Elfter Abschnitt: Im Schneckenhaus


 


Zurück ins Jahr 1933: Plötzlich war das Angesagte zeitgemäß, und es gab sich modern. Man vergißt zu leicht, welche Faszination gerade vom technikfreundlichen, scheinbar naturwissenschaftlich begründeten, die Medien in unerhörter Weise einspannenden Getriebe der Nazipartei ausging. Dem Rundfunk waren die dessen ungewohnten Menschen in beinahe hypnotischer Weise ausgeliefert, ebenso den Massenaufmärschen mit Scheinwerfertricks und Lautsprechergedröhn. Die nationalkonservativen, rückwärtsgewandten Anschauungen des Adels wurden benützt, solange man sie brauchen konnte, aber im Grunde als überholt verachtet. Das muß dem Ordensführer von Scheurl zu denken gegeben haben. Die Fraktur als Standardschrift deutscher Druckerzeugnisse wurde von den Nazis eben nicht in den Vordergrund gestellt, sondern 1941 abgeschafft. Das immer noch mittelalterlich wirkende Nürnberg wurde als Szenerie von Aufmärschen benützt, solange es nicht die gigantischen Bauten am Dutzenteich gab; danach wurde die Mittelalterschwärmerei zurückgedrängt, als hätte man gewußt, daß es bald kaum etwas Derartiges mehr zu bewundern geben werde. Einheitlichkeit der Stile und Anschauungen war allerdings nicht einmal innerhalb der Nazipartei so schnell herzustellen. Und innerhalb des Blumenordens fällt das völlige Ausblenden des Reichsparteitagsrummels auf, ja, man möchte fast von enttäuschtem Rückzug in eine zunehmend christlich geprägte Innerlichkeit reden. Die Belege freilich sind spärlich. Die Beschäftigung mit Literatur an sich war es in dieser Zeit eben auch.


 


Ideologie mit Ausreißern


Die Sprache der Nazis hat herkömmliche, mit höchster Wertschätzung behaftete Wörter und Begriffe benutzt, um menschenverachtende Ziele zu maskieren, und hat damit bestimmte Bereiche des Denkens auf lange Zeit vergiftet und unsagbar gemacht. An den Äußerungen der Pegnesen aus diesen Jahren wird die schleichende Entwertung von Wörtern wie „idealistisch“, „edel“, „Seele“ deutlich. Mit derartigen Entstellungen kann nicht arbeiten, wer als Poet die Sprache auf ihren lauteren Gehalt abhorcht und sie zum Leuchten oder zum Durchscheinen von Erkenntnissen in stimmiger Form bringen will.


Dienstag, den 23. Mai 1933            7. Wochenversammlung

Vorsitz: Freiherr von Scheurl

Anwesend 34 Damen + Herren

[…] Zu dem Vortrag des Abends, den Herr Oberlehrer Hans Hubel hielt […] sei noch folgendes erwähnt: […] Die Berichte über das, was in Deutschland geschehen ist, die [Edwin] Dwinger gibt, sind geeignet, unser Gedächtnis aufzufrischen; die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die Inflation, die Unfähigkeit des Volkes, sich gegen die Friedensbedingungen aufzulehnen […] Dem Weltkapitalismus, dem Amerikanismus, darf Deutschland nicht mehr verfallen, auch nicht dem Bolschewismus […] Sowohl der italienische als der deutsche Faschismus seien nicht geeignet, die Verhältnisse Deutschlands zu ändern. Religiöse Ideen werden besprochen, vom Sinn des Krieges; während die Kameraden glauben, der Krieg sei seelenlos, sagt Dw., der Krieg wecke den Heroismus und sei eine heilende Kraft. […] Freiheit ist durch heldenhafte Haltung gewonnen. […langer Schnörkel im Text, wahrscheinlich Übergang vom Referat zur Aussprache] Hitler sah den Grund gelegt zum Bau der Kuppel einer neuen Völkergemeinschaft. Unter ihm strömen die Völker von Europa zusammen. Dies wollen wir hoffen und glauben. […]


Dienstag, den 28. November 1933        10. Wochenversammlung

Colleg-Billardzimmer

Wieland-Gedächtnisfeier

Anwesend 39 Herren u. Damen

[mit S.v.P. gezeichneter Zeitungsausschnitt]

Den schön verlaufenen Abend leitete Fräulein Helene Friderich mit dem fein empfundenen Gesang […] ein. Es war ein Genuß, hier und auch bei zwei später mit viel Leben und Ausdruck gesungenen Zigeunerliedern von Brahms der schönen Altstimme zu lauschen. Oberstudienrat Konrad Meyer gab in großen Umrissen ein anschauliches Bild vom Leben und Schaffen des Dichters […] Es kann keinen Zweifel geben, daß Wieland für die  Entwicklung der Dichtung etwas bedeutete. Er war ein gewandter, liebenswürdiger Erzähler mit dichterischer Begabung, aber kein Schöpfergeist; Wieland war weder ein Dramendichter noch ein echter Lieddichter, dazu war er zu sehr Nachahmer und Nachempfinder. Einige Bruchstücke aus den Abderiten legten Zeugnis von der Art seines Dichtens ab und lösten — ebenso wie einige vorgelesene Briefe — viel Heiterkeit aus. […]


3. Wochenversammlung        Dienstag, den 6. Februar 34

[Fr. Kurier No. 56 26. II] [daneben die ausführlichere Fassung des S.v.P. gezeichneten Artikels aus Nordbayr. Zeitung. 9.? II, wahrscheinlich 29. 2.]

Hanns Johsts Schaffen.

[…] Vortrag des in ihren Reihen wohlbekannten Schauspielers Fritz Kraus […] Vom 3. Reich wurde er als Reichsdramaturg nach Berlin berufen, doch eine grenzenlose Enttäuschung vom Theater bewog ihn, sich zurückzuziehen in die ländliche Stille seines Häuschens am Starnberger See […] In seinen Schauspielen zeigt Johst, daß echte Kunst nur aus religiösem Erleben herauswachsen kann, aber trotzdem keine Zweckkunst zu sein braucht […]


Seltsam: Von einem Rückzug Johsts weiß Wikipedia nichts; 1935 war er jedenfalls Präsident der Reichsschrifttumskammer.


4. Wochenversammlung        Dienstag, den 20. Februar 1934

[2 Zeitungsausschnitte mit Text von S.v.P., der ausführlichere aus der Nordbayerischen Zeitung, 27. II 34]

Pegnesischer Blumenorden

Ein andächtiger Zuhörerkreis scharte sich beim letzten Abend um den Vortragenden, Dr. Artur Kreiner […] Zu ernster Besinnung mahnende Verse führten an die Gruft Friedrichs des Großen, an der Hindenburg und Hitler sich, beide einen heiligen Eid schwörend, die Hand reichten […]

In einer Erzählung „Stille Leuchte“ läßt uns der Dichter in knappster Form in 54  Sinnbildern wundervolle Blicke tun in das Leben und Wesen des Dichters Knorr von Rosenroth […]


10. Wochenversammlung        Dienstag, den 30. 10. 34

[mit S.v.P. gezeichneter, sonst unbezeichneter Zeitungsausschnitt]

„Das Herz ist wach“

[…] Beim letzten Vortragsabend bot Universitätsprofessor Dr. E. Freiherr v. Scheurl den Hörern einen großen Genuß, indem er sie […] einen Blick tun ließ in eine Erzählung in Briefen, „Das Herz ist wach“, als deren Herausgeber M.B. Kennikott genannt ist […] Ein englischer Aristokrat und Forscher und eine in der deutschen Oeffentlichkeit wirkende Frau, diese Aeußerlichkeiten treten zurück hinter  der inneren Größe der beiden. Jedes […] sucht nach dem tieferen Sichverstehenkönnen zwischen den zwei verwandten Völkern, denen es entstammt; dies kann nur dort über die Grenzen hinübergedeihen, wo eine starke und wahre Liebe zum eigenen Volke ist. […]


11. Wochenversammlung        Dienstag, den 13. XI 34.

[Hinweis auf den im Fränkischen Kurier, 19. November 1934 Nr. 320 erschienenen Text von S.v.P.:]

Eine sehr zahlreiche Zuhörerschaft [laut handschriftlichem Protokoll 48 Damen und Herren] scharte sich beim letzten Vortragsabend um unsere Nürnberger Schriftstellerin Lu Volbehr, die mit der Vorlesung ihres bedeutenden Schauspiels „Kathrin“ die Anwesenden außerordentlich fesselte. Das Stück, das während des [1. Welt-]Krieges viele Aufführungen erlebte, behandelt mit tiefem Ernst die Frage, ob das Bergpredigtchristentum in dieser Welt gelebt werden könne. […] eindeutig gezeigt, daß die Notwehr ihr bitteres Recht habe. Dies sprach auch der Leiter des Abends, Pfarrer Türk, in seinem Schlußwort aus […]


1. Wochenversammlung        Dienstag, den 15. Januar 1935

[Fränk. Kurier 21. I 35, gezeichnet S.v.P.]

Schauspieler  Fritz Kraus führte die Hörer […] in das Leben und künstlerische Schaffen Ricarda Huchs ein. […] Ricarda Huch ist eine Priesterin der Liebe zu nennen. […] Als Uebergang zu einer Reihe farbenglühender, formenschöner [sic] und gefühlsreicher Gedichte spielte die Mutter des Vortragenden, die Lisztschülerin Frau Elly Kraus-Schulze, den Liebestraum Nr. 1 ihres Meisters mit warmem Empfinden. […]


9. Wochenversammlung        Dienstag, den 15. Oktober 1935

[Fr. Kurier 21. X 35, S.v.P.]

Die Auswirkungen der Erhebung im deutschen Roman

[…] durch die Ankündigung eines Vortrags des Ordensführers […] eine ungewöhnlich große Besucherzahl angezogen. [51] […] daß es sich heute im Roman nicht mehr so sehr ums Einzelgeschehen handle, daß nicht mehr die Einzelschicksale einer Gruppe oder Klasse im Vordergrund stehen, sondern daß heute der tragende Grund von der Gesamtheit ausgehe. […] Das sei auch bei dem Entwicklungsroman von Hans Carossa, Kindheit und Verwandlungen einer Jugend, der Fall, in dem sich die neue Zeit deutlich spiegle. […]


Das war der geistesgeschichtliche Sündenfall des Nationalsozialismus: die neuzeitliche Entdeckung, daß das Subjekt ein Individuum ist, rückgängig zu machen. Von da führt ein direkter Weg zur persönlichen Verantwortungslosigkeit und zum Herauslassen der Bestie im Menschen.


In dem Vortrag „Wilhelm Raabes Weg und Schicksal“ zur 25. Wiederkehr des Todestages Raabes in der „Gesellschaft der Freunde Wilhelm Raabes“ äußert Hans Hubel:


[…] Sein Schaffen fällt in der Hauptsache in die bürgerlich-materialistische Zeit, die zwar gewaltige wirtschaftliche und technische Leistungen aufweist, in welcher aber das deutsche Leben sich stark veräußerlichte und in welcher seine innersten Quellen bedroht wurden. […]

So sehr er Bismarcks Größe anerkennt, so deutlich sieht er Schwächen und Verfallserscheinungen, so daß er einmal sagt: „Nach Canossa gehen wir nicht, dafür aber nach Byzanz alle Tage!“ Statt des Bismarckreiches sucht und ahnt seine Seele den wahren deutschen Volksstaat mit einem geistesmächtigen Führer, unter dem deutsches Wesen rein und stark, aller Welt ein Beispiel sich entfalten soll. […]


12. Wochenversammlung [eine 11. ist im Protokollbuch nicht vorhanden]

Dienstag, den 12. November 1935

[Fr. Kurier 16. Nov. 35, S.v.P.]

[…] Nach vielen Jahren hatten die Mitglieder wieder einmal die Freude, Herrn Direktor Dr. Behringer sprechen zu hören, der 14 Jahre lang als 2. Vorsteher dem Orden wertvolle Dienste geleistet hatte. In seinem mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Vortrag über „Volkhafte Dichtung in der Gegenwart“ […] Es sei nicht alles […] volkhafte Dichtung, was das Wort im Munde führe. […] Volkhaft könne nur die Dichtung genannt werden, die blutmäßig aus dem Lebensgrund des Volkes herauswachse. […] Emil Strauß, […] In der Stille verfolgte er das Geschehen der Zeit und war einer der ersten deutschen Dichter, die sich zu Adolf Hitler bekannten. […]


Wie wächst Dichtung blutmäßig irgendwo heraus, und wenn es der Lebensgrund des Volkes wäre? In der Umkehrung des Gefasels ins Abwehrende erweist sich der skandalöse Inhalt: Alle Nicht-Deutschen dürfen nicht mehr mitspielen.


13. Wochenversammlung        Dienstag, den 26. XI 35

[Ausführlicher Text von S.v.P. vierspaltig in der Nordbayerischen Zeitung vom 2. 12. 35 abgedruckt. Der Schauspieler Fritz Kraus stellt vor allem den Roman „Paracelsus“ von Kolbenheyer vor, dessen Inhalt in aller Breite wiedergegeben ist, daneben noch andere Werke.]


Dienstag, 14. Januar, 20 ½ Uhr, Colleg, Bucherstraße, Rokokozimmer:

Emil Bauer: aus eigenem Schaffen.

Dienstag, 28. Januar, 20 ½ Uhr, Colleg, Bucherstraße, Rokokozimmer:

Heinz Schauwecker: Gedichte und „Wetterleuchten der Freiheit“. (eine Schill[er]-novelle)


1. Wochenversammlung        14. Januar [1936] ½ 9 Uhr Colleg

[Fr. Kurier 20. I 36 No. 19, S.v.P.]

Emil-Bauer-Abend […]

Begegnungen mit Menschen und Beziehungen zu ihnen, tiefe Frauenliebe und zartes Verständnis für die Natur. […] Eine lebensvolle Erzählung „Der Diener“ […] wird in knappem Rahmen ein ergreifendes inneres Erlebnis vermitteilt [sic]. Der Dichter las noch einige seiner ungedruckten Gedichte. Bei allem erwies er sich als ausgezeichneter Vorleser seiner eigenen Werke.


3. Wochenversammlung        11. Februar 1936 Colleg ½ 9 Uhr

32 Anwesende, Vorsitz zunächst Pf. Geyer, der kurz und launig begrüßt, dann Pfarrer Türk. […]

[ausführlicher als im Fr. Kurier dargestellt in Nordbayer. Zeitung 15. II. 36, S.v.P.]

Beim letzten, gut besuchten Vortragsabend erfreute Frau Mathilde von Liederscron, ein langjähriges, treues Ordensmitglied, die Erschienenen mit einer selbstverfaßten Heimaterzählung […] Wenn die Verfasserin den Wunsch ausspricht, die Reisenden möchten nicht nur auf den künftigen Reichskraftwagenstraßen die Gegend durcheilen sondern Landschaft und Bewohner auf sich wirken lassen, so hat sie damit vollkommen recht. […]


Hieran wird deutlich, daß die Pegnesen nicht zum fortschrittsgläubigen Flügel der Nazis gehörten und das Volkhafte als heimatliche Idylle verstehen wollten.


4. Wochenversammlung        24. II. 36 […]

53 Anwesende […]

Es handelt sich bei den Nürnberger Erzählungen [Türks, von ihm selbst vorgestellt] 1632 — 1732 — 1832 — 1932 nicht um ein Fabulieren, sie sind auf geschichtlichem Hintergrund erwachsen. […]


Beitrag im Fränkischen Kurier, 15. September 1936, Nr. 257. S. 186:

Ludwig Wekhrlin, 1739-1792 zu Ansbach

Ein Auch-Vergessener

von Dr. Artur Kreiner

[In diesem Aufsatz hebt Kreiner die von den Ansbachern als Agitation eines französischen Emissärs mißverstandene freiheitliche Publizistik Wekherlins als verfrüht gegenüber der späteren Satire des ihm bekannten Ritters von Lang hervor. W. mußte „in Schutzhaft“ genommen werden vor dem Ansbacher Pöbel und starb darin. Auch er war über eine Ahnin namens Regina mit Hölderlin, Schelling, Uhland und Mörike verwandt.]


Kreiner ist ganz offensichtlich trotz einzelner Lippenbekenntnisse zur „neuen Zeit“ der Querschläger im System. Er scheint den infamen Begriff „Schutzhaft“ nicht ohne Ironie gebraucht zu haben.


9. Wochenversammlung        13. Oktober 1936 […]

Sodann führte Freiherr v. Scheurl die Zuhörer in das neueste Werk Ernst Wiecherts „Wälder und Menschen“ ein. […] Wiechert will in diesem Werk keine andere Frage beantworten als die, wie er Dichter geworden ist. […] Freiherr v. Scheurl erfreute sodann durch Vorlesen liebevoll ausgewählter Abschnitte des wertvollen Buches.


Immerhin — Wiechert war ein im 3. Reich unerwünschter Autor und stand schon seit 1934 unter Beobachtung der Gestapo, wie aus Hans Ebelings Monographie „Ernst Wiechert – Das Werk des Dichters. Wiesbaden 1947“ hervorgeht. Sollte Eberhard von Scheurl das nicht gewußt haben, so ehrt ihn dennoch das liebevolle Eingehen auf jenes Buch, das so gar nicht politisch instrumentalisierbar war.


10. Wochenversammlung        27. X. 36. Colleg ½ 9 h

Anwesend 56 Personen

[31. X. 36 No. 303. Fr. Kurier, gez. S.v.P.:]

Georg Türk über sein neues Werk: „Der Wachtmeister von Leuthen“.

[…] Der Vortragende gab nun einen außerordentlich fesselnden Ueberblick über die Zeit, in der sich Preußen auf seine weltgeschichtliche Sendung besann […] Und in diese Geschichte hinein stellte der Verfasser […] den tapferen Wachtmeister von Leuthen […] Er will durch sein Dasein und sein Handeln sagen: es lohnt sich zu leben im verworrenen Weltgeschehen, denn über der Welt wölbt sich der Himmel, über der Zeit leuchtet die Ewigkeit, die Liebe zu Volk und Heimat muß verwurzelt sein in der Ewigkeit. […]


11. Wochenversammlung    10. November 1937 [sic; gemeint 1936]

[Fr. Kurier 17. 11. No. 320, S.v.P., etwas knapper redigiert als in der Allg. Rundschau:]

[…] Oberstudiendirektor Dr. Hilsenbeck sprach über das Werk Ch. D. Grabbes. Die großartige Dichtung, mit der Freiligrath Grabbe unmittelbar nach seinem Tode feiert, an den Beginn seiner Ausführungen stellend und Hanns Johsts Schauspiel „Der Einsame“ streifend, wies der Vortragende vor allem darauf hin, daß wir in mehr als einem Punkt Gedanken und Vorstellungen bei Grabbe finden, die heute im Vordergrunde stehen. Ohne auf das Bild des Dichters, seine krankhafte Veranlagung, seine unglückliche Leidenschaft zum Trinken, seinen Zusammenbruch und sein frühes Ende näher einzugehen, […]


Das gehört aber dazu, und Sophie von Praun weiß es!


12. Wochenversammlung        24. XI. 36 […]

[Allg. Rundschau No. 287 30. XI. 36 S.v.P.]

Die dichterische Sendung Rainer Maria Rilkes

Vortrag von Paula Schneider-Höllfritsch

[…] Er fühlt sich ganz als Werkzeug eines Höheren in der Gewißheit, daß hinter dem alltäglichen Sein das ungreifbare wirkliche Sein sich verbirgt, der dunkle Urgrund, von dem der Dichter seine Eingebung empfängt. […] Jedes Wort ist mit äußerster Notwendigkeit entstanden. Verse sind, sagt Rilke, nicht Gefühle, sondern Erfahrungen. […] man muß Erinnerungen vergessen können und die große Geduld haben, bis sie wiederkommen. In der Nachkriegszeit verstummte der Dichter für 10 Jahre […] Die letzten Werke […] sind das Werk eines Wissenden, das man mit innerer Bereitschaft und Hingabe lesen muß. […] Nach kurzer Pause brachte Paula Schneider-Höllfritsch in bekannter Meisterschaft eine reiche Fülle von Gedichten aus den verschiedensten Schaffenszeiten des Dichters zum Vortrag und es gelang ihrer hohen Kunst […] auch die schwer zugänglichen Dichtungen der Duineser Elegien und der Sonette an Orpheus näher zu bringen. — In den herzlichen Dank des Ordensleiters, Baron von Scheurl, stimmten alle Anwesenden mit stürmischem Beifall ein.


1. Vortragsabend [nicht mehr „Versammlung“] 12. Januar 37 — 20 ½ Uhr Colleg

[Allg. Rundschau 16. I 37 S.v.P.]

[…] sprach Professor Wilhelm Schmidt, ein feiner Kenner Raabes, […] über dessen Erzählung „Die Innerste“. […] Die trübendigende Dorfgeschichte ist die liebevolle Lobpreisung häuslichen Friedens gegenüber kriegerischer Abenteuerlichkeit und haltloser Wildheit und die Tragödie der kraftvoll-schönen freien Tochter des Hayes. […]


Zeitungsausschnitt aus Allgemeine Rundschau, 17. I. 37:

Pegnesischer Blumenorden

Emil Bauer ist im Pegnesischen Blumenorden kein Fremder mehr; […] Zunächst bezeugte dies eine feinsinnige Erzählung „Der kleine Marchese“ [über einen 10jährigen, der den Mörder seiner Mutter erlegt]

Nach kurzer Pause ließ der Dichter nochmals einen Blick in sein reiches Innenleben tun, indem er zunächst einige eindrucksvolle gedankentiefe Gedichte las, aus denen uns sein Gottsuchen entgegenleuchtet […] Den Schluß bildeten einige ungedruckte Gedichte „Vom neuen deutschen Wesen“, die die heiße Liebe Emil Bauers zum Deutschen Vaterlande und zum Führer, den Glauben an das deutsche Wesen und das Vertrauen auf den Führer machtvoll zum Ausdruck brachten. […]


Wie verträgt sich „feinsinnig“ mit „machtvoll“ — kontrapunktisch?


2. Vortragsabend        25. I. 38, Colleg 8 ½ Uhr

59 Anwesende

Vorsitz: Freiherr von Scheurl

[…] Ausführlich berichtet die Nordbayerische Zeitung von dem wertvollen Abend.

[…s.v.P.:] Oberlehrer Hans Hubel spricht über: Paul Ernst. […] Er studierte zunächst Theologie, gab aber, durch schwere innere Kämpfe veranlaßt, das Studium auf und geriet in Berlin, wo er Armut und Elend in bitterster Form kennenlernte, ins Fahrwasser des politischen Sozialismus. […entsprach] zunächst der naturalistischen Dichtung in einigen Lustspielen, deren Stil ihn aber nicht befriedigte; in der italienischen Novelle fand er die ihm am meisten gelegene künstlerische Form […] Alles Leben — das ist seine Ueberzeugung, wird getragen von den Trieben, die es ebenso erhalten und fortpflanzen wie sie es vergewaltigen und zerstören. […] aus der triebhaften Liebe muß die veredelte werden, aus dem mörderischen Haß der Haß gegen das Zerstörende, aus Gier Schaffenskraft, aus Dünkel Menschenwürde, aus triebhaftem Mut hohe, unbeugsame Kühnheit, die ewige Werte schafft und die Pflicht hat, die Wahrheit zu sagen und durchzusetzen. […] Wir finden die Triebe in ihrer ganzen Nacktheit bei Maupassant, aber während er in das Nichts schaut, gibt es bei Paul Ernst keine einzige Erzählung, in die nicht ein Ausblick in die vorhin gezeichnete Welt hineinleuchtet. […]


6. Vortragsabend        22. März [1938]

Anwesende 70. Vorsitz: Freiherr von Scheurl.

[Fr. Kurier, 3. IV. S.v.P.]

Im letzten Vortragsabend sprach Paula Schneider-Höllfritsch über Josef Weinheber. […] hat seinen Weg gewußt und ist ihn gegangen in dem Trotz, der sich sagt: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. […] Es ist nicht leicht aus der Fülle des Gebotenen einiges herauszugreifen wie: Aus dem griechisch-tragischen „Adel und Untergang“, den heiteren „Wien wörtlich“ […] das entzückende „Wiegenlied“, das wie zarte Musik erklingt und wieder verklingt […] Und endlich sei „Still zu wissen“ genannt, in dem die letzte Bereitschaft aufleuchtet und „Dem kommenden Menschen“, das den sieghaften Glauben des Dichters an eine höhere Ordnung ausspricht. […]


9. Vortragsabend        24. V 38 Colleg 8 Uhr

40 Anwesende — Vorsitz Freiherr von Scheurl

[Nordbayr. Zeitung 28. V. S.v.P.:]

Im Pegnesischen Orden:

Franz Oskar Schardt liest aus eigenen Werken

[…] Aus allen Erzählungen […] tritt reiche Erfahrung und ausgezeichnete Kenntnis der Menschen in ihrer rassischen Gebundenheit und Verschiedenheit zu Tage. […] Die Erzählung „Das kleine Fräulein“, die außerordentlich packend schildert, wie eine 15jährige Zigeunerin mit der Liebe bekannt wird, zeigt die sprühende Heiterkeit Schardts im schönsten Lichte, wie versteht er es mit wenigen Worten, in ganz knappen Sätzen, echtes, wirkliches Leben zu schildern, ein Zigeunermädchen, wie es sein muß, in dem trotz aller Durchtriebenheit doch ein guter Kern steckt. […] Den begeistert aufgenommenen Schluß des Abends bildete die Erzählung „Pastor Paucke“ […] Diesen prächtigen Mann, der während des Herero-Aufstandes in Südwestafrika bei der Truppe den geistlichen Dienst tat, beschäftigten nicht nur die Seelen-, sondern auch die Leibeskräfte seiner Soldaten. […] Als bei einem Gefechte keiner der militärischen Führer mehr da war, ergriff Pastor Paucke mutig und kräftig das Kommando und führte dadurch den Sieg herbei. Nachher war er wieder der Prediger, der seine Soldaten tüchtig in die Seelenwäsche nahm. Wie schön ist hier gezeigt, daß der Pfarrer auch in der Erfüllung seiner Soldatenpflicht ein ganzer Christenmensch sein kann und daß ein ganzer Christ überall seine Pflicht tut. […]


Hier fallen sehr ambivalente Sätze. Voraussetzung sind in beiden Texten Rassenvorurteile, aber der menschliche Einzelfall macht sich bemerkbar. Verschwiegen wird die Vernichtungskampagne gegen die Herero, mögen sie auch grausame Gegner gewesen sein. Und was ist in einem solchen Fall die „Pflicht“? Daß auch ein Pfarrer kämpfen muß? Was heißt „Seelenwäsche“? Hat er den Soldaten hinterher das Gewissen für die begangenen Schandtaten erweckt? Man müßte die Texte haben, aber im Pegnesenarchiv sind sie nicht.


Wie gemüthaft und fromm Schardt am liebsten schrieb, zeigt ein unter Nummer 59 in Schachtel 2 aufbewahrter Text (blauer Umschlag: Mitglieder 1220-1340, S. 117-122 aus einer klammergehefteten Zeitschrift, die keine Angabe zu Ort und Jahr trägt): „Oskar Franz Schardt: Der Berbedomobile“. Es handelt sich um eine Novelle über einen Schirmmacher im 18. Jahrhundert, der ein Perpetuum mobile bauen will und am Ende erkennt, daß das Weltall das Perpetuum mobile ist.


Zeitungsausschnitt über eine Ordensveranstaltung, aufgrund eines angeschnittenen anderen Artikels auf 1938 datierbar:


Nicht nur die Mitglieder des Pegnesischen Blumenordens, sondern auch eine große Anzahl von Gästen waren erschienen, den Dichtungen Max Schneiders zu lauschen. […] Seine Trilogie „Kalokagathos“, die im hiesigen Stadttheater aufgeführt wurde, fand seinerzeit weithin Beachtung. Max Schneiders dichterisches Schaffen wird wesentlich durch seine Verbundenheit mit der Natur bestimmt. […] Max Schneider bekennt sich, wie die „Gestalten aus der Antike“ zeigten […], zu den Ideen des Humanismus, der in der Vereinigung von „Schön“ und „Gut“ nach altgriechischem Vorbild das höchste Ziel menschlichen Strebens erkannte. […]


So konnte man unbelastet in die Nachkriegszeit kommen.


Und dann war anscheinend eine Serie über Frauenliteratur angesagt:


13. Vortragsabend            22 XI. 38 […]

Anwesend 60 Personen

[Fr. Kurier 327, 27. XI. 38 S.V.P.]

„Deutsche Dichterinnen des 18. und 19. Jahrhunderts“

Vortrag im Pegnesischen Blumenorden

Wie schon vor einigen Wochen hatte der Blumenorden die Freude, Frau Dr. Wanda von Baeyer sprechen zu hören […] Anna Luise Karschin […] Viktoria Gottsched […] Caroline Schelling […] Bettina von Arnim […] Bei der Herausgabe von Goethes Briefwechsel mit einem Kinde hat Bettina die Briefe leider vielfach verändert, da sie ein einheitliches Kunstwerk aus ihnen machen wollte. […] Nachdem die Vortragende noch zwei Briefe von Goethe und Bettina in ihrer ursprünglichen Fassung vorgelesen […] hatte, dankte ihr Freiherr v. Scheurl noch herzlich für die schönen Gaben des Abends.


1939 1. Vortragsabend        Dienstag 10. Januar […]

Anwesend 50 Personen

Vorsitz Pfarrer Türk

[…] Vortrag über Annette von Droste-Hülshoff […] Frau Dr. Wanda von Baeyer […]

Auffällig ist an diesem Vortrag nur die Abwesenheit jedes Hinweises auf die „Judenbuche“.


3. Vortragsabend        Dienstag, den 14. II. 39 […]

Paula Schneider-Höllfritsch trägt Dichtungen von Annette von Droste-Hülshoff vor.

75 Anwesende, Vorsitz Freiherr von Scheurl […]


Das Hauptaugenmerk liegt auf der Naturdichtung und der geistlichen Dichtung.




Bitterer Ernst


Noch beim Irrhainfest 1939 zeigte sich Georg Türk von der heiteren Seite. Er thematisierte fürs Irrhainspiel eine tatsächliche, nicht lange zurückliegende Begebenheit: daß er zur Nachtzeit in den Irrhain gegangen war, um den Pokal zu suchen, den er vermeintlich dort stehengelassen hatte, der sich aber in einer Tasche fand. Dazu kam ein leichter Autounfall, als Frau Baronin von Scheurl das Auto auf der Fahrt zum Irrhain in den Straßengraben setzte. Alles im erträglichen Bereich, und daher in Versform zu unterhaltender Wirkung zu bringen.


Irrhainspiel 1939 „Wo ist der Pokal?“

Ein heiteres Irrhainspiel mit Aktendeckeln von Georg Türk

Es wirken mit:

Der Ansager

Freifräulein v. Ebner-Eschenbach

Frau Trost

Renate Thomas

Herr Prof. Schwarz

Herr Trost

Fräulein Trost

Fräulein von Praun

Eine Stimme.

Der Schauplatz wechselt.

Zeit: Irrhainfest 1939


Zum Irrhaintreffen 1940 hatte er etwas anderes zu verlesen. Wilhelm Schmidt fügte dem Blatt handschriftlich hinzu: „Sohn von 1100., [das war er selbst] gefallen 12. 6. 1940“


Die Toten (Walter Schmidt zum Gedächtnis)

[…]

Hört ihr es leise durch die Bäume klagen?

Viel junges Leben hat sich jäh verblutet,

und helle Kerzen haben ausgeglutet.

Wer mag den Trauernden ein Trostwort sagen?


Die Toten sind es, die in Wahrheit leben.

Sie sind dem Wirrsal dieser Welt entronnen,

sie baden sich im Lichte reiner Sonnen,

nach denen sehnend wir das Haupt erheben.

[…]


Hört ihr das Lied des Dankes in den Zweigen?

Wir danken mit, wir danken unter Zähren.

Die Männer fallen —, und das Reich wird währen.

In Ehrfurcht vor den Toten wir uns neigen.


Irrhainfest 1940.


Es gab keine Hurra-Gesänge wie noch im 1. Weltkrieg. Die Jubelszenen bei der Abfahrt der Soldaten zur Front waren auch ausgeblieben. Opferbereitschaft und Trauer hielten sich zunächst die Waage. Georg Türk versuchte sie in Worte zu fassen:


Adventsgedicht 1941


Laßt den Stern der Sterne glänzen

In das dunkle Tal der Zeit,

daß in eures Daseins Grenzen

leuchte auf die Ewigkeit.


Wandrer sind wir, die sich sehnen

nach des Abends stiller Rast,

wenn sich weit die Wege dehnen,

wenn das Wandern wird zur Last.


Mütter horchen in die Weite,

wild dröhnt auf der Lärm der Schlacht,

Frauen gehen im Trauerkleide,

Weinen geht durch dunkle Nacht.


Aus der Ferne rufen Stimmen:

„Wißt! Wir wollen Opfer sein!

Mag des Lebens Docht verglimmen,

neu ins Leben gehen wir ein!


In des Ostens fernen Zonen

rieselt Schnee vom Himmelszelt.

Immer tragen, wo wir wohnen,

wir in uns die deutsche Welt.“


[…und dann spielt er das Nürnberg-Heimweh und die Gegenwart der Toten durch, viel zu lang.]


Adventsgedicht 1942

Adventsabend 18. Dezember 1942.

Worte zum Beschluß.


Nun schwinge aus, du starker Freudenton!

Du klangst im Herzen auf und liessest uns

besinnlich schreiten durch den Winterwald.

Ein Stündlein schwieg der Lärm der wilden Schlacht,

ein Stündlein weilten wir in jenem Reich,

das unsre Sehnsucht träumt in stillen Nächten.

Wir hörten, wie das Fest der Feste ward.

Es sang die Geige und es klang das Lied.

Wir lauschten auf der Dichter hochgestimmte Weisen,

es duftete von Weihnacht und Advent.

Wir danken denen, die den Raum uns schmückten,

da er uns wird zur schönen Weihnachtsstube.

Wir danken denen, die uns Gaben boten,

daß in uns klang der starke Freudenton.

[…]

Nun schwinge aus, du starker Freudenton!

Es warten an der Türe unsre Sorgen,

es wartet an der Türe unser Kampf.

 Fern rollen durch den Schnee die Panzerwagen,

Soldaten halten Wacht im Sand der Wüste.

Nach Norden Osten, Süden, Westen wandern,

zu sturmgepeitschten Meeren die Gedanken.


Verklingst du schon, du starker Freudenton?

[…]

Und das geschloßne Tor, es schreckt uns nicht.

Es wird sich auftun unsrem Wanderschritt,

und mit uns schreiten still die Unsichtbaren.

Es wandern mit uns tausend Brüder, Schwestern,

es wandern mit uns hunderttausend Tote,

die doch lebend’ger als wir selber sind.

Wir schreiten ruhig, schreiten, Glied im Volk.

Gemeinsam tragen wir die schwere Last,

gemeinsam singen wir der Hoffnung Lied.

Jenseits des Tores warten neue Wege.

Und einer ist, der weiß das letzte Ziel.


Es klang in uns ein starker Freudenton,

und ohne Zagen gehen wir durchs Tor.


Wilhelm Schmidt führte neben der Schriftführerin Buch über die Veranstaltungen. In Archivschachtel 114 gibt es ein schwarzes Mathematik-Schulheft A5: „5., Vorträge in Versammlungen des Pegnesischen Blumenordens vom 28. Febr.1913-12. Dez. 1953.“ Daraus geht hervor, daß 1942 am 30. Oktober Frhr. v. Scheurl über Werner Bergengruens Roman „Am Himmel und auf Erden“ referiert hat. Emil Bauer ist mit 4 Beiträgen zwischen 1942 und 1944 vertreten, Georg Türk fast in jeder zweiten Versammlung.


Karl Bröger hatten die Pegnesen auch nicht vergessen. Von ihm ist in Schachtel 60 aufbewahrt das Einzelblatt aus einer Zeitschrift mit dem Gedicht „Das Vermächtnis“, zum Heldengedenktag 1942, und ein Zeitungsausschnitt mit dem Gedicht „Stern der Verheißung“, einem Weihnachtsgedicht. Anstelle einer Anthologie eigener Hervorbringungen, wie früher, bewahrten die Pegnesen eine unstrukturierte Sammlung von Gedichten auf, als Einzelblätter aus Zeitungen und Zeitschriften geschnitten, darunter von Christian Morgenstern, Hermann Hesse, Anton Schnack, Will Vesper, Josef Weinheber, Georg Britting (von 1938) und, wiederum, Karl Bröger.


Von Artur Kreiner wiederum stammt ein Sonett auf einem undatierten Zeitungsausschnitt, der nach Daten auf der Rückseite auf etwa 1942/43 zu datieren ist:


Adam Krafft

zu Füßen seines Sakramentshäuschens in Sankt Lorenz zu Nürnberg


Ich trag mein Werk. Trag du deins so wie ich!

Es wuchs und wuchs stolz unter meinen Händen.

Es bürdet mich mit Gnaden ohne Enden.

Freiwillig nehme ich die Wucht auf mich.


Erdbebengleich — es wäre fürchterlich,

Ein Gottgericht in stillen Kirchenwänden —

Wollt’ ich mich nur um eine Elle wenden,

So stürzte meine ganze Welt in sich.


Drum trag ich ihn mit federnden Gelenken,

den Baum, den einst nur meine Augen schauten

Bis an den Himmel, den die Brüder bauten.


Wem sonst, als Gott war dieses Werk zu schenken?

Drum ringelt sich der Wipfel selbst herab

Demütig-stolz, als wär’s ein Bischofsstab.



Die deutsche Linie in Hauptmanns Werk [Verfasser unbekannt]


[Ausschnitt aus „Der Sonntags-Kurier“, Unterhaltungsbeilage des Fränkischen Kurier, Datum abgeschnitten, aufgrund der Textstellen auf der Rückseite auf etwa 1943 oder 1944 zu datieren: „[…] zum Endsieg!“ — „Mit dem Wunsche, daß die schöne Stadt Nürnberg für die Zukunft verschont bleiben möge vor feindlichen Angriffen […]“ — „Ungenutztes Eisen abliefern!“]

Es mag Dichter geben, die aus ihrer Zeit zu lösen sind; Gerhart Hauptmann, Zeit- und Altersgenosse des letzten deutschen Kaisers, erfüllte dessen Epoche ganz, ja seine Dichtung zieht wohl die Summe der letzten Jahrzehnte vor der deutschen Erneuerung […] Ist nicht sein Gesamtwerk […] ein wahres Schlachtfeld zwischen Realismus und Romantik? […] Und wäre damit nicht unwillkürlich etwas sehr Ueberzeitliches erreicht, nämlich jene eigentümlich germanisch-deutsche Linie welche Wirklichkeit und Mythenwelt von Urbeginn an so seltsam miteinander zu vereinigen weiß? […]

Heimatliebe ist bei ihm mythisch-heidnisch durchseelt, das Erdhafte duftet aus allen Poren, und so konnte denn vom „Griechischen Frühling“ bis zur „Iphigenie in Delphi“ auch die Antike bei ihm nicht fehlen, ja sie erschien sogar ganz intuitiv in jener neuen Erkenntnis, derzufolge sie mit dem Germanisch-Nordischen ins eins verschmilzt […]


Wie doch die Journalisten sich beflissen, an der Heimatfront durch Kulturbeiträge den Anschein der Normalität zu wahren und gleichzeitig die Parteilinie befolgten! Aus den Reihen der Pegnesen kam Irrendes, aber nichts gar so Verlogenes.


Ein blauer Umschlag „Arbeiten von Pegnesen 1342-”, in der zweiten der Archivschachteln, welche die Nummer 59 tragen, enthält Briefe und Zeitungsausschnitte von und über den Drechslermeister Jean Greulein, der als Mundartdichter einen Namen hatte. Aus dem Nachruf, den ihm Gottlieb Meyer, „Liebala“, schrieb, geht hervor, daß er 75jährig während eines Fliegeralarms tödlich verunglückte. Aber es gibt auch etliche Zeitungsausschnitte mit Musikkritiken von Dr. Eva-Maria Funk-Schneider, der Tochter Max Schneiders, aus dem Jahre 1944. Sie schrieb manchmal drei Kritiken an einem Tag, wahrscheinlich, weil es an Männern im Ressort Kritik zu fehlen begann; in einem Fall sind sie aufgrund von Terminnennungen auf der Rückseite der Ausschnitte auf Anfang März 1944 zu datieren. Davon die zweite:


[…] Mit einem programmlich sehr sorgfältig gewählten Morgenkonzert trat das neugegründete „Seifert-Quartett“ (Carl Seifert, Lotte Böck, Julius Bühler, Karl Ochsenkiel) erstmals vor die Nürnberger Öffentlichkeit. Es stellte sich damit eine Kammermusikvereinigung vor, die durch große Kultur des Zusammenspiels, durch Geschmack und Stilempfinden, durch Pflege des Klanges und durch lebendige Musikalität aufhorchen ließ. […]


(Nicht ohne Rührung habe ich in diesen Zeilen den Namen meines ersten Violinlehrers Julius Bühler entdeckt.)


Musik aus Barock und Romantik

[…] Es darf an dieser Stelle betont werden, wie wertvoll solche Veranstaltungen gerade im Rahmen der Konzerte der NS.-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ sind und wie sehr es zu begrüßen wäre, wenn durch Konzerte dieser Art eine breitere Hörerschaft tiefer in die deutsche Musik eingeführt werden würde als das z.B. durch die allerdings recht beliebten „Opernabende“ der Fall sein kann. […]


Der primitive Geschmack der „Goldfasane“ war aber nicht auf Musik aus,  deren Ausübung und Hören uneitles Können und Wissen erfordern.


Barockmusik heute gespielt

Ein von der HJ. veranstaltetes „Konzert der Jugend“ mit Werken aus dem weiten Gebiet des musikalischen Barock gab Anlaß zu grundsätzlichen Betrachtungen über das innere Verhältnis unserer Jugend zu jener Stilepoche, die gerade auf musikalischem Gebiet in der Jugendarbeit so sehr gepflegt wird. Dabei fällt auf, daß man für die heroischen Züge der Barockmusik, wie sie etwa durch das edle Pathos von Friedrich Händel hindurchklingen, mehr Beziehung besitzt als zu der Grazie, die doch in gleicher Weise zu diesem Stil gehört. […] Diese Grundhaltung, die — musikalisch gesprochen — zu einer übergroßen Beschleunigung der raschen Zeitmaße und zu einer Gefühlsüberbelastung der langsamen Sätze führt, war zu spüren in den Chorliedern [… Georg Büchner trat — damals schon — als Sologeiger auf.]


Wie Eva-Maria Funk-Schneider das, lange vor Nikolaus Harnoncourt, schon wissen konnte…


Mittwoch, 3. Mai 1944 Nr. 120

„Der Brief“

Zeitnahes Theater im Schauspielhaus

Das Heimkehrerproblem war bereits nach dem Weltkrieg jahrzehntelang das Thema für eine große Anzahl von dichterischen Werken. Nun hat es für den jetzigen Krieg auch Herybert Menzel mit seinem vor wenigen Tagen in Posen uraufgeführten dritten Bühnenstück, dem Kammerspiel „Der Brief“, aufgegriffen und — da es für uns ja sozusagen noch in der Zukunft liegt — in eine französische Umgebung gestellt. […] Ein französischer Soldat schreibt am Vorabend schwerer Kämpfe an seine Frau einen Brief. Er enthält den Dank für ein großes Glück und die Bitte, sich nicht dem Leben zu verschließen, falls ihn der Soldatentod ereilt. Auf dem Vormarsch gerät dieser Brief mit einer zerstörten Feldpost in die Hände eines deutschen Soldaten, der ihn bei sich bewahrt und nach dem Feldzug, als ihn der Weg als Schriftsteller wieder nach Frankreich führt, der Frau und dem inzwischen aus deutscher Gefangenschaft zurückgekehrten Mann überbringt. Die in dem Brief bekundete Seelengröße des Mannes entscheidet letztlich über die Ehe der beiden Menschen, die sich durch die lange Trennung und durch die Spannungen des beiderseitigen schweren Erlebens fremd geworden waren. […]


Johann Gottfried Herder

Zum 200. Geburtstage am 25. August [1944]

Wenn man Lessing einen deutschen Voltaire nennen wollte, so müßte man Herder als den deutschen Rousseau ansehen. […] Und es war grundlegend, daß Herder erkannte und nachwies, wie tief das Lied in Form und Stoff mit dem Volkstum jeder Nation verbunden ist, wie es sein Leben aus der Natur des Volkes schöpft und durch sie gestaltet wird.

[…] Herder faßte das Leben der Menschheit zu einer Entwicklungsgeschichte von Ideen zusammen und rückte diese in das Licht einer allmählichen Verwirklichung der letzten und höchsten Idee, der platonischen Idee des Guten. Der ursächliche Verlauf ist ein notwendiger: weil er unter einer endzwecklichen Bestimmung  steht: Es soll der Zustand wahrer Humanität und innerer Freiheit erreicht werden. […]


Es ist kaum zu glauben, in welchem Maße und wie unbehelligt Eva-Maria Funk-Schneider bereits die Nachkriegszeit, und zwar eine nicht mehr nationalsozialistische, vorbereiten konnte. Kreiner und Türk, über den sie im nachfolgenden Text referiert, gehören auch zu diesen Vorläufern.


Pfarrer Georg Türk

[Zeitungsausschnitt 12. 5. 1944:]

Ein wiederum sehr anregender Abend führte die Hörer in seinem ersten Teil in die Gründungszeit des Ordens, der heuer auf sein 300jähriges Bestehen zurückschauen kann. Georg Türk las mehrere, teilweise recht anmutige und zierliche Schäfergedichte von Sigmund von Birken […]


Schließlich gehört auch Max Schneider dazu, der auf Bröger einen undatierten Nachruf für die Zeitung schrieb:


Karl Bröger ist tot. Er war der größte Dichter, den Nürnberg seit Hans Sachs hervorgebracht hat. […] der  Geschichtsumriß „Nürnberg“, die Erzählungen um Eppelein von Gailingen, der farbenprächtige „Guldenschuh“ bringen Licht und Leben in die Vergangenheit des engeren fränkischen Kulturbereichs. […] der in Wahl und Behandlung des Stoffes einzigartige, in der Kunst der Darstellung unübertreffliche Roman „Der Held im Schatten“, spiegeln die heimatliche Erlebniswelt des Dichters mit dem tiefsinnigen, holzschnitthaften Antlitz des fränkischen Menschen. […]


Auch der Blumenorden spiegelt die Gesellschaft Nürnbergs, oft zu direkt.