelberger, v. Hagens, Eberlein, Euler-Chelpin, Dr. Beckh, Schmidt, Haller, v. Dithfurth, Seiler] stimmten deren Vorschlägen bey, daß

a.) daß durch die beyden Ordensräthe Rector Dr. Heerwagen gebeten werde, die Vorstandsschaft noch länger zu behalten, zumal ja auch die anderen Vorstandsmitglieder auf ihren Posten aushalten; daß

b.) der bisher bestehende Ausschuß erneuert, aus sich einen Vorsitzenden erwählt, der im Verein mit den anderen Ausschußmitgliedern für Vorträge in den öffentlichen Vortragsversammlungen sorgt, deren Auswahl und Bestimmung der Entscheidung des Vorstehers selbstverständlich unterstellt werde, u. daß

c.) außerdem der Ausschuß in Verbindung mit dem Vorstande die Anordnung und Ausstattung des Irrhainfestes und etwaiger ähnlicher Vergnügungen übernimmt. […]

fortgesetzt am 9. Jan. 1874. daselbst.

[in anderer Schrift! …vorgelesen wurden] 3, etwa einige Gedichte von v. Kobell durch Herrn Euler Chelpin. Der erste Ordensrath macht hierauf die Mittheilung, daß der Hr. Praeses sich entschloßen habe, die von Seite des Ordens ihm gemachten Vorschläge wegen der Vorstandschaft anzunehmen und noch länger seine Stellung beizubehalten, wofür ihm der wärmste freudigste Dank durch ein Gedicht des Hr. v. Euler-Chelpin und ein dreifaches Hoch ausgebracht wird.“


Das heißt: Heerwagen, der sich bisher um beinahe alles gekümmert hat, was an Organisatorischem zu tun war, wird entlastet. Unter dieser Bedingung bleibt er im Amt. Nun kommen aber einige Turbulenzen auf ihn und auf den Orden zu. Am 17. März steht zum ersten Mal in einem Protokoll:


„[…] 2.) In Betreff einer vorgeschlagenen Vereinigung des lit. Vereines mit dem Pegn. Blumen [sic] wird verhandelt und da man im Princip nicht dagegen ist, beschließt man, eine Commission zu ernennen, die von Seiten beyder Gesellschaften über diese Vereinigung Vorschläge verfaßt, jedoch ohne verbindende Kraft.“


Am 3. April: „1.) Da der lit. Verein sich gerne mit dem Pegn. Bl. Ord. vereinigen möchte und deßhalb den Antrag stellte; so wählte man […] einen Ausschuß. […] Schrodt, Euler-Chelpin, Haller [Heller?!], Dr. Wilh. Beckh und von Ebner. […]“


Protokoll der gemeinschaftlichen Sitzung der Commissionen des Literarischen Vereins und des Pegnesischen Blumenordens am 23. April 1874 Abends 8 Uhr in der „Wartburg“


Tagesordnung: Die angestrebte Verschmelzung beider Vereine

Auf Einladung des Pegnesischen Blumenordens sind erschienen:

Seitens des Pegnes. Blumenordens die Herren:

Reg.director Schrodt, […] Euler-Chelpin, Stadtpfarrer Heller, Frhr. v. Ebner, Dr. Wilhelm Beckh

Seitens des Literarischen Vereins die Herren

Fr. Knapp, C. Lorsch, L. Bull, E. Scholz, H. Ballhorn

Den Vorsitz übernimmt […] Schrodt


Von beiden Seiten spricht sich wiederholt die Geneigtheit aus einer Vereinigung beider Vereine zur Wirklichkeit zu verhelfen.

Unser Vorsitzender Hr. Fr. Knapp bringt die lt. Protokoll der Ausschußsitzung vom 23. März unsererseits aufgestellten Bedingungen u. Wünsche für die zu erzielende Verschmelzung beider Vereine zur Vorlage.

Die Herren vom Pegnes. Blumenorden sind mit den von uns unten 2. 3. 4. 5. 8. 9. 10. 11. 12. beantragten Änderungen, in seine Einrichtungen, einverstanden und ergab sich nur gegentheilige Meinung in folgenden Punkten

ad 1 Die alljährliche Wahl der Vorstandschaft betreffend glaubt der P.B.O. nicht befürworten und annehmen zu können, kommt aber doch unsrer Anschauung entgegen, indem seine Commission von dem bisherigen Gebrauche der Wahl auf Lebenszeit abgeht und dieselbe nun auf drei Jahre angesetzt wissen will.

Da man sich auf diese Angelegenheit noch nicht einigen kann, und jeder Theil seine Anschauung aufrecht erhält, so wird die Sache ad referendum genommen, ohne daß diese Verschiedenartigkeit der Auffassung ein Hinderniß für die beschließliche Verschmelzung sein soll.

Wir unserseits wollen die Frage in nähere Erwägung ziehen.

ad 2 Der von uns auf abends 7 Uhr (statt 6 Uhr) angesetzte Beginn der öffentlichen Versammlungen wird einer späteren Einigung vorbehalten. [Dieser Punkt wurde nachträglich gestrichen.]

ad 7 Ehrenmitglieder betreffend, wünscht der P.B.O. vorerst das Verzeichniß derselben einzusehen.

Schluß der Sitzung

Nürnberg, 23. April 1874

H. Ballhorn


Dieses imposante Verzeichnis wird heute in Archivschachtel 35 aufbewahrt:


Verzeichnis der Mitglieder des Literarischen Vereins in Nürnberg.

XXIX. Jahrgang 1868/69

[214 Mitglieder.]

Ehrenmitglieder

Herr     William Cullen Bryant in Newyork.

„    Cogswell, Dr. phil. in Tenafly (New-Jersey.)

„    Robert Dodge in Newyork.

„    Eckhardt, Dr. phil., in Karlsruhe.

„    Gutzkow, Dr. phil., in Weimar.

„    Klingenfeld, kgl. Professor am Polytechnikum in München.

„    Herrmann Lingg, Dr. med., in Lintorf bei Osnabrück.

„    Franz v. Kobell, Dr. phil., Professor in München.

„    Henry Wadsworth Longfellow, in Cambridge (Maryland).

Frau     Merz, Buchhändlerswittwe.

Herr    K. von Oosterwyk Bruyn, in Amsterdam.

„    Adolph Pichler, Dr. phil., Professor in Innsbruck.

„    Robert Prutz, Dr. phil., in Stettin.

„    Xaver Schmid, Dr. phil., Professor in Erlangen

„    Alfred Street, in Alban.

„    Alexander Ziegler, Dr. phil., Hofrath in Dresden.


Es geht stürmisch voran. Der Literarische Verein läßt keine Zeit verstreichen:


Ausserordentliche Generalversammlung Freitag 1. Mai 1874 Abends 8 Uhr im Vereinslokal Stadt Regensburg


[…] Es wird zunächst die Frage aufgeworfen, ob es möglich sei, daß jene Mitglieder des Liter. Vereins, welche etwa mit dem Beschlusse für eine Vereinigung beider Vereine nicht einverstanden sind, unter Gründung eines neuen Liter. Vereins diesen unseren (noch ausstehenden) Entschluß als eine Auflösung des liter. Vereins betrachten und demgemäß auf das Vermögen und das Besitzthum desselben Anspruch erheben könnten.


Man ist der Ansicht, daß die heutige Generalversammlung ordnungsgemäß einberufen und als solche in ihren Beschlüssen bindend für sämmtliche Mitglieder sei: wir lösen uns nicht auf, sondern vereinigen uns und den Verein mit einem andern. […]


In dem künftigen Mitgliederverzeichniß des PBO soll der Eintritt von Mitgliedern des Literar. Vereins in letzterem durch irgendeine Bezeichnung bekundet werden (etwa: L.V. und die Jahreszahl des Eintritts); ebenso bei den Ehren- u. aussergew. Mitgliedern die Zeit ihrer Ernennung. […]


6. Die Versammlung beschließt einstimmig auf eine dreijährige Wahl der Vorstandschaft einzugehen. Hierzu nur der Unterantrag: „im Nothfall (wenn davon, seitens des P.B.O. die Vereinigung abhängig gemacht werde), auch eine Wahl auf fünf Jahre zu bewilligen, mit 8 gegen 7 Stimmen angenommen. […]


Am 11. Mai wird ein Vertragsentwurf der gemeinschaftlichen Kommission vorgelegt, und die Mitglieder der Kommission dokumentieren in einem feierlichen, in zwei Exemplaren in Reinschrift überlieferten Endprotokoll vom 15. Mai folgende Vereinbarung mit geringfügigen Änderungen und Zusätzen:


[…] 1. Die Mitglieder des literarischen Vereins vereinigen sich in ihrer Gesamtheit mit den Mitgliedern des pegnesischen Blumenordens.


2. Der Name Pegnesischer Blumenorden bleibt, dagegen hört derjenige des literarischen Vereins auf.


3. Ebenso bleiben die Gesetze des Pegnesischen Blumenordens in ihren Grundzügen stehen, insoweit sie nicht durch gegenwärtiges Protokoll Abänderungen erleiden. [Abänderungsvorschlag:] so weit nicht dieselben durch Abänderungen und Zusätze modifiziert werden [Abänderungsvorschlag mit Bleistift:] in ihren Grundzügen stehen, in so weit sie nicht durch gegenwärtiges Protokoll Abänderungen erleiden


4. Die Vorstandschaft des Pegnesischen Blumenordens soll nach der Vereinigung dem Übereinkommen der beiderseitigen Delegierten gemäß 1) aus einem ersten Ordensvorstand bestehen 2) aus einem zweiten Vorstand als dessen Ersatzmann 3) aus drei Ordensräthen von welchen einer die Stelle des Bibliothekars zu versehen hat 4) aus einem Schriftführer 5) aus einem Kassier


5. Mit dem 1. Juli 1874 treten die Mitglieder des literarischen Vereins in den pegnesischen Blumenorden ein, doch werden die Beiträge von dem Kassier des literarischen Vereins noch bis zum Schlusse des Jahres 1874 erhoben, da bei dem pegnesischen Blumenorden die Jahresbeiträge für 1874 bereits pränumerando eingezahlt sind.


6. Bis zu Ende des Jahres 1874 soll noch ein Provisorium bestehen, innerhalb welchem der bisherige Vorstand des Vorstand des literarischen Vereins, Herr Knapp, als II. Vorstand des pegnesischen Blumenordens und der Schriftführer des literarischen Vereins, Herr Ballhorn, als II. Schriftführer des pegnesischen Blumenordens und der Kassier des literarischen Vereins Hr. Bull in die Vorstandschaft miteintritt.

Der Bibliothekar des literarischen Vereins H. Lützelberger ist zugleich II. Ordensrath des pegnesischen Blumenordens.


7. Gleichzeitig treten auch am 1. Juli 1874 die beiderseitigen Ausschußmitglieder des pegnesischen Blumenordens und des literarischen Vereins bis zu Ende des Jahres 1874 zu einem Ausschuß zusammen.


8) Für die mit 1. Juli 1874 eintretenden Mitglieder des literarischen Vereins sollen Aufnahme-Urkunden, wie sie die Mitglieder des pegnesischen Blumenordens erhalten, ausgefertigt werden, dasselbe soll auch hinsichtlich der Ehrenmitglieder geschehen.

Die Kosten hierfür werden aus der gemeinschaftlichen Kasse bestritten da die Ueberschüsse der Kasse des literarischen Vereins in diejenige des pegnesischen Blumenordens übergehen.


9) Während des Provisoriums werden die Buchungsabschlüsse der Kassen der beiderseitigen Vereine erfolgen, Verzeichnisse über die Akten, Bücher Documente etc. angelegt und beziehungsweise vervollständigt werden.

Die Pokale und Münzen sollen von dem jeweiligen 1. Ordensvorstande in Verwahrung genommen werden. Dieselben sind zu versichern.


10) Man hat sich beiderseits mit ausdrücklicher Zustimmung der Generalversammlung des pegnesischen Blumenordens und des literarischen Vereins vereinigt, daß in Zukunft eine Wahl des Gesamtvorstandes des Pegnesischen Blumenordens alle 3 Jahre Statt finden solle, wobei von Seite des pegnesischen Blumenordens [gestrichen: vorbehaltlich der Zustimmung durch die Generalversammlung] die bisherige lebenslängliche Dauer der Vorstandschaft und von Seite des literarischen Vereins die jährliche Wahl aufgegeben wurde.

Auf dieselbe Zeitperiode wird nachher auch die Wahl eines Ausschusses von fünf Mitgliedern vorzunehmen sein.

Diese Wahlen finden in einer Generalversammlung mit Ablauf des Provisoriums Statt.


11) Für neu aufgenommene Mitglieder wird das Eintrittsgeld u. beziehungsweise die Aufnahmegebühr auf 3 Mark festgesetzt.


12) Der Jahresbeitrag soll vom Jahre 1875 an auf 5 Mark festgesetzt werden, welcher halbjährig praenumerando einzuheben ist.


13) Die im Winterhalbjahre abzuhaltenden öffentlichen Versammlungen, wie sie bisher bei dem Pegnesischen Blumenorden Statt fanden und und in welchen Vorträge gehalten wurden, sollen statt seither um 6 Uhr nun um 7 Uhr Abend beginnen, und damit je nach der Theilnahme 2 bis 3 gemeinschaftliche Abendessen damit vertbunden werden.


14) Die nicht öffentlichen Versammlungen sollen künftig alle 8 Tage statt finden.

Die Freitage werden hierzu bestimmt, und am letzten Freitag jeden Monats wird ein Protokoll über die vorausgehenden Wochenversammlungen verlesen, und werden Ordensangelegenheiten besprochen auch Abstimmungen über die Aufnahme neuer Mitglieder vorgenommen werden.


15) Ueber das dermalige in Werthpapieren bestehende Vermögen des Pegnesischen Blumenordens worunter 500 Th. unangreifbare Dillherrsche Stiftung dann über alles dasjenige, was der Pegnesische Blumenorden an Münzen, Pokalen und Schriften sowie Büchern besitzt sowie über das Eigenthum des literarischen Vereins worunter namentlich ein silberner Pokal, dann über die Bibliothek desselben soll ein besonderer Akt aufgenommen und in diesem die im § 32 -34 der Statuten des literarischen Vereins enthaltenen Nichtauflösbaren desselben constatirt werden.

16) Die bei dem literarischen Verein bisher bestehende Leseverein, wonach Zeitschriften und Bücher aus den Mitteln des Vereins angeschafft und der Bibliothek einverleibt wurden, soll auch in Zukunft beibehalten, die Ausgabe für die Bibliothek nämlich für Bücher und Zeitschriften soll durch das Budget nach Erstellung der Ausgaben für die öffentlichen und für die Monatsversammlungen dann für Unterhaltung des Irrhains bestimmt und dabei auf einen Reservefond Bedacht genommen werden. An dem Leseverein Theil zu nehmen ist jedes Mitglied berechtigt aber nicht verpflichtet.

Nicht minder wird auch die Einrichtung wegen Circulation der Bücher und Zeitschriften unter den daran Theil nehmenden Mitgliedern beibehalten werden.

Für das Herumtragen und Wiederabholen ist der bisherige Vereinsdiener des literarischen Vereins Ernst zu verwenden und von den Theilnehmenden zu honoriren. Das Honorar wird nach der Zahl der Theilnehmenden festgesetzt.


17) Bei einem neuen Verzeichnis der Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens wird den sämtlichen Mitgliedern des literarischen Vereins die Jahreszahl 1874 vorgesetzt, aber in Klammern wird das Jahr des Eintritts in den literarischen Verein beigesetzt:

Die Ueberschrift wird folgende:

„Verzeichnis der Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens nach dessen Vereinigung mit dem literarischen Verein im Jahre 1874“


Schon am 15. Mai gibt der Blumenorden sein endgültiges Einverständnis:


„[…] 4.) Endlich wird ausgemacht, daß für die nächste Versammlung des Bl. Ord. über 14. Tage auch die Mitglieder des lit. Vereins zur Theilnahme eingeladen, die festliche Vereinigung der beyden Gesellschaften aber erst im Irrhaine begangen werden solle. […]


fortgesetzt am 29. Mai 1874. daselbst.

1. Der OV Dr. Heerwagen begrüßt die anwesenden, früheren Mitglieder des lit. Vereins und wünscht, daß die Vereinigung beyder Gesellschaften zur erneuerten Auffrischung ihrer Bestrebungen dienen möge.

2. OV Knapp erwidert den Gruß und bringt einen Trinkspruch auf die Vereinigung beyder Gesellschaften aus.

3. Derselbe trägt darauf ein Bruchstück einer Chronik des ehemaligen lit. Vereins vor, das mit einer Parabel, diese Vereinigung betreffend, schließt. […]

5.) Zuletzt beschließt man, daß vom ersten Juli l. J. an alle Freytage bey Amberger eine Zusamenkunft stattfinden soll. Wenn die Beheizung des Zimmers nöthig wird, soll dem Wirth für jeden Abend ein Gulden bezahlt werden. […]“


Nun, meint Heerwagen, sei das Wichtigste getan, und er könne endlich in Ruhe gelassen werden:


„[…] 7. Vorstand Dr. Heerwagen erklärt, daß er nicht mehr in der Lage sey, die Vorstandsschaft der Gesellschaft zu übernehmen, und bittet deßhalb, auf ihn bey der Wahl keine Rücksicht zu nehmen. Ebenso erklärt Schrodt, als Ordensrath, eine Wahl nicht wieder annehmen zu können.“


Seilers Schrift grenzt ans Unleserliche, und gewisse Einzelheiten bekommt er nicht mehr mit und schreibt nur Pünktchen.


„Fortgesetzt am 18. Xbr. daselbst.

1.) Die sechs und zwanzig Anwesenden wählen einstimmig zu Vorständen Dr. Heerwagen und Knapp, zum ersten Ordensrath Lützelberger mit 25. zum zweyten Ordensrath Euler-Chelpin, mit 26. zum Bibliothekar Priem mit 24 zum Schriftführer, Ballhorn und mit 21 und zum Kassier, Bull mit 24 Stimmen, die sämmtlich die Wahl annehmen. [Mehrmals durchgestrichene Zahlen und erratische Kommasetzung machen die Zuordnung nicht leicht.]

2.) Die Versammlung erwählt Seiler einstimmig zum Ehrenschriftführer, und beschließt, über diese Ernennung durch ein Diplom zu beurkunden.

3.) 27 Abstimmende wählen in den Ausschuß Dr. W. Beckh mit 23, Lorsch mit 25. Haller mit 25. Petzet mit 25 und Barbeck mit 12. Stimmen, welche sämmtlich die Wahl annehmen.

4.) Hierauf ergreift Dr. W. Beckh das Wort, über den Ursprung [gestrichen, ersetzt durch ein unleserliches Wort] des entstandenen Lesezirkels und die [gestrichen; ersetzt durch: Neues?] der für ihn gewählten Commission zu berichten. Nach seinem Vorschlag wird einstimmig beschlossen, 70. fl. zur Anschaffung von Zeitschriften zu gewähren. […]“


Das war also dem Orden die jeweils neueste Information über das literarische Leben wert.


Bevor sich die Vorgänge wieder gemütlich eingespielt haben, bleibt Heerwagen aber eine Aufgabe übrig, der er sich anscheinend doch nicht entziehen zu können glaubt:


„Freitag den 15. Januar 1875

[…] 2, Der Vorsitzende legt dar, daß sich unter den obwaltenden, neugebildeten Verhältnissen, noch eine Um- und Abänderung der der Ordens-Satzungen als nothwendig erwiesen habe und schlägt vor, daß zur Ausarbeitung eines Entwurfes hierzu eine Commission von 5 Mitgliedern niedergesetzt, bzw gewählt werde.

Hierzu berichtet Herr Lorsch als gewählter Obmann des Ausschusses im Namen des letzteren, daß dieser Herrn Dr. Wilh. Beckh zur Ausarbeitung eines Entwurfes der Gesetze beauftragt habe, welcher der Commission zur Beschlußfassung vorgelegt werden solle.  Herr Lorsch beantragt, daß diese Commission bestehen solle aus

a, dem Gesamtvorstand

b, dem Gesamtausschusse

Dieser Antrag wird einstimmig zum Beschluß erhoben.“